Schweitzer Fachinformationen
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I
Ein Blick auf seinen Terminkalender ließ in Major Daniel Politzky die Überzeugung aufkeimen, dass die in wenigen Minuten folgende Besprechung eine überaus lästige Angelegenheit werden könnte. Er öffnete eine Lade seines Schreibtisches, holte ein Medikamentenröhrchen heraus und schüttelte eine Tablette in die linke Handfläche. Mit Schwung warf er sich die Tablette in den Mund, nahm einen Schluck Kaffee dazu und verzog wie üblich sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse, schüttelte sich und verstaute das Medikament wieder in der Tischlade.
Ein Systemposten war ihm vom israelischen Militär zugewiesen worden, nachdem ihm irgendein Heckenschütze der Fatah sein Bein zerschossen hatte. Er werde das Kreativzentrum der Truppeninspektion leiten, hatte man ihm gesagt. Schließlich seien israelische Militärangehörige pfiffige Köpfe, hätten viele Ideen, und an ihm werde es liegen, diese Ideen zu bewerten, auf ihre Umsetzungsmöglichkeit hin zu prüfen, an die richtigen Stellen weiterzuleiten oder auch abschlägig zu beantworten, ohne dabei den Ideengeber zu entmutigen.
Acht Jahre saß er nun hier in seinem engen Büro, mit zehn Kilo Übergewicht, einer Prothese statt des rechten Unterschenkels und einer massiven Gastritis. Der Psychologe, der ihn vor geraumer Zeit besucht hatte, stellte fest, dass in dem kleinen Büroraum nichts auf den Benutzer hinwies. Es gab keine Bilder an den Wänden, keine Fotos von Familienmitgliedern auf dem Schreibtisch. Alles war ordentlich, beinahe penibel sauber und aufgeräumt. Bereit zum Quittieren, hatte der Psychologe gedacht. Der Mann hat geistig mit seinem Beruf abgeschlossen. Wie alt ist er – knapp sechzig? Der Mann wird seine Arbeit machen, aber nicht mehr, war ausgebrannt, frustriert und wartete auf seine Pensionierung. Der Psychologe machte sich eine entsprechende Notiz.
Politzky trug in einen Akt einen kurzen handschriftlichen Vermerk ein, ordnete das Schriftstück in einen Hefter ein, legte ihn beiseite und starrte aus dem Fenster. Verdammt heiß ist es heute, dachte er, oder werde ich langsam empfindlich? Er wischte mit einem Papiertaschentuch über Stirn und Glatze, dann warf er einen bösen Blick auf den Ventilator über ihm, der träge seine großen Blätter kreisen ließ. Eine echte Klimaanlage war er der israelischen Armee scheinbar nicht wert. Abfall, dachte er, nichts anderes war er, und warf das Taschentuch zu den anderen in den Papierkorb.
Fünf Jahre noch, dann war Schluss. Schluss mit der stumpfsinnigen Arbeit hier. Jeden Tag kamen Dutzende von Memos in seinem Postfach an, Ideen von irgendwelchen Freaks, mit denen er sich herumzuschlagen hatte. Mal erfand einer Zusatztreibstoff zum Kerosin, der die Maschinen der Luftwaffe doppelt so schnell machen sollte; ein anderer schlug vor, einen Tunnel nach Damaskus zu treiben und die Stadt zu sprengen; auch Vorschläge zur verpflichtenden Einführung von ruthenischen Volkstänzen in der Armee gab es, um die Disziplin und den Kameradschaftsgeist zu fördern.
Das meiste war technisches Zeug, das er nicht verstand und an die jeweilige Einrichtung mit der Bitte um Prüfung weiterleitete. Die Antworten waren durch die Bank negativ, ab und zu kam eine positive Reaktion. Selten gab es wirklich pfiffige Ideen. Mit leichtem Schmunzeln erinnerte er sich an die Bitte eines Soldaten, der aus einer Familie ungarischer Juden stammte. Der Kerl bat so flehentlich um die Einführung des Pörkölts bei der Verpflegung, wenigstens einmal im Monat, dass Politzky sich mit dem Verpflegungsamt in Verbindung setzte und hartnäckig blieb, bis tatsächlich der Wunsch erfüllt wurde. Natürlich nicht genau, es war ein simples koscheres Gulasch und nicht Pörkölt von Mama. Trotzdem erhielt Politzky ein gerührtes Dankschreiben.
Nur ganz selten kam es vor, dass einer der Ideengeber persönlich vorsprechen wollte, denn die Ideen mussten schriftlich eingebracht werden. Aber einer dieser seltenen Fälle lag nun vor ihm. Ein Mann aus der Bildauswertungsstelle hatte um einen Termin gebeten. Wie hieß der Bursche? Schlomo Kardim.
Politzky zuckte mit den Schultern und schob den Aktenhefter vor ihm hin und her. Die Leute der Bildauswertungsstelle waren zumeist zivile Vertragsbedienstete des Militärs, und so war es auch in diesem Fall, wie seine Recherche in den Personaldaten ergeben hatte. Zumindest pünktlich ist der Bursche, dachte Politzky, als er eine Bewegung vor der Milchglasscheibe seiner Tür wahrnahm, gefolgt von einem fordernden Klopfen.
„Herein!“
Durch die Tür schob sich ein spindeldürrer junger Mann, aufgrund des langen schwarzen Kaftans, des schwarzen Hutes und der bis auf die Brust herabhängenden Schläfenlocken als einer der Ultraorthodoxen zu erkennen. Politzky seufzte innerlich. Er hatte nichts übrig für die sogenannten Orthodoxen, die in seinen Augen eher als Radikale denn als Religiöse vorgingen. Es waren diese Leute, die mit ihren immerwährenden Tiraden und hasserfüllten Aktionen, mit ihrer verbohrten Sturheit Israel nicht zur Ruhe kommen ließen. Was soll’s, dachte sich Politzky, the show must go on.
„Major Politzky?“, fragte der Bursche schüchtern und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
„Jawohl, mein Freund!“, entgegnete Politzky jovial, stand auf und reichte dem Besucher über den Schreibtisch hinweg die Hand. Über Kardims Gesicht glitt ein erfreutes Leuchten, er ergriff die dargebotene Hand mit beiden Händen und bearbeitete sie wie einen Pumpenschwengel. Politzky brachte seine Hand wieder an sich und wies auf den Besuchersessel. „Nehmen Sie doch Platz!“ Beide setzten sich. Politzky schüttelte, vom Besucher unbemerkt, seine Hand aus, legte sie dann wieder auf den Schreibtisch, beugte sich Interesse vortäuschend vor und fragte leutselig:
„Na, was haben Sie mir denn mitgebracht? In Ihrem Memo steht …“ Politzky öffnete umständlich den Aktenhefter. „… ah ja, da! Höchst wichtig, jedoch von militärisch nachgeordneter Bedeutung. Das klingt schon sehr interessant, nicht wahr?“
Der junge Mann ließ Politzky misstrauisch werden, doch das wollte er seinem Besucher nicht offenbaren. Die Ultraorthodoxen arbeiteten normalerweise nicht. Die waren üblicherweise nur an religiösen Studien interessiert und lagen dem Staat Israel auf der Tasche, da sie ihr Leben beinahe ausnahmslos durch die Sozialhilfe fristeten. Und nun saß doch tatsächlich einer von ihnen hier vor ihm. Wieso arbeitet der Kerl, fragte sich Politzky. Irgendetwas führte er im Schilde. Der ist nicht koscher.
„Ja, das ist es auch, tatsächlich!“ Der Bursche rückte auf dem Sessel herum, fuhr sich wieder mit der Zungenspitze über die Lippen. „Höchst wichtig!“
„Na, dann legen Sie los! Ich bin schon sehr gespannt!“ Politzky fragte sich, wohl zum hundertsten Mal, wie diese Kerle die Hitze Israels in ihren schwarzen Kaftans aushielten.
„Ja, also … es ist folgendermaßen … die Sache ist die …“ Der Bursche ist voller Hemmungen, dachte Politzky. Ich mach’s auf positiv.
„Lassen Sie sich Zeit. Ich hab mir extra für Sie eine ganze Stunde freigehalten, also können wir Ihre Idee in aller Ruhe besprechen. Und glauben Sie mir, ich höre Ihnen aufmerksam zu.“
„Danke.“ Der junge Mann nickte, wobei die Krempe seines Schabbesdeckels kurz sein Gesicht verdeckte. „Ja, also … ich bin in der Bildauswertungsstelle angestellt, arbeite dort schon zwei Jahre. Sie wissen, was wir dort machen?“
„Keine Ahnung.“ Politzky schüttelte den Kopf. „Ich komme aus der regulären Armee, und ich kenne leider nicht alle Stabsstellen. Ich glaube, Sie untersuchen Bilder, die von Aufklärungsflugzeugen und Drohnen gemacht werden, auf militärisch interessante Objekte. Stimmt’s?“
„Ja, also … im Prinzip schon, nur meine Abteilung hat ein Spezialgebiet, müssen Sie wissen. Wir werten nämlich die Bilder der amerikanischen Satellitenüberwachung aus.“
Politzky nickte. Jedermann wusste, dass Israel unbeschränkten Zugang zu allen Informationen hatte, welche die amerikanischen Aufklärungssatelliten aus Europa, Afrika und Asien lieferten.
„Ich selbst bin für das nördliche Afrika zuständig.“
Wieder nickte Politzky.
„Wissen Sie …“ Kardim begann wieder nervös auf dem Sessel herumzurutschen, „… wir erhalten Bilder, in digitalisierter Form. Das heißt, wir bekommen eigentlich gar keine Bilder, sondern Datenströme, aus denen die Computer Bilder erzeugen. Bestandteile dieser Datenströme sind fixierte geografische Koordinaten und genaue Zeit- und Datumsangaben, sodass bei jedem neuen Bild eines Satelliten ein ganz genauer Vergleich mit der vorherigen Aufnahme aus derselben Region entsteht. Wenn es nun zu Abweichungen zwischen zwei Bildern kommt, können wir über die Koordinaten feststellen, ob es sich um Fahrzeuge auf einer Straße, Schiffsbewegungen, Baustellen oder ähnliches handelt. Die Daten werden gespeichert, selbstverständlich, daher sind wir in der Lage, auch historische Abläufe sichtbar zu machen. Etwa, welche Strecke ein Auto fährt, oder welche Fortschritte beim Bau eines Hauses in welcher Zeit gemacht werden und vieles mehr.“
„Na, das stelle ich mir aber kompliziert vor. Da haben Sie ja ständig eine Unmenge von Fotos vor sich, die Sie vergleichen müssen.“
„Nein, nein!“, er schüttelte heftig den Kopf. Politzky fürchtete schon, dass sich der Hut selbstständig machen und als schwarzes Ufo durch sein Büro segeln würde. Kardim drückte den Hut wieder fest. „Das geht natürlich mit Computervergleichsprogrammen. Wir können ja nicht alle Bewegungen von Fahrzeugen auf einer Straße kontrollieren. Das machen wir nur dann, wenn wir bestimmte Abläufe verfolgen wollen. Wir verfügen über entsprechende Software,...
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