Schweitzer Fachinformationen
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«Biegen Sie rechts ab. Nach dreihundertfünfzig Metern biegen Sie erneut rechts ab.»
Die Frauenstimme des Navis lotste das Auto in die immer schmaleren Gassen eines Wohngebiets, das in Sebastians Augen aussah wie jedes andere. Sie näherten sich dem Ziel, und er ärgerte sich, dass er keinen erbitterteren Widerstand geleistet hatte, als es noch möglich gewesen wäre.
Er hatte gerade sein Frühstück beendet gehabt, als Torkel hereingekommen war und sich an seinen Tisch gesetzt hatte. Sebastian hatte ihm einen fragenden Blick zugeworfen. Ursula saß ein Stück entfernt an einem Fenstertisch mit Aussicht, und der Platz ihr gegenüber war leer.
«Ärger im Paradies?»
Torkel blickte ihn fragend an, und Sebastian nickte mit dem Kopf in Richtung Fenster. Torkel drehte sich um und sah zu Ursula hinüber, ehe er sich wieder Sebastian zuwandte.
«Nein, wieso?»
«Glaubst du, nur weil ihr nicht zusammen frühstückt, wäre uns entgangen, dass ihr miteinander ins Bett geht?»
«Ich habe schon gefrühstückt.»
«Weißt du, es wäre weniger auffällig, wenn ihr einfach wie Kollegen zusammensitzen würdet», fuhr Sebastian nachdenklich fort. «Es sei denn, ihr wollt alle darauf aufmerksam machen, dass ihr miteinander ins Bett geht.»
«Wir gehen aber nicht miteinander ins Bett.»
«Und warum nicht?»
«Bist du fertig?», fragte Torkel mit einem Blick auf Sebastians leeren Teller und seine fast leere Kaffeetasse, offenbar fest entschlossen, das Gesprächsthema Ursula zu beenden. «Wir fahren jetzt zum Vater von Petrovic.»
«Auf Billys Hochzeit schien sie eigentlich ziemlich an dir interessiert zu sein», fuhr Sebastian fort, der seinerseits keineswegs bereit war, das Thema fallenzulassen, wo es Torkel doch eindeutig so unangenehm war. «Warum bist du da nicht am Ball geblieben?»
Bildete er es sich nur ein, oder sah er in Torkels Augen keinen Zorn, sondern eher einen Anflug von Wehmut, als er den Stuhl zurückschob?
«Jetzt komm endlich. Steh auf.»
«Wo müssen wir hin?»
«Das habe ich doch gerade gesagt.» Torkels Stimme klang jetzt eine Spur gereizt. «Zum Vater von Petrovic. Ich möchte noch vor der Pressekonferenz mit ihm sprechen.»
«Aber warum soll ich mit?»
«Weil ich es sage.»
Sebastian hatte nicht viel dafür übrig, wenn Torkel seine Chefposition als einziges Argument anführte, um seinen Willen durchzusetzen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um zu demonstrieren, dass er keinesfalls aufzustehen gedachte. Ganz im Gegenteil. Er wollte sitzen bleiben.
«Dann nimm doch Vanja mit oder irgendjemand anders .»
«Vanja und Billy sind nach Helsingborg gefahren», schnitt Torkel ihm das Wort ab. «Du kommst mit. In fünf Minuten. Ich warte im Auto auf dich.»
Sebastian sah zu, wie Torkel sich umdrehte und den Frühstücksraum verließ. Er überlegte kurz, ob er wieder in sein Zimmer gehen und Torkel im Auto warten lassen sollte, bis er es leid war und alleine losfuhr. Aber Torkel schien heute nicht für diese Art von Machtspielchen empfänglich zu sein. Vielleicht, weil Sebastian ihn auf Ursula angesprochen hatte. Aber dies war erst der Beginn des zweiten Tages ihrer Ermittlung. Er würde noch öfter die Gelegenheit haben, Torkel die Stirn zu bieten. In wichtigeren Belangen. Also kippte er den letzten Schluck seines lauwarmen Kaffees hinunter und stand auf.
«Du bist also Vanjas Vater», sagte Torkel, während er den Wagen gemäß den Anweisungen des Navis lenkte. Sebastian warf ihm einen schnellen Blick zu.
Da war es.
Ohne jede Vorwarnung.
Er hatte schon überlegt, wie lange es dauern würde, bis Torkel ihn darauf ansprach.
«Ja», antwortete Sebastian knapp. Er konnte unmöglich erkennen, ob Torkel eine Meinung dazu hatte. Seine Feststellung hatte er in einem Ton vorgebracht, als würde er über das Wetter reden.
«Wie lange weißt du das schon?», fuhr Torkel fort und drosselte das Tempo, um in den Luktärtsvägen abzubiegen.
«Schon eine Weile, ich habe es erfahren, nachdem wir uns in Västerås getroffen hatten.»
«Das erklärt dein Verhalten jedenfalls teilweise .»
«Ja, vermutlich ist das so.»
«Sie haben Ihr Ziel erreicht. Das Ziel liegt auf der rechten Seite.»
Torkel bremste und stellte den Motor ab. Sebastian warf einen kurzen Blick auf den mit Kalksandstein verkleideten und von einem gepflegten Garten umgebenen Bungalow, ehe er sich Torkel zuwandte.
«Was hat sie dir gesagt?»
«Nur das. Dass du ihr Vater bist.»
«Und was hast du gesagt?»
«Dass sie entscheiden sollte, ob sie weiterhin mit dir zusammenarbeiten will oder nicht.»
Sebastian konnte sich ein vergnügtes Grinsen nicht verkneifen. Vanja hatte die Chance erhalten, sich von ihm zu distanzieren, aber darauf verzichtet.
Eine aktive Wahl.
Sie war nicht gezwungen, es mit ihm auszuhalten. Sie hatte sich aus freien Stücken dazu entschieden, ihn in ihrer Nähe zu haben. Das war immerhin etwas. Oder nicht nur «etwas», es war ziemlich großartig. Und es verhieß Gutes für die Zukunft.
«Aber nur damit du es weißt: Sollte ich jemals gezwungen sein, zwischen euch beiden zu wählen .», fuhr Torkel fort, öffnete die Fahrertür und stieg aus, ohne den Satz zu beenden. Das war auch gar nicht nötig. Sebastian wusste ganz genau, wer den Kürzeren zöge, wenn es jemals zu einer solchen Entscheidung kommen sollte - und es war nicht Vanja.
Der Mann, der Torkel und Sebastian ins Wohnzimmer bat, war eindeutig ein gebrochener Mann. Es sah aus, als trüge er schon seit Tagen dieselben Sachen. Dunkle Ringe unter den Augen und Bartstoppeln an den Wangen. Seine Stimme war gedämpft, als er sie mit hängendem Kopf und einer apathischen Geste dazu aufforderte, Platz zu nehmen.
Das Wohnzimmer war mit Möbeln und Krimskrams angefüllt. Die Devise Weniger ist mehr schien bei Familie Petrovic noch nicht angekommen zu sein. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Gemälden, kleinen Spiegeln und Fotos behängt, und jede freie Fläche war mit einem Deckchen, einem Figürchen, einem Kerzenständer, einer Schale oder einer Topfpflanze belegt. Sebastian zählte allein elf verschiedene Sitzgelegenheiten, die beiden Fußschemel der Ledersessel vor dem Fernseher nicht mitgerechnet.
«Warum ist die Reichsmordkommission mit dem Fall betraut?», fragte Gabriel Petrovic, als er sich in einen der vier Sessel setzte, gegenüber von Sebastian und Torkel, die sich auf dem Sofa niedergelassen hatten. Torkel zögerte kurz, beschloss dann aber, die Wahrheit zu sagen. Auf der Pressekonferenz später am Tag würde sie ohnehin herauskommen.
«Wir glauben, dass Ihr Sohn einem Serienmörder zum Opfer gefallen ist. Und dass er das zweite Opfer ist.»
«Wer ist das erste?»
«Eine Frau aus Helsingborg. Patricia Andrén.»
Petrovic schüttelte den Kopf, anscheinend sagte ihm der Name nichts. Er beugte sich vor und legte die Hand auf einen von drei prallgefüllten Ordnern, die auf dem Couchtisch bereitlagen.
«Hier habe ich alles gesammelt, was über ihn geschrieben wurde. Ich dachte, Sie wollen vielleicht einen Blick darauf werfen.»
Sebastian hätte beinahe gefragt, warum sie das wollen sollten, beherrschte sich jedoch in letzter Sekunde, als er den Blick des Mannes bemerkte.
Er hatte diesen Blick schon einmal gesehen.
Im Spiegel, lange Zeit nach Lilys und Sabines Tod. Die unermessliche Trauer darin. Die Spuren des Kampfes, überhaupt zu funktionieren, einen Grund zu finden, morgens aufzustehen. Dieser Mann musste über seinen Sohn sprechen dürfen, und deshalb nickte Sebastian nur stumm.
«Miro war ein guter Junge», fuhr Petrovic fort, während er einen der Ordner aufschlug. «Sie dürfen nicht glauben, was Sie im Fernsehen gesehen haben.»
«Ich habe ihn nicht im Fernsehen gesehen», sagte Sebastian.
«Ich auch nicht», ergänzte Torkel, als Petrovic ihm einen fragenden Blick zuwarf.
«Er hat dort eine Rolle gespielt. Um zu gewinnen. Er hatte einen starken Siegeswillen», fuhr er fort.
Was die aufgeschlagene Seite zu bestätigen schien. Ein etwas vergilbter Zeitungsausschnitt, die Aufnahme einer Fußballmannschaft. Neun oder zehn Jahre alte Jungen, die einander die Arme um die Schultern gelegt hatten und in die Kamera strahlten. Die Überschrift verkündete einen Pokalsieg. Miroslav Petrovic als Gewinner.
«Er hatte es nicht immer leicht. Seine Mutter starb, als er neun Jahre alt war», erzählte Petrovic, während er weiter in dem Ordner blätterte. Die meisten Ausschnitte handelten von Fußball, aber später schien der Sohn auch Einzelsportarten betrieben zu haben. Tennis und Skifahren. «In der Schule lief es eher mäßig. Aber er war ein guter Junge. Hat sich von Drogen und Gangs und dem ganzen Mist ferngehalten. Er hat viel trainiert.»
Sebastian warf Torkel einen Blick zu, der die Frage implizierte, wie lange sie diesen Nostalgietrip des Vaters noch mit anhören sollten, und Torkel schien ihn richtig zu deuten. Er räusperte sich.
«Wissen Sie, ob er Drohungen erhalten hat?»
«Immerzu», antwortete Petrovic nickend. «Oder vielleicht nicht direkt Drohungen, aber ihm ist viel Hass entgegengeschlagen. Es gibt viele boshafte Menschen. Aus dem Grund hat er auch vor einem Monat die Kommentarfunktion seines Blogs geschlossen.»
«Gab es dafür einen speziellen Anlass?»
«Nein, er war es einfach nur leid, dass alle dachten, er sei genauso, wie er im Fernsehen wirkte. Aber er hat nur eine Rolle gespielt.»
«Ja, das...
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