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Akira Kido lebt in Yokohama, ist Ende dreißig, Vater eines vierjährigen Sohnes, Ehemann und Scheidungsanwalt. Er hadert mit seinem Leben, seiner Ehe, alles erscheint ihm festgefahren und auf unbestimmte Weise falsch. Da wird er von einer ehemaligen Klientin aufgesucht und um Ermittlungen zu ihrem kürzlich verstorbenen Ehemann Daisuke gebeten. Ein Jahr nach dessen Tod stellte sie fest, dass Daisukes Identität auf einer Lüge basierte: sein Name, seine Vergangenheit, seine Personalakte - alles gefälscht, Daisuke war nicht derjenige, der er vorgab zu sein. Kido beginnt mit den Recherchen und deckt ein komplexes System von Identitätstausch auf. Bis er schließlich selbst von der Idee verführt wird, sich das Leben eines anderen Mannes anzueignen, um dem eigenen Schicksal zu entgehen.
Was geschieht, wenn wir mit einer anderen Person die Identität tauschen? Wie liebt man, wie lebt man in der Lüge? Keiichiro Hirano, der große, bisher unübersetzte Gegenwartsautor Japans, schreibt in einem raffinierten literarischen Spiel über eine scheinbar ganz normale japanische Familie - und über das fatale Verlangen, das Leben eines Anderen zu führen.
VorredeDer Protagonist dieses Romans ist ein Mann, den ich eine Zeit lang ganz vertraulich Kido-san genannt habe. Sie werden sicher bald verstehen, warum ich seinem Nachnamen trotz dieser Vertrautheit ein »san« anhängt habe, und auch, was mich mit diesem Menschen verbindet.
Das erste Mal begegnete ich Kido-san, als ich auf dem Heimweg von einer Lesung in einem Buchladen war. Ich hatte zweieinhalb Stunden ohne Unterlass geredet und war leicht aufgedreht. Um mich zu beruhigen, bevor ich nach Hause ging, betrat ich eine Bar, an der ich zufällig vorbeikam. Dort an der Theke saß Kido-san, allein, er hatte ein Glas vor sich.
Er plauderte mit dem Barmann, und ohne dass ich es wollte, lauschte ich den beiden. Irgendwann musste ich lachen, und so kamen wir ins Gespräch. Kido-san stellte sich mir vor, allerdings mit falschem Namen und Lebenslauf. Doch damals glaubte ich ihm, ich hatte keinen Anlass, an dem zu zweifeln, was er sagte.
Er war nicht sonderlich hübsch, trug eine Brille mit schwarzgerahmten, eckigen Gläsern, dennoch passte er mit seinen bedeutungsvollen Gesichtszügen zu der dämmrigen Bar. Wer so aussieht, dachte ich, ist auch noch attraktiv, wenn sich die ersten Falten zeigen und das Haar grau wird. Als ich meine Einschätzung äußerte, legte Kido-san ein wenig den Kopf zur Seite und antwortete leicht befremdet: »Ach, Unsinn .«
Er schien nicht zu wissen, wer ich war, und als er es erfuhr, war es ihm peinlich, was mich wiederum verlegen machte. So etwas passiert mir hin und wieder. Der Beruf des Schriftstellers interessierte ihn, er stellte mir detaillierte Fragen, dann sah er mich plötzlich an, schien tief ergriffen, und sagte: »Entschuldigen Sie.« Ich runzelte die Stirn, woraufhin er mir erklärte, dass der Name, mit dem er sich vorgestellt habe, nicht sein richtiger sei und dass er in Wirklichkeit Kido Akira heiße. Er bat mich noch, dem Barbesitzer nichts davon zu sagen, und erwähnte, dass er Rechtsanwalt und 1975 geboren sei - genau wie ich.
Da ich selbst einmal Jura studiert habe, wenn auch nicht sehr ernsthaft, bin ich schnell eingeschüchtert, wenn ich Juristen begegne, doch jetzt, nach seinem Geständnis, fühlte ich mich keineswegs unterlegen. Denn alles, was Kido-san von seinem Leben erzählt hatte, wirkte erbärmlich und bemitleidenswert.
Ich fragte ihn ganz direkt, warum er mir solche Lügen aufgetischt habe. Ich fand, das gehöre sich nicht. Er zog die Augenbrauen zusammen und erwiderte, wobei er kurz nach den passenden Worten zu suchen schien: »Ich versuche mich aufrecht zu halten, indem ich den Schmerz anderer Menschen lebe.« Es lag Selbstironie in seinen Worten, und er lachte traurig.
»Wer nach Mumien sucht, wird irgendwann selbst zur Mumie . Kennen Sie das Gefühl, mit Lügen aufrichtig sein zu wollen? Das geht natürlich nur an einem Ort wie diesem hier und nur für einen kurzen Moment. Für einen sehr kurzen Moment. Aber letztlich empfinde ich Zuneigung für einen wie mich. Eigentlich will ich über mich selbst nachdenken, und zwar unmittelbar. Doch ich schaffe es nicht, es macht mich krank. So ist es nun mal. Alles andere, was in meiner Hand liegt, habe ich getan. Vielleicht wird das auch bald nicht mehr nötig sein. Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so kommen würde .«
Seine Andeutungen irritierten mich, zugleich aber beeindruckte mich, was er sagte. Ich spürte eine unabwendbare Sympathie für ihn in mir aufkommen.
»Aber Ihnen werde ich von nun an die Wahrheit sagen«, fügte Kido-san hinzu.
Abgesehen von dieser anfänglichen Lügengeschichte war Kido-san ein offenherziger, ruhiger und gutmütiger Mensch. Er war sensibel, hatte ein feines Gespür, und in allem, was er sagte, offenbarte sich sein tiefgründiger und komplizierter Charakter.
Es war angenehm, mit ihm zu reden. Er verstand genau, was ich sagte, und ich wusste, was er sagen wollte. So einem Menschen begegnet man nicht oft. Auch die Liebe zur Musik verband uns. Und gewiss, so vermutete ich, gab es einen Grund, warum er mir erst einen falschen Namen genannt hatte.
Als ich irgendwann, es war wieder derselbe Wochentag, noch einmal in der Bar vorbeischaute, saß Kido-san allein am Tresen und forderte mich auf, neben ihm Platz zu nehmen. Der Besitzer saß in einiger Entfernung. Wir trafen uns danach noch mehrmals dort, saßen immer auf denselben Stühlen und redeten bis tief in die Nacht.
Kido-san trank immer Wodka. Obwohl er recht dünn war, konnte er einiges vertragen, und selbst wenn er behauptete, betrunken zu sein, blieb sein Ton immer gleich, er war immer ruhig.
Langsam wurden wir vertrauter. Wenn man älter wird, passiert es selten, dass man noch einmal einen guten Trinkkumpanen findet. Unsere Freundschaft beschränkte sich jedoch auf den Tresen jener Bar, wir fragten einander nicht einmal, wo wir wohnten. Kido-san traute sich wahrscheinlich nicht. Und ich war, um ehrlich zu sein, lieber vorsichtig. Jetzt habe ich ihn schon länger nicht mehr getroffen, womöglich werde ich ihn nicht wiedersehen. Dass er die Bar nicht mehr aufsucht - sie nicht mehr braucht -, deute ich als gutes Zeichen.
Ein Schriftsteller ist immer, ob bewusst oder unbewusst, auf der Suche nach Menschen, die ihm als Modelle für seine Romane dienen könnten. Er hofft, dass eines Tages ganz plötzlich, wie durch einen glücklichen Zufall, Meursault oder Holly Golightly vor ihm stehen. Als Vorlage eignen sich vor allem außergewöhnliche Menschen, allerdings müssen sie auch etwas an sich haben, was sie zum Sinnbild für Andere oder einer ganzen Zeit werden lässt, damit sie, durch die Fiktion geläutert, Symbolcharakter erhalten.
Manchmal, wenn mir Leute von den dramatischen Höhen und Tiefen ihres Lebens erzählen, bekomme ich Lust, ihre Erlebnisse in einem Roman zu verarbeiten, sie ermuntern mich hin und wieder sogar kaum merklich dazu, als wollten sie eigentlich sagen: »Schreiben Sie ruhig über mich.« Aber wenn ich mir ihre aufregenden Geschichten dann ernsthaft vornehmen will, zögere ich. Obwohl sich derartige Bücher bestimmt gut verkaufen würden.
Ich entdecke meine Modelle eher in Personen, die ich schon lange kenne. Da ich mich ungern mit Menschen umgebe, die mich nicht wirklich interessieren, haben alle, mit denen ich in Beziehung stehe, etwas Besonderes an sich. Und dann stelle ich plötzlich, durch irgendeinen Zufall, erstaunt fest, dass sich eine bestimmte Person für die Hauptfigur meines nächsten Romans eignen könnte, nach der ich schon so lange suche.
Die Protagonisten größerer Romane verbringen viel Zeit mit ihren Lesern, daher erscheinen mir Personen geeignet, für die ich in Ruhe und über einen längeren Zeitraum ein tiefes Verständnis entwickelt habe.
Von unserem zweiten Treffen an erfuhr ich nach und nach, warum Kido-san einen falschen Namen benutzt hatte; es war eine recht komplizierte Geschichte. Fasziniert saß ich da, die Arme verschränkt, und stellte Vermutungen an, warum er mir das alles erzählen wollte. Er sagte zwar nicht: »Schreiben Sie ruhig über mich«, aber die Möglichkeit war ihm ohne Zweifel bewusst. Kido-san tatsächlich als Vorlage für meine Romanfigur zu nehmen, habe ich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt entschieden, als ich nämlich zufällig einen Rechtsanwalt traf, der ihn gut kannte.
Auf meine Frage, was für ein Mensch Kido-san sei, antwortete er, ohne zu zögern: »Ein großartiger Mann. Gutmütig, zu Taxifahrern beispielsweise. Wenn sie den Weg nicht wissen, erklärt er ihnen freundlich und präzise, wie sie fahren müssen, er ist wirklich beeindruckend.«
Ich lachte, musste aber zugeben, dass solch ein Verhalten in unserer heutigen Zeit in der Tat bemerkenswert war - zumal, wenn man so viel Geld besaß.
Der Anwalt berichtete noch von anderen ungewöhnlichen Dingen, so auch von einer anrührenden Begebenheit, die Kido-san selbst nie erwähnt hatte, und allmählich konnte ich mir ein lebhaftes Bild davon machen, wie traurig und einsam dieser Mann sein musste, der genauso alt war wie ich und demnach nicht mehr ganz jung. Doch er war, auch wenn das vielleicht etwas veraltet klingt, eine Persönlichkeit.
Um diesen Roman zu schreiben, habe ich sowohl mit dem Anwalt als auch mit anderen Bekannten von Kido-san gesprochen, ich habe Dinge recherchiert, zu...
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