Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die ersten Sonnenstrahlen warfen einen schwachen Schein auf das dunkle Gemäuer des Torhauses. Ein Mensch war mit dicken Seilen zwischen die alten Balken des Toreinganges gespannt. Der leblose Körper war mit einem weißen Tuch bekleidet und wurde durch die Seile so gestrafft, dass die Leiche die Haltung eines Hampelmannes einnahm. Der Kopf war auf die Brust gesunken. Körperbau und Größe wiesen darauf hin, dass es sich um einen Mann handelte. Nichts deutete auf eine äußerliche Verletzung.
Malin hörte jemanden stöhnen und bemerkte verwundert, dass dieses Geräusch aus ihrer eigenen Kehle drang. Die anderen Beamten starrten sie an, und sie spürte, dass sie rot wurde.
Ihr Teamkollege Frederick Bartels trat auf sie zu, ergriff ihren Ellenbogen und führte sie ein paar Schritte beiseite. »Schließ die Augen und atme tief durch. Und achte nicht auf die anderen. Bei denen war es am Anfang auch nicht anders.«
»Geht schon wieder. Danke.« Ihr Pulsschlag normalisierte sich.
Scheinwerfer waren aufgestellt worden, sie hörte das Klicken einer Kamera, und einige Beamte der Spurensicherung durchsuchten in ihren Schutzanzügen, die sie wie Astronauten aussehen ließen, das Gelände um den Torbogen. Ein Handy klingelte.
Mittendrin stand Fricke. Sein wirres Haar klebte ihm noch vom morgendlichen Duschen am Kopf und ein Zipfel seines Hemdes lugte unter seiner Jacke hervor. Sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen. Malin atmete noch einmal tief durch und trat dann entschlossen auf ihn zu.
»Schöner Schiet«, sagte Fricke nicht unfreundlich und mit einer Kopfbewegung in Richtung Leiche.
Gerade stellte ein Beamter eine Leiter unmittelbar daneben auf. Der junge Mann, kaum dem Teenager-Alter entwachsen, wurde auffallend blass. Schnell drehte er sich um und rannte zum nächstliegenden Gebüsch. Ein Würgen war zu hören.
Malin stieß der süß-säuerliche Geschmack ihres Frühstückes auf. Sie kämpfte gegen die Übelkeit. Fricke wühlte in seinen diversen Jackentaschen und reichte ihr ein abgegammelt aussehendes Zitronenbonbon. Misstrauisch beäugte sie das fleckige Papier, doch sobald sich der Zitronengeschmack in ihrem Mund ausbreitete, ging es ihr besser.
»So, Brodersen, dann machen Sie sich mal nützlich. Die Frau da drüben, Ingrid Larsen, hat die Leiche gefunden.« Fricke wies auf eine ältere Dame, die einige Meter entfernt auf einer Parkbank saß. Eine Polizistin hatte ihr eine Decke über die Schultern gelegt und schien beruhigend auf sie einzureden. »Frau Larsen arbeitet für das Alstertal-Museum, das ist im linken Flügel des Anbaus. Sie scheint noch unter Schock zu stehen, hat bisher kaum etwas Brauchbares von sich gegeben. Sehen Sie zu, dass sich das ändert.«
Die alte Frau saß zusammengekauert auf der Bank und umklammerte ihren Kaffeebecher. Ihr blasser Teint war um Augen und Nase gerötet. Sie hob ihren Blick, als Malin auf sie zutrat, und strich sich zitternd eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Frau Larsen, mein Name ist Malin Brodersen, LKA Hamburg. Lassen Sie es uns noch einmal gemeinsam durchgehen. Also, um welche Uhrzeit haben Sie die Leiche gefunden?«
»Es war so gegen zehn nach sieben, ich hatte gerade auf die Uhr gesehen, kurz bevor ich .« Sie schluckte. »Ich muss normalerweise durch das Tor gehen, um zum Eingang des Museums zu gelangen. Er liegt auf der Hinterseite. Aber ich konnte doch nicht .« Ihre Stimme versagte. Eine Träne kullerte über ihr Gesicht. Malin legte beruhigend eine Hand auf ihren Arm. »Ich konnte da doch nicht einfach durchgehen, also bin ich zum Alsterdomizil gelaufen, um deren Telefon zu benutzen.«
»Alsterdomizil?«
»Die Seniorenresidenz hinter dem Westflügel vom Torhaus. Direkt neben dem Herrenhaus.«
»Das haben Sie richtig gemacht, Frau Larsen. Bitte versuchen Sie sich jetzt noch mal genau zu erinnern, ob Sie vielleicht jemanden auf Ihrem Weg begegnet sind?«
»Nein, ich bin niemandem begegnet.«
»Ist Ihnen denn in den letzten Tagen etwas aufgefallen? Vielleicht ein ungewöhnlicher Besucher, oder gab es irgendwelche sonderbaren Anfragen?«
»Nein, es war alles wie immer.« Sie klang kraftlos.
»Gut, Frau Larsen, das war es dann fürs Erste. Meine Kollegin wird sich jetzt um Sie kümmern. Sollte Ihnen noch irgendetwas einfallen: Unter dieser Nummer können Sie mich jederzeit erreichen oder mir eine Nachricht hinterlassen.« Malin reichte ihr eine Visitenkarte und drehte sich zu der uniformierten Polizistin um, die in einigem Abstand gewartet hatte. »Bitte sorgen Sie doch dafür, dass Frau Larsen nach Hause gebracht wird.«
Sie ging zu Frederick Bartels. Ihr Teamkollege war Mitte dreißig und von sportlicher Statur. Er hatte kräftiges dunkelbraunes Haar, kantige Gesichtszüge und seine dunklen, fast schwarzen Augen erweckten den Anschein, als würde ihnen nichts entgehen. Sie hatten sich einige Monate vor Malins Dienstantritt bei der Mordkommission bei einem Vortrag über Täterprofile kennengelernt. Malin war der gutaussehende Beamte sofort sympathisch gewesen, und sie hatten an jenem Abend noch lange und angeregt über den Vortrag diskutiert. Sie war überrascht und erfreut gewesen, als sie ihn unter ihren neuen Kollegen erkannte, doch in der Mordkommission hatte er sich ihr gegenüber bislang eher reserviert verhalten.
Malin sah zum Torbogen, wo die Leiche gerade von zwei Beamten abgenommen wurde. »Der Tatort wirkt, als hätte der Täter ein Bühnenbild inszeniert.« Kurz flackerte eine Erinnerung auf, doch bevor sie den Gedanken greifen konnte, war der Moment auch schon wieder vorbei.
»Das Gleiche habe ich auch gedacht«, erwiderte Bartels stirnrunzelnd.
Kriminalhauptkommissar Fricke verabschiedete sich gerade von einer attraktiven Blondine, die in ihrer linken Hand eine Arzttasche hielt. Dann wandte er sich seinen beiden Mitarbeitern zu. »Dr. Steinhofer ist gerade mit der vorläufigen Untersuchung fertig. Allerdings konnte sie noch nicht viel sagen. Außer den Hautabschürfungen an Hand- und Fußgelenken weist die Leiche anscheinend keine weiteren äußeren Verletzungen auf. Fest steht allerdings, dass der Mann schon tot war, bevor er aufgehängt wurde. Für alles Weitere müssen wir wohl oder übel die Ergebnisse der Obduktion abwarten. Verdammt, womit haben wir es hier zu tun? Fred, was meinst du?«
»Ich weiß es nicht, Hans. Aber es spricht alles dafür, dass der Tatort gezielt ausgesucht wurde. Fragt sich nur, warum.«
Malin räusperte sich. »Vielleicht will uns der Täter etwas mitteilen und hat irgendeinen Hinweis hinterlassen. Irgendetwas, das wir bisher vielleicht noch nicht gefunden oder auch übersehen haben.«
Fricke betrachtete sie abschätzig und schien seine Worte mit Bedacht zu wählen. »Frau Brodersen, ich bin sehr dankbar für Ihren Hinweis. Wie Sie sehen können, wird der Tatort bereits abgesucht.« Er wies mit weit ausholender Geste auf das Treiben um sie herum. »Mein Team und ich machen das nicht zum ersten Mal.«
»Manchmal ist es aber auch von Vorteil, wenn ein wenig frischer Wind durch einige Arbeitsabläufe weht.« Herausfordernd funkelte Malin ihren Vorgesetzten an.
Fricke wandte sich an Bartels. »Fred, du fängst an, in den umliegenden Häusern nach Zeugen zu suchen. Vielleicht hat jemand etwas mitbekommen. Und nimm unsere verehrte Frau Brodersen mit. Wir treffen uns dann später zur Besprechung im Präsidium.« Ohne Malin eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich um und ging auf einen der Kriminaltechniker zu.
»Es fehlt nur noch, dass du Schaum vor dem Mund bekommst«, sagte Bartels, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. »Mensch, Malin, reiß dich zusammen. Denkst du, der Chef lässt sich von einer Anfängerin bloßstellen?«
»Ich habe es einfach langsam satt, die Tippmieze der Abteilung zu sein. Dafür hab ich nicht studiert!«
»Genau, und deshalb lässt du am besten mal nicht immer dein Jurastudium so raushängen. Und außerdem: Was meinst du denn, warum Fricke dich zum Tatort bestellt hat? Wenn ich dir mal einen Tipp geben darf: Beobachte ihn und hör ihm zu. Er ist der Beste in seinem Job.«
Malins Wut war schon wieder verflogen. »Da bin ich dann wohl übers Ziel hinausgeschossen«, stellte sie zerknirscht fest.
»Mach dir darüber keinen Kopf. - Weißt du etwas über das Torhaus?«
Malin nickte. »Es diente früher als Pferdestall und als Wohnstätte für die Bediensteten des Herrenhauses, des ehemaligen Gutes Wellingsbüttel. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde es um 1750 erbaut. Heute stehen die Gebäude unter Denkmalschutz.«
Bartels pfiff durch die Zähne. »Woher weißt du das alles?«
»Der Vorteil einer humanistischen Erziehung«, erwiderte Malin trocken.
»Aha.« Bartels warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. »Dann lass uns mal mit dem Klinkenputzen beginnen.«
Es war bereits später Nachmittag, als sich das Team zur Besprechung im Präsidium einfand.
Malins Magen knurrte. Sie fischte eine zerknitterte Papiertüte aus ihrer Tasche und zog ein Franzbrötchen heraus. Mit wenigen Bissen war das Gebäck verzehrt, und Malin schaute enttäuscht in die leere Tüte.
»Und wenn du noch so lange hineinstarrst: Es werden nicht mehr. Sag mal, isst du eigentlich auch mal etwas anderes als dieses süße Zeugs?«
Malin sah in die wasserblauen Augen ihres Kollegen Ole Tiedemann, ein schlaksiger Kerl mit sandfarbenem Haar und blasser, fast durchscheinender Haut. Mit seiner sachlichen und zurückhaltenden Art bildete er den Ruhepol der Abteilung.
Schnell beförderte sie die Tüte in den Papierkorb....
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.