Schweitzer Fachinformationen
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Der nächste Morgen in Santa Úrsula begann verhalten. Die meisten Bürger ließen es langsamer angehen als sonst, denn sie hatten schließlich bis in den Morgen gefeiert.
Nur die besonders fleißigen waren schon unterwegs. Dazu gehörten die Männer der Müllabfuhr. Die Straßen mussten gesäubert sein, wenn sich das Gros der Bürger auf den Weg zur Arbeit machte. Auch in der Polizeistation wurde noch »Schmalspurdienst« geschoben. Der Beamte, der alleine die Nachtwache gehalten hatte, machte sich gerade auf einen Rundgang, um zu sehen, wie der Häftling seine Nachtruhe verbracht hatte. Das war für ihn eine seltene Arbeit. Die Zelle des Reviers war selten belegt, erst recht nicht so spektakulär!
Der Beamte knipste das Licht an und schlurfte leicht müde über den langen Flur. Vor der Zellentür blieb er stehen, schob die Abdeckung des Gucklochs beiseite und sah hinein. Der Häftling lag nicht auf seiner Pritsche und war auch sonst nicht zu sehen. Etwas nervös fingerte der Beamte seinen Schlüsselbund vom Hosengürtel, wählte den Zellenschlüssel aus und steckte ihn eilig in das Türschloss. Er schloss auf und öffnete die Tür. Was er sah, erfüllte ihn mit Entsetzen. Der Farbige hatte sich in der Zelle erhängt!
Jedes Gefängnis hat Fenster, und die erregten zumeist die Fluchtgedanken der Insassen. Dieses Mal war es jedoch das Gitter davor, das Beihilfe zur »letzten Flucht« des Inhaftierten geleistet hatte. Das zerschnittene und zusammengeknotete Betttuch der Pritsche hing an den Fensterstäben, und daran hing Ali Machoud!
Fremdverschulden schien ausgeschlossen, aber eine andere Verschuldensfrage stellte sich neu: Der Gefangene hatte vor seinem Freitod mit eigenem Blut mehrfach das Wort »unschuldig« an die Wand gekritzelt!
Lief der Mörder Steins wirklich noch frei herum? Die Ermittlungen mussten wohl oder übel wieder aufgenommen werden.
Als Inspektor Morales nach etwa einer halben Stunde auf dem Revier eintraf, wurde er sofort informiert.
»Was könnte ein besseres Schuldanerkenntnis sein«, meinte Morales zunächst und machte sich auf den Weg zu der Zelle. Dort trat schnell Ernüchterung bei ihm ein. Er sah schnell ein, dass er nun ein Problem hatte: »Unschuldig« hatte Ali Machoud mit eigenem Blut an die Wand geschrieben. Wenn das Bestätigung fand, würde man über ihn herfallen. Lob und Anerkennung für die schnelle Aufklärung des Falles wären genauso schnell vergessen wie gerade ausgesprochen!
Morales sah sich den Ort der Tat gründlich an. Der Schwarze hatte seine Bettdecke zerrissen und ein Seil daraus geknüpft. Mit diesem zusammengestückelten Seil hatte er eine feststehende Schlinge gebunden. Die hing nun mit viel Spiel um seinen Hals, war leicht verzerrt und hatte auf seinem Nacken einen Abdruck in Form eines auf dem Kopf stehenden V hinterlassen. Mit ihrem einseitigen Zug hatte sie zu einer schrecklichen Verdrehung des Kopfes geführt. Der Striemen des Seilabdrucks verlief deshalb auch nicht gleichmäßig um den Hals.
Machouds Haut schimmerte wächsern. Sein Mund stand schief und die wulstigen Lippen waren graublau verfärbt. Sein Unterkiefer drückte sich in den Hals, es sah aus, als habe er ein Doppelkinn.
»Als der Schwarze vom Stuhl herabgesprungen ist, ist sein Genick durch den Zug des Seils nicht sofort gebrochen«, erklärte ihm der Beamte des Nachtdienstes. »Machoud ist deshalb nicht sofort gestorben, sondern langsam und jämmerlich erstickt«, fuhr er fort.
»Das ist Unsinn, was du da sagst«, fiel ihm Morales ins Wort, »auch ein Genickbruch muss nicht sofort tödlich sein. Bernd Trautmann, der Torhüter von Manchester City, hat 1956 nach einem Zusammenprall mit gebrochenem Genick noch 20 Minuten glanzvoll das Tor gehütet!«
Der Beamte sah ihn ungläubig an und war entsetzt über diesen ungewöhnlichen Vergleich. Völlig irritiert gab er keinen weiteren Kommentar.
Teniente Morales sah sich weiter um. Er fand eindeutige Erstickungszeichen am Körper des Toten. Die nachlassende Sauerstoffzufuhr des Blutes hatte Zunge und Lippen bläulich verfärbt. Machouds Zunge hing geschwollen zwischen den Lippen hervor. Die Pupillen waren geweitet.
Weder aus der Untersuchung des Tatortes noch der des Leichnams ergaben sich Ungereimtheiten, die einen Selbstmord infrage stellten: keine Blutergüsse am Hals, die für Fremdeinwirkung sprachen, keine Anzeichen dafür, dass Seil und Stuhl nicht vom Toten selbst hergerichtet worden waren!
Ali Machoud hatte sich eindeutig selbst gerichtet und klagte nun mit dem Blut aus einer sich selbst zugefügten Wunde an der rechten Hand seine Häscher an!
›Da wird bald ein Medien-Tsunami einsetzen‹, dachte Morales zerknirscht. Skrupellose Reporter werden dahinter Rassendiskriminierung vermuten und sie wortreich verurteilen. Zynische Headlines wie: »Was ist besser? Der Tod auf dem Atlantik oder der Freitod in einer Zelle auf Teneriffa?« traten dem Kommissar vor sein inneres Auge.
Die Vorwürfe gegen die schlechte, vermeintlich rassistische Behandlung des Schwarzen kamen auch wirklich schnell auf. El Día schwang sich zum Vorreiter auf: »Teneriffa ist für Schwarze keine Ferieninsel!« Die Schlagzeile kam Morales‘ Befürchtung schon sehr nahe.
*
»Ich hätte mir von Ihnen etwas mehr Toleranz gewünscht«, wurde Morales, wie befürchtet, auch von seinem Vorgesetzten getadelt. »Wir brauchen Harmonie zwischen Schwarz und Weiß. Wir leben schließlich nahe an Afrika.«
»Was heißt hier Farbenharmonie, ich bin doch kein Zebra! Es ist unbestreitbar, dass uns gerade die Schwarzen mit ihrer Kriminalität überrollen: Prostitution, Drogen, Diebstahl...«, maulte der Getadelte zurück. »Es gibt immer wieder welche, die leben blöd und sterben dumm. Dafür muss man nicht schwarz sein!«, setzte er verbittert hinzu. »Nur weil der Kerl schwarz ist, soll der Polizeihund nun bei ihm freundlich mit dem Schwanz wedeln«, knöterte er weiter.
»Wie Sie sich verhalten haben, war falsch und wenig zielgerichtet«, insistierte sein Vorgesetzter und traf gleichzeitig eine Personalentscheidung, die einer Bestrafung gleichkam.
Das geschah allerdings nicht ohne Druck des Polizeipräsidenten von Puerto. Der sah sich plötzlich für den Fall zuständig, denn schließlich kam Machoud aus seiner Stadt. Javier Torres war außer sich. Solche Eklats konnte eine Touristenstadt wie Puerto nicht gebrauchen. Mit typisch leidvollen Blicken, die er bei solchen Anlässen hinter seinen starken Brillengläsern hervorwarf, musterte er die angetretenen Untergebenen und gab seine Anordnungen.
Er hatte eigentlich allen Grund, zurzeit zufrieden zu sein. Das Hochzeitsfest seiner Tochter Imna war noch nicht lange vorüber, es war ein Traum gewesen und noch immer in aller Munde. Nun musste ihm ein solcher Skandal beruflich die Suppe versalzen!
Kommissar Ramón Martín, für die Ausdauer und den Biss einer Bulldogge bekannt, wurde von ihm nun auf den Fall angesetzt. Martíns Personalakte charakterisierte ihn mit beeindruckenden Worten als den Richtigen: Eigenschaften wie Valentía, Mut, Perseverancia, Beharrlichkeit, Sensibilidad, Sensibilität, Incorruptibilidad, Unbestechlichkeit, Experiencia, Erfahrung, fanden sich neben vielem anderen Positiven in seiner Personenbeschreibung.
Teniente Martín nahm noch am selben Tag die Ermittlungen auf. Er fand dabei für seine neuen Kollegen nicht sofort die richtigen Worte. Seine flapsigen Sprüche kamen zunächst schal an: »Der erste Pfannkuchen geht immer daneben! – Es ist nie zu spät, sagte der Dieb und klaute die Uhr.«
Eigentlich wollte er sich damit auch nur selbst Mut machen, denn er wusste, dass er vor einer undankbaren Aufgabe stand. Schließlich war schon einmal alles schief gelaufen, und das lag sicher nicht nur an mangelndem Fingerspitzengefühl seines Vorgängers.
Bald befand er sich in einem ernsthaften Gespräch mit Morales: »Ich fühle mich unschuldig abgestraft«, sagte der mehrmals mit beleidigtem Ton.
»Das kann ich gut verstehen, und daran trägt ein ganz anderer die Schuld. Den müssen wir dingfest machen«, erklärte ihm Martín voller Überzeugung. »Einen Aspiranten weniger haben wir nun schon dafür.«
Martín musste mit einem Mal an das Lied von den zehn kleinen Negerlein denken, das er als Kind so gerne gehört hatte: »...dann waren es nur noch neun«, ergänzte er deshalb sarkastisch seinen Satz. »Wir müssen dem wahren Schurken ein Gesicht geben, und du kannst mir bestimmt dabei helfen.« Er suchte Morales‘ Nähe.
Morales nahm diesem drahtigen, resoluten Mann sein Versprechen ab. Seine markante Nase, die Kerbe im kantigen Kinn und der militärische Kurzhaarschnitt seiner schon leicht ergrauten Haare sprachen eine deutliche Sprache. Er, der kleine Teniente Morales, mit seinen schmalen, hängenden Schultern fühlte sich irgendwie erleichtert, sogar aufgebaut durch den anderen und war bereit, ihm zu helfen, wo immer er konnte.
Eine verwahrloste Frau wurde am selben Tag auf Grund eines Hinweises aus der Szene in Puerto aufgegriffen. Sie behauptete, die Ehefrau des Toten zu sein.
Die Beamten führten die Frau Inspektor Martín vor.
Sie sah heruntergekommen aus, hatte aber einen stolzen Gang und herrische Züge. Auf ihre breiten Wangenpartien waren breite Narbenstreifen eingeschnitten. Stammeszeichen, mutmaßte der Teniente. Morales hatte Martíns Blick gesehen und mischte sich ein: »Ich glaube, das sind die gleichen wie bei Ali Machoud.«
»Sprechen Sie spanisch?«, fragte der Teniente.
Sie nickte. »Ein wenig.«
»Können...
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