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Lieutenant Joe Leaphorn sah der Fliege zu. Eigentlich hätte er aufmerksam den Worten von Ed Pasquaanti lauschen sollen, der auf einem Drehstuhl hinter einem Schreibtisch mit dem Schild »Chief of Police, Zuñi« thronte und unentwegt mit schneidender Stimme auf ihn einredete. Pasquaanti sprach über das Problem der Zuständigkeit im juristischen Sinne, aber das wusste Leaphorn alles längst, und er wusste auch, warum Pasquaanti sich darüber ausließ. Pasquaanti wollte eben ganz sichergehen, dass Leaphorn, Cipriano (»Orange«) Naranjo, der Hilfssheriff von McKinley County, und State Policeman J. D. Highsmith begriffen, dass innerhalb der Zuñi-Reservation die Zuñi-Police für die Ermittlungen zuständig war. Leaphorn konnte das nur recht sein. Je früher er hier wegkam, desto besser. Gerade eben hatte ihn die Fliege abgelenkt. Sie war auf seinem Notizbuch gelandet und krabbelte nun mit der Trägheit, die alle Insekten vor Winteranbruch an den Tag legen, an der Papierkante entlang auf seinen Finger zu. Sollte sich eine Zuñi-Fliege tatsächlich herablassen, über die Haut eines Navajo zu spazieren? Leaphorn bedauerte diesen Gedankengang sofort wieder. Das war mal wieder ein Rückfall in diese unlogische Feindseligkeit, gegen die er schon den ganzen Vormittag angekämpft hatte - genauer gesagt von dem Augenblick an, als ihn im Klubhaus von Ramah die Nachricht erreichte, die ihn hierher zitiert hatte.
Alle Funksprüche, die Leaphorn von Shiprock bekam, hatten eines gemeinsam: Sie lieferten nur ein Minimum an Information. Leaphorn solle unverzüglich nach Zuñi rüberfahren und bei der Suche nach George Bowlegs helfen, einem vierzehnjährigen Navajo-Jungen. Weitere Einzelheiten würde er von der Zuñi-Police erfahren, mit der er zusammenzuarbeiten hatte.
Der Funker in der Ramah-Nachrichtenzentrale übergab ihm die Meldung mit einem breiten Grinsen. »Bevor du fragst«, sagte er, »ja, das ist alles, was sie gesagt haben. Und nein, ich habe nicht die leiseste Ahnung, worum es geht.«
»So ein Mist«, sagte Leaphorn. Er ahnte schon, wie das hier ablaufen würde. Er würde dreißig Meilen nach Zuñi fahren, nur um festzustellen, dass der Bengel irgendetwas geklaut oder sonst was angestellt und sich dann aus dem Staub gemacht hatte. Aber die Zuñi wüssten natürlich rein gar nichts über den Jungen. Also würde er die dreißig Meilen zurück in die Ramah-Reservation fahren und herausfinden, wo er diesen Jungen überhaupt suchen sollte. Und dann . »Wissen Sie irgendwas über diesen George Bowlegs?«, fragte er.
Von dem Funker erfuhr Leaphorn auch nicht viel. Vielleicht - er war sich nicht sicher - war der Junge der Sohn eines Mannes namens Shorty Bowlegs. Shorty war aus der Great Reservation fortgezogen, nachdem irgendetwas mit einer Frau schiefgegangen war, die er in der Gegend von Coyote Canyon geheiratet hatte. Dieser Shorty Bowlegs gehörte zum High Standing House-Clan und war einer der Söhne von Old Woman Running. Und irgendwann nach seiner Rückkehr vom Coyote Canyon hatte er eine Landzuteilung bei der hiesigen Kommission für Weideland beantragt. Aber dann war er woanders hingezogen. Vielleicht war er ja sowieso der falsche Mann.
»Na gut«, sagte Leaphorn. »Falls jemand was von mir will, ich bin auf der Polizeistation von Zuñi.«
»Nun machen Sie nicht so ein mürrisches Gesicht«, sagte der Funker und grinste wieder. »Ich glaube, bei den Zuñi gab es in letzter Zeit keine Anwärter für die Bow Society.« Leaphorn musste lachen. Früher einmal - jedenfalls glaubten das die Navajo - mussten die Anwärter für die Priesterwürde der Zuñi Bow den Skalp eines Navajo herbeischaffen. Er lachte, aber seine Stimmung blieb trübe. Er fuhr auf der Nationalstraße 53 nach Zuñi - etwas schneller als erlaubt. Seine schlechte Laune irritierte ihn, denn es gab keinen plausiblen Grund dafür. Warum sträubte er sich gegen diesen Auftrag? Schließlich war er ursprünglich wegen einer ziemlich lästigen Aufgabe nach Ramah gekommen, sodass ihm eigentlich jede Abwechslung hätte recht sein können. Ein alter Singer hatte sich beklagt: Er habe einer Nachbarin achthundert Dollar anvertraut. Mit diesem Geld sollte sie nach Gallup fahren und eine Anzahlung für einen Kleinlaster leisten. Aber die Frau hatte das Geld anderweitig ausgegeben. Leaphorn hatte ziemlich schnell herausgefunden, was in etwa vorgefallen war. Die Frau hatte an dem fraglichen Tag in einem Laden in Gallup fast achthundert Dollar hingeblättert, um verpfändetes Eigentum wieder auszulösen. Dem Autohändler dagegen hatte sie kein Geld gegeben. Alles sah ganz einfach aus, aber dann war es das doch nicht. Die Frau behauptete, der alte Singer habe ihr das Geld geschuldet, und überhaupt sei er ein Hexenmeister, ein Navajo-Wolf. Außerdem war noch nicht geklärt, auf welcher Seite des Grenzzauns sie gestanden hatten, als das Geld übergeben wurde. Wenn sie in diesem Augenblick wirklich dort gestanden hatten, wo sie behauptete, gestanden zu haben, waren sie auf dem Gebiet der Navajo-Reservation gewesen und unterstanden damit der Gerichtsbarkeit des Stammes. Doch nach Darstellung des alten Singers hatten sie im Moment der Geldübergabe außerhalb des Reservationsgebiets gestanden. Dann würde der Fall vermutlich nach der Rechtssprechung von New Mexiko unter der Rubrik Betrug und Unterschlagung verhandelt. Leaphorn hatte keine Ahnung, wie er dieses Problem lösen sollte, und normalerweise wäre ihm jede noch so kurze Unterbrechung in dieser verzwickten Lage höchst willkommen gewesen. Aber dieser neue Auftrag war ihm zuwider: einen Stammesbruder der Navajo auf Anordnung der Zuñi jagen zu müssen. Pasquaanti redete immer noch auf sie ein. Die Fliege krabbelte zögernd auf Leaphorns harten, braunen Fingerknöchel zu, dann hielt sie inne. Plötzlich wusste Leaphorn, warum er so schlecht gelaunt war: weil er den Eindruck hatte, dass sich die Zuñi den Navajo überlegen fühlten. Vor langer Zeit hatte er während seines ersten Jahres auf der Arizona State University sein Zimmer mit einem Zuñi geteilt. Er, Joe Leaphorn, hatte dem Zimmergenossen gegenüber einen lächerlichen Minderwertigkeitskomplex entwickelt. Für seine schlechte Laune heute gab es also ganz und gar keine logische Erklärung. Unlogik konnte er schon bei anderen nicht leiden, bei sich selber verachtete er sie geradezu. Die Fliege krabbelte um seinen Finger herum und verschwand dann kopfüber unter dem Notizbuch. Pasquaanti hatte aufgehört zu reden.
»Ich glaube nicht, dass wir rechtliche Probleme bekommen«, sagte Leaphorn ungeduldig. »Warum tragen Sie uns nicht einfach für diesen Auftrag ein?« Es wäre natürlich höflicher gewesen, Pasquaanti das Tempo vorgeben zu lassen. Leaphorn wusste das, und er sah in Pasquaantis Gesicht, dass auch der Zuñi wusste, dass er es wusste.
»Hier ist alles, was wir bisher wissen«, sagte Pasquaanti und schob jedem von ihnen eine Fotokopie zu. »Zwei Jungen werden vermisst, und es sieht ganz so aus, als hätte einer von ihnen dran glauben müssen.«
Zwei Jungen? Leaphorn überflog den Text auf der Fotokopie. Und dann erwachte plötzlich sein Interesse. Sorgfältig, Zeile für Zeile, las er das Ganze noch einmal durch. Zwei Jungen wurden vermisst. Bowlegs und ein Zuñi namens Ernesto Cata, außerdem das Fahrrad von Ernesto. Und an der Stelle, wo das Fahrrad gestanden hatte, war »eine beträchtliche Menge« Blut im Boden versickert.
»Hier steht, die beiden waren Klassenkameraden«, sagte Leaphorn. »Aber Bowlegs ist vierzehn und Cata erst zwölf. Und die waren in einer Klasse?« Leaphorn biss sich sofort auf die Lippen. Diese Frage hätte er besser nicht stellen sollen. Gleich würde Pasquaanti ihn daran erinnern, dass Bowlegs ein Navajo war - das reichte, um die unterschiedliche Schulbildung zu erklären.
»Beide gingen in die siebte Klasse«, sagte Pasquaanti. »Der kleine Cata war fast dreizehn. Sie waren seit zwei oder drei Jahren eng befreundet. Sehr gute Freunde. Das sagen alle.«
»Keine Spur von einer Waffe?«, fragte Naranjo. »Nichts«, sagte Pasquaanti. »Nur Blut. Die Waffe kann alles gewesen sein, was jemanden verbluten lässt. So viel Blut haben Sie noch nie gesehen. Aber ich glaube nicht, dass es eine Schusswaffe war. Niemand kann sich erinnern, so was wie einen Schuss gehört zu haben, und es ist so nah am Dorf passiert, dass irgendjemand etwas hätte hören müssen.« Pasquaanti hielt kurz inne. »Es könnte ein Messer, eine Axt oder so etwas Ähnliches gewesen sein. Die Kiefernnadeln ringsum waren blutbespritzt, und dann noch all das Blut, das in den Boden gesickert ist. Vielleicht wurde eine Arterie verletzt. Wer auch immer der Täter war, auf alle Fälle muss er die Waffe mitgenommen haben.«
»Wer auch immer?«, fragte Leaphorn. »Dann sind Sie also nicht überzeugt, dass dieser Jemand Bowlegs war?«
Pasquaanti sah ihn nachdenklich und prüfend an. »Wir sind von gar nichts überzeugt. Alles, was wir wissen, steht hier auf diesem Blatt Papier. Cata ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen. Bei Tagesanbruch haben sie nach ihm gesucht und haben dort, wo er sein Fahrrad abgestellt hatte, die Blutlache gefunden. Der kleine Bowlegs hatte sich das Fahrrad ausgeliehen, und er sollte es dorthin zurückbringen, wo sie sich immer trafen. Klar? Bowlegs ist heute Morgen wie immer in die Schule gegangen, aber als wir die Sache mit dem Fahrrad und alles andere herausgefunden hatten und einen Mann rübergeschickt haben, der ihn befragen sollte, war er nicht mehr da. Wir haben gehört, dass er mitten im...
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