Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Leaphorn konnte sich noch gut an den heißen Augustnachmittag erinnern, an dem er zum ersten Mal von dem Fall hörte, der später als »Knochenmann-Geschichte« bekannt wurde. Captain Pinto, sein Nachfolger bei der Navajo-Police, hatte ihn tags zuvor angerufen und gefragt, ob er Zeit habe, bei ihm vorbeizuschauen. Leaphorn hatte dankbar eingewilligt, froh, etwas Abwechslung zu haben.
Doch als er am nächsten Tag, den Hut in der Hand, unten in der Eingangshalle der Zentrale gewartet hatte, um sich anzumelden, kam er sich plötzlich völlig überflüssig und nutzlos vor. Die junge Frau hinter dem Empfangstresen hatte zunächst keine Notiz von ihm genommen, sondern in aller Ruhe Briefe einsortiert, ehe sie sich ihm zuwandte. Als er ihr erklärte, dass Captain Pinto ihn erwarte, griff sie nach dem Telefonhörer und fragte: »Sie haben einen Termin?«
Leaphorn nickte stumm.
Sie sah auf ihren Kalender und streifte ihn mit einem kurzen, gleichgültigen Blick. »Ihr Name?«
Diese Frage versetzte ihm einen Stich, denn in diesem Gebäude hatte er den größten Teil seines Berufslebens verbracht, Anweisungen erteilt, Leute eingestellt und über die Jahre im Umkreis von einigen Meilen bescheidenen Ruhm erworben.
»Joe Leaphorn«, antwortete er und sah, dass der Name ihr nichts sagte. »Ich habe hier gearbeitet«, setzte er leise hinzu, aber die Aufmerksamkeit der jungen Frau galt schon wieder dem Telefon. »Ist ziemlich lange her«, sagte er mehr zu sich selbst.
»Der Captain möchte, dass Sie hochkommen.« Mit einer knappen Handbewegung wies sie auf die Treppe.
Vor der Tür mit der Aufschrift »Special Investigations« zögerte er kurz. Dies war sein Büro gewesen, in diesem Zimmer hatte er über vielen komplizierten Fällen gebrütet.
Er klopfte an und trat ein. Captain Pinto, damit beschäftigt, etwas in sein Notizbuch einzutragen, blickte kaum hoch und bedeutete Leaphorn, auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen.
»Hast du schon gehört, dass Sergeant Chee sich nun doch entschlossen hat zu heiraten?«, fragte er statt einer Begrüßung.
»Höchste Zeit«, sagte Leaphorn. »Und Bernie ist prima. Sie wird dafür sorgen, dass er endlich erwachsen wird.«
»Wollen wir's hoffen.« Pinto gab Leaphorn zwei Ordner. »Schau da mal rein, Joe, und sag mir, was du darüber denkst. Die obere Akte enthält die FBI-Unterlagen zu dem Raubüberfall auf den Laden in Zuñi, du hast sicher davon gehört. Der Inhaber wurde erschossen, der Täter entkam mit der Beute, vor allem Schmuck. Ein paar Tage später erschien in der Pfandleihe von Gallup ein Hopi namens Billy Tuve und wollte einen ungefassten Diamanten versetzen. Für zwanzig Dollar. Der Betreiber der Pfandleihe erkannte sofort, dass der Stein Tausende Dollar wert war, und forderte Tuve auf, vorn im Laden zu warten, er müsse sich den Diamanten genauer ansehen. Stattdessen hat er die Polizei verständigt. Die Beamten haben Tuve gleich mitgenommen. Er will den Diamanten vor Jahren von einem alten Indianer bekommen haben, dem er am Grund des Grand Canyon begegnet sei. Den Namen wusste er nicht. Im Büro des Sheriffs von McKinley County vermutete man einen Zusammenhang mit dem Raubüberfall in Zuñi und setzte Tuve erst mal fest, um weitere Ermittlungen durchzuführen. Ein paar Zeugen hatten ausgesagt, vor dem Überfall habe ein Hopi vor dem Geschäft herumgelungert. Dieser Hopi war, wie sich herausstellte, Tuve. Obendrein fanden sich in dem Laden seine Fingerabdrücke. Deshalb kam er in Untersuchungshaft.«
Nachdem Pinto mit seinem Bericht fertig war, sah er Leaphorn an, als rechnete er mit Fragen. Doch der Lieutenant schwieg. Aus dem Erdgeschoss drang die klagende Melodie eines Willie-Nelson-Songs herauf.
Leaphorn sah aus dem Fenster und betrachtete die ihm so vertraute Landschaft. Wie oft hatte er hier gesessen und nach draußen gesehen! In einiger Entfernung flog ein Häher vorbei. Leaphorn seufzte. Bei Pintos Zusammenfassung hatte er sich in alte Zeiten zurückversetzt gefühlt, als er hier Anweisungen gegeben und Berichte entgegengenommen hatte. Er schlug den neueren Ordner auf und begann zu lesen. Schon auf der zweiten Seite stieß er auf etwas, das sein Interesse erregte und vermutlich erklärte, wieso Pinto ihn hergebeten hatte. Aber er würde keine Fragen stellen, sondern es dem Captain überlassen, den Anfang zu machen. Da Zuñi in einem Reservat lag, war das FBI für das Tötungsdelikt zuständig. Doch die Kleinarbeit vor Ort blieb an Pinto und seinen Leuten hängen. Das Büro hier war jetzt das Büro des Captains und er selbst nicht mehr als ein einbestellter Besucher.
Nachdem Leaphorn mit dem ersten Ordner fertig war, legte er ihn wieder zurück auf den Schreibtisch und griff nach dem zweiten, der viel älter war. Er sah verstaubt aus, war stockfleckig und sehr dick.
Pinto musste fünf Minuten warten, bis Leaphorn den Kopf hob und nickte.
»Dir ist sicher aufgefallen, dass der Raub in Zuñi eine gewisse Parallele aufweist zu einem früheren Fall von dir - einem Einbruch draußen in Short Mountain«, sagte Pinto.
»Natürlich«, sagte Leaphorn. »Die Sache liegt eine halbe Ewigkeit zurück.«
Pinto nickte. »Und nun möchten wir wissen, ob du eine Verbindung siehst zwischen dem Fall damals und dieser Sache hier.«
Leaphorn lachte leise. »Du denkst an den Diamanten von Shorty McGinnis?«
Pinto nickte.
Leaphorn schüttelte den Kopf, zog noch mal den FBI-Ordner zu sich heran und schlug ihn auf. »Anscheinend habe ich mich verlesen. Ich dachte, der Diamant, den dieser Hopi versetzen wollte, hätte einen geschätzten Wert von .« Er blätterte um. »Ah, hier steht es. Marktwert zurzeit etwa zwanzigtausend Dollar.«
»Diese Summe hat der Gutachter vom FBI ermittelt. Der Stein habe 3,8 Karat und sei >von strahlendem Weiß mit einer Anmutung von Himmel darin<. Außerdem soll er einen >quadratischen Smaragdschliff haben, einen Asscher-Schliff<, was immer das heißen mag. Das Gutachten ist bei den Unterlagen.«
Leaphorn schüttelte erneut den Kopf. »In der FBI-Akte wird erwähnt, dass damals bei dem Einbruch im Handelsposten Short Mountain ebenfalls ein wertvoller ungefasster Diamant verschwunden sein soll. Ich vermute, der Agent, der diesen Bericht geschrieben hat, ist neu hier. Oder hältst du es für möglich, dass Shorty McGinnis zwischen seinen Mehl- und Zuckersäcken einen wertvollen Diamanten aufbewahrt hat?«
Pinto schüttelte den Kopf. »Schwer vorstellbar.«
»Und als er mir damals den Einbruch gemeldet hat, war von einem Diamanten keine Rede. Wahrscheinlich hat er sich gesagt, dass ich ihm sowieso nicht glauben würde. Ist dir übrigens aufgefallen, dass die Notiz über den angeblich geraubten Diamanten erst ein Jahr später zu den Akten genommen wurde? Und zwar nachdem sich die Versicherung von McGinnis beim FBI beschwert hatte, die von uns erstellte Liste der gestohlenen Gegenstände sei nicht vollständig gewesen.«
Pinto nickte. »Vielleicht hat McGinnis, als er dir die gestohlenen Gegenstände meldete, den Diamanten einfach vergessen, und er ist ihm erst wieder eingefallen, als er die Versicherung über seinen Schaden informieren wollte«, bemerkte er mit einem Lächeln.
»Hast du McGinnis mal auf die Sache angesprochen?«
»McGinnis ist tot«, sagte Pinto. »Und zwar schon eine ganze Weile, denke ich.«
Leaphorn sog scharf die Luft durch die Zähne. »Shorty ist tot? Verdammt, das wusste ich nicht.«
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Es fiel ihm schwer zu akzeptieren, dass es diesen lebensklugen, zähen, immer etwas misanthropischen alten Mann nicht mehr geben sollte. Wieder eine Lücke in dem immer kleiner werdenden Kreis der Menschen, die sein Leben interessant und abwechslungsreich, mitunter auch schwierig und anstrengend gemacht hatten. Der alte Mann würde ihm fehlen, dachte er und blickte an Pinto vorbei nach draußen auf den endlosen tiefblauen Himmel. Nur im Norden über den Chuskas zogen erste dunkle Gewitterwolken auf. Er erinnerte sich an die langen Gespräche, die sie miteinander geführt hatten. Er sah ihn vor sich, wie er in seinem Schaukelstuhl saß und ein mit Whiskey gefülltes Coca-Cola-Glas aus den Fünfzigern hielt, das sachte Auf und Ab mit der Hand sorgsam ausgleichend, damit nichts überschwappte von dem kostbaren Getränk. Aber solange sie auch zusammensaßen, nie hatte Leaphorn ihm auch nur ein Wort mehr entlocken können, als McGinnis ohnehin bereit war zu sagen.
»Weißt du«, sagte Leaphorn und lachte leise, »dieser Einbruch bei McGinnis liegt schon so lange zurück, dass ich ihn vergessen hatte.«
Pinto seufzte. »Ich wünschte, auch das FBI hätte ihn vergessen. Übrigens hat McGinnis gegenüber der Versicherung den Wert des Steins seinerzeit auf zehntausend Dollar beziffert; ich nehme an, er wäre heute das Doppelte wert. Nachdem sich die Versicherung damals wegen der unvollständigen Verlustliste beschwert hatte, ist das FBI der Sache nachgegangen und ziemlich schnell zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der Angelegenheit um versuchten Versicherungsbetrug handelte. Aber sie hatten keinen Beweis für diesen Verdacht. Und nachdem Tuve mit seinem vermutlich geraubten Diamanten im Pfandleihhaus auftauchte, hat jemand...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.