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Es war ein arbeitsreicher Tag für Officer Bernadette Manuelito, aber sie genoss ihn, denn jede erledigte Aufgabe gab ihr erneut das Gefühl, nun keine blutige Anfängerin mehr bei der Navajo-Police zu sein.
Unangenehme Dinge zuerst, war das Prinzip ihrer Kollegen, und so war sie gleich am Morgen zum Chapter House von Cudai gefahren, um Desmond Nakai einen Haftbefehl zu überbringen. Sie hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, ihn anzutreffen, doch zu ihrer Überraschung erwartete er sie schon und ersparte ihr, eine Fahndung nach ihm einzuleiten. Ihr Chef, Captain Largo, hatte sie gewarnt, Nakai könne unangenehm werden, doch der schien geradezu erleichtert.
Anschließend war sie nach Beclabito gefahren. Die Schule dort hatte einen Einbruch gemeldet. Das Ganze stellte sich jedoch bald als harmlos heraus. Ein Aushilfstechniker hatte bei seiner Wochenendzechtour zu tief ins Glas geschaut und wollte sich seine Jacke holen, die er am Freitag nach der Arbeit hatte liegen lassen. Also hatte er kurzerhand im Erdgeschoss eine Scheibe eingeschlagen. Er war jedoch bereit, für den entstandenen Schaden aufzukommen. Dann meldete sich die Funkleitzentrale und teilte mit, die Fahrt zum Gemeindehaus in Sweetwater habe sich erledigt. Das bedeutete, ihr nächstes Ziel war Red Valley.
»Und, Bernie«, fuhr der Kollege fort, »wenn du mit Red Valley fertig bist, hab ich gleich einen neuen Job für dich. Wir haben einen Anruf bekommen, dass in einer Schlucht abseits der Sandpiste, die zur Schule von Cove führt, ein verlassener Wagen stehen soll. Blassblauer Pick-up mit Doppelkabine. Sieh mal nach und gib uns das Kennzeichen durch. Wahrscheinlich ist er als gestohlen gemeldet.«
»Wieso hast du dir das Kennzeichen nicht gleich von dem Anrufer geben lassen?«
»Weil der Anrufer ein Pilot von El Paso Natural Gas war, der den Wagen gestern Nachmittag und heute Morgen beim Überfliegen des Gebiets dort unten hat stehen sehen. Er sagte, er sei zu hoch gewesen, um das Nummernschild lesen zu können.«
»Aber nicht zu hoch, um zu erkennen, dass der Wagen verlassen war?«
»Ach komm schon, Bernie, wer lässt schon seinen Wagen über Nacht in einem Flussbett stehen, wenn er sich ihn nicht für eine Spritztour ausgeliehen hat?« Der Dispatcher präzisierte seine Beschreibung des Standorts noch um ein paar Details und entschuldigte sich dann, dass er ihr heute so viel Arbeit aufhalse.
»Geht in Ordnung. Und ich entschuldige mich für meinen gereizten Tonfall eben.«
Der Mann in der Zentrale war Rudolph Nez, einer der dienstältesten Kollegen. Er war der Erste gewesen, der sie, blutjung und dazu noch weiblich, als Cop akzeptiert hatte. Inzwischen betrachtete sie ihn fast als Freund und hatte den Verdacht, dass er ihr absichtlich besonders viele Aufträge zuschob, um ihr zu beweisen, dass er sie als ebenbürtige und vollwertige Kollegin betrachtete. Nach Cove zu fahren, kam ihr außerdem ganz gelegen. Sie würde die Möglichkeit nutzen, auf dem Weg dorthin einen Abstecher am Roof Butte zu machen, mit gut dreitausend Metern eine der höchsten Erhebungen in der Navajo Reservation. Dort oben war ein guter Platz, um eine Pause einzulegen. Den verlassenen Pick-up zu finden, hatte ja keine besondere Eile.
Sie setzte sich auf eine mächtige Sandsteinplatte im Schatten einiger Espen und Rottannen, öffnete ihr Lunchpaket, dachte an Sergeant Jim Chee und genoss die schöne Aussicht gen Norden. Pastora Peak und die Carrizo Mountains versperrten ihr zwar den Blick auf die Rockies von Colorado, und die Gipfel in Utah lagen hinter dichten Bergwäldern verborgen. Aber direkt unter ihr erstreckte sich die unermessliche Weite von New Mexico, und zur Linken konnte sie den nördlichen Teil von Arizona sehen. Die Weite des zu ihren Füßen liegenden Landes, das wie gefleckt aussah durch die Wolkenschatten, die darüber hinwegzogen, und der Anblick der majestätischen Berggipfel reichten aus, um den Geist zu beleben und die Seele friedlich zu stimmen. Wie auch die Erinnerung an jenen Tag, als sie zusammen mit Jim Chee hier oben gestanden hatte. Sie war damals neu im Polizeidienst gewesen, und Jim Chee war mit ihr auf diesen Gipfel gefahren, um ihr diese fantastische Aussicht auf die Navajo Nation zu zeigen. Nach Nordosten zu, über der Chaco Mesa, hatte sich eine Gewitterfront gebildet, und auch im Osten über dem Tsoodzill, dem Türkisberg, türmten sich drohend dunkle Wolkenberge. Doch das hügelige grüne Land ringsum hatte in hellem Sonnenschein gelegen. Chee hatte auf eine rotierende graue Säule aus Staub und Schmutz gedeutet, die sich jenseits des Highway 66 in schnellem Zickzackkurs auf sie zubewegte. »Eine Windhose«, hatte sie gesagt, und zum ersten Mal hatte sie in Chee den Menschen in der Polizeiuniform gespürt.
»Eine Windhose«, hatte er nachdenklich wiederholt, »ja, dasselbe habe ich eben auch gedacht. Seit meiner Kindheit fällt mir beim Anblick dieser tückischen Staubteufel immer die Geschichte vom Kampf der Hard Flint Boys mit den Wind Children ein. Die guten yei bringen uns kühle, frische Luft und Regen für unser Weideland, die schlechten geben dem Wind Unheil mit auf den Weg.«
Sie trank ihren Kaffee aus der Thermoskanne aus und überlegte, wie sie sich Chee gegenüber verhalten sollte. Sie war sich noch immer unschlüssig, was sie von ihm wollte. Ihre Mutter schien ihn ja als möglichen Kandidaten akzeptabel zu finden. »Dieser Mr Chee«, hatte sie ihr vor ein paar Tagen völlig unvermittelt gesagt, »stammt, wie ich gehört habe, mütterlicherseits von den Slow Talking Diné und väterlicherseits von den Bitter Water ab.« Mehr hatte sie dazu nicht gesagt, aber das war auch nicht nötig. Bernie wusste jetzt, dass ihre Mutter sich über Chee erkundigt und die erhaltene Auskunft etwaige Besorgnisse zerstreut hatte. Da Bernie von den Ashjjhi Diné abstammte, würde eine Verbindung zwischen ihr und Chee keines der Inzesttabus der traditionellen Navajo-Gesellschaft verletzen. Bernie durfte Chee also weiter zulächeln. Und vielleicht würde es auch beim Lächeln bleiben. Wie gesagt, sie wusste selbst nicht so genau, was sie von ihm wollte, und Jim Chee blieb verdammt schwer zu durchschauen.
Während sie auf der Suche nach dem verlassenen Wagen nun schon das dritte Flussbett hochfuhr, dachte sie noch immer an ihn. Plötzlich sah sie vor sich etwas hell aufleuchten. Sonnenlicht, das vom Rückfenster eines Pick-ups reflektiert wurde. Blassblau, mit Doppelkabine, wie beschrieben, den schmalen Weg blockierend.
Zugelassen in New Mexico, stellte sie fest und notierte das Kennzeichen. Dann stieg sie aus und ging langsam auf den Wagen zu. Beide Seitenfenster waren offen. Sie blieb stehen. In einer Halterung am Rückfenster steckte ein Gewehr. Wer würde sich aus dem Staub machen und es einfach zurücklassen als willkommene Beute für Diebe?
»Hallo«, rief sie und wartete. »Hey! Ist da jemand?«
Keine Antwort. Sie ließ das Holster aufschnappen, fasste mit ihrer Rechten nach der Pistole und näherte sich langsam der Beifahrertür.
Seitlich ausgestreckt, den Kopf Richtung Fahrertür, lag ein Mann auf den Vordersitzen. Er trug Jeansjacke und Jeans. Ein rotes Basecap verdeckte den größten Teil seines Gesichts.
Da schläft jemand seinen Rausch aus, dachte Bernie, die schon lange genug im Polizeidienst war, um mit diesen Fällen vertraut zu sein. Doch der übliche Whiskygestank fehlte. Und der Mann lag ein wenig zu still da. Regungslos, ohne sichtbare Atembewegung.
Sie holte tief Luft und trat einen halben Schritt näher. »Ya eeh teh«, sagte sie laut. Der Mann im Wagen rührte sich nicht. Sie spähte durch das Wagenfenster. Kein Zeichen von offener Gewaltanwendung, nirgendwo Verletzungen oder Blut. Unter dem Basecap lugten ein paar blonde Haarsträhnen hervor. Kleidung und Schuhe waren staubbedeckt. Der Mann muss bewusstlos sein oder tot, überlegte sie. Sie öffnete die Beifahrertür, griff mit ihrer Linken um den Türholm und schwang sich aufs Trittbrett. Dann beugte sie sich ins Wageninnere, schob eines der beiden Hosenbeine ein wenig hoch, umfasste mit Daumen und Zeigefinger das Fußgelenk des Mannes und suchte nach dem Puls. Der Knöchel fühlte sich kalt an, wie der eines Toten. Sie nahm keinen Puls wahr.
Der Kontakt mit dem leblosen Körper hatte schlagartig ihr Wissen, Polizistin zu sein, durch das Bewusstsein ihrer Herkunft ersetzt. Tausend Jahre, bevor die Diné etwas von Bakterien und Viren ahnen konnten, wussten sie um die Infektionsgefahr, die von frisch Verstorbenen und Sterbenden ausgeht. Die Älteren nannten es Chindi, einen bösen Geist, und lehrten, sich von solchen Toten vier Tage lang fernzuhalten, wenn der Tod im Freien eingetreten war. Andernfalls reichten vier Tage nicht aus, da ein Chindi sich, im Innern eines Hauses etwa, auch für längere Zeit festsetzen konnte. Bernie sprang vom Trittbrett hinunter, stand da und überlegte, was zu tun sei. Als Erstes musste sie Meldung machen. Sobald sie dann wieder zu Hause war, würde sie ihre Mutter anrufen und sie bitten, ihr einen Schamanen zu nennen für eine Reinigungszeremonie.
Sie ging zu ihrem Streifenwagen zurück und berichtete der Funkzentrale, was sie vorgefunden hatte.
»Natürlicher Tod also?«, fragte der Kollege. »Keine Schusswunden? Keine anderen Anzeichen für Gewaltanwendung? Kein Blut? Kein Pulvergestank?«
»Er sieht aus, als sei er einfach gestorben«, sagte Bernie. »Vermutlich eine...
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