Doch mein Schrei hatte das Skelett abgelenkt, bevor es meinen Vater hatte töten können. Dann hatte sich der Dämon zurückgezogen, als hätte er es sich anders überlegt.
Dass ich überhaupt hier war, hatte ich einem Mann zu verdanken, klein von Wuchs, mit grünlich schimmernder Haut, eingehüllt in einen schwarzen Mantel und das lange Haar im Nacken zusammengebunden.
Myxin der Magier!
Bislang hatte ich ihn für eine Märchenfigur gehalten. Ein Zauberer, der mit seinem Gefolge in einem feuerspeienden Berg hauste und kleine Kinder fraß.
Vater nannte ihn einen Dämon, doch das wollte ich nicht glauben. Myxin hatte mich vor den Schwarzen Vampiren gerettet, vor den blutsaugenden Bestien, die noch vor Kurzem über Vater, ein mir unbekanntes Mädchen und Haro hatten herfallen wollen.
Das hatte ich zum Glück verhindern können. Mit dem Schwert meines Vaters, dessen goldener Klinge ungeheure Kräfte innewohnten.
Ich hatte das Schwert Myxin bringen wollen, als ich Haros Schreie vernommen hatte.
Haro, an den ich mich jetzt festklammerte wie eine Ertrinkende an ein Stück Holz. Er war der Rettungsanker, der mir Halt gab, sodass ich nicht in dem Sumpf aus Wahnsinn und Gräuel versank.
Meine Knie waren weich und kraftlos, ich zitterte am ganzen Leib. Oder war es Haro, der vor Furcht schlotterte?
Eine beklemmende Stille hatte sich nach den letzten Worten des Magiers über das zerstörte Dorf gesenkt. Eine Stille, die urplötzlich von Gelächter durchbrochen wurde.
Ich fröstelte, denn ich erkannte die Stimme meines Vaters.
Nur klang er nicht gerade erfreut oder belustigt, und ich hatte auch noch nie derartige Laute aus seinem Mund gehört. Mein Vater war ein Mensch, der seine Gefühle nur sehr selten offen zur Schau trug. Oft genug hatte mich das zur Weißglut getrieben, jetzt gerade hätte ich viel für diese Zurückhaltung gegeben, denn sein Gelächter klang einfach nur schaurig.
»Einen Pakt?«, echote Vater. »Mit dir? Bist du von Sinnen, Dämon?«
Langsam richtete er sich auf. Es fiel ihm nicht leicht, doch schließlich stand er auf den Beinen, in der Faust das Schwert mit der goldenen Klinge, die im Schein des Feuers funkelte und gleißte.
Haro wollte meinem Vater zu Hilfe eilen, doch ich hielt ihn fest. Verblüfft schaute er mich an.
»Nicht«, hauchte ich und schüttelte den Kopf, ohne recht zu wissen, warum ich dies tat.
Doch so sehr ich Vater auch liebte und froh war, ihn lebend und einigermaßen wohlauf zu sehen, aus irgendeinem unerfindlichen Grund schreckte ich vor ihm zurück. Möglicherweise hing dies mit dem merkwürdigen Traum zusammen, den ich vor Kurzem erlebt hatte.
Einen Traum, in dem meine Mutter zurückgekehrt war, nur um sich als blutsaugende Erinye zu entpuppen, die unsere gesamte Dienerschaft, meine Freundin Imelda und meinen Vater in Geschöpfe der Nacht verwandelt hatte.
Ich löste mich von Haro, um besser beobachten zu können, was geschah.
Vater schlurfte auf Myxin zu, der die Arme leicht vom Körper gespreizt hatte und die offenen Handflächen zeigte, als wolle er beweisen, dass er friedvolle Absichten verfolgte. »Warum so feindselig, alter Freund?«
»Warum .« Vater blieb stehen. Obwohl es ihn sichtlich Mühe kostete, hob er das Schwert mit beiden Händen und richtete die Spitze auf Myxins Brust. »Deine Kreaturen haben meine Frau getötet.«
Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Was redete Vater da für einen Unsinn?
Ich stieg von dem Trümmerhaufen, auf dem ich stand, und wäre dabei fast gestürzt, hätte Haro mich nicht im letzten Moment festgehalten. Ich entzog mich seinem Griff und schritt auf Vater und Myxin zu.
Der Magier hob die Brauen, der unergründliche Blick seiner dunklen Augen heftete sich auf mich. »Glaubst du das auch, Kara?«
Die Worte drangen nicht nur von außen an mein Gehör, sie erklangen auch direkt in meinem Kopf.
Ich blieb stehen. Die Umgebung verschwamm vor meinen Augen, mir wurde schwindelig. Dafür stiegen Bilder von meinem Traum in mir auf.
Ich war so glücklich gewesen, dass meine Mutter wieder zu mir zurückgekehrt war. Endlich waren wir wieder eine richtige Familie gewesen. Selbst Vater hatte wieder lächeln können.
Sie hatten mir erzählt, das Myxin meine Mutter entführt hatte, kurz nach meiner Geburt. Dann hatte er sie nach Jahren wieder gehen lassen, zurück zu ihrer Familie.
Im Geiste sah ich, wie aus der wunderschönen Frau eine bleiche, zähnefletschende Kreatur mit blutunterlaufenen Augen wurde.
Eine Dienerin von Myxin dem Magier? Aber warum hatte er mich dann gerettet?
Das ergab doch keinen Sinn. Es sei denn .
Vater hatte gelogen. So wie damals, als der Rat, dem er angehörte, mit den vier Weisen von Atlantis entschieden hatte, die Dämonen und den großen Krieg totzuschweigen. In meinen Augen hatten sie dadurch die nachfolgende Generation hinters Licht geführt. Die Wahrheit zu verschweigen ist auch eine Art Lüge.
Und er hatte auch gelogen, als er behauptet hatte, Kandor hätte Haro mit ihm auf die Mission zur Einschlagstelle der Feuerträne geschickt, mit der das Böse auf die Erde gekommen war.
Denn es war nicht Kandor gewesen. Er selbst hatte Haro dabeihaben wollen, um ihn von mir fernzuhalten und ihn gleichzeitig dafür zu bestrafen, dass er mich nicht davon abgehalten hatte, im Auftrag der Stummen Götter zum Berg Uranos zu reiten.
Fast wäre Haro gestorben. Es war pures Glück, dass er nicht ebenfalls mit abgetrenntem Haupt neben Faruk und Dolnar lag.
»Nein!«, sagte ich mit fester Stimme. »Ich glaube nicht, dass du Mutter getötet hast.«
Ein Lächeln stahl sich auf die Züge des Magiers.
Vater fuhr zu mir herum. »Was? Kara, du weißt doch gar nicht, wovon du redest!« Mit der Spitze des Goldenen Schwerts stach er in Myxins Richtung. »Dieser Mann hat deine Mutter entführen lassen, als du noch ein Kind warst. Seine Kreaturen haben Hunderte von Menschen getötet und viel Leid über das Volk von Atlantis gebracht.«
Finstere Gedanken wirbelten mir durch den Kopf.
Hörst du seine Lügen? Du weißt, dass er nicht die Wahrheit spricht. Er versucht, deine Gedanken zu vergiften, so wie er es schon dein ganzes Leben lang getan hat. Du darfst ihm nicht vertrauen!
Ich kniff die Lider zusammen und krümmte mich, als würde ich Schmerzen erleiden. Was ja auch irgendwie stimmte, obwohl es keine körperlichen Qualen waren.
»Hör auf!«, presste ich hervor.
»Kara!«, hauchte Vater. »Du bist nicht Herrin deiner Sinne. Der Magier hat dich verzaubert. Er .«
»Hör auf!«, brüllte ich und riss die Augen auf.
Plötzlich drehte sich alles um mich herum. Ich taumelte, spürte, wie die Knie unter mir nachgaben.
»Kara!«, rief Haro.
Er klang nah und doch so weit entfernt.
Dafür war da die andere Stimme dicht an meinem Ohr, in meinem Kopf.
Schlaf!
Ich hatte das Gefühl zu fallen. Mein Bewusstsein stürzte in Finsternis und Vergessen!
Delios' Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er seine Tochter zusammenbrechen sah.
Haro sprang auf sie zu, doch ein anderer war schneller. Myxin der Magier erschien wie aus dem Nichts neben Kara und fing sie auf. Schräg lag sie auf seinem linken Arm, die rechte Hand streckte er Haro entgegen, und ein unsichtbarer Schlag traf den jungen Krieger, riss Haro von den Beinen und schleuderte ihn zurück.
Yanara, die letzte Überlebende des Dorfes Patros, schrie auf und eilte zu Haro.
Delios, schon im Begriff, sich auf Myxin zu stürzen, blieb wie angewurzelt stehen, als der Magier ruckartig den Kopf drehte und sich der stechende Blick seiner schwarzen Augen auf ihn richtete. »Tu nichts, was du später bereuen könntest, Prophet!«
Myxins Stimme erinnerte an das Zischeln von Schlangen.
»Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, dann .«
»Aber wie käme ich denn dazu?« Die dünnen Lippen des Magiers verzogen sich zu einem Lächeln, während er mit der rechten Hand zärtlich über Karas schwarzes Haar strich. Seine langen, dürren Finger huschten wie die Beine einer fleischigen Spinne über ihre Stirn. »Sie ist wahrlich eine Schönheit, Delios. Ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten!«
Das Lächeln des Magierdämons verbreiterte sich zu einem Grinsen, das in Delios das kaum verloschene Feuer der Wut von Neuem entfachte.
Mit einem zornigen Schrei wollte er sich auf den Magier stürzen - als ein Schatten vom Himmel fiel und ihm den Weg verstellte.
Es war eine Kreatur mit hassverzerrter Fratze, halb Mensch, halb Fledermaus. Unter den Armen schlackerten ledrige Flughäute, spitze Ohren ragten hinter den Schläfen empor wie Hörner, und die bleichen Lippen entblößten fingerlange Hauer.
Eine Untote. Eine Vampirin!
Aber nicht irgendeine.
Vor Delios stand niemand Geringeres als Beela, die Anführerin der Schwarzen Vampire.
Und sie war nicht allein gekommen. Ehe Delios sich versah, fielen die Schatten menschengroßer Fledermäuse aus dem trüben Nachthimmel.
Binnen weniger Herzschläge war Delios von sechs...