Schweitzer Fachinformationen
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PROLOG: EIN PERFEKTER TAG
Deacon Thorpe ist dreizehn Jahre alt und noch mehr Junge als Mann, als sein Vater Jack ihm verkündet, sie würden einen Tagesausflug machen, nur sie beide.
Deacon ist fasziniert von der Vorstellung, einen Tag außerhalb der Stadt zu verbringen. Sie haben kaum Geld für mehr als das reine Überleben. Jack arbeitet als Chef de Partie im Sardi's am Times Square und hat nur drei Tage im Monat frei.
Noch mehr freut sich Deacon über das »nur wir beide«. Jack ist der König von Deacons Welt, hauptsächlich deswegen, weil er so selten anwesend ist. Deacon sieht dem Zusammensein mit ihm mit derselben freudigen Erregung entgegen wie Astronomen einem Kometen oder einer Sonnenfinsternis.
Jack weckt Deacon um vier Uhr morgens. Sie lassen Deacons Mutter und seine Schwester Stephanie schlafend in ihrem Apartment zurück. Auf Jacks Anweisung hin zieht Deacon seine Badehose an, und Jack trägt ein leuchtend gelbes Hemd mit Kragen, das Deacon noch nie gesehen hat.
Jack zupft mit stolzem Lächeln daran. »Extra für heute gekauft«, sagt er.
Für den Ausflug hat Jack einen Oldsmobile Cutlass gemietet. Deacon wusste gar nicht, dass sein Vater Auto fahren kann. Sie wohnen in Stuyvesant Town, und wenn sie irgendwohin wollen - zur Arbeit, in die Schule, in den Park -, nehmen sie die U-Bahn oder den Bus.
»Das ist mal ein klasse Schlitten«, sagt Jack.
Er steckt plötzlich voller Überraschungen.
Deacon verschläft einen Großteil der Fahrt und wacht erst auf, als sie eine Brücke überqueren, die aussieht wie aus einem Stabilbaukasten zusammengesetzt. Im Radio läuft Elton John mit »Don't Go Breaking My Heart«. Jack singt mit: »Oh, honey, if I get restless .«
»Wo sind wir?«, fragt Deacon.
»Cape Cod«, entgegnet Jack, dann schmettert er: »Whoa-ho, I gave you my heart!«
Cape Cod. Das klingt irgendwie mythisch, wie Shangri-La.
Jack stellt das Radio leise und sagt: »Ich wünsche mir einen perfekten Tag mit meinem Sohn. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?«
Um neun Uhr sitzen sie auf dem Oberdeck einer Fähre und trinken Kaffee. Deacon durfte noch nie Kaffee trinken; seine Mutter glaubt, das würde sein Wachstum hemmen. Jack scheint keine Bedenken zu haben, eine Tasse für Deacon zu bestellen. »Vielleicht willst du ein bisschen Sahne und Zucker reintun«, sagt er. »Damit er nicht so stark ist.« Aber Deacon entscheidet sich, ihn schwarz zu trinken wie sein Vater. Einige seiner jüdischen Schulfreunde hatten schon ihre Bar-Mizwa, und so betrachtet Deacon auch diesen Tagesausflug - als einen Initiationsritus, bei dem er etwas über das Erwachsenwerden lernt.
Die Fähre bringt Deacon und Jack an einen Ort namens Nantucket Island. Jack will unbedingt, dass sie sich an die Reling stellen, sobald Land in Sicht kommt. Sie passieren eine Steinmole, auf der sich Seehunde in der Sonne aalen. Echte Seehunde! Es sind die ersten wilden Tiere, die Deacon außerhalb eines Zoos sieht. Die Fähre gelangt in einen Hafen voller eleganter Motorjachten und Segelboote mit hohen Masten und komplizierter Takelage. Über ihren Köpfen kreisen Möwen. Deacon erblickt zwei Kirchtürme, einen mit weißer Spitze und einen mit goldener Kuppel, und Grüppchen grauer Schindelgebäude.
»Heute leben wir das Leben, wie es auf Nantucket üblich ist«, sagt Jack.
Auf dem Anleger mietet er wieder einen Wagen - einen sandbraunen Willys-Jeep, der keinem Fahrzeug gleicht, das Deacon je in New York gesehen hat. Er hat kein Dach, keine Fenster, noch nicht einmal Türen, sondern besteht im Wesentlichen aus zwei Sitzen und einer Gangschaltung, vier Rädern und einem Motor. Ein klasse Schlitten ist er nicht - dem Cutlass so unähnlich wie nur möglich -, doch Jack wirkt glücklicher, als Deacon ihn jemals erlebt hat.
»Spring rein!«, sagt Jack. »Auf geht's zur großen Rundfahrt.«
Sie holpern über kopfsteingepflasterte Straßen vorbei an einer Eisenwarenhandlung namens Hardy's, in deren Schaufenster zwischen Holzkohlegrill und Rasenmäher eine männliche Puppe steht, die dasselbe Hemd mit Kragen trägt wie Jack. Erst mäht er den Rasen, denkt Deacon, dann grillt er ein paar Burger. Es ist wie eine Szene aus Drei Mädchen und drei Jungen.
Sie kommen an einer Pizzeria vorbei, dann an einem Restaurant, das Opera House heißt.
Jack zeigt darauf. »Mein altes Jagdrevier«, sagt er. »Im Speiseraum steht eine echte britische Telefonzelle, in der ich früher immer meine französische Freundin Claire geküsst hab.«
Deacon spürt, wie er rot wird. Er kann sich nicht vorstellen, dass Jack Thorpe jemanden küsst, nicht einmal Deacons Mutter.
Sie fahren eine lange, kurvenreiche Straße entlang und passieren dabei mit grauen Schindeln verkleidete, von Rosen umrankte Cottages und Wiesen, auf denen hinter Lattenzäunen Pferde grasen. Links erhascht Deacon immer wieder flüchtige Blicke auf den blauen Hafen. Die Sonne ist sehr heiß geworden, und sein Magen fängt an zu knurren. Er hat heute bisher nur Kaffee getrunken und noch gar nichts gegessen.
Ein Leuchtturm kommt in Sicht. Er ist weiß mit einem breiten roten Streifen um die Mitte. Sie fahren an einem großen Gewässer vorbei; jenseits davon kann Deacon das Meer sehen. An einem Schild, auf dem HOICKS HOLLOW steht, biegt Jack links ab.
»Die gute alte Hoicks Hollow Road«, sagt er. »War früher mein zweites Zuhause.«
»Wirklich?«, entgegnet Deacon.
»Lustiger Name für eine Straße, oder?«
Deacon weiß nicht, was er antworten soll.
»Jedenfalls lustiger als East 28th Street«, meint Jack.
Die Straße schlängelt sich dahin, bis sie zum Sankaty Head Beach Club gelangen. NUR FÜR MITGLIEDER steht auf dem Schild. Es riecht köstlich nach Pommes frites, und Deacon würde gern glauben, dass sie hier essen werden, doch das »nur für Mitglieder« flößt ihm Unbehagen ein. Die Thorpes sind keine Familie, die irgendwo Mitglied ist. Ganz und gar nicht. Deacon vermutet, dass man ihnen gleich erklären wird, sie seien widerrechtlich hier und sollten verschwinden.
Überraschenderweise wird Jack Thorpe an der Tür jedoch nicht nur begrüßt, sondern herzlich willkommen geheißen - von einem stämmigen, rotgesichtigen Mann mit einem Namensschild, das ihn als Ray Jay Jr., Manager ausweist.
»Jack Thorpe!«, sagt Ray Jay Jr. »Gott, was für ein Augenschmaus! Wie lange ist es her?«
»Viel zu lange«, erwidert Jack und stellt Ray Jay Jr. Deacon vor. »Ich habe gerade zu Deacon gesagt, dass ich mir einen perfekten Tag mit meinem Sohn wünsche. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Wie wär's mit was zu essen, um der alten Zeiten willen?«
»Sollt ihr haben, Jack«, sagt Ray Jay Jr. und geleitet Jack und Deacon in den Club. Sie kommen an Schildern vorbei, auf denen DAMENGARDEROBE und HERRENGARDEROBE steht. Durch eine weiß lackierte Schwingtür gelangen sie nach draußen. Ray Jay Jr. bittet sie, an einem Tisch mit Blick auf den Swimmingpool Platz zu nehmen, der rautenförmig und mit tiefem, verlockend türkisblauem Wasser gefüllt ist. Zu beiden Seiten des Pools stehen Umkleidezelte mit gepolsterten Liegestühlen davor, auf denen wunderschöne Frauen in Bikinis an ihrer Sonnenbräune arbeiten und flachsblonde Kinder sich auf marineblau-weiß gestreiften Handtüchern rekeln. Kellner servieren Eistee mit Zitronenschnitzen, Bier und Fruchtcocktails. Hinter dem Pool ist über einen Holzzaun rot-weiß-blaues Flaggentuch drapiert, wahrscheinlich ein Überrest der Zweihundertjahrfeier.
Aus dem Lautsprecher ertönt wieder der Song »Don't Go Breaking My Heart«.
Jack hält sich ein imaginäres Mikrofon unters Kinn, während er im Falsett mitsingt. Dann sagt er zu Deacon: »Spring doch einfach rein. Ich bestell für dich.«
Jetzt begreift Deacon, dass dies der Grund für die Badehose war, und zieht sein T-Shirt aus. Er tritt an den Rand des Pools. Ein paar Kinder planschen am flachen Ende, während ein älterer Herr im Freistil seine Bahnen zieht. Das einzige Schwimmbecken, in dem Deacon bisher war, befindet sich im Stadtteilzentrum in der Avenue A, wo das Wasser nach Chlor stinkt und zu warm und immer voller kreischender Kinder und Rabauken ist, die Deacon untertauchen und ihm den Kopf so lange unter Wasser halten, bis er in Panik gerät. Im Vergleich dazu ist dieser Pool kühl und friedlich wie ein See im Paradies.
Ich wünsche mir einen perfekten Tag mit meinem Sohn. Dieser Satz lässt Deacon das Herz aufgehen. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er das Gefühl, von Bedeutung zu sein.
Er springt hinein.
Zum Lunch gibt es einen doppelten Bacon-Cheeseburger mit Pommes, eine eiskalte Cola und Softeis. Ray Jay Jr. kommt, um sich zu erkundigen, wie das Essen ist, und Jack ein Bier anzubieten, aber Jack lehnt ab.
»Ich bin mit meinem Sohn hier«, sagt er.
Deacon hat noch nie erlebt, dass sein Vater ein Bier ausschlägt, schon gar nicht, wenn es umsonst ist. Jack hat ein Alkoholproblem, sagt Deacons Mutter. Sie nennt es ein Berufsrisiko, weil er ein einem Restaurant arbeitet, wo Alkohol eine allgegenwärtige Versuchung ist. Wenn Jack trinkt, passiert Schlimmes. Er gerät grundlos in Wut, wirft mit Sachen um sich, macht Sachen kaputt, beschimpft Deacon, Stephanie und ihre Mutter lautstark - und dann weint er immer, bis er...
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