Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es ist früh am Morgen des fünfzehnten Dezember. In der Küche ihres Hauses in Wellesley bereitet Hollis Shaw den Teig für ihre Cheddar-Tartlets vor. Ihr Mann, Dr. Matthew Madden, nimmt den Zehn-Uhr-Flug nach Deutschland - er soll bei einer Kardiologenkonferenz in Leipzig einen Vortrag halten und wird fünf Tage weg sein.
Würde Hollis diese Eingangsszene in einem Video darstellen, wäre sie ein Sinnbild häuslichen Glücks. Sie trägt einen taillierten, rot karierten Pyjama und hat die Haare zurückgesteckt. Neben der Arbeitsplatte aus graugeädertem Marmor, auf der sie ihren Teig ausrollt, steht eine Schale Milchkaffee. Über das Soundsystem laufen Weihnachtslieder. The Holly and the Ivy mag Hollis am liebsten und singt mit. Die Küche ist weihnachtlich geschmückt: Tannenzweige winden sich um die verwitterten Holzbalken, und die Kupfertöpfe schimmern in den offenen Regalen. Es gibt einen Küchen-Weihnachtsbaum, den sie mit kulinarischem Schmuck behängt hat, einem kleinen Schneebesen, einem Nudelholz, einer Doughnut-Schachtel aus Porzellan. Vor dem Panoramafenster über der Spüle, in der Hollis das Geschirr abwäscht, sieht man die alten Eichen und Tannen im Garten. Der Ausblick ist wunderbar, ganz besonders heute Morgen, als Schneeflocken, so groß und fluffig wie Wattebäusche, langsam zu Boden sinken. Für Hollis gibt es nichts Schöneres als weiße Weihnachten.
Die Küchenuhr klingelt, und Hollis zieht ein Blech knusprigen Bacon aus dem Ofen. Wie magisch angezogen kommt ihre serbische Hirtenhündin Henrietta hereingeklingelt (Hollis hat ihr Glöckchen ans Halsband gebunden) und hebt die haarige Schnauze.
»Na gut.« Hollis gibt ihr ein Stück Bacon. Den Rest legt sie auf Küchenpapier neben die Quiche mit roter Paprika und geräuchertem Gouda, die sie am Morgen zubereitet hat. Sie schneidet ein Stück Quiche heraus und richtet es mit einigen Streifen Bacon an, kontrastiert durch das köstliche, überraschende Pink einer Cara-Cara-Orange.
Als sie Matthews Schritte auf der Treppe hört, schließt sie die Augen und atmet tief durch, um sich zu beruhigen.
Sag nichts, ermahnt sie sich. Lass ihn im Guten gehen.
Aber wenn sie ehrlich ist, ärgert Hollis diese Reise nach Leipzig. Die halbe Nacht lang hat sie sich darüber aufgeregt. Matthew hält seinen Vortrag morgen Vormittag, da könnte er problemlos rechtzeitig zu ihrer Weihnachtsparty am Samstag zurück sein. Seit sie nach Wellesley gezogen sind, richten Hollis und Matthew jedes Jahr so eine Vorweihnachtsfeier aus, und zwar immer am dritten Samstag im Dezember. Matthew behauptet, er habe gedacht, das wäre später, weshalb er bis zum Ende der Konferenz in Leipzig bleiben und anschließend seinen Mentor Dr. Emanuel Schrader in Berlin besuchen will, der nach einer Parkinson-Diagnose seit Kurzem nicht mehr als Chirurg praktizieren kann.
»Aber du darfst bei unserer Party nicht fehlen!«, hatte Hollis gesagt, als er ihr das mitteilte.
Matthew hatte geschmunzelt. »Wir sind uns wohl einig, dass das deine Party ist, Zuckerherz. Bei der ganzen vornehmen Wellesley-Prominenz wirst du kaum bemerken, dass ich nicht da bin.«
Er hatte das leichthin gesagt, aber Hollis war dennoch getroffen. Es stimmte, dass sie die Party jedes Jahr praktisch im Alleingang organisierte. Sie bereitete das Essen zu - die Cheddar-Tartlets, die Rinderfilet-Sandwiches, die Minikartoffeln mit Kaviar -, sie polierte die Champagnerflöten, hängte die Lichter in der Einfahrt auf, füllte Tütchen mit selbst gemachten Toffees, die die Gäste mit nach Hause nehmen konnten. Sie verschickte die Einladungen, und tatsächlich war ihre Gästeliste von Jahr zu Jahr länger geworden (bis auf das Jahr, in dem sie sich mit Electra Undergrove und deren Clique überworfen hatte).
Trotzdem kann sie sich nicht vorstellen, die Gäste an der Tür zu begrüßen, ohne Matthew an ihrer Seite zu haben. Es ist einfach undenkbar.
Aber offenbar nicht für ihn.
Jetzt kommt Matthew in die Küche. Er trägt einen Anzug, wie immer, wenn er fliegt, und dazu die rote Krawatte mit den schnellbootfahrenden Weihnachtsmännern drauf - die Hollis ihm für die Party gekauft hatte! Er summt das Weihnachtslied mit, das gerade läuft, Once in Royal David's City, und streckt Hollis das rechte Handgelenk entgegen, damit sie ihm mit dem Manschettenknopf, einem silbernen Rentier, hilft. Er ist unübersehbar in Weihnachtsstimmung.
Hollis atmet den Duft seines Rasiergels ein, den sie liebt, weil er sie an romantische gemeinsame Abende erinnert und die (immer selteneren) Morgen, an denen sie in seinen Armen aufwacht.
Sie kann nicht glauben, dass er das wirklich durchzieht.
Sie möchte sagen: Hier, dein Frühstück, oder Warte, ich bringe dir deinen Kaffee - Matthew trinkt seinen Kaffee schwarz und brühend heiß, sie gießt ihn erst in den Becher, wenn ihr Mann direkt vor ihr steht. Doch stattdessen hört sie sich sagen: »Es wäre mir wirklich lieber, du würdest es dir noch mal überlegen.«
Als Matthew weg ist - deutlich später als geplant -, rollt Hollis den Teig zu einer Kugel, wickelt ihn in Frischhaltefolie und legt ihn in den Kühlschrank. Die Lust aufs Backen ist ihr vergangen. Matthew hat sein Frühstück nicht angerührt, doch statt den Teller mit Folie abzudecken und für später aufzubewahren - sie hasst Verschwendung, in dieser Hinsicht ist sie ganz Tom Shaws Tochter - kratzt sie das Essen in Hennys Futternapf. Dann reißt sie ein Stück Küchenpapier von der Rolle und tupft sich die Augen. Unglaublich, wie schnell ihr Gespräch zu einem Streit eskaliert ist.
»In letzter Zeit ist dir alles andere wichtiger als ich«, hatte sie gesagt. »Arbeit, Reisen und jetzt Dr. Schrader.«
»Er war mein Mentor, Hollis. Berlin liegt zwei Autostunden von Leipzig entfernt. Es wäre ein Affront, ihn unter diesen Umständen nicht zu besuchen.«
Statt ihm in diesem Punkt recht zu geben, warf sie ihm vor, er würde sich von ihr entfernen, seit Caroline zum studieren ausgezogen war. Sie hatte immer von einer romantischen Ehe geträumt, wie Matthews Eltern sie führten - die beiden schienen bis zum Ende ineinander verliebt gewesen zu sein.
Aber wann hatte es in ihrer Ehe zuletzt Romantik gegeben?, überlegt Hollis. Wenn Matthew seine Reise absagen würde, das wäre eine romantische Geste, aber dazu würde es nicht kommen. Das sah sie an der Anspannung in seinen Schultern und seinem Kiefer. Er konnte es kaum erwarten, aus der Tür zu kommen.
»Manchmal habe ich das Gefühl, wir sind nur noch eine WG«, sagte Hollis. Fast hätte sie davon angefangen, wie lange sie schon nicht mehr miteinander geschlafen hatten, aber dafür war sie genauso verantwortlich wie er. Tagsüber war sie beschäftigt, und abends fiel sie völlig erschöpft ins Bett.
Matthew benutzte seinen Ärztetrick: Er sah aus, als würde er zuhören, wartete aber nur darauf, dass es vorbei war. Er räusperte sich und sah auf die Uhr. Während er seinen Trenchcoat und die ledernen Fahrhandschuhe anzog, tupfte sie sich die Tränen weg. Matthew ging in die Hocke, um Henny das Gesicht zu kraulen, dann nahm er Hollis fest in den Arm - immerhin etwas.
Kurz bevor er aus der Tür war, drehte er sich noch einmal um. »Du hast dich verändert«, sagte er seufzend. »Und unsere Beziehung hat sich verändert.« Dann trat er hinaus in den Schnee und schloss die Tür hinter sich.
Jetzt hallen die Worte in Hollis' Ohren nach. Du hast dich verändert. Und unsere Beziehung hat sich verändert. Zu gern würde sie behaupten, keine Ahnung zu haben, was er damit meint - aber sie weiß es genau. Seit ihre Website so angesagt ist und sie die Chancen nutzt, die sich aus ihrer neuen Berühmtheit ergeben, ist sie ein anderer Mensch geworden. Ein Mensch, der kaum noch einen Augenblick erleben kann, ohne ihn für seine Newsletter-Abonnentinnen dokumentieren zu wollen. Ständig hat sie jetzt das Handy oder den Laptop oder beides vor der Nase. Ja, sie hat sich verändert, und vermutlich hat sich dadurch auch ihre Beziehung verändert. Aber Matthew muss doch verstehen, wie großartig es für sie ist, sich etwas Eigenes aufzubauen, nachdem sie zwanzig Jahre lang Ehefrau und Mutter war.
Sie ruft ihn an und will sich dafür entschuldigen, sich wie eine Elefantin im Porzellanladen verhalten zu haben, landet jedoch direkt auf seiner Mailbox. Sie probiert es gleich noch einmal - wieder die Mailbox. Sie wartet auf den Piep und sagt: »An meiner Liebe zu dir hat sich nichts geändert.«
Für den Fall, dass Matthew seine Mailbox nicht abhört (hört heutzutage überhaupt noch jemand seine Mailbox ab?), schickt sie ihm eine Nachricht: Ich liebe dich, Dr. M. Du bist mir wichtig. Unsere Beziehung ist mir wichtig.
Sie wartet ein paar Augenblicke, bekommt jedoch keine Antwort. Plötzlich ist es ihr ungeheuer wichtig, dass er sie sagen hört: Ich liebe dich. Du bist mir wichtig. Wieder versucht sie ihn anzurufen, und wieder landet sie auf der Mailbox.
Also gut, denkt sie. Er braucht Zeit, um sich abzuregen. Sie wird es später noch einmal versuchen, wenn sie davon ausgehen kann, dass er in der Lufthansa-Lounge sitzt. Aber die Aussage Unsere Beziehung hat sich verändert bereitet ihr Sorgen. Was wollte er damit sagen?
So zittrig und unsicher zu sein, sieht ihr gar nicht ähnlich. Alles wird gut. Sicher, Matthew verpasst die Party, aber zum Weihnachtsfest mit der Familie wird er längst zurück sein....
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.