Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber
In Zeiten, in denen unsere Privatheit immer mehr verlorengeht und die Welt aus den Angeln gehoben ist, wächst das Bedürfnis, die Welt selbstbestimmt zu gestalten und zu handeln. Die moderne Sehnsucht nach Freiheit, die sich auch in der Liebe zum Fahrrad widerspiegelt, verdankt sich einer Komplexität, die den Einzelnen immer mehr vereinnahmt und dazu führt, dass er sich von sich selbst löst und fremdbestimmt ist: von den Medien, der Technik und der Welt des Konsums. Inmitten dieser Unüberschaubarkeit von Möglichkeiten suchen Menschen nach etwas, das sie im buchstäblichen Sinn »selbst« bewegt, das mit dem Spüren ihres Körpers verbunden ist, der Freude am Ursprünglichen und im wahrsten Sinne des Wortes mit Erdverbundenheit.
»Nichts ist vergleichbar mit der einfachen Freude, Rad zu fahren.« John F. Kennedy
Bis Ende März 2022 präsentierte das Stadtmuseum Berlin im Märkischen Museum gemeinsam mit mususku - Museum der Subkulturen eine Sonderausstellung unter dem Titel »Easy Rider Road Show«. Im Mittelpunkt stand dabei das Fahrrad als Phänomen der Subkultur, welches gleichzeitig Freiheitsversprechen, Glücksbringer und Utopie ist. Fotografien zeigten, wohin uns das Rad bringen kann, welche starke Verbindung es zwischen Menschen schafft, und wie es als Teil von Protesten gegen Umweltzerstörung und für eine lebenswerte Stadt eingesetzt wird. Das Fahrrad hat das Potenzial, das Leben in der Stadt und die Stadt selbst zu verändern. Radfahren, Radsport und Radreisen sind so beliebt wie nie - Corona hat den Trend noch beflügelt. Ursprünglich wollten wir nur einen nachhaltigen »Rad-Geber« herausgeben, doch erkannten wir bald, dass das Thema viel komplexer ist und in einen größeren Kontext eingebunden sein muss. Das Rad steht hier deshalb auch symbolisch als Teil fürs Ganze. Mit der Corona-Pandemie kamen auch viele neue Gründe für die Dringlichkeit und die Chancen einer Verkehrswende hinzu. Zum einen sorgen technologische Entwicklungen wie Elektrifizierung, Digitalisierung und automatisiertes Fahren für differenzierte Mobilitätsbedürfnisse, zum anderen muss der Verkehr seine Schadstoff- und Treibhausgasemissionen deutlich senken und so vor allem einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Gegenwärtig erlebt die Mobilitätsbranche ihre wohl radikalste Umstrukturierung seit Einführung des Automobils. Dabei ist die Bewältigung künftiger Mobilitätsströme eine der wichtigsten Herausforderungen. Das Umweltbundesamt ermittelte im Jahr 2020, dass ein Auto pro gefahrenen Personenkilometer durchschnittlich 152 Gramm CO2 ausstößt - im Gegensatz dazu erzeugen Schienennahverkehr 86 Gramm, Straßen-, Stadt-, U-Bahn 75 Gramm und Fernbus 27 Gramm pro Personenkilometer. Bei Radfahrenden betragen die Emissionen, die durch Infrastruktur und Produktion anfallen, weniger als 10 Gramm CO2 pro Kilometer. Um die aktuellen Herausforderungen zu meistern, ist eine grundlegende Transformation in Richtung nachhaltige Mobilität notwendig. Wie groß der Beitrag ist, den sie zur Reduktion von Treibhausgasen leisten kann, hat 2021 die Bitkom-Studie »Klimaeffekte der Digitalisierung« ermittelt: Demnach lassen sich durch den gezielten und beschleunigten Einsatz digitaler Lösungen bis zu 25 Megatonnen CO2-Äquivalent einsparen.
Die Vereinten Nationen formulieren in ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals - SDGs) detailliert, wie Mobilität bis 2030 aussehen soll (Zugang zu sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Verkehrssystemen für alle). Die Maßnahmenprogramme, die während der Pandemie auf den Weg gebracht wurden, bieten enorme Gestaltungschancen für eine faire und klimagerechte Verkehrswende, die sich allerdings schon vor der Krise andeutete: Die deutsche Automobilindustrie verlor ihren Ruf als unangefochtener Fortschrittsgarant durch den Dieselskandal, und auch der Klimawandel sowie neue soziale Bewegungen wie Fridays for Future forderten neue gesellschaftliche und politische Handlungsbereitschaft. Die aktuellen Herausforderungen lassen sich nur mit einer konsequenten Reduzierung des Autoverkehrs meistern. Dies steigert nicht nur die Lebensqualität, sondern eröffnet auch ein Mehr an Mobilitätsoptionen. Früher war das Auto als Status- und Erfolgssymbol ein konkurrenzloses Objekt der Begierde. Auch der Führerschein galt als Initiationsritus vieler Generationen. Das hat sich inzwischen geändert - vielen Menschen ist eine BahnCard 100 heute sogar wichtiger als ein Dienstwagen. Der mit dem PKW zurückgelegte Weg ist im Vergleich zu den meisten anderen Mobilitätsformen die CO2-intensivste und zudem teuerste. Wird statt des eigenen Autos der ÖPNV genutzt, wird nur noch ein Achtel der Waldfläche für den CO2-Ausgleich benötigt. Außerdem senkt die Fahrt mit Bahn oder Bus das Stresslevel. Stellt das E-Bike eine Alternative zum Auto dar, werden die Treibhausgase bereits nach 100 km Fahrt ausgeglichen (Vergleich mit den eingesparten PKW-Kilometern).
»Lieber ein Fahrrad als ein SUV und lieber ein Park als ein Parkplatz!« Dr. Eckart von Hirschhausen
Die bisherigen Aktionen und Projekte zur Verkehrswende ermutigen immer mehr Menschen zur Eigeninitiative. Auch aus der Klimabewegung entstehen derzeit viele neue Ideen, die vom Redaktionskollektiv »AUTOKORREKTUR« (Clara Thompson, Jörg Bergstedt, Jutta Sundermann und Tobi Rosswog) im »Aktionsbuch Verkehrswende« zusammengetragen und gebündelt wurden. Der Name wurde von Katja Diehl ausgeliehen, die das gleichnamige Buch »#Autokorrektur« schrieb. Die Mobilitätsexpertin, Podcasterin und Autorin hat über 40 Interviews mit Menschen über ihre individuelle Mobilität geführt und fragte: »Willst du oder musst du Auto fahren?« Befragt wurden aber auch Menschen, die nicht Auto fahren können oder wollen. Das Ergebnis: Viele würden sofort auf ein eigenes Auto verzichten, wenn sie ihre Mobilität frei gestalten könnten. Mehr als 50 Prozent der Befragten hätten sich für die BahnCard 100 entschieden. Der größte Hinderungsgrund am Kauf war allerdings der Preis. Die Gruppe derer, die nicht auf das Auto angewiesen sein wollen, ist nach Ansicht von Katja Diehl enorm, aber sehr heterogen, weshalb sie nicht als »großes Ganzes« wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass das Auto - vor allem im ländlichen Raum - häufig noch vorausgesetzt wird. Die Gründe sind historisch bedingt: In der Nachkriegszeit geriet Deutschland in einen Rausch des Umbruchs, des Wirtschaftserfolges und der gesteigerten Mobilität. Nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer wurden an den Rand gedrängt.
»Die automobile Prägung von Stadt und Land wurde zur neuen Normalität.« Katja Diehl
Die Vision ihrer #Autokorrektur beginnt auch beim Fußverkehr und orientiert sich nicht nur am Klimaschutz, sondern auch an der Stadtplanung, an den Kosten, an der Gesundheit, an der Lärmbelästigung, am Feinstaub, am Flächenverbrauch und an einer Vorstellung vom guten Leben, in der wieder der Mensch im Mittelpunkt steht. Erst dann ist es möglich, die Verkehrswende nachhaltig voranzubringen, »damit eine Mobilität entsteht, die wahlfrei, barrierefrei, inklusiv und klimaschonend ist.« Dabei sollten Fahrräder und Fußgänger die gleichen Rechte wie Autos erhalten. Hier setzt auch das »Aktionsbuch Verkehrswende« an, dessen vielfältige und debattenreiche Beiträge wichtige Impulse für diesen Herausgeberband gaben. Es bildet darüber hinaus eine wichtige Ergänzung zur aktuellen Mobilitätsdebatte, die Themen wie »Barrierefreiheit« oft ausblendet. Deutschland hat zwar 2010 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) unterzeichnet, doch mangelt es häufig noch an Umsetzungsmaßnahmen. Belegt wird, dass die USA im Bereich Barrierefreiheit und Behindertenrechte wegen der starken Behindertenrechtsbewegung der 1970er-Jahre und der Zusammenarbeit mit dem Civil Rights Movement und den Black Panthers weiter sind als viele europäische Länder. Auch das Thema Alter findet in aktuellen Publikationen zur Verkehrswende kaum Erwähnung. Dabei fühlen sich viele Menschen vom Radfahren ausgeschlossen, weil sie entweder Angst vor dem Verkehr haben oder es ihnen ihr Gesundheitszustand nicht (mehr) erlaubt, Fahrrad zu fahren. Einige haben es auch nicht gelernt. Zum Thema »Radeln im Alter« finden sich deshalb ebenfalls viele »bewegende« Beispiele: So hat sich in Wurzen, einer kleinen Stadt östlich von Leipzig, vor einigen Jahren eine Gruppe von Umweltaktivist:innen im sogenannten »Kanthaus« niedergelassen. Viele von ihnen engagieren sich für eine nachhaltige Verkehrswende; Lebensmittel und Baumaterialien werden mit Fahrradanhängern transportiert und vor der Haustür steht eine Fahrradreparaturstation für alle. Im Jahr 2021 gründete das Kanthaus hier einen Standort von »Radeln ohne Alter«. Fast ein Drittel der...
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