Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Jede Hypothese, die das Judentum als Erklärung in den Blick nimmt, verweist auf das Element der Provokation: Die Juden haben ihr Schicksal selbst heraufbeschworen; sie haben in gewissem Sinne ihre eigene Vernichtung herausgefordert.
Die Provokation liegt in der jüdischen Lebensweise in der Diaspora und in der immer gleichen Reaktion der Juden auf die andauernden Feindseligkeiten ihnen gegenüber. Die Juden Europas wurden fortwährend gejagt, ununterbrochen verfolgt und unaufhörlich umgebracht. Ob in Spanien, England, Frankreich oder Russland, überall waren sie ungeschützt, überall waren sie ihren Peinigern hilflos ausgeliefert. Für dieses Phänomen gibt es verschiedene Erklärungen.
In wissenschaftlichen Untersuchungen über das jüdische Verhalten hat man zwei Ansätze verfolgt: Der eine schreibt dem Judentum ein Übermaß an negativen Eigenschaften zu, der andere ein Übermaß an positiven.
Die negative Charakterisierung stützt sich im Wesentlichen auf drei Merkmale: die mangelnde Anpassungsfähigkeit der Juden, ihre Ambivalenz und ihre Marginalität. Diese drei Merkmale verdienen eine kurze Betrachtung.
Der Fortbestand des Judentums über Jahrtausende hinweg beruhte auf der Ablehnung von Regeln und Zielen, die das Leben der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft prägten. Der jüdische Historiker Jacob Katz stellte heraus, dass die Juden zwar für das Wohlergehen ihrer christlichen Herrscher beteten, aber gleichzeitig »große Vorbehalte gegen den säkularen Staat als höchste Instanz hegten, da dieser angesichts der Messiaserwartung nur eine vorübergehende Erscheinung war«.[15] Wenn man in der Geschichte weit zurückgeht, lassen sich solche Vorbehalte tatsächlich feststellen. Betrachtet man jedoch die Verhältnisse in Deutschland zu Anfang des 20. Jahrhunderts, kann von der berühmten jüdischen Abgrenzung schwerlich die Rede sein. Zu jener Zeit hatten sich die Juden in Deutschland in einem Maße assimiliert wie kaum in einem anderen Land. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges rief Walter Rathenau die Juden auf, ihre verbliebenen »korrigiblen Seltsamkeiten«[16] zu beseitigen. Im Krieg, der dann folgte, opferten zahllose Juden für Deutschland ihr Leben.
Ambivalenz ist das zweite Merkmal, das man dem Judentum zuschrieb. Die Juden waren begierig darauf, sich zu assimilieren, ohne sich wirklich zu integrieren. Der deutsche Philosoph von Hartmann schrieb, die Juden seien am Ende des 19. Jahrhunderts sowohl »in ihrer Anpassung eklektisch« als auch in »ihrer Ablehnung skeptisch« gewesen.[17] Während seiner gesamten Geschichte sah sich das Judentum vor unannehmbare Entscheidungen gestellt. Es entzog sich Gesetzen und Bräuchen, mit denen es nicht leben konnte, und berief sich auf Regeln und Prinzipien, ohne die es nicht überleben konnte. Im Mittelalter bauten die Juden angesichts der Bedrohung ihrer Gemeinschaft durch lokale Machthaber auf den Schutz des Herrschers, wohingegen sie sich während der Verfolgungen im 20. Jahrhundert an ausländische Mächte oder internationale Organisationen um Hilfe wandten. Allerdings war nirgendwo die Angst geringer und das Vertrauen größer als im modernen Deutschland. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Juden aus kleinen Anfängen zu erfolgreichen Wettbewerbern geworden und hatten wichtige Positionen in Wirtschaft und Kultur erobert. Oft wird die Frage gestellt, wie viel Macht denn tatsächlich in jüdische Hände übergegangen war. Ein nationalsozialistischer Wissenschaftler, der sich mit dieser Frage ausgiebig beschäftigte, fasste 1944 seine Ergebnisse in einer Studie zusammen, die allerdings nicht im Buchhandel erhältlich war. Seine Erkenntnisse sind für unser Thema äußerst aufschlussreich:[18]
Die jüdische Wirtschaftsmacht hatte 1913 ihren Höhepunkt erreicht.
Die Juden waren von den wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkriegs mit am stärksten betroffen. 1931 war der auf Finanzkapital beruhende wirtschaftliche Einfluss der Juden in Berlin und Wien praktisch nicht mehr vorhanden.
In der Vorkriegszeit nahm die »Judaisierung« der Wirtschaft von Westen nach Osten hin zu, das heißt, in Schlesien, Ungarn usw. war sie am stärksten ausgeprägt. Gleichzeitig nahm die Größe jüdischer Industriebetriebe von Westen nach Osten hin ab.
Diese Ergebnisse lassen interessante Schlussfolgerungen zu. Offensichtlich stimmt es also nicht, dass das jüdische Kapital Deutschland kontrollierte. Genauso wenig beruhte der sozioökonomische Aufstieg der Juden ausschließlich auf ihrem Judentum. Ihr wirtschaftlicher Erfolg verdankte sich letztlich ihrer Jahrhunderte währenden Marginalisierung. Im Grunde taten sie nur das, wozu die nichtjüdische Gesellschaft sie gezwungen hatte.[19] Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit die »Provokation« nicht eher von jenen ausging, die angeblich vom Judentum provoziert worden waren.
Nicht alle Historiker, die den Grund für den Holocaust im Verhalten der Opfer suchen, weisen den Juden abstoßende Merkmale zu. Manche sehen in einer Kombination aus jüdischen Leistungen und Vorzügen die Ursache für ihre Ausgrenzung und Verfolgung.
Tugenden können aus zweierlei Gründen provozierend wirken. Der erste ist Neid. Die Mehrheit eifert dem Vorbild der Minderheit nach, bleibt jedoch hinter ihrem Erfolg zurück. In ihrem Scheitern reagiert sie mit Ablehnung und Feindseligkeit. »Für den Antisemiten ist der Verstand eine typisch jüdische Angelegenheit«, schreibt Sartre.[20]
Ein zweiter, weniger offensichtlicher Grund ist die Abtrennung. Über Jahrhunderte hinweg haben die beiden Gemeinschaften Seite an Seite gelebt - zwei Weltbilder, zwei Denkweisen, zwei Lebensstile, manchmal täuschend ähnlich, gelegentlich eng miteinander verflochten, dann wieder heillos ineinander verstrickt, aber niemals vollkommen zusammengewachsen. Die jüdische Kultur ist die ältere, ihr Alter übt auf jüngere Nationen eine starke Anziehungskraft aus und spornt sie an, sich kulturell weiterzuentwickeln. Dies erklärt auch Oswald Spenglers Beobachtung: »Der innerlich zugehörige Mensch bejaht im letzten Grunde doch selbst dort, wo er zerstört; der innerlich fremde verneint, selbst wo er aufbauen möchte.«[21] Die Europäer haben also stets versucht, ihre Identität zu bewahren, und da ihnen dies nicht gelang, attackierten sie die Störer.[22]
Worin bestehen nun eigentlich die Tugenden des Judentums? Über dieses Thema ist viel geforscht und veröffentlicht worden, aber im Wesentlichen sind es drei herausragende Eigenschaften, die man den europäischen Juden zuschreibt.
Zuerst einmal hat man die Juden mit der Freiheit des Individuums und der Bewahrung kritischen Denkens gleichgesetzt. Die Juden lehnten diktatorische Herrschaft und Zensur ab. Max Lerner zufolge lebt der jüdische Geist »von Individualität und Skeptizismus. Er lebt von dem Recht, Jeremia zu sein, von dem Recht, ein Prophet zu sein, der die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft beklagt. Er lebt von dem Recht, niemandes Erfüllungsgehilfe zu sein .«[23] Juden sind Bilderstürmer. Sie beten keine Götzen an. Im 19. Jahrhundert brachten die großen jüdischen Freidenker Marx, Freud und Einstein das geistige Fundament der westlichen Welt ins Wanken. »Plötzlich fanden sich die Europäer auf Treibsand wieder. Einige, oder besser gesagt, die meisten von ihnen, widerstanden jedoch dem Ansturm neuer Ideen und versuchten, den festen Boden früherer Überzeugungen zurückzuerobern; unterdessen litt das jüdische Volk unter den schrecklichsten Verfolgungen in seiner langen, leidvollen Geschichte.«[24]
Doch nicht nur kritisches Denken und die Ablehnung jeder Form von Tyrannei wird als Charakteristikum des Judentums angesehen, sondern auch die klare Absage an Unmoral, Ungerechtigkeit und Ungesetzlichkeit. Die Juden sind das Volk des Gesetzes. Sie haben dem Christentum seinen Sittenkodex gegeben. Sie werden immer an das göttliche Recht gemahnen und Zeugnis von ihm ablegen. »Wissen Sie, wozu wir Juden in die Welt gekommen sind?«, schrieb Walter Rathenau. «Um jedes Menschenantlitz vor den Sinai zu rufen. Sie wollen nicht hin? Wenn ich Sie nicht rufe, wird Marx Sie rufen! Wenn Marx Sie nicht ruft, wird Spinoza Sie rufen. Wenn Spinoza Sie nicht ruft, wird Christus Sie rufen!«[25] In diesem Sinne kann man die Juden als das Gewissen der Welt bezeichnen, als Verkörperung der archetypischen Vaterfigur, streng, kritisch und furchteinflößend. So erklären sich auch die zahllosen Pogrome gegen die Juden. Der dem höchsten Gesetz verpflichtete jüdische Ordnungshüter war das Hauptangriffsziel niedrigsten christlichen Aufruhrs.[26]
Und schließlich sind die Juden auch der Mörtel, der die Gesellschaft zusammenhält. Zu gewissen Zeiten haben sie dies tatsächlich geleistet. Im Laufe ihrer langen Geschichte haben die Juden sich immer wieder gegen Ausschweifung, Sittenlosigkeit und tödliche Gewalt gewandt. Selbst heute gehören sie zu jenen, die Leben bewahren, Wohlstand erhalten, Schönes erschaffen. Sie sind Ärzte, Kaufleute und Künstler. Sie erfüllen zentrale gesellschaftliche Aufgaben. Die Juden sind Katalysatoren, die die Reaktionen eines Volkes auf bestimmte Entwicklungen beschleunigen. »Sie dienen anderen Völkern als Treibmittel - wie Hefe in einem Teig.« Aber genau diese Rolle hat auch zu ihrem Unglück beigetragen, denn »der Teig darf nur einen kleinen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.