Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es war Heiligabend in New York City. Das Taxi schob sich langsam die Fifth Avenue hinunter. Es war beinahe fünf Uhr. Der Verkehr war dicht, und die Bürgersteige waren überlaufen von Menschen auf der späten Jagd nach Weihnachtsgeschenken, von Büroangestellten auf dem Heimweg und von Touristen, die unbedingt einen Blick auf die kunstvoll geschmückten Schaufenster und den legendären Christbaum am Rockefeller Center erhaschen wollten.
Es war bereits dunkel, und der Himmel überzog sich immer schwerer mit Wolken, eine offensichtliche Bestätigung der Wettervorhersage für ein weißes Weihnachtsfest. Die blinkenden Lichter jedoch, die Klänge von Weihnachtsliedern, die klingelnden Glöckchen von Weihnachtsmännern auf den Bürgersteigen und die allgemein fröhliche Stimmung der Menschenmenge verliehen der berühmten Hauptverkehrsstraße eine für den 24. Dezember angemessen festliche Atmosphäre.
Catherine Dornan saß kerzengerade auf der Rückbank des Taxis und hatte die Arme um ihre beiden kleinen Söhne gelegt. An der Steifheit ihrer Körper erkannte sie, daß ihre Mutter recht gehabt hatte. Die schroffe Haltung des zehnjährigen Michael und das Schweigen des siebenjährigen Brian waren ein sicheres Zeichen dafür, daß sich beide Jungen große Sorgen um ihren Dad machten.
Als sie früher am Nachmittag vom Krankenhaus aus ihre Mutter angerufen hatte, noch immer schluchzend, obwohl ihr Spence Crowley, der alte Freund und Arzt ihres Mannes, versichert hatte, Tom habe die Operation besser als erwartet überstanden, und sogar vorgeschlagen hatte, die Jungen könnten ihn noch am Abend desselben Tages um sieben Uhr besuchen, da hatte ihre Mutter sie energisch ins Gebet genommen: »Catherine, du mußt dich zusammenreißen«, hatte sie gesagt. »Die Jungs sind so verstört, und du bist keine Hilfe. Ich glaube, es wäre eine gute Idee, wenn du versuchst, sie ein bißchen abzulenken. Geh doch mit ihnen zum Rockefeller Center, schaut euch den Baum an, und danach geht ihr irgendwo essen. Daß du dir solche Sorgen machst, hat sie praktisch davon überzeugt, daß Tom sterben muß.«
Was da passiert, darf doch einfach nicht wahr sein, dachte Catherine. Mit jeder Faser ihres Wesens wünschte sie, sie könnte die vergangenen zehn Tage ungeschehen machen, und zwar von dem schrecklichen Augenblick an, als das Telefon läutete und der Anruf aus dem St. Mary's Hospital kam. »Catherine, kannst du sofort rüberkommen? Tom ist zusammengebrochen, während er seinen Rundgang gemacht hat.«
Ihr unmittelbarer Eindruck zu jenem Zeitpunkt war, daß es sich um einen Irrtum handeln mußte. Schlanke, athletische, achtunddreißigjährige Männer brechen nicht einfach zusammen. Und Tom scherzte doch immer darüber, daß Kinderärzte von Haus aus gegen all die von ihren Patienten angeschleppten Viren und Bakterien resistent seien.
Aber Tom war nicht gegen die Leukämie resistent, welche die sofortige Entfernung seiner enorm vergrößerten Milz erforderlich machte. Im Krankenhaus berichteten sie ihr, er müsse schon seit Monaten Warnzeichen ignoriert haben. Und ich war zu dumm, es zu bemerken, dachte Catherine, während sie das Zittern ihrer Lippen zu unterdrücken versuchte.
Sie blickte aus dem Fenster und sah, daß sie gerade am Plaza Hotel vorbeifuhren. Elf Jahre zuvor, an ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag, hatten sie im Plaza ihren Hochzeitsempfang abgehalten. Bräute sollten eigentlich nervös sein, dachte sie. War ich aber nicht. Ich bin damals praktisch auf ihn zugerannt.
Zehn Tage später hatten sie dann ein bescheidenes Weihnachten in Omaha gefeiert, wo Tom in der angesehenen Kinderstation des Krankenhauses eine Stellung angenommen hatte. Wir haben uns diesen verrückten künstlichen Baum im Ausverkauf besorgt, dachte sie bei der Erinnerung daran, wie Tom ihn hochgehalten und verkündet hatte: »Alle mal herhören, K-mart-Kunden ...«
Dieses Jahr aber stand der Baum, den sie so sorgfältig ausgewählt hatten, noch mit zusammengebundenen Ästen in der Garage. Sie hatten beschlossen, für die Operation nach New York zu gehen. Toms bester Freund, Spence Crowley, war mittlerweile ein prominenter Chirurg in der Klinik Sloan-Kettering.
Catherine zuckte bei dem Gedanken daran zusammen, wie verstört sie gewesen war, als sie endlich die Erlaubnis erhielt, Tom zu sehen.
Das Taxi hielt am Bordstein. »Hier okay, Lady?«
»Ja, ist gut so«, sagte Catherine in erzwungen heiterem Tonfall, während sie ihr Portemonnaie hervorholte. »Dad und ich haben euch beide vor fünf Jahren am Weihnachtsabend hierher mitgenommen. Brian, ich weiß, du warst noch zu klein, aber Michael, kannst du dich noch erinnern?«
»Ja«, erwiderte Michael knapp und machte sich am Türgriff zu schaffen. Er beobachtete, wie Catherine einen Fünf-Dollar-Schein von dem Notenbündel in ihrem Portemonnaie abschälte. »Wieso hast du eigentlich so viel Geld dabei, Mom?«
»Als Dad gestern im Krankenhaus aufgenommen wurde, haben sie verlangt, daß ich bis auf ein paar Dollar alles, was er in seiner Brieftasche hatte, mitnehme. Ich hätte es aussortieren sollen, als ich wieder bei Gran zu Hause war.«
Sie folgte Michael auf das Trottoir hinaus und hielt Brian die Wagentür auf. Sie waren vor dem Kaufhaus Sak's, unweit der Ecke Neunundvierzigste Straße und Fifth Avenue. Ordentlich aufgereihte Zuschauer warteten geduldig darauf, die Weihnachtsdekoration der Schaufenster aus der Nähe bewundern zu können. Catherine steuerte ihre Söhne auf das Ende der Schlange zu. »Schaun wir uns erst mal die Schaufenster an, dann gehen wir über die Straße und verschaffen uns einen besseren Blick auf den Baum.«
Brian seufzte tief. Das war vielleicht ein Weihnachten! Er haßte es, anzustehen - egal wofür. Er beschloß, das Spiel zu spielen, auf das er sich immer einließ, wenn er wollte, daß die Zeit rasch vorüberging. Er tat dann nämlich einfach so, als wäre er bereits dort, wo er sein wollte, und heute abend hieß das dort im Zimmer, wo sein Dad im Krankenhaus war. Er konnte es kaum erwarten, seinen Dad zu besuchen, ihm das Geschenk zu überreichen, von dem seine Großmutter behauptet hatte, es werde ihn wieder gesund machen.
Brian war so darauf versessen, den Abend voranzutreiben, daß er, als sie endlich an die Reihe kamen, die Schaufenster von nahem zu begutachten, schnell nach vorne trat und die Szenerien mit den wirbelnden Schneeflocken und den tanzenden und singenden Puppen und Elfen und Tieren kaum wahrnahm. Er war froh, als sie endlich die Menschenschlange hinter sich ließen.
Als sie dann jedoch auf die Straßenecke zugingen, um die Avenue zu überqueren, sah er, daß gerade ein Mann mit einer Geige Anstalten machte, zu spielen, und sich immer mehr Leute in seinem Umkreis ansammelten. Mit einemmal war die Luft von den Klängen des Lieds »Stille Nacht« erfüllt, und die Menschen fingen an zu singen.
Catherine machte am Bordstein kehrt. »Wartet mal, laßt uns ein paar Minuten zuhören«, sagte sie zu den Jungen.
Brian bekam das Stocken in ihrer Kehle mit und wußte, daß sie versuchte, nicht zu weinen. Er hatte Mom noch kaum je weinen sehen, bis zu dem Morgen letzte Woche, als jemand aus dem Krankenhaus anrief und sagte, daß Dad ganz schlimm krank sei.
Cally ging langsam die Fifth Avenue hinunter. Es war kurz nach fünf, und sie war umgeben von einem Strom mit Päckchen beladener Weihnachtskunden, die auf den letzten Drücker einkauften. Es hatte eine Zeit gegeben, da sie sich von der allgemeinen Stimmung hätte anstecken lassen, aber das einzige, was sie heute empfand, war eine bleierne Müdigkeit. Der Tag war so anstrengend gewesen. Während der Weihnachtsfeiertage wollten die Leute zu Hause sein, und so waren die meisten Patienten im Krankenhaus entweder deprimiert oder schwierig. Ihre trübsinnigen Mienen erinnerten sie lebhaft an ihre eigene Depression während der letzten zwei Weihnachtsfeste, die sie beide in der Frauenstrafanstalt Bedford verbracht hatte.
Sie kam an der St. Patrick's Cathedral vorbei, und nur für einen Augenblick zögerte sie, als ihr wieder einfiel, wie ihre Großmutter sie und ihren Bruder Jimmy einmal mitgenommen hatte, um die Krippe dort anzuschauen. Doch das war nun schon zwanzig Jahre her; sie war damals zehn gewesen, und er sechs. Sie verspürte flüchtig den Wunsch, sie könnte wieder in die Zeit von damals zurückkehren, die Dinge ändern, die schlimmen Ereignisse rechtzeitig verhindern, sie könnte Jimmy davor bewahren, zu dem zu werden, was er jetzt war.
Seinen Namen auch nur zu denken reichte schon aus, Wellen der Furcht durch ihren Körper zu jagen. Lieber Gott, mach, daß er mich in Ruhe läßt, betete sie. Heute morgen war schon früh stürmisch gegen ihre Wohnungstür geklopft worden. Als Cally sie aufmachte, während Gigi sich an sie klammerte, standen Detective Shore und ein weiterer Polizeibeamter, der sich als Detective Levy vorstellte, in dem schäbigen Korridor ihres Apartmenthauses an der Zehnten Straße Ost vor ihr.
»Cally, haben Sie mal wieder Ihrem Bruder Unterschlupf gewährt?« Shores Augen hatten den Raum hinter ihr nach Zeichen für seine Anwesenheit abgesucht.
Die Frage war der erste Hinweis für Cally, daß es Jimmy offenbar gelungen war, aus dem Gefängnis auf Riker's Island zu entkommen.
»Die Beschuldigung lautet auf Mordversuch an einem Gefängniswärter«, sagte der Kriminalbeamte mit von Bitterkeit erfüllter Stimme. »Der Wachmann ist schwer verletzt, und es ist fraglich, ob er durchkommt. Ihr Bruder hat ihn angeschossen und ihm seine Uniform weggenommen. Diesmal werden Sie erheblich länger als fünfzehn Monate im Gefängnis verbringen, wenn Sie Jimmy bei der Flucht helfen. Beihilfe nach der Tat im Wiederholungsfall, wobei wir...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.