CAPUT IV
Die Grunderfahrung meines Lebens: Es gibt nichts, was man für Geld nicht kaufen kann.
Die Erkenntnis ist bedrückend. Was ist von den großen Ideen geblieben, mit denen dieses Jahrhundert antrat, was aus dem Menschheitswohl, das es zu bringen versprach? Meine Geldtruhe samt Inhalt, die Möbel im Stil jener Zeit, mit denen ich Schloß Wetzdorf ausgestattet, ein paar Schlachtengemälde in meinem Napoleonzimmer, eine Sammlung von Stichen, 163 Stück, verfertigt von einem gewissen Charles Motte über das Leben und die heroischen Taten des Revolutionsgenerals und späteren Kaisers der Franzosen, welche ich hab rahmen und hängen lassen im Korridor des Obergeschosses zu meiner Erbauung und zur Ermahnung, daß, wenn einer schon mit dem Strom zu schwimmen gezwungen ist nach dem Ende der großen Hoffnungen, er wenigstens danach strebe, vornweg zu schwimmen?
Und was wird bleiben von mir, der ich mich nur in den niederen Ebenen des Jahrhunderts getummelt, wenn ich mir nicht selber ein Denkmal setz in einem würdigen Rahmen? Bin ich denn nicht auch Teil der Geschichte, so hab ich mir überlegt, und Geschichte besteht aus den Taten von Menschen, und Menschen lassen sich darstellen, in Stein, wie die alten Griechen und Römer sie abbildeten, oder in Zink, Eisen und Bronze, wie wir es heut können, und so will ich ein bleibendes Monument errichten denen, die wahrhaft Geschichte gemacht, den Helden des Geistes, und zugleich mir selber, der solch ein Monument ersann und erbaute, und es finanziert haben wird aus eigener Tasche: einen Künstlerhain, unter schattigem Grün die Büsten von Shakespeare etwa, von Galilei, Copernikus, Newton, von Mozart und Haydn, und Goethe, Schiller, Leibniz, von Raphael und Rubens, Cicero und Lykurgus und mehreren noch, je nach den Ausmaßen, die ich dem Hain geben werde, und inmitten des Ganzen meine persönliche Gruft, vielleicht mit einer hohen Säule darauf oder einem Obelisken, unter welchem ich dann mich selber werd einsargen lassen.
Welch besseren Nutzen könnt ich auch haben von dem Land, das zu Schloß und Herrschaft Wetzdorf gehörig, welche ich mir gekauft hab ohne groß zu handeln von dem Amtmann von Znajm, dem Herrn Csikann für 90 000 Gulden Münze? Ich hab angeordnet, Obstbäume darauf zu pflanzen und Wein, und anderes noch, und den Park anzulegen ums Schloß, und hab das Schloß restaurieren lassen von innen und von außen für noch einmal 40 000, alles gut und schön; aber auf der Anhöhe hinter dem Schloß, so hab ich mir überlegt, wo nichts ist als steinige Krume und Krüppelholz, aber eine herzerfreuende Aussicht über Täler und Wälder und Äcker, werd ich ein Plateau aufschütten lassen von den Anwohnern der Dörfer ringsum - ein wahrhaft faustisches Gewimmel, wobei die Leut sich einen begrenzten Wohlstand schaffen können auf meine Kosten -, und werd dann mein Denkmal darauf errichten, als ein großes Ensemble, wie's die Franzosen nennen würden.
Die eigne Gruft, wenn ich's recht bedenk, war der Keim der Idee. Wer spricht da von Totenkult! Ich kann nichts Widernatürliches finden an dem Projekt; ich hab mit dem Tod gelebt seit frühester Jugend, dem Tod meiner Mutter zuerst und dann meinem eignen, ich war ein kränkliches Kind und hab jahrelang Blut gespuckt, auch später noch, und bin mehrmals geplagt gewesen von der Cholera und weiteren schweren Erkrankungen, und es ist ein Wunder, das Gott an mir getan und die Pflege, welche die mehreren Frauen, die ich gehabt hab in meinem Leben, mir angedeihen ließen, wenn ich trotz meiner Schwächen und Gebresten imstand war, ein so anstrengendes Geschäft zu betreiben wie meines und halb Europa zu bereisen von Petersburg bis London und Paris - mit der Eisenbahn ist's dann leichter geworden, ich fahre gern mit der Eisenbahn, sie ist, wie auch die zahlreichen andern neuen Erfindungen, ein Segen, besonders für Menschen meiner Sorte, die modern und fortschrittlich denken.
Also hab ich bei der Bezirksbehörde in Stockerau den Bau eines Grabgewölbes beantragt auf meinem eignen Land, und man hat mich blöd angeschaut und gesagt, ob's denn nicht genug schöne Friedhöfe gäb im Bezirk, wo ich mich heimisch fühlen könnt, und wie ich gesagt hab, ich wollt aber auf meinem eigenen Grund und Boden verscharrt werden und nicht dem der Kirche, und mit einer Spende gewinkt hab für das Bezirksarmenheim, hat man gesagt, ja, bittschön, doch müßt die Gruft, auch wenn's meine persönliche wär, trotzdem eingesegnet werden von der Kirche und im übrigen, nach Vorschrift und Gesetz, als Minimum 6000 Klafter entfernt sein von der nächsten menschlichen Behausung - das ist sie ja nun auch -, ich hab aber trotzdem die 6000 Klafter Distanz, welche die k. k. Federfuchser verlangten, und die kirchliche Einsegnung als reine Schikane empfunden, denn immer hat man mich schikaniert behördlicherseits, trotz meiner Freundschaft zu mehreren Erzherzögen und zu den Feldmarschällen Wimpffen und Radetzky und meiner anerkannten Leistungen für den Ärar und meiner reichlichen Wohltaten für die Bevölkerung - welch Grundherr in dieser Gegend außer mir hat je seinen Bauern die Pachtzahlungen erlassen, die sie drückten! - und ich vermute, die Herren Federfuchser tun mir, wo sie nur können, ihren Tort an, weil sie spüren, daß ich ein Jud bin, und daß ich gescheiter bin als sie und ihre ganze Truppe.
Und jetzt, zwölf Jahre und ein paar Kriege später, ist diese meine Gruft, mit dem Obelisken darüber, auf dessen Spitze der beschwingte Todesengel schwebt von dem Bildhauer Adam Rammelmayer, der Mittel- und Sicht- und Herzpunkt der ganzen Anlage, die ich Heldenberg genannt und die aus dem Künstlerhain gewachsen ist durch Hinzufügung der aufgereihten Büsten der Kriegshelden und großen Heerführer Österreichs, und ditto seiner Herrscher, und glatt asphaltierte Alleen führen hindurch in mehreren Richtungen - der Asphalt ist gleichfalls eine der neuen Erfindungen, für die ich mich interessiert hab, und ich hab ihn eingeführt hierzulande -, und die Gruft ist auch nicht länger nur exklusiv für meine Person; mein Mitbruder Wimpffen liegt schon darin, aufgebahrt in seinem Feldmarschallsrock und bereit zur Begrüßung unsres Bruders Radetzky, und zusammen werden die zwei Feldmarschälle dann mich erwarten in näherer oder fernerer Zukunft; unklar ist nur, wer dann wessen Schlaf bewachen wird, ich ihren, oder sie den meinen; zum Tarock jedenfalls genügen drei gute Männer.
Wir haben häufig Tarock zusammen gespielt, der Wimpffen, der Radetzky, und ich, und uns danach unterhalten mit den Damen aus Wien, die in den drei Jungfernzimmern genächtigt haben im rückwärtigen Teil des Schlosses. Ich erinner mich deutlich an eine Partie in meinem Salon; da war noch Frieden in Österreich, und keiner hat gedacht an Verwicklungen in den italienischen Provinzen; nur Radetzky, der eine politische Nase gehabt und gesehen hat, daß immer weniger Damen der italienischen Gesellschaft sich haben blicken lassen wollen neben den österreichischen Offizieren in der Mailänder Oper, Radetzky hat uns erzählt, wie er versucht, seine Pioniere aufs modernste auszubilden und seine Artillerie zu rüsten für die Verteidigung einer möglichen Retraite am Hang der Alpen. Dem Wimpffen ist das Tarockspielen schwergefallen, eine Kugel hat ihm das rechte Schultergelenk zerschmettert in einem Gefecht in den Franzosenkriegen seinerzeit, der Arm ist ihm gelähmt geblieben, und auch die Hand war verletzt, und er hat nur die Linke gehabt zum Halten der Karten und zum Ausspielen und Stechen, aber er hat's trotzdem geliebt, das Tarock, und an dem Abend hat das Glück ihm zweimal die Trull beschert, mit Sküs und Mond und Pagat, und einmal hatte Radetzky die Trull, und ich hab verloren alle drei Male und hab zahlen müssen, aber ich hab immer gezahlt für die beiden, und mit freundlicher Hand, und ihnen seit Jahren schon Geld geliehen ohne zu geizen; sie waren arme Kerle, zu großzügig für ihre Generalsgage; und der Radetzky hatte zwölf Kinder, acht von seiner Franziska, geborene Gräfin Strassoldo, welche ihn als siebzehnjährige geheiratet, und vier von einer italienischen Wäscherin, und sowieso hat die junge Gräfin nicht gewußt, wie man mit Geld umgeht und hat zu den Schulden ihres Mannes noch die eignen hinzugefügt.
Also haben wir da gesessen und gespielt, und mein Diener, der Prokosch, hat uns von dem Wein gebracht, dem guten alten ungarischen, den Radetzky so sehr gemocht hat, und haben geredet von meiner Gruft, und von dem Zimmermeister Hauzwickl und den Maurern, welche daran gearbeitet haben, als wir am Nachmittag zu dritt hinaufspazierten auf die Anhöhe, und Wimpffen hat gesagt, wie er seinen Pagat ausgespielt hat zum Schluß und dadurch die Punkte verdoppelt, die Aussicht von da oben tät ihm schon gefallen, aber die Toten hätten ja leider eine andre Perspektive, nämlich von unten, und Radetzky hat gesagt, am liebsten würd er begraben werden unter seinen Soldaten.
Große Entschlüsse, wie der zum Bau meines Heldenbergs, müssen reifen, und die Umstände müssen sie bedingen. Die Umstände, im Achtundvierziger Jahr: die Aufständischen haben Radetzky herausgedrängt aus Mailand nach fünf Tagen erbitterten Straßenkampfs und er hat sich zurückziehen müssen in seine Retraite und hat sich in die oberitalienischen Festungen geworfen mit den Resten seiner Armee - den Resten, denn was er an Italienern hatte unter seinen Fahnen, war längst desertiert, und die Herren vom Hofkriegsrat hatten es, trotz seiner Warnungen, wieder einmal versäumt, dem alten Trottel, wie sie ihn damals schon nannten, Verstärkungen und alles sonst zu einem Verteidigungskrieg Nötige zukommen zu lassen.
»Pargfrider!« hör ich noch seine freudige Überraschung, wie...