Kapitel 1
Ein amüsiertes Lächeln funkelte im Auge des Unvergleichlichen, als er die Mienen seiner versammelten Verwandten musterte; aber seine Stimme war ganz ernst, ein wenig entschuldigend. »Leider ist es wahr, Ma'am«, wandte er sich an seine Tante Sophia, »ich bin der Erbe.«
Da Lady Lindeth' entrüstete Frage rein rhetorisch war, überraschte die männlich-offene Antwort niemanden. Sie alle wussten, dass Cousin Joseph Calver sein Vermögen Waldo hinterlassen hatte; wenn Lady Lindeth ihn zu einer Erklärung zwang, handelte sie aufgrund einer plötzlichen Eingebung und erwartete nicht, dass er leugnen würde. Sie erwartete auch nicht wirklich, dass Waldo auf sein Erbe zugunsten ihres eigenen Kindes verzichten werde.
Natürlich meinte sie, dass es keinen würdigeren Erben für Cousin Josephs Vermögen gäbe als Julian, und sie hatte alles versucht, ihm die adelige Halbwaise nahezubringen. Als Julian noch ein anmutiges Kind in Nankinghose und gekräuseltem Spitzenhemd war, nahm sie die Strapazen einer schrecklichen Woche in Harrogate auf sich und versuchte dreimal erfolglos, in Broom Hall vorgelassen zu werden. Dreimal unternahm sie die Reise von Harrogate, den kleinen, gefügigen, aber gelangweilten Knaben an ihrer Seite. Zweimal musste sie sich vom Butler ihres Cousins sagen lassen, dass der gnädige Herr sich nicht in der Gemütsverfassung befinde, Besuche zu empfangen, und einmal gar, dass der gnädige Herr dankbar wäre, wenn sie ihn nicht belästigte. Er wolle weder sie noch ihren Sohn, noch irgendjemand anders sehen. Erkundigungen ergaben nur, dass der einzige Besucher, der vorgelassen wurde, der Arzt war.
Die Meinung der Nachbarn war geteilt. Während die Wohlgesinnten meinten, eine in der Jugend erlittene Enttäuschung wäre die Ursache seiner Härte, meinten die anderen, er sei bloß ein Geizhals, den es um jeden Heller leidtue, den er ausgeben müsse. Lady Lindeth teilte die Meinung der Letzteren, als sie das verwahrloste Gebäude von Broom Hall sah. Doch musste die Abgewiesene den Eindruck gewinnen, dass Cousin Joseph kein armer Mann war. Broom Hall war, wenngleich es in Stil und Größe nicht an den Besitz des jungen Lord Lindeth in den Midlands heranreichte, ein respektabler Wohnsitz mit ungefähr dreißig Schlafzimmern. Er stand zwar nicht in einem Park, aber die ihn umgebenden Grundstücke schienen sehr ausgedehnt zu sein. Nach Lady Lindeth' glaubwürdigen Informationen gehörte der größte Teil der Umgebung zu dem Landsitz. Als sie Harrogate verließ, war sie sehr geneigt zu glauben, dass Cousin Josephs Vermögen größer war, als sie ursprünglich vermutet hatte. Sie neidete es ihm nicht. Aber sie würde sich für eine unnatürliche Mutter gehalten haben, hätte sie nicht den Versuch gemacht, es ihrem Sohn zu sichern. Deshalb schluckte sie ihren Unmut über die erlittene Behandlung hinunter und unterließ es in den folgenden Jahren nie, Joseph kleine Weihnachtsgeschenke und regelmäßige Briefe zu senden. Sie erkundigte sich nach seiner Gesundheit und vergaß nie, ihm von Julians Tugenden, seiner Schönheit und seinen Schulerfolgen zu berichten.
Und nach alldem hinterließ er Waldo sein ganzes Vermögen! Waldo, der weder der älteste seiner Verwandten war, noch seinen Namen trug!
Der älteste der drei Cousins, die sich in Myladys Salon versammelt hatten, war George Wingham, der Sohn ihrer ältesten Schwester. Er war ein würdiger, wenn auch nüchterner Herr, der ihrem Herzen nicht besonders nahestand. Aber sie dachte, sie könnte die Sache leichter ertragen, wenn Cousin Joseph ihn zu seinem Erben gemacht hätte. Gab ihm der Vorrang seines Alters nicht ein Anrecht auf das Erbe?
Natürlich nicht so viel Anrecht wie Laurence Calver. Lady Lindeth empfand Missfallen und Verachtung gegen den jüngsten ihrer Neffen, aber sie wollte gerecht sein und ertrug den Gedanken, dass er ein großes Vermögen erben könnte (das er bald verschwenden würde), mit Gleichmut.
Aber dass Cousin Joseph die Ansprüche Georges und Laurences und ihres geliebten Julian einfach überging und Waldo Hawkridge zu seinem Erben machte, war einfach unerträglich! Hätte sie zu Nervenkrämpfen geneigt, wäre sie ihnen sicher erlegen, als sie die Nachricht vernahm. So aber war sie bloß eine Minute lang sprachlos. Als sie die Sprache wiedergewann, stieß sie nur ein Wort heraus: »Waldo!« Aber ihre Stimme zitterte so sehr von Hass, dass Julian, der die Nachricht brachte, erstaunt sagte: »Aber, Mama, du magst doch Waldo!«
Das war zwar zutreffend, aber nebensächlich, wie sie ihrem Sohn erklärte. Sie empfand tatsächlich große Zuneigung für Waldo, aber weder diese noch die Dankbarkeit, die sie für sein oft bewiesenes Wohlwollen gegenüber Julian empfand, konnten sie hindern, bei dem Gedanken an sein enormes Vermögen ein Unbehagen zu empfinden. Und bei der Nachricht, dass dieses Vermögen noch um das Erbe Cousin Josephs vergrößert werde, verwandelte sich ihre Zuneigung für einige Minuten in Abscheu.
Nun sagte sie verdrießlich: »Ich kann nicht begreifen, was den unangenehmen alten Mann dazu bewogen hat, dich zu seinem Erben zu machen!«
»Es ist auch nicht zu begreifen«, sagte Sir Waldo freundlich.
»Ich glaube nicht, dass du ihn je gesehen hast!«
»Niemals!«
»Ich muss sagen«, meinte George, »das ist eine sonderbare Sache. Man sollte meinen - nun, wie immer es ist, keiner von uns hatte den geringsten Anspruch, und es war das gute Recht des alten Knaben, seinen Erben selbst zu bestimmen.«
Laurence Calver, der lässig in einer Sofaecke lehnte und missgelaunt mit seinem zierlichen Monokel spielte, sodass es hin und her baumelte, schnellte hoch und sagte böse: »Du hattest keinen Anspruch, oder Waldo oder Lindeth! Aber ich bin ein Calver! Ich halte das für verdammenswert!«
»Schon möglich«, sagte seine Tante scharf, »aber ich muss dich bitten, in meiner Gegenwart deine Worte besser zu wählen.«
Er wurde rot, murmelte eine Entschuldigung, aber die Rüge verringerte nicht seinen Zorn. Er brach in ein unzusammenhängendes Lamento aus, verbreitete sich stotternd in weit hergeholten, wirklichen und eingebildeten Beweisen schlechter Behandlung und Bosheiten, die er von Joseph Calver erfahren hatte, und verdächtigte Waldo Hawkridge der Falschheit.
George Wingham unterbrach die peinliche Stille, die diesem Ausbruch folgte.
Laurences hässliche Kritik an Sir Waldo brachte Lord Lindeth' Augen zum Funkeln, doch er biss die Lippen zusammen. Laurence war immer eifersüchtig auf Waldo gewesen, das wusste jeder; es war amüsant, seine Versuche zu beobachten, Waldo in den Schatten zu stellen. Er war einige Jahre jünger als Waldo, und die Natur hatte ihm keinen der Vorzüge gewährt, mit denen sie den Unvergleichlichen überschüttete. Er zeichnete sich in keiner der Sportarten aus, die Waldo seinen Spitznamen gegeben hatten. Seit Kurzem spielte er den Dandy, gab die sportliche Kleidung der Korinthier auf und folgte den Modetorheiten, die unter den jungen Gecken üblich waren. Julian, der drei Jahre jünger war als er, fand, dass Laurence in solcher Verkleidung lächerlich wirke. Instinktiv blickte er zu Waldo hinüber. Für ihn war Sir Waldo eine Persönlichkeit, mit der gesehen zu werden eine Ehre bedeutete, der große Cousin, der ihn reiten, kutschieren, schießen, fischen und boxen gelehrt hatte, ein Born der Weisheit und die sicherste Zuflucht. Waldo hatte ihm sogar sein Geheimnis verraten, die gestärkte Halsbinde geschmackvoll zu legen - nicht nach dem mathematisch ausgerichteten oder orientalischen Muster, sondern nach einer nur ihm eigenen Fasson, die so unaufdringlich war, wie sie erlesen wirkte.
Laurence täte gut daran, den ruhigen Geschmack von Waldos Kleidung nachzuahmen, dachte Julian, ohne zu bedenken, dass die einfachen, engen Jacken, die Waldo so wunderbar passten, nur von Männern mit blendender Figur vorteilhaft getragen werden konnten. Weniger Glückliche, die sich modisch kleiden wollten, mussten eine mehr fließende Fasson wählen, mit Einlagen, um abfallende Schultern zu verkleiden, und riesigen, zurückgebogenen Rockaufschlägen, um die schmale Brust breiter erscheinen zu lassen.
Er blickte wieder auf Laurence, die Lippen weniger gekräuselt als fest zusammengepresst, um jede Erwiderung zu unterdrücken; er wusste, Waldo hätte es nicht gerne gehört.
Mit der Ungerechtigkeit des Schicksals hadernd, redete Laurence sich immer mehr in Hitze und wurde immer ausführlicher in seinen Anschuldigungen. Ein Fremder, der ihm zugehört hätte, musste meinen, dass Waldos Reichtum auf seine Kosten ging.
Julian dachte unwillig: Gewiss, Waldo hat ihn immer schäbig behandelt. Ob es aber Waldo nun passte oder nicht, er konnte sich das nicht mehr ruhig anhören. Doch noch ehe er sprechen konnte, hatte sich George eingemischt und sagte streng: »Nimm dich in acht! Wenn jemand Grund hat, Waldo dankbar zu sein, dann bist du es, du junger Grünschnabel!«
»Oh, George, sei kein Narr!«, bat Sir Waldo.
Der Einwurf wurde gleichmütig überhört, und George blickte Laurence...