Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Eine Hymne auf die Überwältigung, die es bedeutet, jung zu sein
James steht an einer Schwelle, bald ist er erwachsen. Und er träumt von einem anderen Leben weit weg: das Dorf hinter sich lassen, die Eltern enttäuschen, dem allen endlich irgendwas Lebendiges, Echtes entgegensetzen. Denn hier in verschlafenen Thornmere im Norden Englands bleibt immer alles beim Alten, seine Runde als Milchjunge, die Gottesdienste, die ewigen Sorgen um seinen kranken kleinen Bruder, die Ausgrenzung der Mitschüler. Doch dann trifft James im Herbst 2002 auf Luke - ein Jahr älter, unverschämt gutaussehend, von seinen verkrachten Eltern zur Disziplinierung aufs Land verschickt - und im Laufe eines Jahres liefert sich James neuen, unkontrollierbaren Kräften aus, einer Sehnsucht, die ihn für immer verändern, einer Frage, die ihn sein Leben lang verfolgen wird: Würde ich alles riskieren für die Möglichkeit der Liebe?
Ein poetischer Roman über das Verlangen der Jugend, über die Zärtlichkeiten, Albträume und Illusionen namens Liebe. Mit den beeindruckenden sprachlichen Mitteln eines großen Dichters bestimmt Seán Hewitt das Gewicht unserer Obsessionen.
RÜCKWÄRTS LÄUFT DIE ZEIT SCHNELLER. Die Jahre - für sich genommen lang, mühselig und ungewiss - spulen sich rasch ab, verflüssigen sich, und ein einzelner Sommer wandelt sich zu einem schimmernden Licht, das, kaum hat es sich in Gedanken eingestellt, beinahe augenblicklich in einen dunklen Winter gefasst wird, eine Wiederkehr der Schwärze, in der ein Gesicht aufblitzt, eine Feuerstelle, ein schneeverkrusteter Garten. Und dann sendet der Garten seinen Schnee aufwärts, in den Himmel, liest die herabgefallenen Blätter wieder auf und erblüht umgekehrt von Neuem. Die Gesichter lächeln mich an, dort hinten, am anderen Ende der Spule; sie sind jünger, unschuldiger, lichter. Erscheint mir die Zeit nun, in meinem Erwachsenendasein, wie ein verschlammtes Flussbett, das ich nicht durchwaten kann, so stelle ich häufiger als zuvor fest, dass ich sie zurückdrehen, sie in fließende Gewässer verwandeln kann - wärmere, süßere Gewässer, die die Jahre fortspülen und mich mit ihnen davontragen.
Und beginne ich vielleicht eines Tages, am Schreibtisch über einer Fotografie oder einem Erinnerungsfetzen grübelnd, diesen Fluss hinunterzutreiben, dann ziehe ich womöglich an den blühenden Wiesen vorbei, höre Gelächter wie einen klaren Glockenton von irgendwo, von irgendwem herüberklingen oder vielleicht eine schneidende gegen mich erhobene Stimme. Über mir wechseln Licht und Dunkel, als bräche die Sonne durch Weiden hindurch, und es trägt mich immer hierher zurück: in das Jahr, in dem ich sechzehn Jahre alt bin. Und in diesem Traum oder dieser imaginierten Umkehrung sehe ich eine Familie dastehen und manchmal am anderen Flussufer einen einsamen Jungen, der mich erkennen und mir zunicken oder mir ebenso gut den Rücken zukehren und über die Felder hinweg in den Sonnenaufgang, in den Morgen hineingehen und verschwinden mag.
Ich sehe jene Jahre unweigerlich als eine Art Morgen - die rosarote Sonne erhebt sich über dem Dorf, Nebel lodert vom Kanal empor, von den Feldern, die feucht vom Tau sind; der Klang der Vögel, die singend erwachen, die sauberen Straßen frei von Menschen, die erst nach und nach geweckt werden vom allmählich schräg durch die Schlafzimmerfenster einfallenden und über ihre geschlossenen Augen streichenden Sonnenlicht. Natürlich bin ich jetzt hier - in einer Art Zukunft -, und ich stelle fest, dass ich all diese Bilder werfe mit meinem Schatten, sie wieder ablaufen sehe, einen Tag, eine Woche oder einen Monat überspringe, um den Augenblick zu finden, in dem sich die Szene wieder zusammenfügt, in dem sie bedeutsam wird - womit ich sagen will, dass sie für mich Bedeutung annimmt.
Manchmal beginnen die Jahre plötzlich auf diese Weise zu wirbeln. Vielleicht gehe ich gerade eine Straße entlang und bemerke einen Geruch oder sehe einen Fremden und halte ihn für jemand anderen, und dann bin ich wieder dort, im Dorf. Oder ich finde mich auf einem langen Stuhl wieder, in einem Büro, und drehe die Zeit bewusst zurück, fahnde nach etwas wie ein Detektiv, der auf der Suche nach einem übersehenen Hinweis immer wieder das gesammelte Beweismaterial durchsieht. Wenn ich wieder dort bin und das Wirbeln aufhört und ich meine Familie am Esstisch versammelt vorfinde oder meine Mutter beim Sonnenbaden im Garten oder Eddie, der an meine Zimmertür klopft und meinen Namen ruft, dann frage ich mich häufig, ob diese Menschen am Leben sind und was sie wohl denken. Natürlich glauben sie, sie wären am Leben. Und sie merken nicht, dass ich hier bin, in der Zukunft, und sie beobachte. Sie kennen mein heutiges Ich nicht, das Jahre von ihnen entfernt noch immer darauf wartet, dass einer von ihnen meine Anwesenheit im Raum, im Garten oder neben dem Bett bemerkt, den Blick auf mich richtet und lächelt.
Vor nicht langer Zeit war ich allein zu Hause und suchte online nach Bildern des Dorfes, in dem ich geboren wurde. Ich hatte das zuletzt häufiger getan: hatte gehofft, nach all den Jahren die Antwort auf etwas Unabgeschlossenes zu finden, auf einen sich auftrennenden Faden meines Lebens. Ich klickte mich durch Seiten über Seiten an Fotografien, Meldungen in den Lokalnachrichten, und diesmal sah ich das Grundstück auf der Internetseite eines Auktionshauses, und ehe ich begriff, was ich tat, wählte ich die Nummer der Maklerin. Bauernhaus aus dem späten 18. Jahrhundert, vier Zimmer. Umfasst Außengebäude und zweieinhalb Hektar Land. Green Lane, Thornmere. Die Worte waren wie ein Talisman: Ich sah sie, und schon war ich wieder in diesen tiefen Gassen, der Treidelpfad am Kanal, der Geruch der Weißdornblüte und dieser mit Schlaglöchern übersäte Weg hinunter zum alten Bauernhof, wo ich vor Jahrzehnten so oft auf ihn gewartet hatte. Ich hatte geglaubt, die Erinnerung würde schmerzen, doch was ich stattdessen empfand, war eine Art Zerfall der Zeit oder auch eine Möglichkeit: das sonderbare, aber starke Gefühl, mein altes Leben könnte dort womöglich noch existieren, und wenn ich wieder dorthin ginge, würde ich womöglich jene Menschen, jenen Sommer vorfinden, und alles würde dort noch immer weiter ablaufen, unbeeinträchtigt und unverändert.
Als meine Ehe zerbrach, sagte mein Mann, ihm sei bewusst geworden, dass ich ihn lieben, aber nicht begehren könne, und sobald er diese Worte aussprach, wusste ich, dass sie wahr waren. Es war, als wäre mein ganzes Ich als Betrug entlarvt worden, und ich brach zusammen, weil ich nicht wusste, wie ich an diesen Punkt gelangt war, und ich dachte, ich hätte mein Leben vergeudet.
Während der darauffolgenden Wochen hatte ich es nicht über mich gebracht, in die Bibliothek zu gehen, in der ich arbeitete, denn ich konnte weder Stille noch gute Umgangsformen ertragen, und stattdessen hatte ich begonnen, über das Geschehene nachzudenken. Schließlich war ich auf ärztliche Anordnung von der Arbeit befreit worden und hatte diese Tage in Gedanken verbracht, hatte mein Leben Revue passieren lassen, und mitunter saß ich stundenlang zu Hause, und dann wieder ging ich zu Auktionen, auf Märkte, ohne je genau zu wissen, wonach ich suchte. Letztlich aber begriff ich, dass ich immer wieder nach Thornmere zurückkehrte, zu meiner Familie und wie üblich zu Luke. Es war zwanzig Jahre her, dass ich ihn zuletzt gesehen hatte, und beinahe ebenso lange, dass ich zuletzt im Dorf gewesen war, aber ich hatte an jedem Tag meines Lebens an ihn gedacht. Eigentlich trifft es das nicht ganz: Er war nie fortgegangen oder besser gesagt, ich hatte ihn nie losgelassen. Er hatte in meinem Leben über sich hinausgewiesen und war zur Blaupause all meiner nachfolgenden Sehnsüchte geworden. Wann immer ich in die Augen eines Liebhabers - ich glaube, selbst in die Augen meines Mannes - blickte, wollte ich Lukes grüne und eindringliche Augen sehen, die mich hielten.
Manchmal, wenn ich durch die Stadt gehe, wird mir bewusst, dass ich in einem Traum versunken bin, und dann bin ich fest davon überzeugt, dass ich ihn um die Ecke biegen sehen oder ihn hören werde, wie ich ihn immer gehört habe, meinen Namen rufend. Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, war es, als wäre über meinem Leben die Sonne aufgegangen. Jeder Teil von mir, jeder Teil meiner Welt strebte auf ihn zu. Sein Licht, seine Wärme waren so stark, dass sie alles andere in Schatten zu hüllen schienen; und ich wusste, was auch immer später geschehen würde, ich würde mich niemals wieder irgendwo ganz heimisch fühlen. Ich hatte so viel aufgegeben, um ihm nah zu sein, und es gab Dinge, Menschen, die ich nicht zurückgewinnen würde. Ich glaube, mein Geist und mein Körper wurden in seinem Licht neu geschaffen, wurden irgendwann in jenem Jahr gegossen, und nun trugen sie seinen Abdruck, die Form seiner Hand. Und ich wusste nie, weder damals noch heute, ob mir überhaupt bewusst war, wie unauslöschlich diese Male waren oder dass ich während der Jahre dazwischen im tiefsten Inneren meines Körpers nur eines gewollt hatte: ihn wiederzufinden.
Nach wenigen Momenten hob die Maklerin - eine jung klingende Frau mit gewählter Aussprache - ab und sagte mir, am darauffolgenden Dienstag gebe es die Möglichkeit zur Besichtigung. Ich nannte ihr meinen Namen, James, und buchstabierte instinktiv meinen Nachnamen - L E G H -, der »Lee« ausgesprochen wurde, aber sie begriff sofort. Sie sagte: »Wie in North Legh?«
Ich lächelte. »Wie in >North Legh<, richtig. Sie sind wohl aus der Gegend?«
»Ich bin hier...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.