Schweitzer Fachinformationen
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An einem wunderschönen Frühlingstag im Wonnemonat Mai ging ich mit meiner Mutter in der City spazieren. Als Höhepunkt gingen wir in ein Café, in welchem an dem Nachmittag ab 17 Uhr Tanztee auf dem Programm stand. Wir tranken Kaffee und da es so schön war, leisteten wir uns noch ein Gläschen Wein von unserem wenigen Geld.
Ein sehr gut aussehender junger Mann forderte mich zum Tanzen auf. Er verstand es, mich und auch meine Mutter nett zu unterhalten und zu beeindrucken. Er war ganz offensichtlich kein Leipziger und überhaupt kein Sachse. Nennen wir ihn einfach Charly.
Wie er später erzählte, kam er fast direkt aus dem Knast; er war republikflüchtig und hatte einige Jahre in der Bundesrepublik gelebt. Als er eines Tages in die DDR kam, um seine Eltern und Schwestern zu besuchen, wurde er festgenommen. Man klagte ihn wegen Republikflucht an und sperrte ihn einige Jahre ein. Seit wenigen Tagen war er wieder auf freiem Fuß und wohnte bei seinen Eltern in einem Dorf in der Umgebung von Leipzig. In der nächsten Zeit wollte er sich Arbeit und eine Bleibe suchen, am liebsten gleich eine Familie gründen. So besuchte er mich jedes Wochenende und zwischendurch schrieb er mir die schönsten Liebesbriefe. An jedem Wochenende gingen wir tanzen, es war eine sehr schöne Zeit. An einem Wochenende nahm er mich mit zu seinen Eltern, um mich ihnen und seinen beiden Schwestern als seine Braut vorzustellen. Er hatte es sehr eilig damit, er war ja auch »schon« sechsundzwanzig Jahre alt. Charlys Eltern waren sehr nette Leute und sie nahmen mich sehr herzlich auf. Die jüngere Schwester, Lilo, war fünfzehn Jahre alt. Sie war eifersüchtig auf mich, sie hatte Angst, dass ich ihr den gerade erst zurückgekehrten Bruder wegnehmen würde. Die ältere der beiden Schwestern, Monika, war 25 Jahre und gerade im Begriff, ihr Medizinstudium abzuschließen. Sie war mir sofort sehr sympathisch, obwohl sie mir zu bedenken gab, ob ich nicht noch viel zu jung sei; wir sollten doch vielleicht lieber noch ein wenig warten und uns besser kennenlernen. Ihr Bruder war da ganz anderer Ansicht, er wollte so bald wie möglich heiraten und Kinder haben. Ich war ja schon fast zwanzig Jahre alt!
Auch meine Mutter gab zu bedenken, dass wir uns noch gar nicht richtig kennen. Aber jung und unerfahren wie ich war, wollte ich beweisen, dass alle Bedenken grundlos waren und sicher alles gut gehen würde. Außerdem war es für mich die beste Gelegenheit, aus dem Machtbereich meiner Mutter zu entkommen. So planten wir, Ende August zu heiraten, den frühestmöglichen Termin auf dem Standesamt. Wir wollten keine große Feier veranstalten, sondern allein, das heißt mit einem Freund als Trauzeugen, zum Standesamt gehen. Es waren noch ein paar Wochen Zeit bis dahin.
Monika hatte eine Studienfreundin aus Nigeria, Morea. Diese war mit einem Nigerianer namens Yamen verheiratet. Das Ehepaar wohnte zu der Zeit in einem Ausländerinternat in Dresden, einer schönen großen Villa in der Südvorstadt. Sie hatten eine Tochter, die bei meinen künftigen Schwiegereltern lebte, damit ihre Mutter reibungslos ihr Studium absolvieren konnte. Die Kleine, sie war so drei oder vier Jahre alt, befand sich gerade mit ihrer Mutter auf dem Weg nach Nigeria, um künftig bei ihrer Großmutter zu leben. Ich habe sie deshalb nie persönlich kennen gelernt und Morea erst nach ihrer Rückkehr aus ihrer Heimat. Das kleine dunkelhäutige Mädchen war natürlich damals eine Sensation im Dorf, in dem meine Schwiegereltern wohnten. Sie stand immer im Mittelpunkt und wurde von allen geliebt und verwöhnt.
Charly und ich haben viele Nachmittage und Abende mit der afrikanischen Familie verbracht und maßlos viel Spaß gehabt. Die exotische Atmosphäre und der zwanglose, kameradschaftliche Umgang der Mitbewohner des Internats aus unterschiedlichen Herkunftsländern haben mich fasziniert. Es gab eine offene Gemeinschaftsküche, sodass es schon auf dem Gang immer nach exotischen Gewürzen roch. Wir hatten uns noch mit einem Ehepaar aus Sierra Leone angefreundet, mit dem wir uns manchmal fast die ganze Nacht unterhalten haben. Die jungen Menschen, die ohne Sprachkenntnisse hierher kamen, um zu studieren und später in ihre Heimat zurückzukehren, habe ich immer bewundert. Sie lernten innerhalb von einem halben Jahr die deutsche Sprache, um anschließend die Vorlesungen ihres Studienfaches zu absolvieren. In der DDR wurden sie von den meisten Leuten entweder mit unverhohlener Neugier oder mit Feindseligkeit bedacht. Dabei brachten sie dem Staat eine Menge Devisen in Form von Studiengebühren ein, in Valuta, versteht sich.
Inzwischen hatte sich das Verhältnis meiner Mutter zu Charly ziemlich eingetrübt. Sie sprach sich sehr gegen unsere bevorstehende Hochzeit aus, zumal wir keine Feier wollten.
Charlys Schwester Monika machte ihr Staatsexamen und anschließend ein Praktikum in einem Krankenhaus in Zschopau. Wir besuchten sie ein paar Tage und sie bedauerte, nicht zu unserer Hochzeit anwesend sein zu können. Sie schenkte mir einen wunderschönen cremefarbenen Brokat, aus dem ich mir ein schickes Hochzeitskleid schneiderte. Bei einem Juwelier erstanden wir ein Paar sehr schöne, breite, goldene Trauringe. Nun stand der Hochzeit und damit dem Glück nichts mehr im Wege. Glaubte ich zumindest.
Wie geplant fuhren wir nur mit einem Trauzeugen, dem nigerianischen Freund Yamen, im Taxi zum Standesamt. Meine Mutter konnte es nach wie vor nicht fassen, dass wir ohne unsere Familienangehörigen zur Trauung gingen.
Die Standesbeamtin erklärte uns mit dem üblichen »bis dass der Tod .« für Mann und Frau. In diesem Moment wurde mir plötzlich klar, worauf ich mich eingelassen hatte. Es gab plötzlich kein Zurück mehr, zumindest nicht gleich und ohne Weiteres. Ich glaube, es war das erste Mal, dass mir Zweifel über mein überstürztes Handeln kamen. Bis dahin war alles so schön und leicht gewesen. Auf den Hochzeitsfotos sieht man mir das auch an; ich ziehe ein Gesicht wie vierzehn Tage Regenwetter, nicht wie eine glückliche Braut.
Anschließend ging es nach Hause umziehen, um zusammen mit meiner Mutter und meinem kleinen Bruder zum Essen in den traditionellen Altmarktkeller zu fahren. Den späten Abend bis in die Nacht verbrachten mein Ehemann und ich mit Yamen in einer Tanzbar.
Obwohl es meiner Mutter nicht recht war, wohnten wir die erste Zeit mit bei ihr in meinem Mädchenzimmer. Charly hatte inzwischen eine Anstellung in einer großen Schlosserei gefunden. Wohnungen waren mehr als rar zu dieser Zeit in ostdeutschen Großstädten. Wenig später hatten wir großes Glück, meine Kollegin bekam mit ihrer Familie eine größere Wohnung, sodass wir ihren bisherigen Wohnraum beziehen konnten. Es handelte sich um zwei Zimmer mit Bad- und Küchenbenutzung als Teilhauptmieter in einer 4-Raum-Wohnung, zusammen mit einer alleinstehenden älteren Dame. Das Klo befand sich auf der halben Treppe, wie es in älteren Wohnungen eben üblich war. Zwei Parteien in einer Wohnung, wo man das Klo, das Bad und die Küche gemeinsam nutzen musste, da ging es nicht immer harmonisch zu. Aber irgendwie arrangierte man sich, um erträglich miteinander zu leben.
Es dauerte nicht lange, da meldete sich unser erstes Kind an, zur großen Freude von Charly. Da ich durch den ständigen Umgang mit meinen Nichten, Neffen und meinen Bruder kleine Kinder ohnehin gern mochte, freute ich mich natürlich auch sehr auf mein eigenes Kind.
Es war eine unglaublich spannende und interessante Zeit - die erste Schwangerschaft. Ich bekam langsam einen kleinen »Spitzkühler«. Alle meinten, dass es auf jeden Fall eine Junge werde. So war ich total auf meinen Sohn eingestellt.
Inzwischen war es wieder Sommer geworden und ich reiste mit meinem Mann und meinem ungeborenen Sohn nach Mecklenburg. Wir besuchten zum ersten Mal Charlys Großmutter und Tante nebst Familie. Sie lebten in einem winzigen Dorf, in dem alle Einwohner familiär verbunden waren und denselben Nachnamen hatten. Abends waren wir in der verräucherten Dorfkneipe, wo ich von der Unterhaltung kein Sterbenswörtchen verstand, da sie natürlich alle plattdeutsch sprachen. Dazu klotzten mich alle an, ausnahmslos Männer, als wäre ich von einem anderen Stern. Ich kam mir total deplaziert vor.
Wir wohnten bei Charlys Verwanden, die es nach dem Krieg hierher verschlagen hatte. Im Haus gab es eine große Küche, deren Hälfte zur Aufzucht von Kücken genutzt wurde. Diese hatten Hühnerflöhe, die sich ausschließlich bei mir wohlfühlten. Schrecklich, ich hatte total zerbissene und dadurch zerkratzte Beine. Ich konnte nachts nicht schlafen, es war echt nicht auszuhalten, sodass wir nach zwei Tagen wieder abreisen mussten. Es wurde eine Heimreise mit Hindernissen, wobei es mir sehr schlecht ging, die üblichen Schwangerschaftsbeschwerden mit Übelkeit und Erbrechen.
Wieder zu Hause angekommen, gingen wir eines Abends ins Kino, Das Haus der Lady Alquist. Der Film war nur für Personen über 18, was damals konsequent kontrolliert wurde. Mein Mann war schon am Einlass vorbei, als mich die »Tante« fragte, ob ich 18 sei. Das fand ich angesichts meiner nicht zu übersehenden Schwangerschaft unangemessen...
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