Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Er war wieder einmal in Hamburg eingelaufen, wie gewohnt zuerst zu Pieck gegangen und später mit zwei ledigen Kameraden in die Stadt gezogen. Gegen Mitternacht war er in seine Pension zurückgekehrt und hatte lange und tief geschlafen. Als Albert aufwachte, war es bereits elf. Zu spät für ein Frühstück, befand er. Er beschloss, einkaufen zu gehen und sich dann in der Pensionsküche ein Mittagessen zuzubereiten. Nach einem Blick in den Spiegel fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. Alles andere konnte warten. Auch über sein schmuddeliges Hemd, das ihn mahnte, es der Wirtin zum Waschen zu geben, sah er hinweg.
Gemächlich schlenderte er zum Altonaer Fischmarkt hinunter, wo seit dem frühen Morgen der auf Eis gelegte Fang der einlaufenden Kutter und die lebenden Fische aus der Bünn der Ewer gelöscht oder direkt zum Verkauf angeboten wurde. Am späten Vormittag, wusste Albert, waren die Fische meist etwas günstiger. Dann drängte es die Fischer, die mit ihren Fahrzeugen viele Tage auf See gewesen waren, zurück an ihre Liegeplätze. Sie lebten am hohen Elbufer bei Blankenese oder hinter den Deichen der Elbinsel Finkenwärder am gegenüberliegenden Ufer oder noch weiter elbaufwärts.
Albert lehnte einige Stufen oberhalb der Kaimauer an einer Laterne und beobachtete das Treiben auf dem Markt. Er ließ sich Zeit, um sich für eine Händlerin zu entscheiden, bei der er Chancen auf einen guten Preis witterte. Die jungen schloss er für gewöhnlich aus, da lief es auf das Gegenteil hinaus, denn die legten ihre Jugend auf den Preis noch obendrauf.
Er hatte seinen Blick schon mehrmals über die Stände schweifen lassen und war doch am Ende jedes Mal bei dieser einen hängen geblieben. Vielleicht lag es an der Art, wie sie sich bewegte, geschmeidig, ökonomisch, kein Handgriff zu viel. Das Mädchen schien ihm etwas größer als er, ihr Gesicht war braun gebrannt und unter ihrer an den Ärmeln aufgekrempelten Bluse zeichneten sich kleine feste Brüste ab. Auch sonst war sie eher muskulös als weiblich, hatte ungewöhnlich schmale Hüften, und ihr Rock mit der Schürze darüber ließ lange schlanke Beine vermuten. Er stieß sich von der Laterne ab und schlenderte auf den vertäuten Kutter zu, vor dem sie ihren Tisch aufgebaut hatte.
Als er vor ihr stand, senkte er die Augen. Mit geübter Hand nahm sie einen Kabeljau aus.
»Hier gibt's Fisch, Matrose. Oder suchst du was anderes?«
Beschämt wurde Albert sich seines knittrigen Aufzugs bewusst. Er hob den Blick und sah in zwei belustigte blaue Augen.
»Nein. Fisch. Aber nur einen.«
»Vater«, rief sie nach hinten, »Verkaufen wir auch einzeln?«
Ein älterer Fischer schaute aus der Luke des Kutters. Das Mädchen reichte ihm zwei leere Kisten nach unten.
»Zum Teufel, wenn es sein muss, auch halbe. Gib ihm am besten eine halbe Scholle.«
Unter den anderen Fischern um Albert kam Gelächter auf. Der Fang war gut gewesen und der Absatz auch, die Stimmung entsprechend. Albert spürte, wie seine Ohren zu glühen begannen. Das Mädchen bemerkte es auch und lachte.
»Stell dir vor«, rief sie ihrem Vater zu. »Er hat auf beiden Seiten Backbordlichter gesetzt.«
Albert zog die Mütze tiefer.
»Gib ihm zwei zum Preis von einer!«
Geschickt wickelte sie zwei ansehnliche Schollen in Zeitungspapier, schob sie ihm über den Tisch und nannte einen Preis, den er sich von einem der älteren Fischweiber erhofft hatte, nicht von einer wie ihr. Albert griff in seine Tasche und erstarrte. Die Tasche war leer. Auch die andere. Das Versteck unter der Matratze seines Pensionsbetts, wo er seine Börse verstaute, wenn er sie gerade nicht brauchte, tauchte vor seinen Augen auf.
Ihre Blicke trafen sich einen Augenblick länger, als es die Situation erforderte.
Dann beugte sie sich über den Tisch und flüsterte: »Nimm den Fisch und schieb ab. Vielleicht sieht man sich wieder.«
Er setzte zu einer Erwiderung an, aber im selben Moment kam ihr Vater aus der Luke nach oben und baute sich hinter dem Rücken des Mädchens auf. Der nächste Kunde war an der Reihe und Albert blieb nur, ihr freundlich zuzunicken, bevor er ging. In Höhe der Laterne drehte er sich noch einmal um. Er hätte schwören können, dass sie gerade hastig den Blick von ihm abgewandt hatte.
Anderthalb Stunden später dampfte eine der Schollen mit Bratkartoffeln und Speck auf dem Tisch der Pensionsküche. Wohl vom Essensduft angelockt, gesellte sich die Wirtin zu Albert und brachte eine sauer eingelegte Gurke mit. Da Albert statt sie einzuladen nur einen Dank murmelte und ansonsten stumm vor sich hin kaute, schlurfte sie nach einer Weile enttäuscht wieder nach unten.
Obgleich wahrscheinlich halb Hamburg ihn um sein Mittagsmahl beneidet hätte, sank Alberts Stimmung mit jedem Bissen. Er dachte an die Fischerstochter und schämte sich plötzlich gegenüber den Mädchen, die er in den letzten Jahren ohne Frühstück weggeschickt hatte. Dann dachte er wieder an die Fischverkäuferin, stocherte in der Scholle herum und stellte fest, dass sein Appetit restlos verflogen war.
In der Hoffnung, sein Hochgefühl vom Vormittag durch einen erholsamen Mittagsschlaf wiederzufinden, ging er auf sein Zimmer und legte sich aufs Bett. Sein Gedächtnis rächte sich mit einer Flut von Bildern. Er träumte, in seiner Kammer im Schlosshotel zu liegen, während die Fischerstochter sich, ihm dem Rücken zugewandt, entkleidete. Er wollte aufstehen und zu ihr gehen, konnte sich aber nicht rühren. Irgendjemand hatte ihn mit armstarken Tauen an sein Bett gefesselt. Das Mädchen drehte sich, nackt wie sie war, zu ihm um, und er sah, dass ihr Körper kohlenstaubverschmiert war. Sie kam heran, legte sich mit wippenden Brüsten lachend auf ihn und flüsterte: »So sind die Frauen, Matrose.«
Schweißgebadet wachte Albert auf. Es dauerte einige Minuten, bis er begriff, wo er sich befand. Sein Mund war trocken, sein Nacken fühlte sich steif an. Er schloss die Augen wieder und rief die Bilder des Vormittags zurück. Sie kamen, erst stockend und ruckhaft wie in einem Stummfilm, dann fließender. Sie führten ihn zurück auf den sonnendurchfluteten Fischmarkt. Die Boote hatten festgemacht und schwankten im Takt der Wellen vorbeiziehender Frachter. Die Fischerstochter kam ins Bild. Sie drehte sich mit einer Kiste in der Hand zu ihrem Vater und reichte sie ihm nach hinten, die unsichtbare Kamera folgte ihrer Bewegung und . am linken unteren Rand rückte die Kennzeichnung des Kutters ins Bild.
H.F.13 Hamburg Finkenwärder.
Albert schlug die Augen auf. Hastig überschlug er, dass er sie auf dem Fischmarkt frühestens in zehn Tagen wieder treffen würde, so lange würde ihr Vater mindestens brauchen, um wieder genügend Fisch zum Verkauf zu haben. In vier Tagen würde er selbst wieder im Maschinenraum der Bethania verschwunden sein.
Er sprang aus dem Bett, holte die Morgentoilette nach, stopfte sich Geld in die Jacke und rannte los.
Auf dem Markt fand er nur noch einige Händler beim Abbauen ihrer Stände. Das Mädchen und ihr Vater waren nicht dabei.
Albert hetzte zur Fähre und setzte nach Finkenwärder über. Dort angekommen, erkundigte er sich am Neßdeich, wo unterhalb die Ewer lagen, nach dem Eigentümer von Hamburg Finkenwärder 13.
Eine halbe Stunde später stand Albert Hotopp atemlos vor dem kleinen Fachwerkhaus der Familie Tews. Eine Weile trat er unschlüssig auf der Stelle, dann nahm er seinen Mut zusammen und läutete. Kurz darauf öffnete sich die grün-weiße Holztür und das Mädchen stand vor ihm.
Noch bevor beide ihr Erstaunen überwunden hatten, drang eine Männerstimme aus dem Haus zu ihnen: »Wer ist es denn?«
»Zweimal backbord«, rief das Mädchen zurück und fügte für Albert leiser hinzu: »Mein Vater. Den kennst du ja schon.«
»Ich möchte meine Schuld begleichen«, sagte Albert und zog das Geld aus der Tasche.
Verlegen nahm sie es entgegen.
»Warte einen Moment, du bekommst noch etwas heraus.«
Sie ging ins Haus und ließ die Tür einen Spalt offen. Albert hörte, wie sie mit jemandem sprach. Kurz darauf erschien sie lächelnd wieder in der Tür. In der einen Hand hielt sie sein Geld und in der anderen ein schweres wollenes Tuch.
»Weißt du, was mein Vater gesagt hat?«, fragte sie und drückte ihm die Münzen in die Hand. »Ehrlichkeit soll belohnt werden.«
Mit geübtem Schwung warf sie sich das Tuch über.
»Komm, Matrose, ich bring dich zur Fähre zurück.«
Als sie an die Elbe kamen, ließen sie den Fähranleger links liegen und wanderten den Deich entlang. Obwohl sie sich heute zum ersten Mal begegnet waren, redeten sie miteinander, als wären sie zusammen aufgewachsen.
Endlich erfuhr Albert ihren Namen. Elisabeth. Er fand, dass er zu lang für sie war. Sie sprach von ihrem Kutter und darüber, wie die Geschäfte liefen, und vom Kummer ihres Vaters über ihren älteren Bruder Georg, der für die Fischerei zu schwächlich war, aber wunderbare Geschichten...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.