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Am 22. September 2013 wurde nicht nur der Deutsche Bundestag, sondern auch das hessische Parlament neu gewählt. In Wiesbaden profitierte die CDU vom hohen Ansehen Angela Merkels und legte um mehr als einen Punkt auf 38,3 Prozent der Wählerstimmen zu. Doch der Wahlsiegerin kam der Regierungspartner abhanden. Die FDP verlor im Vergleich zu ihrem Spitzenergebnis von 2009 mehr als elf Punkte und schaffte den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde nur denkbar knapp. Das reichte nicht, um das Bündnis mit der CDU fortzusetzen. Weil die Liberalen vor der Wahl alle anderen Optionen ausdrücklich ausgeschlossen hatten, stand für sie am Ende des langen Wahlabends fest, dass sie in die Opposition gehen würden. Die SPD konnte gegenüber dem miserablen Ergebnis von 2009 um sieben Prozentpunkte zulegen und erreichte 30,7 Prozent. Die Grünen kamen auf 11,1 Prozent. Der Verlust von 2,6 Punkten hing damit zusammen, dass die Fraktion sich auf der nationalen Ebene beispielsweise mit der Forderung nach einem fleischlosen Tag in Betriebskantinen unbeliebt gemacht hatte. Die Linke schaffte den Einzug in den Landtag trotz leichter Verluste.1 Daraus ergaben sich für die Mehrheitsbildung drei rechnerische Optionen: Eine Große Koalition hätte sich auf 84 der insgesamt 110 Landtagsmandate stützen können. Schwarz-Grün kam auf 61 Sitze. Ein Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Linken hätte im Landtag zusammen über eine relativ knappe Mehrheit von 57 Stimmen verfügt. Alle drei Möglichkeiten wurden intensiv ausgelotet. Die Chronik der Ereignisse:
Zur ersten Sondierung haben CDU und SPD einen Treffpunkt ausgesucht, der das Verbindende symbolisiert: ein Hotel in Gießen. In der mittelhessischen Universitätsstadt sind beide Parteichefs zu Hause. Die Union lässt die Sozialdemokraten eine Viertelstunde im Konferenzsaal warten. Keiner wagt es, sich Kaffee einzuschenken oder gar vom Käsekuchen zu naschen.2 Alle wirken »seltsam verkrampft«,3 so der Eindruck eines Beobachters. Ein anderer Kollege meint, die beiden Protagonisten seien »selten so nett zueinander« gewesen.4 Hinter verschlossenen Türen geht es vor allem um die Schulpolitik. Die Union will am dreigliedrigen System festhalten. Ob die Gymnasien zum Abitur nach neun Unterrichtsjahren zurückkehren wollen, sollen sie weiterhin selbst entscheiden. Die SPD hingegen tritt für die flächendeckende Rückkehr zu G9 ein und fordert eine gemeinsame sechsjährige Mittelstufe. Nach zwei Stunden und 15 Minuten berichten beide Seiten von einer ausgesprochen freundlichen und konstruktiven Atmosphäre. Unisono betonen die Parteichefs aber, dass die Wege zueinander weit seien und keine Richtungsentscheidung gefallen sei. Bouffier strahlt etwas mehr Zuversicht aus als Schäfer-Gümbel. Der Unionspolitiker hält es für »möglich, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen« und fügt nach kurzer Pause noch einen Satz hinzu: »Es ist uns beiden Ernst.«5 Dass die beiden Parteichefs ihre Statements nach den Beratungen getrennt abgeben, ist auf Schäfer-Gümbels ausdrücklichen Wunsch zurückzuführen. Er will gemeinsame Bilder vermeiden, weil sie als Symbol für eine Vorentscheidung missverstanden werden könnten. Die hessische Sozialdemokratie ist gespalten. Die einen wollen ein Linksbündnis, die anderen haben das von Ypsilanti angerichtete Desaster noch vor Augen. Sie bevorzugen eine Große Koalition oder den Gang in die Opposition.6 Die Angst des SPD-Vorsitzenden vor den unterschiedlichen Flügeln seiner eigenen, gespaltenen Partei ist die wichtigste Erkenntnis der ersten Sondierung. Schäfer-Gümbel hat aber noch ein anderes Problem: »Sie zahlen doch?«, fragt er den etwas verdutzen Bouffier. »Stimmt«, sagt der schließlich. »Wir haben eingeladen.«
Entspannter kommt Schäfer-Gümbel schon daher, als er einen Tag später mit der Galionsfigur der Grünen zusammentrifft. »Ich kenne Tarek Al-Wazir länger als so manchen Sozialdemokraten«, verkündet er gutgelaunt.7 Alle Berührungsängste sind verflogen. Die Frankfurter Rundschau berichtet, dass die beiden »Seite an Seite« vor die Presse getreten seien, und konstatiert einen »Schulterschluss«. Der Sozialdemokrat interpretiert das Wahlergebnis als einen »klaren Auftrag für einen Politikwechsel«. Das sieht Al-Wazir auch so. SPD, Grüne und Linkspartei seien im neuen Landtag zusammen stärker als CDU und FDP, hält er fest. »Es gibt eine Mehrheit für eine andere Politik.«8 Darüber soll in der nächsten Woche mit der Linkspartei geredet werden. Es gibt aber große inhaltliche Differenzen - in der Finanzpolitik, beim Frankfurter Flughafen und beim Verfassungsschutz. Er halte ein Dreierbündnis deshalb für außerordentlich problematisch, sagt Schäfer-Gümbel. Für ihn sei der Weg zur FDP der weiteste, merkt Al-Wazir an. Und er betont, dass er eine stabile Regierung und kein Minderheiten- oder Tolerierungsmodell anstrebe. Dazu äußert sich der Sozialdemokrat zurückhaltender. Aus seiner Sicht ist es kein Dogma, dass bis zum 18. Januar, wenn die derzeitige Legislaturperiode ablaufe, eine neue Regierungskoalition stehen müsse. Wie Börner und Koch in der Vergangenheit, so kann auch Bouffier notfalls geschäftsführend länger im Amt bleiben. Einig sind sich SPD und Grüne in der Forderung, die Angebote zur Ganztagsbetreuung auszubauen und einen »echten Schulfrieden«9 herzustellen. Um die Lärmbelastung durch den Frankfurter Flughafen zu verringern, sei ein neuer Dialog zwischen Politik, Flughafenbetreiber, Fluggesellschaften und Anwohnern nötig, sagt Schäfer-Gümbel. Al-Wazir will die Energiewende vorantreiben.
Mit einem überraschenden Signal beginnt das Treffen zwischen CDU und Grünen. Bouffier bringt, anders als erwartet, nicht den eher konservativen Generalsekretär Peter Beuth mit, sondern Umweltministerin Lucia Puttrich. Sie hat zwei Jahre zuvor gemeinsam mit Al-Wazir beim überparteilichen Energiegipfel eine Arbeitsgruppe geleitet. Bei den Grünen ist Angela Dorn, die Spitzenkandidatin bei den Landtagswahlen, mit von der Partie. Sie erwartet ihr drittes Kind. Wie es ihr gehe, fragt Bouffier. In dem Abgeordnetenbüro des Unionspolitikers gibt es zu Kaffee und Orangensaft nicht nur Wurst, sondern, für Vegetarier, auch Käsebrötchen. Bouffier nennt das Treffen »in gewisser Weise historisch«.10 Al-Wazir wiegelt ab: »Wir haben ja schon mehrfach miteinander gesprochen«, sagt er.11 Er hatte den Energiegipfel im Jahr 2011 in guter Erinnerung. Bouffier spricht abermals von »weiten Wegen«12 zueinander, bezeichnet eine stabile Regierung aber als möglich. Al-Wazir gibt sich eher zugeknöpft.
Man habe länger über die Themen gesprochen, die einer Einigung im Wege stünden, sagt er und nennt den Ausbau von Flughafen und Autobahnen. Die Schuldenbremse wollen wie die Union auch die Grünen einhalten, aber nicht nur mit Einsparungen, sondern auch mit einer Erhöhung der Einnahmen. Es gebe eine lange Geschichte großer inhaltlicher Unterschiede zwischen den Parteien, betont Al-Wazir. Die seien nicht von einem Tag auf den anderen verschwunden. Es sei wichtig gewesen, darüber zu reden, »warum in Hessen die Gräben so tief sind«.13 An der Basis der Partei gebe es Misstrauen. Bouffier sagt, dass es auch in der Union Sorgen gebe. Inhaltliche Schnittmengen sieht Al-Wazir bei den Themen Bildung und Kinderbetreuung. Er betont die große Ernsthaftigkeit der Sondierungen. »Ich kann Ihnen nicht sagen, ob daraus am Ende etwas werden kann. Aber es reicht für ein zweites Gespräch.«14 Im Unterschied zu Schäfer-Gümbel hat Al-Wazir nach dem zweieinhalbstündigen Gespräch nichts gegen einen gemeinsamen Auftritt der beiden Protagonisten. Es wäre ja wohl auch komisch, wenn man sich nach einem langen Gespräch »hinter der Säule verstecken würde«, scherzt der Grünen-Chef. Nach einer Frage, die an beide gerichtet war, wendet Bouffier sich plötzlich mit einem »Sag du mal« an seinen langjährigen politischen Gegner. Er habe ihn »versehentlich geduzt«, erklärt er den Journalisten später. »Da dürfen Sie jetzt nichts hineingeheimnissen.«15
Vergangenheitsbewältigung steht am Anfang des Treffens von SPD, Grünen und Linkspartei. Nicht nur die CDU, sondern auch die Linkspartei habe im Wahlkampf die SPD zu ihrem Hauptgegner erkoren, klagt Schäfer-Gümbel. Al-Wazir erinnert daran, dass die Linke sich auch als Protest gegen rot-grüne Politik gegründet habe. Es gehe nicht um »irgendwelche Verletzungen oder persönliche Empfindlichkeiten«,16 entgegnet die Fraktionschefin der Linken, Wissler, sondern um einen Politikwechsel. Der Weg zu einer Einigung sei zwar weit, so Schäfer-Gümbel. Aber das...
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