Schweitzer Fachinformationen
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Das, was am meisten zerrt in diesem Augenblick? Dass alle Pläne anders gefasst werden müssen. Dass Dinge, die ich jetzt machen wollte, nicht gemacht werden können. Ein Kurztrip in den Norden Frankreichs, aufs Land, eine Freundin besuchen. Das Stipendium in Teheran. Iran? Da können Sie auf keinen Fall hin. Es fühlt sich an wie Stillstand.
Auf der Nephrologie-Station sagt Frau Bönsch: Sie sind noch so jung.
Am Donnerstag werde ich dreißig, sage ich.
Dreißig? Ich dachte, Sie sind Anfang zwanzig.
Wir sprechen nicht darüber, was wir haben, klar ist, hier hat jeder etwas an den Nieren. Die Schwester kommt und misst unseren Blutdruck. Immer noch ein bisschen zu hoch, sagt sie zu mir, als sie den Klettverschluss von meinem Arm löst, 160. Wie 'ne Zwanzigjährige, sagt sie ein paar Minuten später zu Frau Bönsch, 125.
Eine Schwester, die ich noch nicht kenne, kommt herein, schiebt mein Frühstückstablett auf den Tisch. Auf dem Tablett liegt ein Zettel: Georg Kühn - Rotkohl, Boulette in Pilzrahmsoße. Zum Nachtisch ein Dany Sahne Vanillepudding. Ich starre auf den Zettel. Frau Bönsch versteht sofort meinen Blick.
Sie haben das Essen von jemandem, der wieder entlassen ist, sagt sie. Ich habe auch schon des Öfteren nicht das bekommen, was ich angegeben habe. Entweder die sortieren zusammen, oder die vergessen.
Ich würde dir gern meine Niere einpacken, aber das geht ja nicht, sagt meine Mutter am Morgen meines dreißigsten Geburtstags am Telefon.
Schon okay, sage ich, bis nachher, und lege auf.
Manchmal bin ich dankbar für ihren Humor, der uns gemeinsam ist und mit dem sie jetzt versucht, mich möglichst schnell mit dieser Situation vertraut zu machen.
Alles Gute wünsche ich dir, schreibt J. Wenn du feierst, lad mich ein!!
Gerade weil er nicht weiß, dass ich im Krankenhaus liege, finde ich seine Nachricht lustig. Vor vier oder fünf Jahren habe ich einen Kurs in seinem Fotolabor mitgemacht. Seitdem sind wir uns hin und wieder bei Einladungen von gemeinsamen Freunden begegnet.
Es klopft, und mein Vater kommt mit einem Käsekuchen herein. Daran baumelt einer dieser großen Jahrmarktluftballons, die an Kindheit erinnern. Darauf eine 30.
Es ist das erste Mal, dass ich gebacken habe, sagt er.
Er verstaut die Kuchenform in einer Karstadt-Plastiktüte, hängt sie über die Lehne des Stuhls. Vor der Cafeteria treffen wir auf meine Oma.
Guten Tag, sagt sie.
Lange nicht gesehen, sagt er.
Hast dich kaum verändert, sagt sie, vielleicht 'n bisschen mehr graue Haare, aber sonst .
Beide wollen sie meinen Kaffee bezahlen. Am Tisch platziert meine Oma eine Tüte mit Kuchen.
Alles Dinkel, sagt sie.
O Gott ., kommt es von meinem Vater.
Bio, ergänzt sie.
Und ich habe den Quark von A & P gekauft, ich hoffe, er schmeckt trotzdem.
Ich nicke nur. Vollkornprodukte sind jetzt eh nicht mehr gut, sage ich.
Was du essen darfst und was nicht, musst du mir noch mal in Ruhe erklären, erwidert meine Oma.
Heute ist das egal.
Am Abend kommen meine engsten Freunde. Sie bringen selbst gebackenen Mohnkuchen mit, den habe ich mir gewünscht. Wieder in der Cafeteria, lade ich sie zum Tee ein.
Die Frau schaut mich an, als würde ich nicht dazugehören. Unter meinem Kleid sieht sie nur Junges und Schönes, sie ist geneigt, den Blick darüber hinwegschweifen zu lassen. Und dann schaut mich die blonde Ärztin mit dem grünen Kittel ein zweites Mal an, sagt zu der anderen mit der Mappe in der Hand: Sie, die junge Frau mit der Nummer zwölf, ist die Nächste, und meint mich. Ich nicke.
Es gibt Schlimmeres. Es gibt immer Schlimmeres, sagt ein Freund, und du weißt, wie ich das meine.
Was sagt man, was sagt man nicht?
Meine Schwester kommt einen Monat früher als geplant aus Asien zurück. Sie hat keine Wohnung, keine Krankenkasse, keinen Job.
Aber das ist nicht wichtig, sagt sie.
Frau Bönsch sagt: Es tut mir ja leid, dass ich schon wieder auf den Topf muss, aber entweder Sie essen, oder Sie haben Besuch da.
Ich sage: Machen Sie sich keine Sorgen, ich klingle auch gern für Sie, wenn Sie an Ihren Knopf wieder nicht herankommen.
Frau Bönsch stoppt gern mal die Zeit, wenn sie den Knopf drückt. Wir warten dann, bis die Tür aufgeht und entweder der faule Jörg, wie sie ihn nennt, hereinkommt oder Schwester Martha und Frau Bönsch direkt fragt: Haben Sie mich gerufen?
Ein, zwei Mal haben Frau Bönsch und ich wohl gleichzeitig geklingelt, und als die Schwester den Kopf zur Tür reinsteckte, hatte ich gar keine Möglichkeit, mich bemerkbar zu machen, weil Frau Bönsch schneller war und mein Bett hinter der Tür steht. Chance verpasst, habe ich da gedacht und eine weitere halbe Stunde gewartet, bis ich mich wieder getraut habe, den roten Knopf zu drücken.
Gerade ziehe ich den Löffel aus der Serviette, da geht die Tür auf, und einer von den Gelben schiebt einen Rollstuhl herein.
Mit dem Frühstück müssen Sie noch warten, ich habe jetzt anderes mit Ihnen vor.
Ich lege den Löffel in die Serviette zurück, rolle sie wieder zusammen, weil es mir schwerfällt, loszulassen und einfach aufzustehen.
Man hat Ihnen nichts gesagt, ich seh schon, sagt der Mann, der kurz zu Frau Bönsch schaut, dann erneut zu mir, ich blicke schnell wieder auf die zerknitterte Serviette, trotzdem fühle ich, wie die Bönsch mein Gesicht fixiert. Sie schüttelt den Kopf.
Ich fahr Sie zur Lungenendoskopie in den dritten Stock. An sich geht das fix, ich hol Sie dann auch wieder ab, und in drei Stunden dürfen Sie Ihr Frühstück nachholen.
Wir stehen vor dem Fahrstuhl, die Metalltüren öffnen sich, und zwei Männer in blau-roten Anzügen steigen aus. Sie tragen irgendwelche Gerätschaften unter den Armen. Sie grüßen den Gelben, bleiben dicht gedrängt an der Wand stehen. Der Gelbe schiebt mich in den Fahrstuhl, die Türen schließen sich.
Kennen Sie die?, fragt er mich. Ich kann ihn nicht sehen, weil er hinter mir steht. In seiner Stimme spüre ich, dass er die beiden merkwürdig findet.
Wer sind die?, frage ich.
Das sind die Papierauswechsler.
Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, dass er die Papierkästen in den Toilettenräumen meint.
Die sind verrückt, fährt er fort. Steigen immer aus, wenn jemand anders zusteigt, haben Angst, zu viele zu sein.
Verstehe, sage ich.
So, da sind wir, sagt er, ich melde Sie an.
Alles Gute, wünscht er mir, bevor er zum Fahrstuhl zurückläuft. Auf seinem Display liest er den nächsten Abholort ab, der nächste Patient.
Manchmal bin ich dankbar für den kurzen Moment der Vertrautheit, weil alles so eindeutig ist.
Der Arzt kommt mir sehr klein vor, obwohl er über mich gebeugt ist und dazu erhöht steht. Ich liege auf dem Rücken, die Arme an den Körper gepresst.
Ich fahr Sie mal noch ein Stück weiter runter, sagt er. Es tut mir leid, dass wir Sie so überfallen haben. Eigentlich sollte die Aufklärung in Ruhe erfolgen, doch dann hätten wir Sie erst morgen untersuchen können, und das wäre ein verschenkter Tag gewesen.
Ich verstehe sofort, was für ein Arzt er ist. Einer, der die Dinge lieber schnell erledigt.
Deshalb machen wir das jetzt, und Sie müssten dann noch unterschreiben.
Okay, sage ich.
Sie wissen, weshalb Sie hier sind?, fährt er fort und knipst die Lampe über meinem Kopf an. Wegen der schwarzen Flecken auf Ihrer Lunge, die schauen wir uns jetzt mal genauer an.
Unzweifelhaft bin ich die Jüngste auf der Station.
Seit wann hast du denn Kontakt zu deinem Vater?, fragt meine Mutter.
Seit einem Jahr, sage ich.
Der Arzt lädt meine Eltern ein, um über eine mögliche Nierenspende zu sprechen. Früher oder später müsse man sich darüber Gedanken machen. Er sagt: Besser ist es, von Anfang an offen über alles zu sprechen. Später wird es meist viel schwieriger.
Hallo, sagt mein Vater.
Und? Wie geht's?, fragt meine Mutter, eine Mischung aus Vorwurf und aufgesetzt guter Laune liegt in ihrer Stimme.
Mehr sagen sie nicht, nach zwanzig Jahren. Meine Mutter ist wieder zu spät, es gehört zu ihrem Auftritt.
Was hat der Arzt gesagt?, fragt sie später, als wir drei um den Zimmertisch sitzen.
Dass wir es uns emotional gut überlegen müssen, sagt mein Vater.
Das ist meine Tochter, natürlich sage ich Ja. Sie versucht, die Starke zu spielen, und schaut ihn dabei direkt an.
Ich sage: Mama, natürlich ist das eine emotionale Sache.
Kurz sind alle still.
Frau Bönsch sitzt die ganze Zeit aufrecht im Bett, ein bisschen ist sie vielleicht wie meine...
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