Schweitzer Fachinformationen
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Revolutionen, tiefgreifende Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind das Ergebnis bestimmter Entwicklungslinien. Noch vor hundert Jahren arbeiteten Menschen in Fabriken 14 Stunden und mehr am Stück, Führung funktionierte über Druck und Kontrolle und Mitarbeiter waren eher Befehlsempfänger als kreative Mitgestalter. 1906 entstanden mit dem Bau des Larkin Administration Buildings in Buffalo, New York, die ersten Großraumbüros, die maximale Produktivität gewährleisten sollten.
Heute erscheint die Arbeitssituation von 250 Mitarbeitern in einem Raum, die in exakt ausgerichteten Schreibtischreihen wie am Fließband arbeiteten, eher abschreckend. Die Idee hielt sich jedoch bis in die 1960er Jahre, wenn auch aufgelockert als eine Art Bürolandschaft mit modernen Möbeln, Trennwänden und Pflanzenarrangements. Daraus entwickelten sich letztendlich die heutigen Co-Working-Spaces. Die Arbeitssituation spiegelte auch stets die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Bedingungen, unter denen wir leben und arbeiten, verändern sich heutzutage, insbesondere aufgrund der technischen Innovationsdichte, in rasanter Geschwindigkeit. Doch bislang blieb die Arbeitswelt, obwohl immer mal wieder Anpassungen an die Bedürfnisse der Arbeitnehmer durchgesetzt wurden, eher in ihren Traditionen verhaftet.
Seit über 200 Jahren hatten Menschen vor allem die Arbeitszeit im Fokus, wenn es um Veränderungen der Arbeitsbedingungen ging. Der Arbeitsort wurde kaum je infrage gestellt. Der Deal lautete: Das Unternehmen honoriert den Aufenthalt (und die Arbeit) der Mitarbeiter am Arbeitsort mit deren Gehalt oder Lohn. Die Idee, die Arbeitsstunden quasi nicht mehr direkt über die Anwesenheit der Mitarbeiter im Unternehmen kontrollieren zu können, erschien vor diesem Hintergrund erst einmal völlig abwegig. Und es gab über viele Jahrzehnte zunächst auch ein viel dringenderes Thema: die Reduktion der Arbeitszeit.
Die Geschichte unseres heutigen Achtstundentages nahm ihren Anfang im England des 18./19. Jahrhunderts. Im Zuge der industriellen Revolution waren infolge des hohen Bedarfs an Arbeitern in den Fabriken 12- bis 14-Stunden-Tage in großen Werkshallen üblich. Der walisische Unternehmer Robert Owen (1771 - 1858) erkannte als einer der Ersten den Zusammenhang zwischen menschenwürdigen Lebensbedingungen, Arbeitszeit und Produktivität. Das Experiment kürzerer Arbeitszeiten - damals von 14 auf 10,5 Stunden täglich - gab ihm Recht. Owen wies nach, dass eine Arbeitszeit von 14 Stunden geringere Effektivität bedeutete und eine Verkürzung der Arbeitszeit diese steigerte. Zusammen mit einer Kranken- und Altersrentenversicherung sowie günstigen Wohnungen für die Arbeiter und bezahlbaren Gütern des täglichen Bedarfs ergab das ein innovatives Gesamtpaket und bescherte dem Unternehmer großen Erfolg: Die Produktivität seiner Fabrik erhöhte sich drastisch und sie wurde zum Musterbetrieb. In den 1810er Jahren ging Owen deshalb noch einen Schritt weiter und formulierte in Großbritannien seine Forderung des Achtstundentages.
Der Slogan von Unternehmer Robert Owen zur Forderung des Achtstundentages: »Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung.«
Obwohl hochrangige Politiker, Fürsten und Könige sowie über 20 000 ganz normale Menschen seinen Musterbetrieb besuchten und sich ein Bild von den Arbeitsbedingungen machten, konnten sich Owens Ideen nicht durchsetzen. Doch der Gedanke war in der Welt - und damit auch in den Köpfen der Unternehmer. Fabrikbesitzern aus den unterschiedlichsten Branchen wurde langsam klar, dass die Produktivität ihrer Betriebe nicht proportional zu den Arbeitsstunden stieg.
Am 1. Mai 1886, also über 70 Jahre nach Owens revolutionärer Forderung, riefen US-Gewerkschaften zu Streiks für eine Arbeitszeitverkürzung auf acht Stunden auf und Hunderttausende Arbeiter beteiligten sich daran. Zwei Tage später löste die Polizei die Demonstration gewaltsam auf, es gab Tote und Verletzte. In der nächsten Nacht versammelten sich die Arbeiter am Haymarket Square in Chicago. Jemand warf eine Bombe in die Versammlung und die Polizisten schossen auf die friedlich Demonstrierenden. Die Gewerkschaften schrieben sich die Kampfforderung auf die Fahne. Ihr Argument: Nur so lasse sich das Arbeitslosenproblem lösen, das infolge der technischen Entwicklungen und der damit verbundenen Rationalisierung entstanden war.
In den 1890er Jahren experimentierten einige Arbeitgeber mit dem Achtstundentag und stellten erstaunt fest, dass die Gesamtleistung pro Arbeiter und Tag weiter stieg. Der US-amerikanische Fabrikant Henry Ford preschte vor. 1914 wurde er von Unternehmerverbänden heftig kritisiert, weil er die Löhne seiner Arbeiter verdoppelte und die Schichten in den Ford-Werken gleichzeitig von neun auf acht Stunden reduzierte. Der Erfolg gab ihm Recht: Fords Geschäft boomte. Aber erst hundert Jahre nachdem Robert Owen bewiesen hatte, dass eine Arbeitszeitverkürzung für alle von Vorteil war, wurde eine der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung erfüllt. 1918 wurde der Achtstundentag schließlich gesetzlich in Deutschland geregelt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte das Thema Arbeitszeit weiter auf der Agenda und warb ab 1956 für die Einführung der Fünftagewoche mit 40 Stunden Arbeitszeit.
Der Slogan des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Forderung nach der Einführung der Fünftagewoche: »Samstags gehört Vati mir.«
1965 wurde das arbeitsfreie Wochenende eingeführt und damit für zahlreiche Arbeitnehmer zur Selbstverständlichkeit. Doch der Wunsch nach einer kürzeren Arbeitszeit blieb und die IG-Metall kämpfte fortan für die 35-Stunden-Woche. 1984 kam es zu langwierigen Verhandlungen und Streiks. Im sogenannten Leber-Kompromiss wurde schließlich eine durchschnittliche betriebliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden festgelegt.
Als Folge des technologischen Fortschritts hat so mancher Vordenker schon vor langer Zeit die These formuliert, dass wir eines Tages nur noch wenige Stunden in der Woche arbeiten würden. Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, befand den Fünfstundentag als ausreichend, der Ökonom John Maynard Keynes prognostizierte 1930 eine Wochenarbeitszeit von 15 Stunden im Jahr 2030. Auch ökologisch wäre eine kürzere Arbeitszeit allemal sinnvoller. Doch noch immer hängen Unternehmen an der Maximierung der Arbeitszeit, tricksen immer wieder, hebeln den Achtstundentag aus und verpflichten Arbeitnehmer auf die eine oder andere Weise zu längeren Arbeitszeiten. So arbeitete einer Studie des Kölner Instituts zur Erforschung sozialer Chancen (ISO) zur realen Arbeitszeit in deutschen Betrieben zufolge 2004 ein Vollzeitbeschäftigter im Schnitt 42 Stunden pro Woche (Nercessian 2004).
Doch kürzere Arbeitszeiten sind ein Dauerthema. So wird momentan die Viertagewoche diskutiert und in Modellprojekten ausprobiert - auch hier stellte sich heraus, dass eine kürzere Arbeitszeit eher eine Steigerung der Produktivität zur Folge hat und die Aufmerksamkeit der Beschäftigten nach vier Stunden ohnehin nachlässt. Doch das Problem des Lohnausgleichs bei verkürzter Arbeit ist alles andere als geklärt.
Wir sehen, dass die Diskussionen rund um die Bedürfnisse der Arbeitnehmer sowie um die Produktivität und Effizienz von Arbeit eher um die Anwesenheitszeiten am Arbeitsplatz kreisten. Der Spielraum, den auch die Präsenzkultur bot, wurde kaum hinterfragt oder erweitert. Aber warum halten wir trotz der zahlreichen Beweise, dass Produktivität und festgelegte Arbeitszeiten, aber auch der Ort, an dem die Arbeit geleistet wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang stehen, daran fest? Längst ist klar, dass dieses Arbeitsmodell kein Garant für Produktivität ist.
Trotz einiger Versuche von Unternehmen in Richtung Remote Work stellten vor der Coronakrise eher die traditionellen Denkweisen die Weichen. In selbstbestimmter Arbeitszeit an einem selbst gewählten Arbeitsort das Gleiche schaffen - und das alles bei materieller Absicherung und Sicherheit -, galt lange als (zu) fortschrittlicher Ansatz. 2007 erschien das Buch »Die 4-Stunden-Woche« von Tim Ferris und wurde zum Bestseller. Der Unternehmer beschreibt darin, wie er mit nur vier Stunden Arbeit in der Woche sein Unternehmen leitet, und zwar von den bezauberndsten Orten dieser Welt aus. Auf Social-Media-Kanälen sieht man ihn entspannt im Gras liegen, beim Klettern oder Windsurfen, garniert mit Fotos von Traumstränden. Kein Wunder, dass sich viele Selbstständige, aber auch Angestellte nach dieser Freiheit sehnten, die eine bessere Lebensqualität dieser Verbindung aus Freizeit...
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