Schweitzer Fachinformationen
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Unsere Zeit wird von drei großen Themen bestimmt: vom Klimawandel, von der Krise der neoliberalen Weltordnung und von der Migration.
Der Klimawandel ist das weitreichendste der drei Probleme. Er umfasst die gesamte Lebensgrundlage unseres Planeten und spielt bei zahlreichen weiteren drängenden Herausforderungen eine große Rolle, wenn er sie nicht sogar verursacht. Globale Pandemien und Migrationswellen als Folgen des Klimawandels sind möglicherweise erst ein Anfang. Wie wir inzwischen wissen, entstehen Pandemien durch Zoonosen, das heißt dadurch, dass Viren von Tieren auf Menschen überspringen, weil diese in Biotope eingedrungen sind, die sie besser in Ruhe gelassen hätten. Auch Migration entstand dadurch, dass wir in den vergangenen Jahrhunderten das Leben der anderen nicht in Ruhe gelassen haben: durch den Kolonialismus, durch die Zerstörung früherer Formen des Zusammenlebens, durch das politische und soziale Chaos als Folge der absurden Überzeugung einiger Menschen, anderen ihre eigene Kultur, Religion und Ideologie aufdrängen zu müssen. Die wachsende soziale und ökonomische Ungleichheit wird - verursacht von der neoliberalen Marktlogik und durch den Klimawandel verstärkt - zu noch mehr Migration führen.
In all diesen Fällen handelt es sich um ein displacement: Lebewesen, die ihrem ursprünglichen Lebensraum entrissen werden und in einer Umgebung landen, in der ihre Anwesenheit unvorhersehbare Folgen hat. Menschen, Pflanzen und andere Lebewesen, die sich in vielen Jahrhunderten, ja vielleicht sogar Jahrtausenden, an einem spezifischen Ort auf dieser Erde eine bestimmte Form oder Kultur angeeignet haben, werden nun durch einen sich ändernden Kontext gezwungen, den Ort zu wechseln, sich anzupassen oder eine andere Gestalt anzunehmen. Solche Formen des displacement beeinflussen nicht nur die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, miteinander kommunizieren oder das Sprechen im öffentlichen Raum regulieren, sie verändern auch die Strukturen dieser Lebewesen selbst. Wir können beobachten, wie immer mehr migrierende Lebewesen sich aufgrund des Klimawandels an neue Biotope anpassen und dadurch neue Varianten ausbilden. Genetisches Material verändert sich schneller, als wir angenommen haben, geprägt, wie wir sind, von einer Biologie, die bisher vorwiegend standorttreue Arten erforscht hat. Amseln pfeifen in der Stadt anders als auf dem Land, und auch ihre Ernährung ist eine andere; Füchse passen Streifzüge und Speiseplan ihren städtischen Revieren an, sie folgen dabei einer Logik, die sich sehr von der Logik ihres früheren Lebensraums unterscheidet, da sich ihre Überlebensstrategie bezüglich Nahrung und Fortpflanzung an anderen Bedürfnissen orientiert; subtropische Eidechsen migrieren heute entlang neuer Routen, die noch kaum erforscht sind; aufgrund sich ändernder Wassertemperaturen suchen Fische andere Laichplätze, bisweilen Tausende Kilometer von den ursprünglichen entfernt; Exoten gelangen als blinde Passagiere auf Frachtschiffen in für sie ungewohnte Gebiete und plündern und zerstören ganze Biotope; Pflanzen verschieben die Grenzen ihres angestammten Klimas und wandern mit den veränderten Temperaturen mit. Ballungsräume führen nachweislich zu Mutationen in der DNA von Tieren und Pflanzen. Noch weiß niemand, welche negativen Einflüsse Luftverschmutzung und Erderwärmung in Zukunft auf die Tier- und Pflanzen-DNA haben werden und wie sich das auf deren Überlebensfähigkeit auswirken wird. Die in den Sperrgebieten um Tschernobyl und Fukushima lebenden Tiere verwandeln die verfallende Industriearchitektur nach und nach in einen surrealen Lebensraum, doch lässt sich nicht im Mindesten voraussagen, welche Folgen die genetischen Veränderungen, die sie durchlaufen, auf zukünftige Tiergenerationen haben werden.
Etwas durchaus Vergleichbares ist bei der Migration von Menschen zu beobachten. Sie passen die Erinnerungen an ihre Kultur an die neue Situation an, in der sie zu überleben versuchen. Die Sprache von Migranten unterscheidet sich mit der Zeit von der Sprache der Gemeinschaft, die sie verlassen haben, wodurch ihr Selbstbild zwischen Verwurzeltsein und Anpassung aufgerieben wird; außerdem beeinflussen Migranten die Sprache der Bevölkerung ihres neuen Aufenthaltslandes, vor allem, wenn sie in den Medien, der Forschung oder der Literatur tätig sind. Die Literatur Großbritanniens zum Beispiel ist bekanntermaßen schon lange sprachlich von der Literatur seiner Eingewanderten geprägt. Es herrscht nicht länger eine bestimmte Tradition vor; an ihre Stelle tritt ein dynamischer kultureller Pluralismus. Gemeint sind damit Muster, Prozesse und Modi, die zwar bei früheren Migrationswellen bereits in Erscheinung getreten sind, in unserer heutigen überbevölkerten und überhitzten Welt jedoch massenhaft und planetar stattfinden und ungekannte Dimensionen erreicht haben. Was Goethe noch Weltkultur nannte, ist für uns weitgehend zur europäischen Folklore geworden. Wie sich die Aufklärungsidee einer »Weltkultur« zur heutigen Globalisierung verhält, wird erst seit einer Generation konkret diskutiert.
Viele der sogenannten Naturvölker hatten früher keine Ahnung, wie abhängig sie von den Ressourcen waren, die sie endlos extrahierten oder vernichteten. Jahrtausendelang war es der Mensch gewohnt, den Reichtum der Erde für unerschöpf?lich zu halten, und niemand zweifelte daran, dass der Mensch diesen Überfluss verdient habe. Der amerikanische Evolutionsbiologe Jared Diamond beschreibt in seiner beeindruckenden Studie Kollaps ausführlich, wie polynesische und andere alte Kulturen ihren Untergang dadurch besiegelten, dass sie unbegrenzt Wälder rodeten, ausgerechnet jene Tierarten ausrotteten, die ihre Lebensgrundlage bildeten, und Biosphären, die seit Jahrmillionen in einem Gleichgewicht existierten, innerhalb weniger Generationen vollkommen zerstörten.
Auch die Kolonisatoren des 18. Jahrhunderts rotteten noch rein zum Vergnügen Tierarten aus, die dem Menschen gegenüber nicht den geringsten Argwohn hegten, weil ihre Evolution in einer Welt ohne Menschen stattgefunden hatte - man denke dabei an den Dodo, bestimmte Pinguin-Arten oder große Seekuh-Kolonien -, in der irrigen Annahme, dass dem Planeten gewissermaßen eine Unendlichkeit eigen wäre und die biblische, gottgegebene Natur ihnen alles erlauben würde. Nie hätten sie sich vorstellen können, dass zwei Jahrhunderte später Menschen auf dem Planeten unter Klaustrophobie leiden könnten, weil sie begreifen, dass sie den in der Natur sich abzeichnenden Problemen der Endlichkeit nicht entrinnen können.
Dabei hatte Immanuel Kant schon 1795 davor gewarnt, dass wir uns »nicht ins Unendliche zerstreuen können«, weil die Erde eine »Kugelfläche« besitze. Das heißt: Um den Weltfrieden zu schaffen, müssen die Völker, so Kant, unmissverständlich vereinbaren, wie sie mit der ihnen zur Verfügung stehenden »Oberfläche der Erde« umgehen wollen; von Natur aus ist kein Mensch mehr befugt als ein anderer, an einem bestimmten Ort der Erde zu leben. Aus diesem Grund verurteilt er den Kolonialismus der handeltreibenden Staaten, die, wie er sagt, zwischen Besuchen und Erobern fremder Länder und Völker keinen Unterschied machen, und er warnte davor, dass das universale Recht, die Erde friedlich bewohnen zu dürfen, im Moment überall gebrochen werde. Wie wir heute wissen, waren die Mächtigen, die Ökonomen und die Politiker taub für die prophetische Kraft seiner Worte.
Gustave Flaubert erzählt in einer spannenden Geschichte, wie der heilige Julian bei der Hirschjagd in einen wahren Blutrausch geriet, und die Chroniken des späten Mittelalters beschreiben königliche Festmahle, bei denen Tausende Vögel, Hunderte Hasen und Fasane und unzählige Stare aufgetischt wurden; im Himmel drängte sich eine Üppigkeit, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Noch in meiner Jugend, vor ungefähr einem halben Jahrhundert, lärmten in den Himmeln über den Feldern Goldammern, Feldlerchen, hoch fliegende Kiebitze mit ihrem verhaltenen Zwitschern, die Hecken quollen über vor Spatzenschwärmen und Meisen, die Wälder waren im Sommer durchdrungen vom trägen Ruf des Zilpzalps und dem Gesang der Gartengrasmücken und Drosseln, auf dem Land gab es im April noch überall Kuckucke, und in den Gärten fanden sich im September ganze Wolken lichttrunkener Tagpfauenaugen, die sich am gärenden Fallobst gütlich taten. Das alles ist vorbei - diese Geschöpfe haben Hunderttausende von Jahren auf der Erde gelebt und sind innerhalb nur einer Generation von Menschen fast vollkommen verschwunden. Kürzlich entdeckte man bei Untersuchungen in den Körpern einiger Insekten fast fünfzig unterschiedliche Insektizide. In den letzten dreißig Jahren ist mehr als ein Drittel der Insekten ausgestorben, Bienenarten sind durch den übermäßigen und weltweiten Einsatz von Pestiziden vom Aussterben bedroht. Regenwürmer, die für die Fruchtbarkeit der Humusschicht unverzichtbar sind, werden durch die in der Landwirtschaft eingesetzten Chemikalien stark reduziert. Auf keinen einzigen dieser Erdmitbewohner können wir verzichten, wenn wir Biodiversität und gesunde Biotope bewahren wollen.
Inzwischen ist das, was wir Natur nennen, vor allem still und leer. Die für unsere gemäßigte Klimazone typischen Baumarten wie Ulmen sterben ab, sogar die Buchenwälder, die seit Menschengedenken unsere Landschaften prägen, drohen zu verschwinden, weil sich das oberflächliche Wurzelsystem der Buchen durch die Trockenheit lockert und sie zuhauf von den immer stärker werdenden Stürmen gefällt...
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