Schweitzer Fachinformationen
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Ich bin tot, sagte Makina, als alles sich aufbäumte. Ein Mann überquerte am Stock die Straße, da ging ein dumpfes Ächzen durch den Asphalt, der Mann hielt inne, als wollte er die Frage noch einmal hören, und unter seinen Füßen tat sich der Boden auf. Er verschlang den Mann, ein Auto, einen Hund, den gesamten Sauerstoff rundum, sogar die Schreie der Passanten. Ich bin tot, sagte Makina, doch kaum hatte sie das gesagt, da sträubte sich ihr ganzer Körper gegen das Urteil, verzweifelt stampften ihre Füße rückwärts, jeder Schritt einen Fußbreit hinter dem Erdrutsch, bis der Abgrund sich zu einem makellosen Kreis rundete, und Makina war in Sicherheit.
Verdammte, tückische Stadt, sagte sie, ständig dabei, sich in den Keller zu verabschieden.
Zum ersten Mal hatte sie der tellurische Irrwitz erwischt. Fünf Jahrhunderte Gier nach Silber hatten das Großstädtchen gründlich mit Schächten und Tunneln untergraben, und manch armer Teufel erfuhr am eigenen Leib, wie jämmerlich sie befestigt waren. Ganze Häuser waren in die Unterwelt umgezogen, ein Fußballplatz, ein halbes verlassenes Schulgebäude. So etwas passiert immer anderen, bis es einem selbst passiert, sagte sie sich. Sie warf einen Blick in den Abgrund, bemitleidete den armen Teufel auf seiner Unglücksfahrt. Glück auf dem Weg, sagte sie ohne Ironie und murmelte dann, jetzt aber schnell den Auftrag erledigt.
Ihre Mutter, die Cora, hatte sie zu sich gerufen und gesagt, geh, bring dem Bruder den Zettel hier, ich schick dich nicht gern, Mädchen, aber wem soll ich's auftragen, einem Mann? Dann schlang sie die Arme um sie und hielt sie fest auf ihrem Schoß, ohne Pathos, ohne Tränen, so war eben die Cora, selbst zwei Schritt entfernt war es so, als säße man auf ihrem Schoß, zwischen den dunklen Brüsten, im Schatten ihres breiten, stämmigen Halses, sie musste nur das Wort an einen richten, und man fühlte sich behütet. Sie hatte noch gesagt: Geh ins Großstädtchen zu den harten Kerlen, biet deine Dienste an, kann sein, sie helfen bei der Reise.
Sie hatte keinerlei Grund, als Erstes zu Herrn W. zu gehen, doch ihr Verlangen nach Wasser führte sie dem Dampf entgegen, in dem er weilte. Bis unter die Nägel spürte sie die Erde, als wäre auch sie in der Grube verschwunden.
Der Kassierer war ein hitziger, stolzer Junge, mit dem Makina sich einmal aufs Pflügen eingelassen hatte. Es war auf die plumpe Art gewesen, in der so etwas gewöhnlich geschieht, aber da die Männer sich bei dem Gezappel allesamt für Meister halten und er sich bei ihr eindeutig verzappelt hatte, schlug der Junge jetzt die Augen nieder, wenn er sie traf. Makina ging schön langsam auf ihn zu, er beugte sich aus dem Kassenhäuschen, wollte schon sagen, halt, kein Durchgang, oder vielmehr, nicht für dich, du darfst nicht durch. Sein Schwung hielt drei Sekunden an, denn sie blieb nicht stehen, und er brachte kein Wort hervor, konnte nur noch gewichtig die Augen heben, als sie schon an ihm vorbei war, unterwegs zum Türken.
Herr W. war ein seliger Anblick bleicher Rundungen, gemasert von blauen Äderchen. Herr W. weilte im Saal der feuchten Hitze. Die Seiten der Morgenzeitung klebten an den Kacheln, und Herr W. pellte sie beim Lesen eine nach der anderen ab. Ohne Erstaunen blickte er Makina an. Was gibt's, fragte er. Ein Bierchen? Immer her, sagte Makina. Herr W. zog ein Bier aus der Eiswanne zu seinen Füßen, öffnete es mit der Hand und reichte es hinüber. Sie setzten steil die Flaschen an, leerten sie wie um die Wette, genossen schweigend das Geplänkel zwischen dem Wasser außen und innen.
Wie geht's der Frau Mutter, fragte Herr W.
Vor langer Zeit hatte die Cora Herrn W. beigestanden, Genaueres wusste Makina nicht, bloß, dass Herr W. damals auf der Flucht gewesen war und die Cora ihn versteckt hatte, bis der Sturm vorüber war. Seitdem war ihm heilig, was die Cora sagte.
Sie geht noch, wie sie immer sagt, Sie wissen ja.
Das wusste Herr W., und Makina fügte hinzu: Sie schickt mich mit einem Auftrag, und zeigte in eine Himmelsrichtung.
Du gehst rüber?, fragte Herr W. Makina nickte.
Schön, geh nur, ich geb Bescheid, meine Leute bringen dich.
Wer?
Er erkennt dich.
Sie schwiegen wieder. Makina war, als hörte sie das Wasser innen durch die Haut Richtung Oberfläche klettern. Es war angenehm, und schon immer hatte sie gern gemeinsam mit Herrn W. geschwiegen, seit sie ihn als dürres, verängstigtes Tier kennengelernt hatte, dem sie Pulque und Pökelfleisch ins Versteck brachte. Aber sie musste gehen, musste tun, was zu tun war, denn sie wusste, auf so vertrautem Fuß sie auch standen, sie durfte sich hier nicht aufhalten, eines waren die Ausnahmen, etwas anderes, die Regeln zu ändern. Sie sagte danke und Herr W. sein Aber-bitte-Kleine, und sie wandelte fort.
Sie wusste, wo Herr H. zu finden war, aber nicht, ob man sie vorlassen würde, auch wenn sie den Türhüter ebenfalls kannte, einen Schweinehund, dessen Süßholz sie verschmäht hatte, den sie aber dennoch bis unter die Haut durchschaute. Es hieß, er habe einmal im Auftrag von Herrn H. eine Frau in einer Mülltonne am Straßenrand abgeladen. Makina hatte ihn zur Zeit seines Werbens gefragt, ob das stimme, und er geantwortet, spielt doch keine Rolle, Hauptsache, ich bring keine ums Vergnügen. Er sagte das, als wär's ein Scherz.
Da war sie. Pulquería Raskolnikova stand auf dem Schild. Darunter der Türhüter. An dem konnte sie nicht vorbeitänzeln, deshalb baute sie sich vor ihm auf und sagte: Frag ihn, ob er mich empfängt. Der Türhüter musterte sie mit eisigem Hass, nickte, rührte sich aber nicht vom Fleck, steckte einen Kaugummi in den Mund, kaute gemächlich, spuckte ihn aus. Noch ein Weilchen gaffte er Makina an. Dann drehte er sich lustlos um, als wollte er pinkeln gehen, bloß aus Langeweile, trat in die Pulquería, kam zurück und lehnte sich an die Mauer. Noch immer wortlos. Makina schnaubte, erst da sagte der Wächter: Gehst du nun rein oder was?
Drinnen waren nicht mehr als fünf Säufer. Genau ließ sich das nicht feststellen, denn oft verlor sich einer im Sägemehl am Boden. Der Laden roch, wie es sich gehörte, nach Pisse und Gegorenem. Hinten trennte ein Vorhang das Schmutzvolk von den Wichtigen: bloß ein Stückchen Stoff, doch ins Private wagte sich niemand ohne Plazet. Nun mach schon, hörte Makina Herrn H. sagen.
Sie schob den Vorhang beiseite und stieß auf Goldgefunkel und Papageienhemd: Herr H., der gerade mit drei seiner Gorillas beim Domino saß. Alle drei glichen sich, einen Namen hatte ihres Wissens keiner, dafür eine Kanone. Der 45er-Gorilla spielte mit Herrn H. gegen die beiden 38er-Gorillas. Herr H. hielt drei Steine in der Hand und warf einen Seitenblick auf Makina, ohne sie abzulegen. Einen Platz würde er ihr nicht anbieten.
Sie haben damals meinem Bruder gesagt, wohin er muss, um seine Angelegenheit zu regeln, sagte Makina, jetzt geh ich und suche ihn.
Herr H. schloss die Faust um die Steine und sah ihr in die Augen.
Du gehst rüber?, fragte er drängend, obwohl die Antwort auf der Hand lag. Makina bejahte.
Herr H. lächelte unheilvoll, so natürlich wie eine Schlange in Menschengestalt, die ihre Beine verflocht. Er rief etwas in einer Sprache, die Makina nicht verstand, und als der Wirt durch den Vorhang blickte, sagte er: Ein Gläschen Pulque für die Kleine.
Der Kopf des Wirts verschwand, und der Mann fuhr fort: Klar doch, Mädchen, klar . Du bittest mich um Hilfe, was?, bist ein bisschen stolz und willst es nicht aussprechen, aber bittest mich um Hilfe, und sieh da, ich sage klar doch.
Jetzt kam bestimmt der Nackenschlag. Herr H. musste einen Packesel nur sehen, schon juckte es ihn, etwas mitreiten zu lassen. Herr H. lächelte ohne Unterlass, blieb aber ein Reptil in Hosen. Wer weiß, wie der harte Kerl zu ihrer Mutter stand. Sie wusste, dass sie nicht miteinander sprachen, schrieb es aber der Arroganz der Macht zu. Jemand hatte ihr zugemunkelt, er sei mit der Cora verwandt, ein anderer, den beiden stecke ein Ärger im Hals, doch sie hatte nie danach gefragt; wenn die Cora nichts sagte, hatte sie ihre Gründe. Aber Makina spürte das Böse im Raum schweben. Nun kam der Nackenschlag.
Sollst bloß was mitnehmen, ein winziges Nichts, das gibst du einem Sozius, und der gibt dir Bescheid übers Brüderchen.
Herr H. neigte sich zu einem der 38er-Gorillas und flüsterte ihm ins Ohr. Der stand auf und entschwand dem Separée.
Der Wirt erschien mit einem Maßkrug, der von Pulque überlief.
Bringen Sie einen mit Nussgeschmack. Und schön kühl, dieser Mistgeifer hier geht zurück.
Vielleicht hatte sie den Bogen überspannt, aber eine kleine Unverschämtheit hatte sie sich leisten müssen. Der Wirt sah zu Herrn H., der nickte, und er zog mit dem Pulquekrug wieder ab.
Der Gorilla kam mit einem Päckchen zurück, in goldfarbenes Tuch geschlagen, so schmal, als enthielte es zwei Maispasteten, reichte es Herrn H., der mit beiden Händen danach griff.
Nur ein klitzekleiner Gefallen, puppenleicht, keine Angst, ja?
Makina nickte, griff nach dem Päckchen, aber Herr H. ließ nicht los.
Kipp deinen Pulque runter, sagte er und deutete auf den Wirt, der mit vorgehaltenem Krug hereinkam. Makina streckte langsam die Hand aus, trank das Gebräu bis zur Neige, der süße, erdige Geschmack wühlte ihre Eingeweide auf.
Prösterchen, sagte Herr H. Dann ließ er das Paket los.
Man wühlt...
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