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Als Mutter hat Åsa eigentlich alles richtig gemacht. Und als Schwiegermutter? Weil ihr Sohn und seine Partnerin unverhofft eine Bleibe brauchen, bietet Åsa dem Paar an, bei ihr einzuziehen. Doch sie ahnt nicht, wie sehr das neue Zusammenleben das Verhältnis zu ihrem Sohn infrage stellen wird. Aus wechselnden Perspektiven schildert Moa Herngren eine Mutter-SohnBeziehung, die vollkommen auf den Kopf gestellt wird.Åsa und ihr Sohn Andreas hatten immer schon ein enges Verhältnis. Andreas ist Einzelkind, Åsa hat ihn allein großgezogen - sie sind ein eingespieltes Team. Deshalb ist es für Åsa keine Frage, dass sie ihm und seiner Freundin Josefin anbietet, bei ihr unterzukommen, als die beiden kurzfristig ohne Wohnung dastehen. Doch das Zusammenleben stellt Åsa vor ungeahnte Herausforderungen. Ihre Versuche, eine Verbindung zu Josefin aufzubauen, schlagen fehl. Plötzlich sieht sie sich mit nie da gewesenen Vorwürfen zu Andreas' Kindheit und Jugend konfrontiert, und sie erkennt ihren eigenen Sohn kaum wieder. Schmerzlich wird sich Åsa bewusst, dass sie nicht mehr die wichtigste Person in Andreas' Leben ist.
Manchmal fragte ich mich, was passiert wäre, wenn Andreas und Josefin eine andere Lösung gefunden hätten, als sie plötzlich ohne ein Dach über dem Kopf dastanden. Wenn nicht die Wasserleitungen in ihrer Wohnung hätten ausgetauscht werden müssen, oder wenn die zuständige Baufirma nicht Konkurs gegangen wäre und sich nicht alles so in die Länge gezogen hätte. Oder wenn Stina und Björn nicht in Brasilien gewesen wären und ihre Wohnung nicht bereits an einen Freund vermietet hätten, der sich gerade scheiden ließ. Nur ist es so eben nicht gekommen.
Das Angebot, Andreas und Josefin könnten doch die sechs Wochen, in denen ihre Wohnung eine Baustelle war, zu mir ziehen, kam von mir. Ich dachte, etwas Gesellschaft wäre doch nett, und noch dazu wäre es eine gute Gelegenheit, Josefin noch besser kennenzulernen. Auch wenn mir klar war, dass es nicht so werden würde wie zu Andreas' Schulzeiten, als Heidi bei uns war. Die beiden waren Teenager gewesen, und Heidi ein einfacher, unkomplizierter Mensch. Es war mühelos gewesen, sie im Haus zu haben, und vielleicht hatte ich mir auch genau das wieder erhofft. Etwas von der Gemeinschaft, die wir damals gehabt hatten. Zusammen zu essen, bei Tee und einem Kartenspiel am Kachelofen zu sitzen, mal einen Film zu schauen oder einfach eine Flasche Wein zu trinken. Licht im Küchenfenster zu sehen, wenn ich abends nach einer langen Zugfahrt nach Hause kam, statt einen stillen, leeren Flur zu betreten.
Andreas und Josefin zogen also in Andreas' altes Zimmer in dem rosa Holzhaus ganz oben auf dem Hügel, in dem wir wohnten, seit Andreas zehn war. Damals hatten wir beide nach einem komplizierten Dreieckstausch die 61 Quadratmeter in der Atlasmuren 16 am Sankt Eriksplan für 85 Quadratmeter auf zwei Etagen in Gröndal verlassen.
Die Wohnung hatte vier Zimmer und ausreichend Platz für uns alle, und der Garten und die Terrasse boten genug Schlupfwinkel, um sich zurückziehen, wenn es einem zwischendurch mal zu eng wurde. Aber wenn ich ehrlich bin, war ich auch ein bisschen nervös. Irgendetwas an Josefin machte mich lächerlicherweise unsicher. Es kam mir albern vor, mir das einzugestehen, aber so war es nun mal. Nachdem Josefin vor einiger Zeit langsam etwas zugänglicher geworden war, ging sie jetzt eher wieder auf Distanz. Ich kam irgendwie nicht recht an sie heran. Der Small Talk, ist wichtiger, als man meint, er macht das Kennenlernen geschmeidiger. Wer es für aufgesetzt und oberflächlich hält, über das Wetter oder etwas ähnlich Unwichtiges zu reden, begreift nicht, dass es vielmehr ohne diese Nebensächlichkeiten unnatürlich wird.
In Josefins Fall war ich unschlüssig, ob es sich um ein bewusstes Statement handelte oder nicht, jedenfalls schluckte sie die sozialen Köder einfach nicht. Wenn ich zu einem Gespräch ansetzte, sie fragte, wie es ihr gehe oder was sie heute so gemacht habe, antwortete sie meist knapp und stellte keine Gegenfragen. Als spielte man Tennis, und das Gegenüber ließ den Ball immer wieder vom Platz hüpfen. Durch meinen Job hatte ich gelernt, dass Kommunikation nicht immer einfach ist, und so nahm ich es als Herausforderung. Manche Menschen sind schwerer aus der Reserve zu locken als andere, aber wenn man es erst einmal geschafft hat, ist die Belohnung umso größer. Ich hatte also nicht vor, mich so schnell geschlagen zu geben.
Sie zogen an einem Samstagabend ein, und am Morgen darauf tischte ich ein üppiges Sonntagsfrühstück auf, für Andreas und mich seit seiner Kindheit eine Art Tradition. Sonntags gönnten wir uns etwas Besonderes, nahmen uns Zeit und ließen es uns an einem hübsch gedeckten Tisch gutgehen. Weil Josefin vegan lebte, hatte ich mir Mühe gegeben und Pfannkuchen ohne Ei und Smoothies mit Sojajoghurt gemacht. Außerdem gab es frisch gepressten Saft und Andreas' Leibspeisen, Rührei und selbst gebackene Scones, natürlich auch in einer veganen Variante.
Gerade als der Kaffee fertig war, kam Andreas schnuppernd die Treppe herunter. Er brach sich ein Stückchen lauwarmen Scone ab und tauchte es in die Schüssel mit Clotted Creme.
»Meine Güte, du hast ja ganz schön aufgefahren, Mama. Fast noch schlimmer als sonst«, scherzte er und fragte dann, ob es okay sei, wenn er das Frühstück mit in sein Zimmer nehme. Er und Josefin seien gerädert vom Umzug und noch nicht richtig wach, sie würden gern noch ein bisschen gemütlich im Bett bleiben. Natürlich nur, wenn ich das nicht blöd fände. Sonst könnten sie auch hier unten essen. Ich schüttelte den Kopf. Selbstverständlich sollten sie es so machen, wie es ihnen am liebsten war. Schließlich waren sie jetzt genauso hier zu Hause wie ich, und es gab keine Bedingungen oder Vorschriften. Sicher, insgeheim hatte ich auf ein gemeinsames Frühstück am ersten Tag gehofft und spürte eine gewisse Enttäuschung. Aber dazu hatten wir ja noch genug Gelegenheit.
Andreas umarmte mich.
»Wirklich toll, dass wir hier wohnen dürfen, Mama.«
Nur dass das Frühstück auf dem Zimmer kein Einzelfall blieb, sondern nach und nach eher zur Regel wurde. Auch das Abendessen nahmen sie gerne mit auf ihr Zimmer. Die meiste Zeit zogen sich die beiden zurück. Obwohl ich ihr Bedürfnis nach Ruhe verstehen konnte, nagte es an mir. Es sah Andreas nicht ähnlich, sich so abzuschotten. Früher hatte er die opulenten Wochenendfrühstücke geliebt und immer Freunde zu Besuch gehabt, je mehr, desto besser, und sie hingen gerne in unserer Küche herum. Diese introvertierte, verschlossene Version von ihm war mir fremd. Natürlich konnte es daran liegen, dass sie verliebt waren und nur Augen füreinander hatten. Das verstand ich ja auch. Aber Andreas war mindestens genauso verliebt in Heidi gewesen und trotzdem er selbst geblieben, hatte sich seine übliche gesellige Art bewahrt, und sich nicht in eine Liebesblase zurückgezogen.
Ich strengte mich wirklich an, es locker zu nehmen und nicht in negative Gedanken zu verfallen. Schließlich waren die beiden erwachsen und lebten nur vorübergehend bei mir. Aber es ist nun mal das eine, sich Mühe zu geben, und das andere, es auch zu schaffen. Wenn wir einmal am Essenstisch versammelt waren, kam es mir vor, als würden nur Andreas und ich reden, Josefin hielt sich bedeckt und hörte zu. Konnte sie sich nicht auch ein bisschen anstrengen? Sie schien überhaupt kein Interesse daran zu haben, eine Beziehung zu mir oder irgendjemandem außer Andreas aufzubauen. Es störte mich, dass nur ich mir Mühe gab.
Als ich Andreas ganz vorsichtig darauf ansprach, nahm er Josefin natürlich in Schutz. Es sei nicht so leicht, bei der Mutter seines Freundes einzuziehen, und Josefin habe eben ein starkes Bedürfnis nach Grenzen und Rückzug. Ich könne nicht verlangen, dass alle Menschen so sind wie ich und sich damit wohlfühlen, im Schlafanzug mit anderen Leuten zu frühstücken oder sich sofort unterhalten zu wollen, sobald man die Nase aus dem Schlafzimmer gesteckt hat. Das stimmte natürlich, und es sollte sich auch niemand zur Geselligkeit verpflichtet fühlen, aber vielleicht musste man manchmal ein bisschen über seinen Schatten springen, damit es nicht so steif wurde. Ich war ja immerhin ihre »Schwiegermutter« und gehörte zur Familie. Nicht nur über Andreas sondern auch über Stina und Björn. Das hatte ja schon fast etwas Demonstratives. Es fühlte sich unnatürlich und seltsam an, dass sie mir offensichtlich aus dem Weg ging, während wir unter einem Dach lebten.
Andreas und ich gehörten einfach zusammen. Auch wenn wir mal aneinandergerieten und genervt waren. Nicht, dass wir uns je besonders viel gestritten hätten, aber das bisschen Reibung, das es gab, fühlte sich natürlich an. Auch mit Heidi war es deutlich einfacher gewesen, wenn sie bei uns übernachtete. Wenn mir etwas nicht passte, konnte ich das sagen, ohne dass sie es in den falschen Hals bekam, und wir pflegten einen Umgangston, der es uns erlaubte, über Missverständnisse zu scherzen und über unsere Fehler und Defizite zu lachen. Mit Josefin war alles irgendwie fragiler. Mit ihr hatte man einen Gast, der lieber für sich selbst bleiben wollte. Wenn man ihr zufällig an der Badezimmertür begegnete, wirkte sie verlegen und murmelte nur ein Hallo. Ich wunderte mich auch, dass Stinas und Björns Tochter ihnen so gar nicht ähnlich war. Schließlich waren es Stinas Wärme und Offenheit, die uns damals zu besten Freundinnen gemacht hatten.
Ich dachte viel über mein eigenes Verhältnis zu meiner Schwiegermutter nach. Jannes Mutter Elsie. Früher hatten wir Kontakt gehabt, der aber im Sande verlaufen war, als ihr Sohn aus meinem und Andreas' Leben verschwunden war. Ich hatte mich immer gefragt, wie man so überhaupt kein Interesse an seinem eigenen Enkel haben kann. Für Sam empfand ich eine bedingungslose Liebe, seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Vermutlich lag es daran, dass Elsie ihre Hunde wichtiger gewesen waren als Kind und Enkel. Sie war besessen von Hundeausstellungen und ihren Scotch Terriern, deren Namen alle mit M anfingen. Moses, Mary und Malte. Elsie und ich waren wohl eher höflich miteinander umgegangen, auch wenn ich mich erinnerte, dass ich mir durchaus Mühe gegeben hatte, sie kennenzulernen. Zur Mutter meines ersten Freunds, Brita, hatte ich eine Beziehung gehabt, die eher an die zwischen mir und Heidi erinnerte. Ich suchte ihre Gesellschaft und hatte das Gefühl, dass sie mich mochte. Sie war ein Vorbild für mich gewesen, sowohl menschlich als auch als »Schwiegermutter«.
Ich wollte von Josefin gemocht werden, aber mochte ich Josefin? Wenn ich so genau darüber nachdachte, tat ich das wohl nicht. Die Wochen vergingen, und ich schaffte es einfach nicht, eine Verbindung zu ihr herzustellen. Aber ich gab nicht auf. Zumindest damals noch nicht. Das kam viel später. Vielleicht...
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