1 Die Persönlichkeit des Serviceberaters
In diesem Kapitel erfahren Sie etwas über die Historie, aus der sich die Tätigkeit des Serviceberaters ableitet - aus dem Meistertitel. Dazu muss man sich in das tiefe Mittelalter zurückbegeben, in die Zeit Luthers um 1500, der dem Begriff Arbeit eine ungemeine Aufwertung zukommen ließ und deren Auswirkungen insbesondere in Deutschland bis ins heutige Handwerk hineinreichen. Ich zeige auf, an welcher Stelle die alten Traditionen nicht mehr greifen, vielmehr sogar zu negativen Effekten führen, und nicht zuletzt, was Sie als Serviceberater der heutigen Zeit aus der Historie heraus lernen sollten, um in Zukunft Ihren Job noch langfristig machen zu können.
1.1 Im Dienste des Herrn - wie ein Meisterbrief wirkt und manchmal auch hemmt
1.1.1 Luthers Erbe des "Gewissenhaften Arbeitens"
Bis zum Jahre 1500 war die Welt in Deutschland ziemlich einfach gestrickt. Der Adel und die Kirche hatten das Sagen und 95 Prozent der Bevölkerung klaubte auf den Feldern der Lehnsherren Frühkartoffeln. Das Seelenheil war einem gewiss, wenn man ein gottgefälliges Leben führte und den Tag mit beten und arbeiten zubrachte. Mit Martin Luther änderte sich das gewaltig. Er proklamierte, dass Beruf etwas mit Berufung zu tun habe und das träfe eben nicht nur für das Priestertum zu, sondern eben auch und insbesondere für das Handwerk. Luther war derjenige, der das Gewissen und die Arbeit zusammenbrachte zu "gewissenhafter Arbeit". Ab diesem Zeitpunkt waren die Handwerker im Allgemeinen und die Meister im Besonderen eben nicht nur Erbringer von Leistungen, sondern auch und insbesondere ihrem Gewissen verpflichtet, bestmögliche - mithin meisterliche - Arbeit abzuliefern. Mit der Lehre von Luther wurde die handwerkliche Arbeit so weit aufgewertet, dass der Handwerksmeister quasi immer auch im Dienste des Herrn unterwegs war und die Qualität meisterlicher Arbeit eben in diesem Zusammenhang gesehen Seelenheil versprach.
Der Handwerksmeister war damit verpflichtet, Arbeit abzuliefern, die er mit seinem Gewissen vereinbaren konnte oder wenn das zum Beispiel aus Zeitmangel nicht ging, eben einen Auftrag abzulehnen (vgl. Nieschmidt, Mitarbeiterführung auf dem Prüfstand). "Mein Gott" werden Sie sagen, "das ist 500 Jahre her"! Ja - aber noch im Jahre 1988 bekam ich in der "Handwerkskammer zu Köln" (wobei das "zu" den historischen Aspekt verdeutlicht) den Kfz-Meisterbrief vom siegelberingten Prüfungsausschussvorsitzenden mit folgenden Worten überreicht:
MEINE HERREN, SIE SIND NUN HANDWERKSMEISTER!
BEDENKEN SIE IMMER: ÜBER JEDEM BISCHOF KOMMT IMMER NOCH DER PAPST. ÜBER DEM HANDWERKSMEISTER KOMMT NUR NOCH DER LIEBE GOTT!
Henschen, 1988, Meisterprüfungsausschuss HWK Köln
Na - wie finden Sie das? Willkommen im Mittelalter! Damals hielt ich das für einen ziemlichen Humbug eines in Erinnerungen schwelgenden alten Herrn. Seit ich jedoch über Luther gelesen habe, weiß ich: Der meinte das tatsächlich bitterernst! So erschließen sich einem manche Dinge erst 30 Jahre später und man erkennt die historische Größe dieses Zitates!
Nebenbei bemerkt befindet sich eine Meisterprüfungsordnung für das Kraftfahrzeughandwerk von 1937 in meinem Besitz. Im handwerklichen Teil stehen dort zu 80 Prozent Aufgaben, die ich auch 1988 noch durchführen musste. Jetzt werden einige von Ihnen sagen: "Ja, das war 1988. Aber im Jahre 2000 wurde ja die Meisterprüfung komplett umgestaltet und an heutige Erfordernisse angepasst." Da möchte ich Ihnen antworten: Zunächst einmal hat das Jahr 2000 mit den heutigen Erfordernissen nicht mehr viel zu tun. Und diejenigen, welche nach 2000 die Meisterprüfung absolviert haben, sind heute höchstens 45 Jahre alt. Ergo gibt es eine ganze Legion von Serviceberatern, die nach den althergebrachten Regeln geprüft wurden und im Zweifel noch gut 20 Jahre in dem Job arbeiten müssen. Und auch die Ausbildung nach 2000 ist primär technikorientiert, wie man der folgenden Übersicht entnehmen kann:
Abb 2: Meisterprüfungsurkunde - der historische Hintergrund ist noch erkennbar
Abb 3: Bildungsanteile der Ausbildung zum Kfz-Meister (Quelle: Wirtschaftsgesellschaft des Kraftfahrzeuggewerbes mbH, 2013)
Was Sie daraus lernen sollten: Verlassen Sie sich nicht darauf, dass Ihnen die Meisterprüfung heute noch für den Job des Serviceberaters reicht! Ich persönlich halte die Meisterprüfung für die Aufgabe eines Werkstattleiters für geboten. Als Vorbereitung auf die Aufgaben eines Serviceberaters kann sie allerdings nur ein Ansatz sein, der mit vielen Aspekten ergänzt werden muss.
Merke: Unser Verständnis von gewissenhafter Arbeit entstammt dem tiefen Mittelalter und muss, ohne die Qualität aufzugeben, überarbeitet werden.
1.1.2 Qualitätslieferung vor Kundennutzen
Vielmehr war es nach Luther so, dass Schnelligkeit und Verfügbarkeit zugunsten einer meisterlichen Qualität geopfert wurden. Meisterliches Arbeiten stand ab da im Fokus und war oberstes Gebot. Das war die Hürde, welche genommen werden musste, nicht der Kundenwunsch. Ein Auftrag, der nicht mehr in die Planung passte, wurde rigoros abgelehnt. Das kenne ich als Kunde im Handwerk übrigens noch heute. Arbeitsteilung kam im Handwerk damals nicht vor und wird auch heute primär in der Umsetzung der Arbeit lediglich in der Arbeitsteilung zwischen Gesellen und Auszubildenden aktiv gelebt. Diejenigen, welche damals Arbeitsprozesse auseinandernahmen und ständig wiederkehrende Arbeitsschritte separierten und nicht zuletzt auch durch eine Arbeitsvorbereitung ständig verbesserten, wurden zu den heutigen Industriebetrieben. Da ist das Handwerk noch deutlich traditionell unterwegs.
Nehmen wir als Beispiel nur den Diagnosetechniker, welcher einen Auftrag von vorne bis hinten durcharbeitet, also auch an der Lagertheke steht und wartet, derweil ein zweiter - nämlich der Lagermitarbeiter die geforderten Teile besorgt. Da müsste man auch mal dringend ran. Oder sich stundenlang mechanisch mit der Armaturentafel auseinandersetzt, um an die notwendige Messstelle zu gelangen. Und diese Armaturentafel nachher auch schön wieder zusammenfügt. Am Schluss dann noch alles schön wieder reinigt, den Arbeitsplatz aufräumt und dann erst nach neuer Arbeit fragt. Und das, obwohl er für vieles davon eigentlich im Sinne einer effektiven Nutzung von Expertenwissen "überqualifiziert" und nebenbei auch zu teuer ist und eigentlich auch keine Zeit dafür hat. Sein geballtes Wissen wäre an anderer Stelle viel effektiver nutzbar, kann aber nicht abgerufen werden, weil er gerade eine Verkleidung losschraubt.
Da ist selbst der profane Tiefbau weiter. Hier macht der Baggerführer den ganzen Tag nur eines: baggern. Er hat noch immer einen Hilfsarbeiter mit der Schaufel in der Baugrube stehen, der ihn einweist oder auch schon mal etwas von Hand freischaufelt. Das aus einem Grund: damit er eben das den ganzen Tag verrechenbar machen kann, was er am besten kann: baggern! Und weil sein Arbeitsgerät sehr teuer war. Nun sind ein Tester und ein Bagger schlecht vergleichbar. Wenn man aber den Tester und das Diagnostikerwissen als Ganzes nimmt, dann wird das schon greifbarer.
Und auch eine andere aus der Tradition stammende Überlieferung spielt heute noch eine große Rolle: Lehrlinge wurden damals wie heute nicht entlohnt, kamen aber auch in der Produktivität nicht vor. "Moment", werden Sie jetzt sagen, "die bekommen doch Geld!" Ja, Ausbildungsvergütung! Sie wurden früher in Kost und Logis ausbezahlt und jeden Tag an den Ohren gezogen. Heute bekommen die Auszubildenden offensichtlich eine Vergütung dafür, dass sie die Ausbildung erleiden müssen. Sie sehen, wir sind da auch sprachlich gar nicht so weit weg. Das Einzige, was sich wirklich geändert hat, ist die Verantwortung fürs Lernen. Noch zu meiner Zeit waren wir "Lehrlinge" und waren schon des Begriffs wegen für unser Lernen verantwortlich. Und der Lehrherr hat uns was gezeigt. Und Lehrjahre waren bekanntlich keine Herrenjahre. Heute sind das eben "Auszubildende". Merken Sie, wer jetzt die Verantwortung dafür hat, dass die jungen Menschen etwas werden, etwas lernen? Und vielfach begegnet mir heute noch das Argument, dass Lehrlinge, pardon Auszubildende zu teuer seien, da sie ja nicht produktiv eingesetzt werden (können) - anstatt Auszubildende auch schon in der Planung aktiv mit einzuplanen, sie nach Kräften zu fordern und zu fördern und dann Geld zu verdienen. Aber dazu später.
Damals im Mittelalter gab es den Begriff des gerechten Preises. Er setzte sich zusammen aus den Kosten für das Material, dem Gesellenlohn und dem Preis für eine meisterliche Haushaltsführung. Dass Preise am Markt gemacht wurden, das kannte man damals noch nicht. War ja auch nicht nötig, da der Kunde nur den Auftrag brachte und ansonsten der Meister entschied, ob er ihn überhaupt machen konnte und was er denn dafür bekam.
Auch heute noch höre ich vielfach von Serviceberatern, auch von jüngeren, was sie sowohl technisch als auch in Bezug auf Kosten für den Kunden nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Und hält uns Techniker - und da beziehe ich mich deutlich mit ein - nicht vielfach die feste Überzeugung, was technisch "nötig" und was "unnötig" ist, davon ab, Kundenwünsche zu erfüllen? Mir hat vor nicht allzu langer Zeit ein Serviceberater im Seminar noch erklärt, 235er Winterreifen würde ich von ihm in keinem Falle verkauft bekommen, auch wenn ich die bestimmt haben wolle. Mit so einem Reifen könne man nicht durch den Schnee fahren. Fertig! Martin...