Ein wahrer Held
von Stefan Hensch
Lister übernahm die Führung, und Zamorra war nicht unglücklich darüber. Er war zwar ein passabler Reiter, aber dies hier war definitiv das Metier seines Freundes.
»Haben wir überhaupt noch eine Chance, den Kerl einzuholen?«
Die Gesichtszüge des Cowboys waren wie in Stein gemeißelt, als er Zamorra ansah. »Du hast so lange eine Chance, wie du glaubst, eine zu haben.«
Zamorra schluckte hart, um sich ein Lächeln zu verkneifen. Es gab Menschen, die mit deutlich schlechteren Slogans ein Vermögen gemacht hatten ...
Professor Maxwell Dinkleberg sah sich zufrieden auf der Ausgrabungsstelle um. Sie war sein Baby. Insgesamt gab es vier Gruben, in denen seine Leute mit Arbeitern tätig waren. Governor City war ein echter Glücksfall. Vor achtzig Jahren hatte die Stadt noch auf den Namen Hudson gehört. Einer kurzen Blüte war ein rapider Niedergang gefolgt. Die Stadt war zur Geisterstadt geworden, und die letzten Bewohner kehrten ihr den Rücken zu.
Der Ausbau der Eisenbahnstrecke bis nach Brixton hatte das alte Hudson aus der Vergessenheit gerissen. Die ersten Siedler fanden überraschend gut erhaltene Gebäude vor, denen das trockene Wüstenklima wenig geschadet hatte. Schnell wurden weitere Unterkünfte für Neuankömmlinge benötigt, weshalb mit Bauarbeiten begonnen wurde. Arbeiter waren währenddessen auf die Reste einer noch älteren Siedlung gestoßen. Dies war nun die Zuständigkeit Dinkleburgs und seiner Leute.
Heißer Wind kam auf und wehte dem Professor ins Gesicht. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Er griff in seine Hosentasche und wischte sich mit einem Stofftaschentuch durchs Gesicht. Ihm war es viel zu heiß, aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Hier galt es einen Auftrag zu erfüllen, und genau das würde er tun.
Mit genau bemessenen Schritten ging Dinkleburg zum Rand der großen rechteckigen Grube. Vier Arbeiter legten die Grundmauern des ehemals größten Baus mit ruhigen Bewegungen weiter frei. Packard, der Jüngste der Archäologen, stand etwas abseits und starrte auf eine Karte in seinen Händen.
Ohne sich um den jüngeren Mann zu kümmern, legte Dinkelburg einen Zollstock an die Grundmauern an. 3,5 Zoll. Er befeuchtete seinen Zeigefinger und blätterte in seinem Notizbuch und trug das Maß ein. »1,25 Zoll tiefer sind nicht gerade viel«, murmelte er vor sich hin.
Jetzt bemerkte Packard den Professor und faltete die Karte zusammen. »Guten Morgen, Professor.«
»Guten Morgen, Anthony. Liegen Sie im Plan?«
Packard zögerte. »Zwei meiner Arbeiter kamen gestern nach der Mittagspause nicht zurück.«
Dinkleburg sah zu den Männern hinüber. Glücksritter, Abenteurer und Gesetzlose bevölkerten das Städtchen Governor City, das aus den Ruinen von Hudson erblühte. Mit dem Lohn, den die Universität zahlte, konnte man im besten Fall Taugenichtse anwerben, und genauso sahen die vier Kerle auch aus. Immerhin hatten sie keinen Alkohol dabei und rochen auch nicht danach.
»Sie müssen ihren Leuten klar machen, dass sie nicht fürs Nichtstun bezahlt werden.«
Packard presste die Lippen zusammen und nickte dann. »Ich dachte, ich hatte mich deutlich genug ausgedrückt ... «
Der Professor lachte schnaubend. »Sie sollten nicht zu viel denken, Tony. Setzen Sie einfach ihre Anordnungen durch.«
Der Professor hatte das Gesicht des Archäologen aufmerksam beobachtet. Natürlich gefiel Packard die Ansprache nicht. Anthony Packard war aber nicht irgendwer, sondern sein potenzieller Schwiegersohn. Und was seine Tochter anging, da hatte Professor Dinkleburg ziemlich genaue Vorstellungen.
»Haben wir uns verstanden?«
Wieder frischte der Wind auf und trieb ihnen seine Hitze entgegen.
»Natürlich, Professor Dinkleburg.«
Als Nächstes stattete der Ausgrabungsleiter den beiden angrenzenden Ausgrabungsgebieten einen Besuch ab. Das erste Areal lag in Harald Hendersons Verantwortungsbereich, einem erfahrenen Mitarbeiter.
»Sie kommen gut voran«, kommentierte Dinkleburg und machte sich weitere Notizen in seinem kleinen Buch.
Beim nächsten Abschnitt glomm Wut in ihm auf. Werkzeuge und Arbeitsmaterialien lagen überall verstreut. Die Arbeiter hatten sich zusammengerottet, lachten und spielten mit einem sandgefüllten Baumwollsäckchen, das es mit Armen und Beinen in der Luft zu halten galt. Der Verantwortliche starrte in Richtung Sonne und trank hochprozentigen Fusel aus einer Glasflasche.
»Was ist hier los, Molyneux?«
Der Angesprochene fuhr herum und sah den Professor mit blutunterlaufenen Augen an. »Ich kann nicht mehr, Max.«
Wie Henderson gehörte auch Molyneux seit langer Zeit zum Team. So lange, dass sie bereits zur vertraulichen Ansprache gewechselt hatten. Nie zuvor hatte Dinkleburg eine solche Schlamperei bei Molyneux erlebt. Dafür musste es eine Erklärung geben.
»Mein verfluchter Zahn. Er hält mich jede Nacht wach, und ohne Whiskey halte ich es einfach nicht aus«, sagte Molyneux und legte die Linke auf die Wange.
Dinkleburg hatte seinem Mitarbeiter gesagt, dass er vor ihrem Aufbruch zum Arzt gehen sollte. Molyneux hatte auch einen Termin vereinbart, jedoch war er aufgrund einer Krankheit des Zahnarztes abgesagt wurden. So etwas passierte, wenn es auch ärgerlich war.
»Du machst für heute Feierabend, Peter. Erkundige dich bei deinen Leuten, ob es in der Stadt einen Dentisten gibt. Notfalls reitest du in die Nachbarstadt.«
»Danke, Max«, seufzte der Archäologe.
Dinkleburg hatte schon gar nicht mehr hingehört. Für den kaputten Zahn konnte Molyneux nichts, der Ausgrabungsleiter allerdings auch nicht. Am Ende würde er dem Direktor der Universität für die entstandenen Kosten Rechenschaft schulden.
Schlecht gelaunt bewertete er den Fortschritt der Arbeiten und trug die Details in sein Notizbuch ein. Er ließ das Buch geräuschvoll zusammenklappen und giftete zu den gut amüsierten Arbeitern hinüber. Das Spiel hielt sie so sehr gebannt, dass sie Dinkleburg gar nicht bemerkten. Der Professor drückte die Wirbelsäule durch und schritt hoch erhobenen Hauptes auf die Gruppe zu.
»Möchtet ihr heute keinen Lohn?«, fragte der Professor aus nächster Nähe.
Die Gespräche und das Lachen erstarben, das sandgefüllte Säckchen prallte gut hörbar auf die Erde. Vier Augenpaare richteten sich auf Dinkleburg.
»Wir haben auf Mister Molyneuxs Anweisungen gewartet. Als keine kamen, haben wir uns die Zeit vertrieben.«
Dinkleburg sah die Männer scharf an. »Nun gut. Räumt den Saustall hier schnellstmöglich auf. Ich komme in einer halben Stunde wieder. Wenn dann keine Ordnung herrscht, fliegt einer nach dem anderen raus!«
Bis zum Mittag blieb Dinkleburg auf Molyneuxs Herrschaftsgebiet, beaufsichtigte die Arbeiten und trieb die Tagelöhner an. So geschah wenigstens irgendetwas auf diesem Teil der Ausgrabung.
Gegen Mittag verließ der Professor die Gruppe und hielt auf den letzten Abschnitt zu, der die Form eines Parallelogramms aufwies. Der Unterschied zu den anderen Arealen war auffällig. Die Arbeiter glichen emsigen Bienen und arbeiteten zuverlässig. Beeindruckt näherte er sich der verantwortlichen Archäologin. Dabei musste er ein Geräusch verursacht haben, denn die Rothaarige drehte sich um.
»Ich hatte dich schon früher erwartet, Vater«, sagte sie lächelnd.
Der Professor breitete die Arme aus. »Molyneux hat starke Zahnschmerzen und ist auf dem Weg zum Dentisten. Da er seinen Pflichten nicht mehr nachgekommen ist, musste ich sein Herrschaftsgebiet in Ordnung bringen.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Aber jetzt zu dir, Victoria. Täuscht es, oder bist du etwas auf der Spur?«
»Sieh selbst, Vater«, sagte die junge Frau und ging mit ihm zu einer Stelle, an der die Arbeiter einen Schacht freilegten.
»Das sieht nicht wie eine gewöhnliche Hütte aus«, sagte Dinkleburg nachdenklich.
Die Rothaarige schob sich eine Strähne aus dem Gesicht.
»Wir haben die üblichen und zu erwartenden Reste einer ehemaligen Behausung gefunden: Tonscherben, Asche und Reste von Werkzeugen. Die früheren Bewohner haben jedoch auch einen Keller besessen.«
»Ungewöhnlich«, presste Dinkleburg hervor.
Einer der Arbeiter stieß mit einem Spaten zu und machte einen überraschten Satz aus dem Loch heraus, als der Boden unter ihm nachgab. Der Zugang war frei.
»Du bist genau zur rechten Zeit gekommen«, sagte Dinkleburgs Tochter. »Hey Lance, bring mal bitte die Lampe her!«
Kurz darauf hielt Victoria die zischende Gaslaterne in der Rechten und leuchtete von oben in den dunklen Schacht.
»In die Wände sind Sprossen geschlagen«, bemerkte Dinkleburg.
Geschickt stieg die junge Frau hinab. Der Professor seufzte leise. Natürlich ließ sich seine Tochter dieses Privileg nicht nehmen und kletterte als Erste hinunter. Er selbst hätte sich nicht anders verhalten, aber Vicky war nicht irgendein billig ersetzbarer Arbeiter, sondern seine Tochter. In...