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Lewe Bahnsen, Bernd Raffelhüschen
Generationenvertrag GKV?
Die demografische Alterung als Herausforderung für die umlagefinanzierte Krankenversicherung
Einleitung
Ohne grundlegende Reformen ist die langfristige Finanzierbarkeit des deutschen Sozialstaates nicht gewährleistet - diese Erkenntnis dürfte inzwischen bei jeder vernunftbegabten Analyse Konsens sein. Die fehlende fiskalische Nachhaltigkeit legt einen dringenden Reformbedarf offen und lässt weitreichende Konsequenzen erahnen. Bei der Suche nach den Ursachen der langfristigen fiskalischen Schieflage erweisen sich gerade die umlagefinanzierten Sozialversicherungen, also Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, als diejenigen Bestandteile der Sozialpolitik, die deren Nachhaltigkeit maßgeblich torpedieren. Ursache hierfür ist die demografische Alterung, mit der sich neben Deutschland auch die anderen Industrienationen konfrontiert sehen. Ein erheblicher Faktor ist der Umstand, dass sich mit zunehmendem Alter ein steigendes Krankheits(kosten)risiko erkennen lässt (Bundesversicherungsamt, 2018). Die Frage, die sich dabei stellt, ist allerdings, wie sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung in Zukunft entwickelt, wenn die Lebenserwartung weiter steigt. Nimmt die Nachfrage nach Gesundheitsgütern und -dienstleistungen zu oder bleiben die Menschen länger gesünder, sodass entsprechend weniger medizinische Leistungen gebraucht werden?
Die Gesundheitsausgaben in Deutschland haben sich von 1992 (160 Mrd. Euro) bis 2016 (356 Mrd. Euro) mehr als verdoppelt (Destatis, 2018; GBE-Bund, 2019). Ein simpler Vergleich der absoluten Gesundheitsausgaben im Zeitverlauf greift allerdings erheblich zu kurz. Ebenso wie Ausgaben in anderen Sektoren werden die Gesundheitsausgaben von Faktoren wie der wirtschaftlichen Entwicklung, der Bevölkerungsentwicklung oder der allgemeinen Preissteigerung beeinflusst. Wächst also die Wirtschaft Deutschlands, ist es möglich, dass die absoluten Gesundheitsausgaben steigen, ohne dass relativ mehr ausgegeben wird. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), fällt der Anstieg der Gesundheitsausgaben deutlich gemäßigter aus. Von 9,4 % im Jahr 1992 ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP auf 11,4 % im Jahr 2016 gestiegen (GBE-Bund, 2019). In der Summe hat dabei die GKV mit 207 Mrd. Euro den größten Anteil. Dahinter folgen die privaten Haushalte und Organisationen ohne Erwerbszweck mit 47 Mrd. Euro und die Private Krankenversicherung mit rund 31 Mrd. Euro (Destatis, 2018).
Bei einer eingehenderen Analyse der Finanzsituation der GKV müssen Effekte auf der Einnahmen- sowie Ausgabenseite berücksichtigt werden. Einnahmenseitig spielen die Entwicklung der Altersstruktur der GKV-Versicherten (insbesondere das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern), die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie politische Reformmaßnahmen eine Rolle. Ausgabenseitig stellen die demografische Entwicklung und der medizinisch-technische Fortschritt die wesentlichen Faktoren dar.
Vor diesem Hintergrund werden die langfristigen Folgen einer wachsenden Zahl älterer Menschen für das deutsche Gesundheitswesen einer genaueren Untersuchung unterzogen. Aufgrund ihrer vielfältigen Auswirkungen stellt die demografische Alterung eine der größten Herausforderungen für das Gesundheitswesen dar.
Demografische Alterung und die Kostentreiber in der Krankenversicherung
Das Durchschnittsalter der deutschen Bevölkerung hat sich seit der Wiedervereinigung von 39,4 auf 44,4 Jahre erhöht (Destatis, 2019a). Während 1991 noch rund 13 % der Bevölkerung 67 Jahre und älter waren, sind es gegenwärtig 19 %. Obwohl bereits seit den 1970er Jahren bekannt und seitdem kontinuierlich fortschreitend, scheint die demografische Alterung in der öffentlichen Wahrnehmung weiterhin ein Zukunftsproblem zu sein. Dabei wird das Wachstum des Anteils der Bevölkerung im Alter von 67 Jahren und älter in den kommenden Jahrzehnten merklich sichtbar sein (OECD, 2017). Die Bevölkerungsentwicklung in Abbildung 2-1 verdeutlicht dies anschaulich.
Abb. 2-1 Die demografische Entwicklung Deutschlands 2018 bis 2060 (Quelle: eigene Berechnungen).
Die 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes gibt an, dass der Anteil der Bevölkerung im Alter von 67 Jahren und älter von gegenwärtig 19 auf 27 % im Jahr 2060 ansteigen wird (Destatis, 2019b). Diese Entwicklung wurde und wird im Wesentlichen von drei Faktoren beeinflusst, der Fertilität, der Mortalität und der Migration. Während Zu- und Abwanderungen begrenzte Auswirkungen haben, wird die Alterung der Gesellschaft wesentlich durch die ersten beiden Faktoren geprägt. Bezüglich der Fertilität lässt sich seit Ende der 1970er Jahre eine niedrige, relativ konstante Geburtenrate feststellen. Gleichzeitig lässt sich hinsichtlich der Mortalität eine nachhaltig steigende Lebenserwartung erkennen.1 In Kombination führt dies zu einem doppelten Alterungsprozess und einer Verschiebung des Verhältnisses von jungen und alten Menschen. Das Ergebnis ist eine zunehmend stärkere Besetzung der älteren Bevölkerungskohorten und damit ein erheblicher Anstieg des Altenquotienten.2 Betrug dieser im Jahr 2018 noch 31, wird er im Jahr 2040 auf 47 ansteigen - durch wesentlichen Einfluss der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge.3 Insbesondere in den 2030er Jahren wird sich der Anstieg des Altenquotienten beschleunigen. Zwar stabilisiert sich die Entwicklung danach wieder etwas, im Jahr 2060 stünden dennoch 50 Menschen im Rentenalter (67 Jahre und älter) 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 66 Jahre) gegenüber.
Angesichts dieses sich zuspitzenden Alterungsprozesses wird die langfristige Finanzierbarkeit der deutschen Sozialversicherungssysteme erheblich auf die Probe gestellt. Alle in Bismarck'scher Tradition entworfenen Sicherungssysteme - ob Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung - basieren auf dem Prinzip des Generationenvertrages. Grundsätzlich finanzieren sich gemäß eines solchen, alle Ausgaben an Alte, Kranke oder Pflegebedürftige aus den laufenden Einnahmen der zumeist lohnproportionalen Beiträge der erwerbstätigen Generationen. Eine solche Umlagefinanzierung kann aber langfristig nur dann reibungslos funktionieren, wenn hinreichend viele junge Jahrgänge nachkommen.4 Angesichts der zuvor skizzierten Entwicklung ist diese Voraussetzung allerdings seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.5 Die Konsequenzen des doppelten Alterungsprozesses für die umlagefinanzierten Sozialversicherungen liegen demnach auf der Hand. Es kommt zu einem Sinken der durchschnittlichen Beitragseinnahmen bei gleichzeitigem Anstieg der durchschnittlichen Leistungsausgaben je Mitglied. Ersteres ist darauf zurückzuführen, dass die Beitragszahlungen eines Rentners im Schnitt geringer sind, als die eines Erwerbstätigen. Letzteres resultiert im Wesentlichen aus einer größeren Anzahl älterer Menschen, verbunden mit einer höheren Leistungsinanspruchnahme. Einfacher ausgedrückt, versorgen künftig immer weniger Junge immer mehr Alte, die zugleich immer älter werden.
Die Leistungsinanspruchnahme steigt also mit zunehmendem Alter. Abbildung 2-2 zeigt die durchschnittlichen geschlechtsspezifischen Leistungsausgaben pro GKV-Mitglied nach Alter. Diese weisen sowohl für Frauen als auch für Männer einen u-förmigen Verlauf auf. In den ersten Lebensjahren fallen relativ hohe Ausgaben an. Im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter entstehen hingegen nur geringe Durchschnittskosten pro Jahr. Ab Anfang bis Mitte 50 steigen die Ausgaben dann exponentiell an. Im hohen Alter flacht der Anstieg schließlich ab.
Abb. 2-2 Durchschnittliche geschlechtsspezifische Leistungsausgaben pro GKV-Mitglied (Quelle: eigene Berechnungen).
Geht es um die Frage der langfristigen Finanzierbarkeit der GKV ist der aufgezeigte Querschnitt jedoch nur begrenzt aussagekräftig. Von größerer Bedeutung ist die zukünftige Entwicklung der dargestellten Profile. Die künftigen Ausgaben werden dabei zum einen davon bestimmt, wie der Leistungskatalog der GKV in Zukunft ausgestaltet sein wird und welchen Preis diese Leistungen haben werden. Zum anderen bestimmt der Umfang der Nachfrage nach Gesundheitsgütern und -dienstleistungen die Ausgabenhöhe. Wie der Leistungskatalog der GKV in Zukunft ausgestaltet sein wird, ist eine normative politische Entscheidung und lässt sich dementsprechend nicht vorhersagen. Zwar existiert anders als bei privaten Versicherungsverträgen keine explizite Vereinbarung zwischen der GKV und den Versicherten, jedoch besteht ein implizites Leistungsversprechen. Die gesellschaftliche Akzeptanz des Systems ist dementsprechend maßgeblich vom (zukünftigen) Leistungskatalog sowie dem Beitragssatz abhängig. Umfangreiche Leistungskürzungen und stetige Beitragssatzerhöhungen würden die Akzeptanz des Systems weiter senken, sind aber angesichts der Bevölkerungsentwicklung nahezu unvermeidbar.
Generell wird die Bevölkerungsentwicklung, wie bereits angeführt, von den drei Faktoren Fertilität, Mortalität und Migration bestimmt. Bei einer zunehmend stärkeren Besetzung der älteren Bevölkerungskohorten stellt sich die Frage, wie sich die alternde Gesellschaft auf das Gesundheitswesen und dessen Ausgaben auswirkt. Dies hängt wesentlich davon ab, wie sich die zunehmende Lebenserwartung auf die Gesundheit der älteren Menschen niederschlägt. Unterschiedliche Thesen wurden hierzu bereits formuliert. Abbildung 2-3 stellt die Thesen schematisch dar.
Abb. 2-3 Schematische Darstellung der Thesen zum Zusammenhang zwischen steigender...
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