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Die manipulative Macht der Metapher
Wenn die Tageszeitung morgens titelt: «Neue Flüchtlingswelle droht im Herbst!» und der Gesundheitsminister mittags im Radio eine weitere Infektionswelle ankündigt, muss man schon einigermaßen abgehärtet sein, um nicht mutlos zu werden. Sind in den letzten Jahren nicht genug Wellen auf uns zugerollt und über uns zusammengeschlagen?
Am vertrautesten sind uns Metaphern wohl aus der Literatur, insbesondere der Poesie. Wen rührte es nicht, wenn Lasker-Schüler «eine Sehnsucht an die Welt pochen» lässt, wir bei Rilke «keine Heimat in der Zeit» haben oder bei Celan «geblendet von Worten» sind. Auch aus der Wissenschaft sind uns Metaphern vertraut, wenn von kognitiven Architekturen oder von schwarzen Löchern die Rede ist. Dass auch der politisch-mediale Diskurs von Metaphern durchsetzt ist, nehmen wir aber kaum noch wahr, so viele Wellen sind bereits über uns hinweggeschwappt oder haben sich zu Flüchtlingsströmen verstetigt.
In dieser Gewöhnung liegt ein Problem. Denn die politischen Metaphern weisen ein manipulatives Potential auf, das in den poetischen oder wissenschaftlichen Metaphern keine Parallele hat. Ein Grund dafür ist wohl, dass das Mischungsverhältnis der dahinterstehenden Interessen jeweils ein anderes ist. Ein weiterer Grund mag sein, dass in der Wissenschaft Metaphern gern wegen ihres bildhaften (oder analogischen) Charakters bemüht werden, während sie in der Politik eher wegen ihrer affektiven Komponente geschätzt werden. In diesem Kapitel befassen wir uns besonders mit diesem manipulativen Potential: Es geht um die eigentümliche Macht von Metaphern.
Obgleich Metaphern ein so allgegenwärtiges Phänomen in der Sprache sind, gibt es weder eine allgemein anerkannte Definition dieses Phänomens, noch liegt ihre Wirkungsweise auf der Hand. Wir müssen daher zunächst betrachten, was einen Ausdruck überhaupt zu einer Metapher macht und welche Formen von Metaphern wir unterscheiden können. Dann wenden wir uns ihrer Wirkungsweise zu.
Das Erstaunlichste an Metaphern ist vielleicht, dass sie zwar ungemein nützlich, aber auch ungemein schädlich sein können. Bei ihnen zeigt sich der Dual-Use-Charakter der Sprache besonders deutlich. Wir werden uns zunächst kurz ihrer hellen Seite zuwenden (die Rede von der hellen oder dunklen Seite der Metapher - und von Sprache allgemein - ist natürlich selbst wieder eine Metapher). Drei nützliche Seiten von Metaphern werden in Betracht gezogen: Sie ermöglichen uns, über Dinge zu reden, über die wir (noch) nicht reden konnten; sie lassen uns Dinge sehen, die wir (noch) nicht gesehen haben; sie helfen uns Dinge zu verstehen, die wir (noch) nicht verstanden haben.
Danach wenden wir uns der dunklen Seite der Metapher zu und untersuchen ihr Potential zur Manipulation und Verletzung. Wir werden sehen, dass Metaphern, mehr noch als andere Sprachformen, hartnäckig, geradezu klebrig sein können; sie gehen einem kaum mehr aus dem Sinn. Oft besitzen sie eine affektive Komponente, die unsere Handlungsbereitschaft erhöht. Und sie haben einen Inhalt, der pragmatisch erschlossen werden muss; dadurch hält sich die Sprecher:in ein Hintertürchen offen.
Was macht einen sprachlichen Ausdruck zu einer Metapher? Der Kern der Antwort besteht darin, dass eine Metapher entsteht, wenn ein Wort oder eine Wendung seinem angestammten Zusammenhang entfremdet und in einen neuen Zusammenhang gestellt wird. Es kommt dann zu einer semantischen Spannung. Das Wort «Welle» bezeichnet eigentlich ein aquatisches Phänomen, wird nun aber aus diesem Zusammenhang herausgenommen und dient jetzt zur Bezeichnung von Fluchtbewegungen oder der Verbreitung von Krankheiten. Diese semantische Spannung ist kennzeichnend für Metaphern ganz generell. Das Wort «Wolf» wird gewöhnlich zur Bezeichnung von Tieren einer bestimmten Art gebraucht. Sagt man nun, der Mensch sei ein Wolf, so verwendet man das Wort streng genommen falsch; irgendwie . Von der eigentlichen, wörtlichen Verwendungsweise des Wortes wird abgewichen: Denn der Mensch ist eben (eigentlich) kein Wolf. Nur weil es signifikante Unterschiede zwischen Mensch und Wolf gibt, ist «Der Mensch ist ein Wolf» eine Metapher - und zwar eine, die uns auf Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Wolf hinweisen möchte. Wir erkennen, dass wir es mit einer Metapher zu tun haben, gerade weil sie wörtlich genommen falsch ist; oder einfach nur trivial, wie z.B. in John Donnes berühmtem Gedicht No man is an island. Diese semantische Spannung setzt einen pragmatischen Interpretationsprozess in Gang, auf den wir weiter unten noch zu sprechen kommen werden.
Allerdings ist die Rede von der eigentlichen oder wörtlichen Bedeutung eines Ausdrucks nicht unproblematisch. Könnte nicht auch die metaphorische Verwendung die eigentliche sein? Manche sehen in der Metapher nicht die Abweichung, sondern die Norm, die hauptsächliche oder grundlegende Redeweise. Manche Autor:in behauptet gar, die ganze Sprache sei metaphorisch (Hesse 1988, 1). Und Paul Ricoeur (1978) zufolge bezieht sich die Metapher (bzw. die poetische Sprache als solche) genauso auf die Wirklichkeit wie andere Sprachformen auch. Allerdings verlange die metaphorische, poetische Redeweise ein Art Aufhebung oder Suspendierung der gewöhnlichen Bezugnahme - z.B. auf Tiere der bestimmten natürlichen Art (canis lupus), wenn wir von Wölfen reden. Gleichzeitig sei die metaphorische Bezugnahme die ursprüngliche Bezugnahme, insofern sie die Tiefenstrukturen der Wirklichkeit aufdecke (ebd., 153). Die Suspendierung der gewöhnlichen Bezugnahme sei nötig, um einer radikaleren Sicht auf die Dinge Platz zu machen (ebd., 154).
Auch ist die heutige Bedeutung unserer sprachlichen Ausdrücke das Ergebnis eines oft jahrhundertelangen Prozesses. Die Bedeutung vieler Ausdrücke ist dabei abhandengekommen oder nur noch etymologisch bewanderten Personen bekannt. Metaphern erscheinen als eine treibende Kraft im Bedeutungswandel (Deutscher 2022). Wir übertragen Wörter aus einem vertrauten Bereich auf einen anderen, oft weniger vertrauten, weniger gut verstandenen Bereich, um uns diesen verständlicher zu machen oder auch überhaupt erst über ihn reden zu können. Wir reden z.B. davon, dass wir einen Gedanken fassen, so wie wir eine Tasse oder einen Hammer fassen. Im Laufe der Zeit bürgert sich die Redeweise mehr und mehr ein, bis wir sie nur noch mit Mühe als Metapher wahrnehmen können. Wir sprechen dann von einer toten Metapher, von einem warmen Lächeln oder einem kalten Blick zum Beispiel, oder eben von Fassen eines Gedankens oder von der Flüchtlingswelle.
Man ahnt schon, dass es Bereiche gibt, über die wir bevorzugt metaphorisch sprechen - über Dinge, die in unserem vor sich gehen, und andere Dinge, die sich der unmittelbaren Beobachtung entziehen oder besonders abstrakt sind. Auch gibt es Bereiche, aus denen wir besonders gern Ausdrücke entlehnen, z.B. aus dem Tier- und Pflanzenreich oder unserem eigenen Körper. Statt die oder wörtliche Bedeutung mit einer geheimnisvollen, ursprünglichen Bedeutung gleich zu setzen, sollten wir sie lieber in der konkreten, wahrnehmbaren Erfahrungswelt suchen. Der Wolf ist in erster Linie ein Tier, die Welle ist in erster Linie ein aquatisches Phänomen, und die Architektur ist in erster Linie die eines Bauwerks.
Tote Metaphern, die schon Eingang ins Wörterbuch gefunden haben, sind von neuen und poetischen Metaphern, die weit entfernte Bereiche überspannen, zu unterscheiden. Shakespeare war ein Meister der Metapher, etwa wenn er Hamlet den Menschen als «Quintessenz des Staubs» bezeichnen lässt (Shakespeare 1995, 109). Blumenberg spricht von absoluten Metaphern als «<Übertragungen>, die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen» (Blumenberg 1997, 10), also nicht in eigentliche Rede <übersetzbar> sind, sondern einmal mehr die Unterscheidung zwischen eigentlicher (wörtlicher) und...
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