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Der Krieg im Kosovo liegt mittlerweile mehr als zwanzig Jahre zurück - und doch scheint er mir immer noch sehr nah. Das Buch von Mechthild Henneke bringt viele Erinnerungen zurück. Das ist oft schmerzhaft und macht bewusst, welchen Schrecken mein Land bis zur Befreiung im Juni 1999 durchlebt hat.
Der Kampf für unsere Freiheit hat eine jahrhundertelange Tradition und die Eskalation durch den serbischen Diktator Milosevic im Kosovo ab 1998 war eine logische Konsequenz aus den Balkankriegen, die 1991 in Slowenien begannen.
Ich bin 1971 geboren und stamme aus einer Familie, die seit Generationen aufbegehrt, weil sie nicht akzeptieren will, dass wir Albaner im Kosovo nicht selbst über uns bestimmen dürfen.
Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich in ständiger Angst, weil einer meiner Brüder als politischer Feind inhaftiert wurde, als ich 10 Jahre alt war. Das machte auch mich in den Augen der serbischen Polizei zum potenziellen Untergrundkämpfer. Da die Polizei in den neunziger Jahren willkürlich Menschen verhaftete und wegen angeblicher politischer Aktivitäten ins Gefängnis warf, stellte jede Fahrt zur Schule, jeder Spaziergang durch Prishtina eine Gefahr dar.
Mein Vater entschied deshalb, mich Anfang der neunziger Jahre nach Deutschland zu schicken - vor allem, um mich dem Militärdienst in der jugoslawischen Armee zu entziehen. Diese stellte Wehrdienstleistende aus dem Kosovo im Krieg gegen Bosnien und Kroatien häufig in die ersten Reihen, sodass viele von ihnen starben.
In Deutschland fand ich in Bad Neuenahr-Ahrweiler ein neues Zuhause, lernte die Sprache und konnte meine Leidenschaft für die Medizin entwickeln: Ich begann ein Studium der Humanmedizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Auch privat fasste ich Fuß. Ich integrierte mich in die Gesellschaft, fand Freunde und pflegte viele Hobbys.
Das Leben verlief in ruhigen Bahnen - so schien es nach außen. Hinter der Fassade sah es anders aus. Die Kriege auf dem Balkan beschäftigten die albanischen Freunde und mich ständig. Um unsere Eltern, Geschwister, Verwandten und Freunde in der Heimat sorgten wir uns Tag für Tag.
Milosevic hatte im Kosovo ein Apartheid-System geschaffen, das die serbische Minderheit in allen politischen und gesellschaftlichen Sphären über die kosovo-albanische Bevölkerungsmehrheit stellte. Die Albaner waren aus dem öffentlichen Leben verdrängt, die Kinder aus den Schulen, die Studenten aus der Universität. Jeden Tag gab es Verhaftungen, Menschen verschwanden auf offener Straße. In den Gerichten wurde knallhart geurteilt. Schon der Verdacht, gegen das Herrschaftsregime zu sein, führte zu langjährigen Haftstrafen. Folter war an der Tagesordnung.
Kein Wunder, dass das Auftauchen der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK uns junge Männer in der Ferne euphorisierte. Endlich zeigten wir dem Feind die Zähne. Wenn es auch nur kleine Aktionen ohne großen Effekt waren, die die UÇK unternahm, so stärkten sie uns doch den Rücken und gaben uns Selbstbewusstsein. Unser Anführer Adem Jashari war der unbestrittene Held. Er war nicht nur der Mutigste von allen, er war auch klug und wollte ein gerechteres Land schaffen.
Im März 1998 griffen das serbische Militär und die serbische Polizei das Anwesen der Jasharis in Prekaz, unweit von meinem Heimatdorf, an und beschossen zwei Tage lang die beiden Häuser, in denen sich zu dieser Zeit Adem, seine Frau, Kinder, Eltern, viele weitere Verwandte mit Kindern und Nachbarn befanden. Mehr als 60 Personen starben in dem Kugelhagel. Aber nicht nur das: Auch unsere Hoffnung auf ein besseres Leben starb - zumindest im ersten Moment. Nach Tagen der Trauer wuchs jedoch die Wut und der Wunsch, sich auch auf den Weg zu machen, um mit der Waffe in der Hand für die Unabhängigkeit Kosovos zu kämpfen.
Die Entscheidung, alles in Deutschland hinter mir zu lassen, fiel mir leichter, als Außenstehende vermuteten. Ich war jung, 27 Jahre alt, und wollte mein Land schützen, wollte es nicht länger den serbischen Panzern und Polizisten überlassen. Mein Medizinstudium, die Freundschaften und Beziehungen konnten warten. Sie würde ich später wieder aufnehmen - so dachte ich damals.
Ich ging nicht allein. Mein bester Freund und zwei weitere Freunde, sie heißen Nezir, Afrim und Ekrem, gingen gemeinsam mit mir aus Deutschland in den Krieg. Im Ausbildungslager schlossen sich uns weitere junge Männer an, die so wie wir in Deutschland gelebt hatten und nun dem Ruf des Vaterlands folgten.
Insofern gibt es zwischen dem Roman "Ach, mein Kosovo!" und meiner eigenen Geschichte Ähnlichkeiten. Das ist kein Zufall. Mechthild Henneke und ich haben uns 2003 kennengelernt, als sie in der Pressestelle der Verwaltungsmission der Vereinten Nationen, UNMIK, tätig war und ich als stellvertretender Kommandeur im Sanitätsbataillon des Kosovo Schutzcorps (Trupat e Mbrojtjës së Kosovës - Batalioni 40 i mjekësisë) diente.
Von Anfang an war Mechthild aufgeschlossen für die Erfahrungen, die die Menschen im Kosovo im Krieg gemacht hatten. Lange Abende hörte sie sich die Berichte an und konnte oft nicht glauben, was meine Freunde und ich, genauso wie viele andere Soldaten, in dem einen Jahr bei der UÇK erlebt hatten.
Ich möchte aber an dieser Stelle betonen, dass es sich bei "Ach, mein Kosovo!" um einen Roman handelt. Es ist keine Biografie meines Lebens. Zwar gibt es Parallelen, doch hat Mechthild auch viele literarische Entscheidungen getroffen, die dazu führten, dass es Abweichungen von meiner Geschichte gibt.
Für einen Tatsachenbericht wäre es viel zu früh gewesen. Die Wunden sind noch zu frisch, die Fakten noch zu umstritten, als dass man sie in einem Buch festhalten könnte.
Es gibt noch einen weiteren Grund: Schriebe ich meine Erlebnisse auf, so gäbe es viel mehr Tote, Verwundete, vom Krieg Versehrte. Was ich im Krieg erlebt habe, war brutaler und erbarmungsloser als die Erlebnisse von Taras Galani.
Eine wichtige Übereinstimmung gibt es allerdings: Wie der Romanheld setzte auch ich meine Kenntnisse als ausgebildeter Krankenpfleger in der Notaufnahme sowie als Medizinstudent auf dem Weg zum Arzt im Kosovokrieg ein, um Menschen zu helfen.
Das brachte mich, meine Helfer und vor allem die Verwundeten mit ihren Kriegsverletzungen oft an ihre Grenzen. Es fehlte ständig an Medikamenten, Instrumenten, sterilen Tüchern, räumlichen Möglichkeiten, um Verwundete oder Kranke zu behandeln. Schlimmer als die medizinischen Herausforderungen war häufig die Ohnmacht, nichts tun zu können, weil ich einfach nicht das Material oder die fachliche Kompetenz hatte - oder weil die Umstände die erforderliche medizinische Behandlung nicht zuließen.
Mancher wird sich fragen, wie es überhaupt dazu kam, dass ich als Medizinstudent die Aufgaben eines Feldarztes übernahm. Die Antwort ist einfach: weil es keine Ärzte gab. Das passierte meistens, wenn serbische Truppen uns eingekesselt hatten und die Menschen nicht herauskamen.
Viele Ärzte flohen ins Ausland; die wenigen, die blieben, kamen aus anderen Fachgebieten und hatten nicht die Kenntnisse in der Wundversorgung wie ich. Ich hatte in Deutschland mehrere Jahre in der Notaufnahme eines Krankenhauses gearbeitet. Verkehrsunfälle, Haushaltsunfälle, Verbrennungen - ich wusste viel über die Versorgung von Verletzungen.
Und in der Tat begann ich schon nach dem ersten Gefecht, die Wunden der Soldaten zu versorgen und mich mehr fürs Leben als fürs Sterben zu interessieren.
Das ist so geblieben. Ich möchte, dass die Menschen im Kosovo ein besseres Leben führen. Ich möchte, dass sie ähnliche Möglichkeiten haben, eine medizinische Behandlung zu erhalten wie in Deutschland, zumindest wie in den Ländern der Region.
Deshalb habe ich nach dem Krieg mein Medizinstudium im Kosovo beendet und bin Facharzt der Onkologie geworden. Bald schon trat ich in die Dienste des Gesundheitsministeriums. Ich glaube daran, dass wir im Kosovo eine tiefgreifende Gesundheitsreform brauchen.
Die drei Freunde, mit denen ich die Kriegszeit erlebte, haben alle ein neues Leben angefangen: Einer arbeitet am Flughafen im Kosovo, einer ist zurück nach Deutschland gegangen, wo er wieder in der Baubranche tätig ist, einer lebt in Kanada. Wir haben uns schon lange nicht mehr getroffen.
Kosovo ist seit dem Ende des NATO-Einsatzes einen steinigen Weg gegangen. Erst 2008 erklärte das Land seine Unabhängigkeit. Diese wurde jedoch von einigen Ländern der Region, allen voran Serbien, aber auch von manchen EU-Ländern (Spanien, Slowakei, Rumänien, Griechenland, Zypern) nicht anerkannt. Wir sind immer noch dabei, uns unseren Platz in Europa zu erkämpfen.
Doch wir sind weiter als je zuvor in unserer Geschichte. Insofern war es richtig, nicht mehr still zu halten. Und es war richtig, dass die NATO eingegriffen hat, denn sonst wäre es...
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