Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1
Die Sommer in Nevada waren von jeher heiß. Jetzt in der Mittagszeit stiegen die Temperaturen auf bis zu vierzig Grad Celsius an. Valentine wunderte sich immer wieder darüber, dass sie unter der Hitze litt, obwohl sie zu den wenigen Ureinwohnern zählte. Las Vegas ist eine sogenannte Zuwandererstadt, nur um die zwanzig Prozent der Bürger sind hier geboren. Dazu gehörte auch Val, aber an das Wetter würde sie sich wohl trotzdem nie gewöhnen. Zudem wurde es von Jahr zu Jahr heißer - der Klimawandel ließ grüßen -, zwar nur wenige Grad, dennoch spürte Val es. Vielleicht lag das jedoch auch an ihrer Konstitution. Sie befand sich wieder einmal in einer dieser Phasen, in der sie ohne ihr »Doping« kaum aus dem Bett kam. Wie sie es hasste, so schwach zu sein!
Als sie aus ihrem klimatisierten Wagen stieg, hatte sie das Gefühl, sich durch warmen Sirup zu bewegen. Kurz legte sie ihre Handtasche auf dem Dach ab, um ihr Auto abzuschließen. Das Blech glühte. Dann eilte sie vom Angestelltenparkplatz zum Personaleingang des Decadency, eines der kleinsten, aber exklusivsten Kasinos der Spielerstadt.
Rick, ein junger Kollege mit blonder Stachelfrisur und den großen treuseligen Augen eines Bernhardiners, stand neben der Tür und verlagerte unentwegt sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, als befürchtete er, seine Schuhsohlen könnten an der Teerdecke kleben bleiben. »Man fühlt sich wie in einem Backofen heute, nicht wahr?«
»Warum stehst du dann hier draußen in der Mittagshitze?«, fragte sie und zwinkerte.
Er hielt seine Zigarette hoch und lächelte verlegen. Daraufhin zog er seinen Kopf zwischen seine Schultern, wie er es öfter tat - als versuchte er, sich in seinem eigenen Körper zu verkriechen. Ihre Kollegin Linda, eine der Serviererinnen, hatte ihm, der zu den anerkanntesten Croupiers von Sin City zählte, den Namen die Schildkröte verpasst.
Valentine schaute zum wolkenlosen Himmel auf. Die Sonne brannte unbarmherzig auf den Hinterhof. »Stell dich doch wenigstens um die Ecke, in den Schatten des Gebäudes.«
»Dort könnten mich die Gäste sehen.« Entschuldigend zuckte er mit den Achseln. Die dunklen Flecken auf seinem Hemd schienen sekündlich größer zu werden. »Der Boss will das nicht.«
Stirnrunzelnd spähte sie zu der Mauer, die den Parkplatz der Gäste von dem der Angestellten trennte. Es gab zwar ein Gittertor, aber Rick musste ja nicht ausgerechnet davor Position beziehen. Merkwürdig, dachte sie. Es machte fast den Anschein, als wartete er auf jemanden, zum Beispiel auf einen der Mitarbeiter, die um diese Uhrzeit zur Arbeit kamen. Aber wenn es so war, warum gab er das nicht zu?
Er legte seine marineblaue Jacke, die eine Doppelreihe goldglänzender Knöpfe und einen Stehkragen aufwies und über seiner Schulter lag, auf die andere Seite und öffnete den obersten Knopf seines weißen Hemds. In der Uniform sahen die männlichen Angestellten alle aus wie Kapitäne. Die Kleidung war angelehnt an das viktorianische Zeitalter, wie auch die Inneneinrichtung der öffentlichen Räume. Die meisten Kasinos in Vegas hatten ein Motto, so auch das Decadency. »Wie war deine erste Woche bei uns?«, fragte er.
»Das ist ja nicht mein erster Job als Croupière.« Eigentlich hatte sie nicht in einem Kasino arbeiten wollen, aber es war die einzige vernünftige Arbeit, die sie gefunden hatte. Sie hätte bei einer Fast-Food-Kette anfangen können und sogar in Kauf genommen, ständig nach Essen zu stinken, aber der Verdienst war zu gering, um damit ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Und sie wollte auf eigenen Beinen stehen. Mit sechsundzwanzig Jahren wurde das ja auch Zeit. Aber das Studium war teuer, hinzu kamen die Miete, Lebensmittel, Telefonkosten, Kleidung, Benzin . Sie wischte den Gedanken an die Rechnungen beiseite, die in ihrer kleinen Wohnung lagen und darauf warteten, bezahlt zu werden, denn er lastete schwer auf ihr. Sie bekam keine Luft, hatte Panikattacken, denn bisher war sie finanzielle Sorgen nicht gewohnt gewesen. Seit einem Monat hatte sie nicht mit ihren Eltern gesprochen. Und kein Geld von ihnen erhalten.
Also war sie doch wieder zu ihren Wurzeln zurückgekehrt, dabei hatte sie dieser falschen Glitzerwelt den Rücken zukehren wollen. Aber im Grunde war sie weniger vor den Glücksspielen, den zerstörten Hoffnungen und den Betrunkenen fortgelaufen, als vor ihrer Mom und ihrem Dad. Sie taten ihr nicht gut. Trotz der neuen Sorgen zahlte sie diesen Preis gerne für ihre Freiheit.
Gedankenversunken legte sie ihre Hand an die Klinke des Personaleingangs, doch bevor sie die Tür öffnen konnte, fragte er: »Deine erste Nachtschicht heute?«
»Mittelschicht.« Ihr Blick klärte sich und sie kehrte ins Hier und Jetzt zurück. »Um Mitternacht habe ich Feierabend.«
»Ja, klar, natürlich, sonst wärst du ja erst heute Abend gekommen.« Mit geröteten Wangen kickte er einen Stein weg.
»Ich muss jetzt wirklich rein, sonst komme ich zu spät und bekomme Ärger mit Jacob Bilbray.«
»Er ist ein echt netter Chef.« Fröhlich zog er die Nase kraus. »Aber man darf sich von seiner Statur nicht täuschen lassen. Er sieht .«, mit seinen Händen deutete er die Größe eines voluminösen Kleiderschranks an, »gemütlich aus. Aber wenn etwas schiefläuft, kann er auch anders.«
»Gemütlich? Du meintest wohl korpulent.« Sie hob ihre Augenbrauen und musterte ihn halb rügend, halb amüsiert.
»Kräftig eben.« Während er nach den richtigen Worten suchte, schaute er in der Gegend umher, als erwartete er, dass sie auf dem Asphalt herumliegen würden. Unentwegt sog er seine Unterlippe ein.
Schmunzelnd dachte sie daran, dass Linda ihren Chef den lieben Bären nannte. Man sah bei Jacob Bilbray zwar keinen Bauchansatz, aber er hatte unter seinem feinen Zwirn Oberarme wie ein Holzfäller und ein Kreuz, das breit und massig war. Wenn er sich setzte, schienen seine Oberschenkel seine Stoffhose sprengen zu wollen. Er aß eben gerne. Die Kilos, die er zu viel mit sich herumtrug, verteilten sich gleichmäßig. Sein gemütlicher Gang passte zu seinem ruhigen Charakter. In Vals Augen war er genau richtig so, wie er war. »Bis später.«
»Warte, ich komme mit.« Eilig trat Rick seine Zigarette aus, die nicht einmal halb aufgeraucht war, und stand im nächsten Moment auch schon dicht hinter ihr. Lächelnd hielt er ihr die Tür auf, damit sie vor ihm eintreten konnte. »Ist Linda schon da?«
»Woher soll ich das wissen? Ich war ja noch nicht drin.« Val fühlte sich unwohl. Für ihren Geschmack war er ihr ein wenig zu eng auf den Pelz gerückt. Aber sie war nicht einmal sicher, ob er das merkte. Aufgrund seines spitzbübischen Grinsens wirkte er immer recht jungenhaft und manchmal sogar unbedarft, aber im Job konnte ihm keiner etwas vormachen. Sie schätzte ihn einige wenige Jahre jünger als sich selbst. Vielleicht war er um die dreiundzwanzig, aber auf jeden Fall noch nicht trocken hinter den Ohren.
Rasch betrat sie das Gebäude. Die Kühle der Klimaanlage empfing sie. Erleichtert atmete sie auf. Die Bewegungen fielen ihr mit einem Mal leichter und ihr Kopf war klarer. Sie machte einen Schritt in Richtung der Umkleideräume. »Bis gleich.«
»Wir sehen uns bei den Spieltischen.« Er hob seine Hand zum Abschiedsgruß, zögerte jedoch. Statt zu gehen, blieb er stehen.
Das Schweigen zwischen ihnen war Valentine peinlich. Sie wollte sich gerade umdrehen und einfach in die Damenumkleide gehen, als er laut sagte: »Bestell Linda viele Grüße, wenn du sie siehst.« Noch im Sprechen wandte er sich mit hochroten Wangen ab und lief den Korridor entlang, als wäre er auf der Flucht.
Stirnrunzelnd blieb Valentine zurück. Manchmal war Rick ein komischer Kauz, sie konnte ihn noch nicht richtig einschätzen. War er nun ein liebenswerter junger Mann, der noch nicht trocken hinter den Ohren und deshalb unsicher war? Oder ein Mann mit einem Januskopf, der vordergründig nett und ein wenig verpeilt auftrat, aber auch eine andere, düstere Seite besaß?
Als sie die Damenumkleide betrat, schloss Linda gerade ihren Spind. Abwehrend hob sie ihre Hand. »Du brauchst mir nichts auszurichten. Rick hat so laut gesprochen, dass ich es gehört habe . genauso wie bestimmt alle anderen, die sich in den Hinterzimmern des Kasinos aufhalten.«
Lächelnd schüttelte Valentine den Kopf. »Er ist eben manchmal etwas ungestüm.«
Bei jedem ihrer Worte strich Linda über ihr weiß-blau gestreiftes Kleid, die Uniform der Bedienungen. »Und tollpatschig, plump, infantil, grobmotorisch .«
»Oh!«, machte Val und zwinkerte. »Ich glaube, dass seine zierlichen Hände sehr zärtlich sein können.« Obwohl Rick in manchen Situation wie der typische Stalker wirkte, der den netten Jungen von nebenan nur spielte, aber heimlich in Jacobs Büro die Personalakten der weiblichen Angestellten kopierte, hatte Valentine das Bedürfnis, ihn in Schutz zu nehmen.
»Frauenhände.« Abfällig schnalzte Linda, raffte den Saum ihres Rocks und band ihn in Höhe der Knie mithilfe zweier Laschen fest. Auch oben herum war das Kostüm etwas offenherziger, wohl damit bei den Spielern das Geld lockerer saß und sie nicht nur hohe Beträge einsetzten, sondern auch Champagner und härtere Getränke flaschenweise bestellten, von denen eine den Monatslohn eines Croupiers kostete. Mit den Fingern fuhr sie durch ihre hellblonden Haare. »Ich brauche einen richtigen Kerl, keinen mit Samthandschuhen«, ihr Blick flackerte und Valentine sah, wie ihre sonst so selbstsichere Freundin errötete, »einen wie die im .« Sie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.