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Tamica
Tamica Bishop fühlte sich wie die einsamste Person im »Treasure State« Montana. Daran änderten auch die Menschen um sie herum nichts. Dabei hatte sie alles, was man sich wünschen konnte. Familie, Freunde, einen Job und seit einem halben Jahr sogar ein eigenes bescheidenes Häuschen.
Von außen betrachtet sah alles rosig aus. Wahrscheinlich sollte sie sich glücklich schätzen. Doch das tat sie nicht. Eine Schwarzseherin war sie nicht, das konnte man ihr nicht nachsagen. Sie hatte einfach einen klaren Blick auf die Dinge. Auf ihrer Habenseite handelte es sich lediglich um Fakten, die bei genauer Betrachtung eher blass waren, denn hinter jedem Punkt stand innerlich ein »Schon, aber .«.
Ihre Familie forderte einfach zu viel von ihr. Ihre Freunde traf sie kaum noch, da sie entweder keine Zeit hatte oder zu müde war, um auszugehen. Und wenn sie morgens in die Gärtnerei »The green thumb« fuhr, bekam sie immer öfter Magenschmerzen.
Erst an diesem Morgen hatte sie sich hinterm Steuer ihres Wagens verkrampft und den Bauch massiert, obwohl sie wusste, dass das rein gar nichts brachte, denn das Problem lag woanders.
Und ihre Sollseite war ebenso gefüllt. Dort stand all das, was Tamica fehlte. Spaß zum Beispiel, einfach mal ins Kino gehen, Zeit finden, um ein Café zu besuchen, raus in den Lolo National Forest fahren, um dort zu campen - schließlich war Sommer -, oder auf dem Clark Fork River paddeln oder den Mount Sentinel besteigen, um einen sensationellen Blick über Missoula zu genießen, wie sie es als Teenager oft getan hatte. Auch eine bessere Bezahlung, damit sie sich Sonderausgaben überhaupt leisten konnte, und einen liebevollen, heißen Freund, der ihr die Sonnenseiten des Lebens zurückbrachte und mit ihr gemeinsam durch dick und dünn ging.
Nach einem Partner sehnte sie sich am meisten, wenn sie in ihre einsamen vier Wände kam und erschöpft ins Bett fiel, weil der Tag sie wieder einmal ausgepresst hatte wie eine Zitrone. Sie wünschte sich einen Mann, der sie mit allen Sinnen verführte, der sie liebte, als gäbe es kein Morgen, und all die erotischen Dinge, die sie sich in ihrer schmutzigen Fantasie vorstellte, mit ihr machte. Der stark für sie war, damit sie sich endlich mal einen Moment der Schwäche gönnen durfte. Der sie festhielt, sodass sie sich nach einer Ewigkeit mal wieder fallen lassen konnte. Der ihr zärtlich ins Ohr flüsterte: »Süße, wir schaffen das schon. Du und ich. Gemeinsam.«
Unglücklicherweise war niemand in Sicht, bei dem sie sich auch nur im Entferntesten vorstellen konnte, sich in ihn zu verlieben.
Früher war Tamica stets fröhlich gewesen. Heute allerdings lachte sie selten. Sie selbst würde sich um einiges älter als vierundzwanzig Jahre schätzen, nicht nur weil sie früh erwachsen hatte werden müssen, sondern auch, weil das Leben ihr schon von Kindesbeinen an einiges abverlangt hatte.
Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst.
Ohne damit aufzuhören, die Rhododendren-Stecklinge, die sie am Vormittag von den Muttergewächsen genommen und in Anzuchtkästen gepflanzt hatte, zu gießen, schaute sie sich nervös um, ob sich ihr Boss, Barry Carmine, in der Nähe des Gewächshauses aufhielt.
Dass sie sich in letzter Zeit verändert hatte, war ihr erst im Juli aufgefallen, als sie bei einem Stadtbummel auf der Hill Street an einer Gruppe kichernder Mädchen vorbeigekommen war, die verstohlen zu einem attraktiven Jungen hinübergeschaut und getuschelt hatten. Ihre Gesichter hatten geglüht, ihre Augen hatten gefunkelt, und ihre Körper waren ständig in Bewegung gewesen, weil sie offensichtlich nur so vor Energie- und Lebenslust sprühten.
Zufällig hatte Tamica in einer verspiegelten Scheibe ihr eigenes Spiegelbild erblickt. Sie war ganz erschrocken darüber gewesen, wie stumpft ihre Augen und sogar ihre schwarzen Haare ausgesehen hatten. Nicht einmal die vielen gelben Sprenkel in den hellgrünen Iriden, die ihre Mutter liebevoll »Sonnenflecken« nannte, hatten ihr zu einem Strahlen verholfen. Ihre Mundwinkel hatten herabgehangen - ebenso wie ihre Schultern. Die Frau da, bin ich das wirklich, hatte sie sich bestürzt gefragt. Sie hatte ausgesehen, als würde sie sich durchs Leben schleppen. Aber genau das tat sie ja auch. Aus einem Impuls heraus hatte sie sich in der nächsten Drogerie ein Glanzshampoo und apricotfarbenes Rouge geleistet. Ihr war klar gewesen, dass sie damit nur ihre Erschöpfung kaschieren würde. Darüber hinaus hätte sich dringend etwas ändern müssen. Nur wie hätte das funktionieren sollen?
In der Highschool hatte sie doch noch so große Träume und Hoffnungen gehabt. Sie hatte geglaubt, unmittelbar nach dem Schulabschluss die Welt bereisen und täglich wilden Sex haben zu können. Wovon sie das bezahlen würde, darüber hatte sie sich keinen Kopf gemacht. Auch hatte sie sich vorgestellt, mit vierundzwanzig Jahren längst verheiratet und vielleicht sogar schon Mutter zu sein. Nichts davon war eingetreten. Missoula war zwar die zweitgrößte Stadt Montanas, aber Tamicas Möglichkeiten als Gärtnerin schienen trotzdem beschränkt.
Oder war sie es selbst, die sich einschränkte? War sie nicht mutig genug? Sollte sie sich vehementer auflehnen, mehr kämpfen und konsequenter ihre Ziele verfolgen? Wenn sie nur jemanden hätte, der ihr den Rücken stärken würde. Eine einzige Person. Sie benötigte nur etwas Hilfe zur Selbsthilfe, eine tröstende Umarmung und einige ermutigende Worte, aber sie konnte im Moment auf niemanden zählen.
Plötzlich spürte sie etwas neben sich. Sie schrak aus ihren Gedanken auf und wurde sich bewusst, dass sie für einen Moment vergessen hatte, ihre Umgebung im Blick zu behalten.
Barry stellte sich neben sie und grinste sie an. Puderzucker rieselte aus seinem rostfarbenen Bart. Ihr Boss musste vor Kurzem einen Donut gegessen haben. Er schien sich von dem Gebäck zu ernähren, das sah man seiner Figur auch an. Denn er hatte die Statur eines Schwergewichtsboxers, sodass sich Tamica neben ihm ganz klein vorkam.
Er trug das gleiche beigefarbene T-Shirt wie seine Angestellten: eine Faust, die ihren grasgrünen Daumen nach oben streckte. Nur wirkte das Gärtnerei-Logo bei ihm bedrohlich auf Tamica.
Automatisch versteifte sie sich. Seine Größe und Masse und selbst sein Lächeln schüchterten sie ein. Anzüglich musterte er sie, wodurch sie eine Gänsehaut bekam.
»In den Gewächshäusern steht die Luft«, sagte er in einem Tonfall, den man zum Flirten anschlug. »Ganz schön heiß heute.«
»Geht so.« Mehr brachte sie nicht heraus. Ihr Mund war auf einmal ganz trocken.
Während er ihr den Fransenpony aus der Stirn strich, berührten seine Fingerspitzen ihre Haut. Seine langen Nägel kratzten. »Warum schwitzt du dann?«
Das liegt an dir, lag ihr auf der Zunge, doch sie schluckte den Satz herunter und spuckte ihm auch nicht ins Gesicht, wie sie es gern getan hätte. Noch brauchte sie die Anstellung und das Einkommen dringend.
Endlich löste sich ihre Starre. Um Abstand zu ihrem Arbeitgeber zu gewinnen, ging sie zum nächsten Anzuchtkasten und goss die Stecklinge wohldosiert.
Barry folgte ihr. Als er sich an dem Tisch, auf dem die Pflanzen standen, abstützte, drückte er seinen Arm gegen Tamicas Hüfte. Das wirkte unbeabsichtigt, aber Tamica wusste es besser.
Sie wagte kaum zu atmen. Ihr Herz pochte unangenehm stark in ihrem Brustkorb. Hilfe suchend schaute sie nach allen Seiten, aber keiner ihrer Kollegen war zu sehen. In diesen Bereich der Gärtnerei hatten die Kunden keinen Zutritt. Es sah so aus, als wäre Tamica mit ihrem Boss im hintersten Bereich allein.
Sie würgte den Kloß in ihrer Kehle hinunter, um sprechen zu können. »Kann ich gleich Mittagspause machen?«
»Bleib doch hier!« Er packte ihre Schultern und massierte sie. »Ich gebe dir eine Pizza aus. Oder noch besser, ich werde einfach so eine riesige für Paare bestellen - mit Käserand, weil du es bist.«
»Es geht nicht, das weißt du doch.«
Sein Griff wurde fester. »Ach ja, Mommy ruft.«
»Sie wartet sicherlich schon auf mich.«
»Eines Tages wird sie sich damit abfinden müssen, dass du einen Freund hast und«, er strich an ihren Oberarmen auf und ab und kam ihrem Busen näher, »dass sie nicht über dich bestimmen kann wie über einen Hund.«
Angewidert schüttelte sie seine Hände ab. Sah er sich womöglich an ihrer Seite? Wollte er mehr als ihr an die Wäsche? Diese Vorstellung beängstigte sie. »Das kannst du doch nicht vergleichen.«
»Warum nicht? Sie pfeift, und du kommst angelaufen.«
»Sie braucht mich. Du weißt, wieso.«
Sein Blick wurde unangenehm intensiv, und seine Augen funkelten gierig. Er streckte die Hände nach ihr aus. »Ich brauche dich auch.«
Bestimmt meinte er das nicht nur beruflich. In ihr schrillten die Alarmglocken. Rasch trat sie einen Schritt zurück, damit er sie nicht anfassen konnte. »Ich werde pünktlich zurück sein, versprochen.«
»Wehe, du kommst schon wieder zu spät! Dann werde ich eine Wiedergutmachung von dir fordern.« Er zwinkerte und setzte ein Haifischgrinsen auf.
Mit feuchten Augen trat sie die Flucht an. Sie bemühte sich, ruhig wegzugehen, damit er nicht merkte, wie sehr seine Anmachversuche sie jedes Mal durcheinanderbrachten. Aber kaum hatte sie das Gewächshaus verlassen, rannte sie auch schon in Richtung Personalraum. Ihre Hände zitterten, als sie ihren Spind aufschloss. Sie schnappte sich ihre Handtasche und lief zum Hinterausgang.
Patty stand in der weit geöffneten Tür. Die Schwarze steckte sich gerade eine Zigarette an, ließ das Feuerzeug in ihre Hosentasche gleiten und blies den Rauch ins Freie hinaus. »Hat er dich wieder bedrängt?«
»Woher weißt du das?«
»Du bist weiß wie ein...
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