Schweitzer Fachinformationen
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Kapitel 3 Theoretische Grundlagen des Case Managements
Grundlage des Case Managements ist das Agieren in hochgradig komplexen Pflegesituationen. Unter komplexen Situationen versteht man Lebenslagen, bei denen viele unterschiedliche Faktoren vorliegen, deren Zusammenwirken verhindert, dass die maßgeblichen Einzelelemente ersichtlich sind. Komplexe Pflegesituationen bestehen aus dem Zusammenwirken psychischer, biologischer, pathologischer und sozialer Faktoren, akuten, chronischen und lebensstilassoziierten Erkrankungen, aus einer großen Anzahl an handelnden Personen im Sozialsystem und dem Verhalten der Betroffenen und ihres sozialen Umfelds (vgl. Schrems, 2019).
Die Anforderungen an das Case Management sind das wissenschaftlich begründete und fachlich kompetente Handeln, das Wissen bezüglich diverser Hilfsangebote und Zuständigkeiten, psychologisches, pädagogisches und soziologisches Grundwissen, um das Handeln mit den Bedürfnissen der Betroffenen in Einklang zu bringen, sowie eine ethische Grundhaltung (vgl. Schrems, 2019).
3.1Funktionen im Case Management
Die Situationen, in denen Case Manager*innen agieren, sowie die Intentionen der Kostenträger für diese Dienstleistung sind häufig sehr unterschiedlich. Daher sind die Rollen, in denen sich Case Manager*innen wiederfinden, vielfältig. Folgende Funktionen, welche wahrgenommen werden müssen, gehören dazu:
Gatekeeper (selektierende Funktion)
Broker (vermittelnde Funktion)
Advocacy (anwaltschaftliche Funktion)
Supporter (unterstützende Funktion)
Im Folgenden werden diese nun genauer erläutert.
Von der Gatekeeper- oder selektierenden Funktion spricht man, wenn die Case Managerin als Systemmanager*in auftritt. Diese Funktion bedeutet, dass der Leistungsanbieter jeden Einzelfall im Vorfeld entsprechend prüft, d. h. eine Triage durchführt, und dann die notwendigen Mittel effizient und möglichst effektiv einsetzt. Als Systemmanager*in ist die Person aber auch als Broker*in für die Koordination aller Dienste sowie für die Qualitätssicherung verantwortlich. Dabei stehen die Informations- und Vermittlungsaufgaben im Zentrum. Grundlage, um diese Funktion gut erfüllen zu können, sind eine fundierte Fachkenntnis über Leistungsangebote im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie ein funktionierendes und tragfähiges Netzwerk zu und mit den einzelnen Organisationen und Institutionen. Eine wichtige Rolle in dieser Funktion besteht auch in der Beratung der Betroffenen. Als Systemmanager*in versteht sich die Case Managerin als begleitende Person durch den Dschungel des Gesundheits- und Sozialwesens (vgl. Wendt, 2015).
Laut Wendt (2015) beschreibt das Habor Hospital Center in Baltimore die Funktion für seine Nursing Case Manager*innen wie folgt:
"Die Nursing Case Managerin (NCM) ist verantwortlich für die tägliche Planung, Koordination und Überwachung der Versorgung des Patienten durch die Fachkräfte und das übrige medizinische Personal. Sie ist verantwortlich für den Versorgungsverlauf in den ihr zugewiesenen Fällen. Sie hat zu vertreten, dass eine effektive Nutzung der verfügbaren Ressourcen gesichert ist, dass festgelegte Standards in der Pflege eingehalten werden. Sie sichert, dass Änderungen, die für einzelne Patienten notwendig werden, gerechtfertigt sind und gut dokumentiert werden." (Wendt, 2015, 192)
Als Kundenanwalt tritt das Case Management in seiner Funktion des Advocacy auf. Dies bedeutet, dass die Case Managerin den Betroffenen und ratsuchenden Bürger*innen behilflich ist, den tatsächlichen Versorgungsbedarf abzuklären, und sie bei der Beantragung sowie der rechtlichen Durchsetzung von Leistungsansprüchen unterstützt. In dieser Funktion hat die Case Managerin fundierte Kenntnisse bezüglich Anspruchsvoraussetzung und kennt sich in der Zusammenarbeit mit Behörden und Versicherungen aus (vgl. Wendt, 2015). Sie begleitet die Betroffene durch die bürokratischen Schritte und vertritt sie bei den entsprechenden Stellen. In diesem Bereich kommen die Case Manager*innen vor allem aus dem sozialarbeiterischen, pflegerischen oder juristischen Grundberuf. Oft sind diese Personen auch Personenvertreter. Wichtig ist in diesem Bereich auch das Handeln für und mit Menschen aus anderen Kulturkreisen sowie mit Migrationshintergrund. Dabei gibt es neben sprachlichen Barrieren häufig auch kultursensible Themen wie andere Werte, Gepflogenheiten und Bräuche. In diesem Zusammenhang ist eine entsprechende fachliche Beratung und Begleitung, welche auf einem fundierten Wissen bezüglich dieser Unterschiede beruht, notwendig. Dieser Bereich bekommt im Case Management immer mehr Bedeutung, auch weil diese Personengruppen zum Teil nicht über ausreichende Kenntnisse des österreichischen Sozialsystems verfügen oder in der Lage sind, ihre Ansprüche alleine durchzusetzen. Sehr häufig kommt es nur zu einer interkulturellen Vernetzung in der eigenen Community. Daraus resultiert die Erfahrung, dass geschulte Vertreter*innen dieser Community einen besseren Zugang zu den Betroffenen haben, vor allem wenn eine muttersprachliche Kommunikation möglich ist.
Die Funktion der Versorgungsmanagerin zeichnet sich durch die Verantwortung für eine korrekte und erfolgreiche Leistungserbringung aus. In dieser Rolle ist man zuständig für die zweckmäßige und kostengünstige Dienstleistungserbringung sowie die Qualität der Leistungserbringung durch Dritte. Weiter gehört die Beobachtung des Marktes in diesem Bereich zu den Aufgaben des Case Managements. Als Versorgungsmanagerin hat man auch den Beschwerden der Kundin oder ihrer Vertrauenspersonen nachzugehen. Dabei kann es auch zu Überschneidungen mit der Funktion der Qualitätsmanagerin kommen. Im Englischen wird der Begriff des Versorgungsmanagements auch als Care Management bzw. in den USA als Managed Care bezeichnet. Versicherungsträger oder Behörden bedienen sich dieser Professionalist*innen, um die Versorgungspfade der Kund*innen möglichst rational zu organisieren. In Krankenhäusern sind diese Personen dafür zuständig, die Prozesse für die einzelnen Behandlungsschritte effizient zu organisieren (vgl. Wendt, 2015).
Als Case Managerin kann man auch in der Funktion der Vermittlerin oder Supporterin tätig sein. Vor allem in den USA gibt es bereits viele gewerbliche Anbieter von Case Management. Diese klären im Auftrag von Betroffenen oder von Versicherungen den Betreuungsbedarf ab und organisieren die notwendige Unterstützung. Eine Kosten-Nutzen-Analyse gehört dort ebenfalls zu ihren Aufgaben. Vor allem in Fällen von Erkrankungen mit hohem Risiko, wiederholten Krankenhausaufenthalten, hohen Kosten für Genesung und wiederholten oder erfolglosen Operationen wird häufig eine Case Managerin bestellt (vgl. Wendt, 2015).
3.2Triage
Das Thema Triage soll nun im Vorfeld angesprochen werden, da es bei der nachfolgenden Darlegung des Prozesses von grundlegender Bedeutung ist. Triage wird aus dem Französischen oder Englischen übersetzt und ist gleichbedeutend mit den deutschen Begriffen "Sichtung", "Selektion". Im Zuge des Case Managements geht es darum, aus der Fülle der Patient*innen, die täglich Pflege und Betreuung benötigen, jene herauszufiltern, bei denen der Prozess des Case Managements wirtschaftlich erfolgversprechend ist. Dies zeigt, dass Case Management häufig nicht im Sinne der Chancengleichheit eingesetzt wird, sondern einen primär wirtschaftlichen Fokus für jene Gruppe besitzt, welche das Case Management finanziert. So könnte man den stationären Akuteinrichtungen unterstellen, dass die Belegungen mit Patient*innen, welche keine abrechnungsrelevanten Behandlungen erhalten, möglichst rasch in andere Systeme übergeführt werden sollen. Dies ist prinzipiell auch ein sehr hilfreicher Ansatz, weil bekannt ist, dass unnötige stationäre Aufenthalte nicht unbedingt gesundheitsfördernd sind (z. B. nosokomiale Infekte, Verlust der Selbständigkeit etc.). Dabei initiiert das Krankenhausmanagement, dass diese Patient*innen möglichst rasch einem entsprechenden Setting ohne Rückeinweisung ins Spital zugeführt werden. Zurzeit ist es jedoch zumeist so, dass die betreffenden Patient*innen nach dem Transfer nicht durch eine Person weiterbetreut werden, sondern dass ein neuer Betreuungsprozess mit anderen handelnden Personen gestartet wird. Dies führt leider sehr häufig zu einem Versorgungsbruch und maximalem Informationsdefizit. Nur vereinzelt erfolgt nach der Spitalsentlassung zumindest eine ein- bis zweimalige telefonische Nachbetreuung durch das Entlassungsmanagement. Damit ist das Konzept des Entlassungsmanagements umgesetzt, aber bei Weitem noch kein Case Management.
Für den Fall, dass der Kostenträger des Case-Management-Prozesses ein Versicherungsunternehmen ist, geht es vorrangig darum, Kosten für Versicherungsleistungen bestmöglich zu kontrollieren und einzusparen.
Natürlich gibt es den Case-Management-Prozess auch ohne Triage. Dabei stellt sich nur die Frage der Finanzierung der Case Managerin. Vorstellbar wäre, dass das Case Management eine eigene Berufsgruppe ist, die ihre Leistung am freien Markt anbietet und von jenen Kostenträgern finanziert wird, die durch die Leistung einen Vorteil haben, oder sie ist komplett frei finanziert - das bringt jedoch mit sich, dass nur eine entsprechend vermögende Menschengruppe in den Genuss dieser Leistung gelangt.
Kennzeichen eines Prozesses ohne Triage ist, dass das Verhalten aller am Prozess des Case Managements Beteiligten sowohl Auswirkungen auf den einzelnen Menschen (Mikroebene) als auch auf die...
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