Schweitzer Fachinformationen
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Alle Erwachsenen waren einmal Kinder. Doch nur wenige erinnern sich daran.
Antoine de Saint-Exupéry
Mit der Geburt eines Kindes geraten wir als Eltern ins Staunen über das Wunder des Lebens. Und wenn unsere kleine Welt im Alltag mit Kindern immer wieder aus den Fugen gerät, machen wir die gleichen großen fragenden Augen wie unser Kind: Was ist hier los? Wie geht das? Was muss ich tun? Für viele Jahre haben wir mit unseren Kindern eine Art XXXL-Kurs in Selbsterfahrung und Persönlichkeitsbildung gebucht. Und wir werden ein ums andere Mal an unsere Grenzen geraten und um Fassung ringen: Wie krieg ich das unter Kontrolle? Mein Kind, mich selbst, das Leben, die Welt?
Der indische Jesuit Anthony die Mello, ein moderner Mystiker und Brückenbauer zwischen östlicher und westlicher Spiritualität, nannte es "die große westliche Frage": Wie krieg ich das in den Griff?13
Früher machte man sich da keine großen Gedanken. "Man" wusste, wie das geht mit Kindern, was sich gehört, was zu tun war, was man ihnen beizubringen hatte. Kurz: Was man von Eltern erwartete, war Erziehung. Was das beinhaltete und wie das ging, darüber gab es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Das unfertige und ungestüme Wesen von Kindern galt es, in den Griff zu bekommen und zu formen. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Das herkömmliche Selbstverständnis von Erziehung stimmt für viele Eltern und Pädagog:innen nicht mehr. Doch was gilt dann? Gibt es eine Antwort auf die "große westliche" Frage, wie wir "das alles" in den Griff kriegen - vom Verhalten unserer Kinder über unser eigenes Verhalten bis hin zum Leben überhaupt?
Der Alltag mit Kindern ist wie ein Brennglas für unser Leben im Ganzen. Unsere so genannte "westliche Kultur" ist für das Machen bekannt. Wir wollen die Dinge unter Kontrolle bringen - die "Dinge" im Außen, uns selbst und am liebsten auch das Verhalten unserer Mitmenschen, inklusive der Kinder. Wir wollen machen, haben und wissen. Die spirituelle Lehrerin Rani Kaluza nannte es die "Dreifaltigkeit des Wollens"14. Doch wohin hat uns diese Kultur gebracht? Was haben wir dabei übersehen? Ja, wem aller haben wir damit letztlich Gewalt angetan, wenn wir nur auf die Folgen unserer "westlichen" Wirtschaftsweise schauen - auf Umwelt, Klima und auch auf die Menschen, die wir für unseren ungebremsten "Bedarf " ausgebeutet bzw. aus dem Lot gebracht haben? Haben wir vielleicht übersehen, dass das Leben anders ist und damit auch unsere Kinder? Dass es viel mehr darum gehen muss, in Einklang zu kommen mit dem Leben, anstatt es unter Kontrolle zu kriegen?
EINKLANG
Wie lautet die "große östliche Antwort" auf die westliche Frage: Wie kriegen wir das in den Griff? Anthony de Mello meint: gar nicht. Wir kriegen es nicht in den Griff. Wir lassen es, wie es ist. Wir schauen nur sehr genau hin!15 Wir müssen nicht ständig an unseren Kindern, an den Menschen, am Leben, an uns selbst herummachen. Wir müssen sie und es nicht unter Kontrolle haben und auch nicht immer wissen, wieso, weshalb und warum sie tun, was sie tun. Es geht darum, viel besser hinzuschauen und vielleicht am Ende etwas aus einem neuen Blickwinkel zu sehen oder zu verstehen. Aber in erster Linie gilt es in Kontakt zu kommen, statt unter Kontrolle zu kriegen.
Wir brauchen Einklang statt Erziehung. Schließlich steht das eigene Leben nicht über dem Leben eines anderen Wesens, auch nicht über dem eines Kindes. Wir bewegen uns in einem unfassbar großen Netzwerk an Leben, in dem wir natürlich unsere Aufgabe haben - auch für unsere Kinder. Wir sind darin hineinverwoben. Und wenn wir uns als Teil eines unendlich großen Netzwerkes verstehen, dürfen wir unsere Aufmerksamkeit wieder viel mehr auf das Zusammenwirken zum Wohle aller lenken als darauf, Kontrolle auszuüben.
Der Rabbi aus Nazareth weist seine Schüler zurecht, als sie die Kinder als Störung empfinden und wegschicken wollen. Dabei zeigt die Geschichte nicht nur, welch eine große Bedeutung er den Kindern zumisst, sondern in gewisser Weise auch, dass es für ihn keine "Störung" gibt. Schickt die Kinder nicht davon! Macht die Störung nicht schnell weg! Schaut hin und nehmt buchstäblich Kontakt auf! Kommt in Berührung mit den Kindern, ihrem Geheimnis, ihrer Kraft, ihrer Liebe. In den vermeintlichen Hindernissen und Störungen offenbaren sich auch manchmal richtige Geschenke. Umarmt das Leben!
ÜBERGANG
Nach fünfundzwanzig Jahren Arbeit mit Kindern und Eltern komme ich zu dem Schluss, dass wir uns immer noch in einem Übergang befinden. Was vor 40-50 Jahren noch selbstverständlich war, gilt heute nicht mehr. Doch das Neuland ist auch herausfordernd. Jesper Juul meinte einmal bei einem Seminar: "Eltern wissen sehr gut, was sie nicht mehr wollen. Aber wie geht das Neue?" - Was der bekannte dänische Familientherapeut schon vor dreißig Jahren beschrieb, trifft noch heute zu. Viele Menschen, die mit Kindern leben oder arbeiten, haben eine autoritäre Form von Erziehung hinter sich gelassen.
Wir haben heute ein anderes Bild von Kindern. Weil wir sie glücklicherweise als eigenständige Wesen, als "gleichwürdig" (Juul) erkannt haben. Das verbietet uns nicht nur jegliche Form von Gewaltanwendung, sondern im Grunde schon die Vorstellung, sie "formen" zu müssen, und damit das ganze Paradigma der "Erziehung". Die Beispiele und Ausführungen in diesem Buch deuten an, wie es möglich ist und was es bedeutet, mit Kindern zu wachsen. Dass wir darüber nicht unsere Aufgabe als Eltern und Erwachsene vergessen oder uns aus unserer Verantwortung stehlen dürfen, wird genau so deutlich wie die Schwierigkeiten, das Alte hinter uns zu lassen, Neuland zu betreten und unsere eigenen Wege zu bahnen.
Die gesellschaftliche Veränderung hat zwei Seiten: Wir sind freier! Es gibt den großen Konsens nicht mehr. Wir sind nicht mehr so unter Druck, Kinder im herkömmlichen Sinne "aufzuziehen". Und zugleich dürfen wir nicht nur, sondern müssen wir unsere eigenen Werte erkennen, entwickeln und mit unserem Umfeld (beginnend in der Partnerschaft oder im pädagogischen Team) aushandeln. Und weil es eben gar nicht so leicht ist, "das Neue" herauszufinden und zu entwickeln, klammern wir uns immer noch gern an sogenannte Expert:innen.
EXPERTISE
"Wie krieg ich mein Kind dazu, dass .?", "Was tu ich, wenn mein Kind .", "Wie bring ich meinem Kind bei, dass ." - Wenn ich in der Elternbildung unterwegs bin, finde ich mich schnell in der Rolle des Experten wieder. Und natürlich bringe ich Expertise mit, viel Erfahrung und Reflexion. Aber das bedeutet nicht, dass ich Rezepte liefern kann oder eine Bedienungsanleitung habe, ein Handbuch, in dem sich nachschlagen lässt, "wie das mit Kindern geht". Alles, was ich teilen kann, sind meine Erfahrungen, die in ganz bestimmten Situationen, mit ganz konkreten Kindern passiert sind. Die Geschichten anderer sind durchaus hilfreich, um uns zu inspirieren. Aber nicht mehr. Nichts lässt sich 1:1 auf andere Situationen übertragen. Und wir dürfen uns davor hüten, eine Landkarte mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Jeder Tipp und erst recht jedes Rezept und jede Methode können sich zwischen uns und unser Kind stellen. Entscheidend bleibt der direkte Kontakt zu dem, was hier und jetzt gerade passiert.
Die typischen Fragen an die Expert:innen offenbaren zudem, dass wir weiterhin im alten Paradigma verhaftet bleiben: Wenn Kinder sich ungewöhnlich oder für unser Empfinden unpassend verhalten, fragen wir sofort danach, wie wir das verändern können, anstatt genau hinzusehen, was denn hier eigentlich passiert. Wir stellen oft zu schnell die "große westliche Frage": Wie krieg ich das in den Griff? Wir fragen immer noch nach Lösungen, Interventionen und am liebsten nach Rezepten. Aber für den Alltag mit Kindern gibt es kein Kochbuch, keine Bedienungsanleitung . Kinder sind keine Geräte, wo man nur den Fehler identifizieren und dann nur das Richtige tun muss: "Fehler 104 - hier steht, was sie tun können ."
Was also dann, wenn wir es nicht in den Griff kriegen wollen? Wie war die "große östliche Antwort"? Wir schauen besser hin! Das ist das Entscheidende: viel genauer hinschauen, bevor wir etwas tun - am besten, bevor wir überhaupt glauben, wir müssten etwas tun. Und womöglich kommen wir drauf, dass wir gar nichts tun müssen, weil eigentlich für niemanden Gefahr besteht, oder es verändert sich von selbst, wenn wir Akzeptanz üben, oder es braucht "nur" eine unaufgeregte, unterstützende Form der Begleitung. Und manchmal ist ein Einschreiten nötig, mitunter auch ein robustes - allerdings ohne die früher üblichen Drohungen und in einer veränderten Haltung.
Wenn wir unseren Alltag mit Kindern als einen Übungsweg zur Kunst des Lebens begreifen, werden wir sehen, wie viel wertvoller es ist, mit ihnen zu wachsen, anstatt sie zu reinen Objekten unseres pädagogischen Handelns zu machen. Was wir dabei lernen, geht wiederum weit über unseren Umgang mit Kindern hinaus.
BORSTIGE ERWACHSENE
Vor gut 10 Jahren beobachtete ich diesen Ausflug einer Kindergartengruppe. Ich erzähle hier nicht von einer grauen...
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