Schweitzer Fachinformationen
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Tizian stand vor der beschnitzten, alten Eingangstür im vierten Stock. Seine Ungeduld stieg. Mehrmals hatte er die Klingel betätigt und das altertümlich-metallische Schellen aus Wohnung 19 vernommen.
Aber es öffnete ihm niemand.
Und das, obwohl der 45-Jährige deutlich hören konnte, wie sich eine Person jenseits der Tür durch die Räume bewegte. So leise es ging. Doch die knarrenden Dielen darin verrieten, wohin die Füße traten.
»Spielchen«, murmelte Tizian und machte einen halben, leicht unbeholfenen Schritt zurück, betrachtete den geschlossenen Eingang.
In seiner Kleidung im Stil der 1970er fiel er in einer Großstadt wie Prag zwar wenig auf, aufgrund seiner gesamten Erscheinung mit halblangen braunen Koteletten, Kinnbärtchen sowie diversen Ketten und Ringen glaubten jedoch manche, er sei ein Schauspieler auf dem Weg zu einem Filmset. In der Stadt wurde ständig gedreht, und zwei Selfies mit Passanten, die ihn für einen Star hielten, hatte er schon ablehnen müssen.
Die Tür und das Haus aus der Gründerzeit im beschaulich-bürgerlichen Wohnviertel Prags teilten dasselbe Alter, das weiß lackierte Holz zierten hier und da Bestoßungen. Narben von Aus- und Einzügen zig neuer Mieterinnen und Mieter. Die Tür hatte alle überdauert.
Aufgrund der mannigfachen charmanten Abnutzung und der Patina wären Unbedarften die winzigen Symbole in den Ecken, die mit einem stumpfen Eisen präzise eingepunzt worden waren, niemals aufgefallen.
Tizian schon.
Er schob den breitkrempigen, weißen Hut in den Nacken, der Rand drückte die nackenlangen braunen Haare zusammen. Er zückte sein Smartphone und wählte die Nummer des Gesuchten.
Nach mehrmaligem Läuten nahm die standardisierte Mailbox ab.
»Das ist mein letzter Versuch«, sagte er deutlich ungehalten in akzentbehaftetem Tschechisch. »Wir hatten eine Verabredung. Um unsere Geschäfte zu regeln. Aber anscheinend ziehst du es vor, dich feige in deiner Bude zu verkriechen, anstatt die Dinge zwischen uns zu klären. Ich war bestens vorbereitet. Und bin es immer noch.« Tizian hämmerte zweimal gegen die Tür, die Ketten um seinen Hals klirrten leise. »Hörst du das? Mach auf, und wir bringen es zu Ende! Ich bin den langen Weg aus Brügge gekommen. Nur dafür. Wenn du es nicht .«
Die Aufzeichnungszeit war abgelaufen, die Mailbox schaltete sich nach einem Signalton aus.
Fluchend rieb Tizian sich über den oberen, einsamen Teil des rechten Oberschenkels. Das Fleisch um den Knochen schmerzte und widersetzte sich der gierigen, unbändigen Nekrose, so gut es ging. Den Rest des Beines hatte er bereits verloren und durch eine Prothese ersetzen müssen. Ein Arbeitsunfall, wie er es nannte. Es wurde Zeit, wieder etwas dagegen zu unternehmen.
Erst diese Angelegenheit. Tizian lauschte mit leicht gesenktem Kopf auf die Schritte.
Dadurch erfassten seine hellbraunen Augen eine feine Schicht aus gelblich glänzendem Staub vor der Schwelle, als wäre im Innern der Wohnung bemalter Glitterputz abgeschlagen und durch einen Luftzug unter dem Spalt hinausgeweht worden.
Die Schritte entfernten sich durch den Flur.
Gleich darauf rumpelte es laut. Etwas Schweres war irgendwo in der Wohnung umgekippt und auf dem Boden gelandet; leise klirrte berstendes Geschirr.
Tizian sah erneut auf den feinen Schmutz vor der Schwelle, dann hinauf zur oberen Türleiste.
Reste einer sandig krümeligen Substanz hafteten am Spalt. Den leichten Verfärbungen auf dem Holz nach hatte sie sich bis vor Kurzem an der Einfassung befunden. Wie zur Abdichtung mit zu trockenem Kitt.
Der flirrende Staub vor dem Eingang verriet, dass die Barriere, zum Schutz vor ungebetenem Besuch eingerichtet, ihre Macht verloren hatte. Außerdem waren zwei weitere eingetriebene Symbole rund ums Schloss zerkratzt und zerstört worden.
Daraus folgerte Tizian, dass die Schritte im Innern nicht zum Gesuchten gehörten. Sondern einer kundigen Person, die sich Zutritt verschafft hatte.
Damit ergaben sich zwei Möglichkeiten.
Gehen und die Sache auf sich beruhen lassen, ohne zu wissen, wer sich in der Wohnung befand und was mit dem Besitzer geschehen war.
Auf diese Weise blieben viele Unsicherheiten zurück.
Oder eindringen und nachschauen, was sich ereignet hatte. Um sicherzugehen, dass ein Duell nicht mehr nötig wäre.
Es könnte dabei jedoch in irgendeiner Form eskalieren.
Tizian gehörte nicht zu denen, die direkte physische Konfrontation suchten. Dem war er körperlich nicht gewachsen, schon gar nicht mit seinem Beinhandicap. Also musste gut durchdacht sein, was er tat, wenn er auf den Besucher im Inneren der Wohnung 19 traf. Oder wie er sich im Falle eines Angriffs schnell zurückzog.
Seine Rechte legte sich auf die geschwungene Türklinke, die Ringe klackten dezent. Leise drückte er den Griff nach unten und öffnete den Eingang.
Eine Kette spannte sich schleifend auf der anderen Seite.
Verdomme. Mit ein wenig Geschick und dem Kammstiel bekam Tizian sie ausgehakt. Beim zweiten Versuch ging die Tür auf.
Parallel rappelte und schepperte es erneut aus einem der Zimmer der Altbauwohnung, die mit hohen Decken und Stuck daherkam. Es roch dezent nach Weihrauch und etwas unbestimmbar Verbranntem.
Eine einsame Untertasse rollte in den vollgestellten Flur, als flüchtete sie vor der Zerstörung im benachbarten Raum, beschrieb konzentrische, enger werdende Kreise auf dem Parkett und klapperte schließlich auf die Seite.
Tizian ging langsam vorwärts. Mit der linken Fußspitze tastete er die Dielen ab, bevor er den Fuß aufsetzte, damit sie nicht knarrten und ihn verrieten.
Das Werk der Vernichtung wurde den Geräuschen nach fortgesetzt. Schubladen und Türen rumpelten. Lose Blätter raschelten, segelten in den Flur wie übergroßes rechteckiges, beschriebenes Laub, mal aus Büchern, mal aus Manuskripten.
Für Tizian war klar, dass es sich nicht um einen beliebigen Einbrecher handelte. Dieser Mensch suchte etwas Bestimmtes.
Über die Hälfte des Flures hatte er passiert, vorbei an offenen Türen, die in rigoros durchwühlte Räume führten.
Und nicht nur das. Auf dem Teppich des Schlafzimmers lag eine dunkelhaarige Frau, um die zwanzig Jahre alt, in Jogginghose und Hoodie, die Kehle aufgeschlitzt und umgeben vom eigenen Blut. Es wirkte, als sei sie darin ertrunken.
Gleich daneben ruhte ein Dobermann, dem erkennbar das Genick gebrochen worden war. Die Zunge hing aus dem offenen Maul bis ins Blut der Leblosen, die glasblinden Augen starrten ins Nichts.
Tizian fixierte die Leichen und lauschte, spürte der Energie nach, die Lebendige in sich trugen. Sie war noch nicht lange aus den Leibern von Mensch und Tier gewichen, doch unrettbar und für immer verloren.
»Hey! Du! Wer bist du?«, wurde er ruppig auf Tschechisch angesprochen.
Tizian hatte nicht bemerkt, dass der ungebetene Besucher in den Flur getreten war.
Er drehte den hutbedeckten Kopf und sah in das wütende Gesicht eines Mittdreißigers, der einen hüfthohen und prallvollen Militärrucksack neben sich abstellte. Diverse Buchrücken und einige gravierte Schalen ragten oben heraus. Die Kleidung war unauffällig, das blonde Haar in einem fingerlangen Zopf gebunden.
»Ich suche Anton Kratki«, antwortete Tizian ehrlich und lächelte den Unbekannten an. Dabei tippte er sich grüßend an die Krempe. »Du suchst nur sein Wissen, habe ich recht?«
Der jüngere Mann grinste fies. »Dein Schmuck hat mir verraten, dass du ein Wissender bist. Sonst würdest du jetzt neben der Schlampe und dem Köter liegen. Aus Respekt habe ich dich nicht angegriffen.«
»Vielen Dank.« Tizian deutete auf die Toten im Schlafzimmer. »Wer waren sie? Jemand, dessen Anblick Kratki wütend macht, wenn er sie findet?«
»Irgendeine Nachbarin. Der Rauchmelder sprang an, und da kam sie nachschauen.« Er zuckte mit den Achseln. »Hatte die Tür nicht abgeschlossen.« Eine Hand legte er beschützend-deutend auf die Oberseite seines gefüllten Rucksacks. »Du willst mir aber nichts hiervon wegnehmen, hoffe ich?«
Tizian schüttelte den Kopf. »Kratki und ich haben noch eine Rechnung offen.«
»Ah, ein magisches Duell. Und er kam nicht?«
»Nein. Er kam nicht.«
»Du bist Franzose? Dein Dialekt ist ziemlich stark.«
»Belgier.« Tizian, der als Brüsseler Flämisch und Französisch je nach Laune und Tag sprach, deutete auf die Beute des Fremden. »Er schuldet dir auch was?«
»Nein. Das ist meins. Hat er sich ausgeborgt. Und weil er es mir nicht zurückbrachte« - der Blonde lehnte den großen Rucksack gegen die Wand, damit er nicht umfiel -, »musste ich es mir holen. Ist aber nicht alles.« Er ging langsam los, den Flur entlang und auf Tizian zu. »Das hier dauert noch. Ich schlage vor, du verschwindest und suchst Kratki. Er müsste jetzt in der Unibibliothek sein. Wie immer um diese Zeit.« Auffordernd deutete er auf die Tür und lächelte verabschiedend.
Tizian wusste, dass es gelogen war.
Jedes Wort.
Von den ausgeliehenen Büchern über die Utensilien im Rucksack über den Verbleib von Anton Kratki, der bestimmt nicht an einer Universität anzutreffen war, bis zum wahren Grund, warum der Mann die Wohnung des Hexenmeisters auf den Kopf stellte.
Das erweckte Tizians Neugier. »Wieso der Rauchmelder?«
»Was?«, fragte der Blonde verwundert, und die aufgesetzte Freundlichkeit schwand.
»Wieso wurde der Rauchmelder ausgelöst?« Er zeigte auf die Leichen der Frau und des Dobermanns im Schlafzimmer. »Der die...
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