Schweitzer Fachinformationen
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Als unser Klassenlehrer Horst Körner in der Gustav-Schickedanz-Hauptschule die Rollen für das Theaterstück verteilte, das wir demnächst anlässlich einer großen Schulveranstaltung aufführen sollten, verstand ich die Welt nicht mehr. Ausgerechnet der Kleinste von uns allen sollte die Hauptrolle, ebenfalls einen Lehrer, spielen. Der arme Bub war kaum größer als ein Hydrant - wie wollte denn der die nötige Präsenz auf die Bühne bringen? Ich war einigermaßen empört, ging nach der Stunde schnurstracks ans Pult und machte meinem Unmut Luft.
»Na gut, Martin, dann machst du das eben«, entgegnete Herr Körner und sah mich leicht genervt an. »Aber jetzt musst du dich anstrengen, wenn du dich hier schon so in den Vordergrund rückst.«
»Kein Problem«, sagte ich und freute mich über diese Entscheidung. Allerdings bemerkte ich erst im Nachgang, dass die Rolle mit jeder Menge Text versehen war, den ich mir wohl oder übel erst noch mühsam merken musste. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Klar wollte ich der wichtigste Schauspieler an besagtem Nachmittag sein. Aber dass ich dafür ein halbes Buch auswendig lernen musste, hatte mir keiner gesagt. In den nächsten Wochen fragte mich meine Mutter zu Hause jeden Abend vor dem Schlafengehen ab. Ich leierte die Passagen, die ich zuvor gelesen hatte, pflichtgemäß herunter und fand das gesamte Stück, das von Herrn Körner ausgedacht worden war, bei näherer Betrachtung ziemlich langweilig. Irgendwie musste ich dem Ganzen etwas mehr Pep verleihen. Ich wusste nur noch nicht, wie.
Als der Tag der Aufführung gekommen war, entdeckte ich in der ersten Reihe unseren Rektor Herrn Fiedler im Publikum. Er war von leicht rundlicher Gestalt, sprach immer ein bisschen affektiert und hatte die seltsame Angewohnheit, beim Gehen die rechte Schulter hochzuziehen. Nachdem die von Herrn Körner ersonnene Handlung leider ganz und gar nicht komisch war, dachte ich, dass etwas Humor dem Erfolg des Ganzen nicht schaden könne, bevor die anderen Lehrkräfte und vor allem unsere armen Eltern dort unten vollends einschliefen. Also legte ich den Lehrer, den ich spielte, so an wie Herrn Fiedler. Ich versuchte zu reden wie er und zog die Schulter hoch, wenn ich mich bewegte. Plötzlich fingen die Menschen im Saal an zu lachen. Das stachelte mich nur noch mehr an. So bestärkt in meinem Tun, ergänzte ich meinen Text spontan um einige echte Namen von anderen Lehrern und erntete prompt die nächsten Lacher. Ob meine unbeholfenen Parodien Herrn Körner und Herrn Fiedler gefielen, weiß ich nicht. Aber nach dem Ende des Stücks klopften mir etliche andere Erwachsene auf die Schulter.
»Das war wirklich großartig.«
»Selten so gelacht.«
»Das musst du unbedingt weiterverfolgen.«
Ich war selig. Das hatte richtig Spaß gemacht und vor allem: Lust auf mehr! Mein Problem war nur, dass weit und breit keine weitere Aufführung mehr anstand, und so etwas wie einen Theater-Arbeitskreis gab es auf der Schickedanz-Schule nicht. Zum Glück stand jedoch am Jahresende ohnehin ein Schulwechsel bevor. Ich war ein ganz guter Schüler, brachte einen ordentlichen Hauptschulabschluss zustande und wollte unbedingt auf eine weiterführende Schule wechseln, was meine Eltern natürlich befürworteten. Immerhin sollte ich nach dem Willen meiner Mutter eine große Karriere bei der Deutschen Bundespost einschlagen. Weniger wegen des sicheren Beamtenstatus, den man dort genoss. Sondern eher wegen der schicken dunkelblauen Trainingsanzüge, die alle Postangestellten in der Verwaltung für ihre Freizeit erhielten und wie auch der dicke Robert einen besaß, der etwas, nun ja, wohlgenährte Sohn einer Kollegin meiner Mama. Und mit einem Hauptschulabschluss tat man sich auch damals nicht leicht, irgendwo unterzukommen - schon gar nicht beim Staat. Also wechselte ich auf die Wirtschaftsschule, die sich im selben Gebäude befand wie die Hans-Böckler-Realschule. Das hatte nicht nur den Vorteil, dass ich dort für höhere berufliche Weihen vorbereitet werden würde. Sondern vor allem den, dass es eine Schauspielgruppe gab, die man sich sogar als Wahlfach aussuchen konnte.
Es dauerte nicht lange, bis fast mein gesamter Freundeskreis sich aus dieser Umgebung rekrutierte. In dem Kurs, der von einer sehr engagierten Lehrerin namens Hanne Beer-Parge geleitet wurde, waren jene Schüler versammelt, die auf andere womöglich etwas exotisch wirkten, weil sie eben künstlerisch interessiert waren, anstatt sich auf dem Schulhof herumzuschubsen, über die neue Ausgabe der Hitparade zu diskutieren oder heimlich zu rauchen. Die Schauspielgruppe bot viele Möglichkeiten, sich kreativ zu betätigen. Nicht nur, dass wir auf Geheiß von Frau Beer-Parge ständig neue Stücke aus allen möglichen Genres einprobten, die wir dann zu regelmäßigen Anlässen darbieten konnten. Unsere Lehrerin ließ uns auch sonst viele Freiheiten.
Einmal etwa sollten wir die Kriminalgroteske Die Kellergäste von Rudolf Guder einstudieren, in der sich zwei Gangster bei einem Kriminalschriftsteller als Gasinstallateure ausgeben, um ungestört durch den Keller ins Nachbarhaus einsteigen zu können, wo sie den Besitzer kidnappen wollen. Die Rolle, die Hanne mir zugedacht hatte, war winzig klein - und wie schon damals auf der Hauptschule sah ich nicht ein, warum ich nicht ein bisschen mehr Bühnenpräsenz erhalten sollte. Und so schrieb ich vor den letzten, für drei Tage in der Jugendherberge Feuchtwangen anberaumten Proben kurzerhand einen zusätzlichen Akt, in dem ich und meine besten Freunde etwas häufiger vorkamen als bisher vorgesehen. Der gute Herr Guder, inzwischen längst im Krimiautorenhimmel, möge mir verzeihen!
Was vielleicht in der normalen Klasse nicht gut angekommen wäre, war hier anders. Die Übrigen aus unserem Kreis - die Mitschüler ebenso wie unsere nette Kursleiterin - fanden es sogar gut, wenn man sich über das übliche Maß hinaus einbrachte. Und das tat ich: Egal, ob Weihnachtsspiel vor der Michaelskirche oder lebendes Kasperltheater im Kindergarten »Tante Irmingard«, Sketche in der Schulmensa anlässlich der Abschlussfeier oder Talentwettbewerb in der Tanzschule Streng: Ich wollte, dass unsere Theatergruppe auch über die Schule hinaus Furore machte. Dafür opferten die anderen und ich jede Menge Zeit. So bauten wir unsere Bühnenbilder in Eigenleistung und schneiderten auch unsere Kostüme selbst. Und ich organisierte Anfang der 1980er-Jahre Auftritte, wo es nur ging - selbst mitten im Winter in der Fürther Fußgängerzone zugunsten der Lebenshilfe, samt erforderlicher Sondernutzungsgenehmigung des örtlichen Tiefbauamts. Nur der Einsatz eines Lautsprechers wurde uns nicht gestattet. Wir sollten die Weihnachtseinkäufe dann doch nicht allzu sehr stören.
Für unsere Benefizaufführung Der Besuch im baufälligen Berolzheimerianum - dort, wo eineinhalb Jahrzehnte später unsere Comödie entstehen sollte - wollte ich gar Fürths Oberbürgermeister Kurt Scherzer als Schirmherrn gewinnen, weil ich fand, dass eine solche Schirmherrschaft der Veranstaltung einen deutlich offizielleren Charakter verleihen würde. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich den vielbeschäftigten Herrn Scherzer erreichen konnte. Deshalb marschierte ich zusammen mit drei Mädels aus meiner Theatergruppe der Einfachheit halber gleich direkt ins Rathaus und klopfte beim Sekretariat.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte die Dame, die uns hereingebeten hatte und uns nun grimmig von oben bis unten ansah.
»Ich würde gerne den Herrn Oberbürgermeister sprechen«, sagte ich und erwartete, dass wir aufgrund unseres karitativen Anliegens umgehend vorgelassen wurden. Immerhin stand die Tür zu seinem Amtszimmer sperrangelweit offen.
»Aha. Haben Sie denn einen Termin?«
»Nö. Aber wir brauchen ihn für eine Schirmherrschaft. Wissen Sie, unsere Gruppe spielt nämlich demnächst für den guten Zweck und .«
Weiter kam ich nicht.
»Wissen Sie was? Schreiben Sie uns am besten einen Brief oder rufen Sie noch mal an. Jetzt kann ich leider nichts machen. Der Herr Oberbürgermeister ist nicht da.«
»Aber i bin doch dou, i bin doch dou«, tönte es im breitesten Fränkisch aus dem Raum nebenan. Und so wurden wir wundersamerweise zum OB vorgelassen.
»Wissen S' was«, erklärte Herr Scherzer, nachdem wir ihm unser Anliegen vorgetragen hatten. »Des klingt fei gar ned schlecht. Ich mooch's, wenn sich junge Leid engaschiern. Also übernehm ich gern die Schirmherrschaft für Ihr Dings.«
»Das ist sehr nett, Herr Oberbürgermeister«, bedankte ich mich. »Aber kann ich das schriftlich haben?« Sicher war sicher!
Zwei Tage später erhielt ich einen Brief, in dem Herr Scherzer mir das...
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