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Brunnenplätschern am Wedekindplatz. Kleine Zeitinsel aus alten Bäumen, nostalgischen Laternen und einem alten Papierwarengeschäft am ehemaligen Marktplatz. Von keinem Ort in Schwabing geht es direkter in die Vergangenheit. Hier beginnt die Marktstraße, wo der junge Thomas Mann 1898 wohnte. Und hier beginnt seit 1891 die Occamstraße, benannt nach dem englischen Philosophen Wilhelm von Ockham (1285-1347), der als Nominalist erstmals streng zwischen Denken und Glauben unterschied, so die moderne Philosophie mitbegründete und, vom Papst gebannt, 1329 nach München floh, wo er sich unter den Schutz des bayerischen Kaisers Ludwig IV. (1282-1347) stellte. Die Occamstraße mündet seit 1961 in den Artur-Kutscher-Platz, der an den ersten Professor für Theaterwissenschaft in München und langjährigen Freund Frank Wedekinds (1864-1918) erinnert. Artur Kutscher (1878-1960) gab zusammen mit Joachim Friedenthal Wedekinds Werke aus dem Nachlass heraus und schrieb dessen erste und bis heute umfassendste Biographie. Die Occamstraße mit ihren beiden Plätzen bildet so die Schwabinger Achse einer zeitunabhängigen Moderne.
Zur Einweihung des Wedekindplatzes 1959 meißelte der Bildhauer Ferdinand Filler eine auf einem Sockel sitzende weibliche Brunnenfigur - laut Tilly Wedekind eine griechische Nymphe - mit wallendem Haar, die sich mit einer Hand an die Stirn greift und mit der anderen eine Lyra hält, aus der ein dünner Wasserstrahl fällt. Nach den am Fuß der Stele über Wedekinds Unterschrift gerade noch lesbaren vier Verszeilen könnte hier aber auch Prinzessin Alma gemeint sein, die Tochter des Königs aus dem Wedekind-Stück König Nicolo oder So ist das Leben (1901, Uraufführung München 1902). Als König und Prinzessin aus ihrem Land Umbrien vertrieben worden sind, müssen sie sich auf dem Jahrmarkt durchschlagen. Dort wird der König als Komiker engagiert. Alma bietet sich als jugendlicher Bajazzo an, steigt auf einen Felsen und deklamiert:
« Seltsam sind des Glückes Launen,/Wie kein Hirn sie noch ersann,/Daß ich meist vor lauter Staunen/Lachen nicht noch weinen kann! // Aber freilich steht auf festen/Füßen selbst der Himmel kaum,/Drum schlägt auch der Mensch am besten/Täglich seinen Purzelbaum. // Wem die Beine noch geschmeidig,/Noch die Arme schmiegsam sind,/Den stimmt Unheil auch so freudig,/Daß er's innig lieb gewinnt!»
Ferdinand Filler, Brunnenfigur (1959), Wedekindplatz
Wer mag, kann in der Brunnenfigur und ihren Versen sogar eine Reminiszenz an die Loreley Heinrich Heines erkennen, dem Wedekind zum 50. Todestag 1906 eine Huldigung darbrachte, wobei er die gemeinsame Verachtung der Politik und die Hochachtung der sinnlichen Liebe betonte. Die Gemeinsamkeit mit Heine, durch den er nach eigener Aussage seine kindliche Unschuld verloren habe, markiert zugleich den besonderen Rang Wedekinds an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Stilistisch, vor allem durch die verschiedenen Grade der Ironie, können Wedekinds eingängige Lieder ihre Herkunft aus dem 19. Jahrhundert nicht verleugnen, doch sind sie frecher, direkter; und thematisch erobern sie Neuland, komprimieren sie die Themen der Dramen - die Probleme der Sexualität in der Pubertät, die Rolle der «femme fatale» Lulu als mehrfaches Objekt der Männerwelt, die Liebe in allen Varianten - zu dramatischen Couplets.
Wedekind entlarvt prüde Moral als Machtmittel einer Gesellschaft, die mit der Sexualität alles freie Leben unterdrückt; die Gründe dafür, vor allem die fehlende eigene Aufklärung und damit Selbstbewusstheit, stellt Wedekind deutlich bereits in seinem Drama Frühlings Erwachen heraus, das 1890/91 in München geschrieben wird, 1891 als Buch erscheint - aber erst 1906 in Berlin uraufgeführt werden kann.
Wenn jemand der Emanzipation die Bahn gebrochen hat, dann war es Frank Wedekind mit seinen Stücken und seinen Liedern; Bert Brecht, der in vielem an Wedekind anknüpfte, zählte ihn mit Tolstoi und Strindberg «zu den großen Erziehern des neuen Europa». Doch ist Wedekind auch heute noch aktuell? Sind die Aufführungen seiner nicht tatsächlich Probleme von gestern in Inszenierungen von heute? Die massiven Behinderungen seinerzeit durch Zensur und Verbote scheinen zudem bis heute zu bewirken, dass sein Werk, wenn überhaupt, so nur in Ausschnitten, als Skandal- und Zensur-Thema wahrgenommen wird. Noch viel weniger war lange Zeit über das Leben dieses exemplarischen Außenseiters seiner Epoche bekannt, dessen Münchener Wohnungen und Schauplätze mit wichtigen Stationen seiner künstlerischen Entwicklung verbunden sind.
Geboren wurde Benjamin Franklin Wedekind 1864 in Hannover als zweites von sechs Kindern des Arztes Friedrich Wilhelm Wedekind (1816-1888) und seiner Frau Emilie Kammerer (1840-1916). Der Vater, linksliberaler Kondeputierter (Ersatzmann) im Parlament der Frankfurter Paulskirche, war nach dem Scheitern der ersten deutschen Revolution 1849 nach Amerika ausgewandert. Emilie Kammerer folgte 1856 ihrer Schwester nach Südamerika, wo beide als Sängerinnen von Liedern, Arien und Duetten durch die Hafenstädte tingelten. Nach dem Tod der Schwester musste Emilie die Familie des Schwagers mit Konzert-, Theater- und schließlich Varieté-Auftritten durchbringen, die sie bis ans Deutsche Theater nach San Francisco führten. Dort lernten sich Friedrich Wedekind und die um fast 25 Jahre jüngere Frau kennen und heirateten 1862. Der Übersiedelung nach Hannover 1864 folgte - auch als Reaktion auf die deutsche Reichsgründung - 1872 der Umzug in die Schweiz, wo Friedrich Wedekind die Lenzburg im Kanton Aargau erwarb. Hier wuchs Franklin Wedekind auf; erst 1891 ließ er seinen zweiten Vornamen offiziell in Frank umändern.
Nach dem Abitur gewährt der Vater seinem Sohn ein Probesemester Germanistik und französische Literatur in Lausanne, drängt dann aber auf ein solides Jurastudium. Frank und sein Bruder Armin, der Medizin studiert, kommen deshalb zum Wintersemester 1884/85 nach München und wohnen zunächst im Rückgebäude der Türkenstraße 30 bei einer freundlichen Wirtin namens Böhringer, der Frau eines herzoglichen Lakais. Die ersten Eindrücke sind überwältigend: «München ist eine pompöse Stadt, in der ich die ersten drei Tage wie ein Träumender umherirrte und vor lauter Eindruck nicht zum Ausdruck kam. (.) Jetzt hab ich mich schon ein wenig besser hineingefunden, besuche tagtäglich einige Kirchen und mehrere Paläste, ohne damit zu Ende zu kommen. Die Krone von allem ist aber doch das Theater» (an Frau Jahn, 6.XI.1884). Im ersten Winter in München geht Wedekind angeblich 84 Mal ins Theater - eine lebenslange Leidenschaft ist geweckt. Neben dem juristischen Colleg, zu dem ihn alles andere als Begeisterung hinzieht, belegt er noch Vorlesungen in Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte.
Während sein Bruder vom Sommersemester 1885 an in Zürich weiterstudiert, bleibt Frank in München und zieht in die Schellingstraße 27/III, wo noch drei andere Studenten wohnen. Dem Vater berichtet er, seine Wirtin gefalle ihm «sehr gut. Sie ist Wittwe und besorgt mir sehr pünktlich selber meine Wäsche und die Ausbesserung der Kleider.» Wedekind ist viel in der Stadt und der Umgebung unterwegs, geht in die Museen und in Konzerte, zeichnet selbst und hört weiter juristische und kunstgeschichtliche Vorlesungen. Seine eigene Muse schläft dabei etwas ein; erst als ihn eine sogenannte «falsche Rose» (Rotlauf) am Bein ins Krankenhaus zwingt, lebt sie wieder auf: Er schreibt Gedichte, beginnt zwei Balladen und vollendet ein (nicht erhaltenes) Trauerspiel sowie zwei Novellen.
Damit gerät er auf seine eigene Spur. Dem Wunsch des Vaters, das Studium in Zürich fortzusetzen, folgt er nicht. Nach einem kurzen Besuch in Lenzburg ist Wedekind Anfang November 1885 wieder in München - unter der gleichen Adresse - und beginnt von nun an seine Eltern über seine Studien zu täuschen. Anstatt, wie er vorgibt, weiter fleißig Jura zu studieren, belegt er nur Vorlesungen über die Kulturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts sowie über Staatswissenschaft und Politik.
Um sich aber keine Blöße zu geben, schreibt der junge Wedekind ausführliche Briefe über alle möglichen Erlebnisse nach Hause. Dieser «Verlegenheit» - Wedekind betrachtet sowohl die Briefe wie seine Tagebuch-Eintragungen in dieser Zeit als Stilübungen - ist ein hochinteressantes Zeitzeugnis anlässlich des Todes König Ludwigs II. zu verdanken. Wedekind ist dabei ein ebenso unabhängiger wie genauer Beobachter der auffälligen polizeilichen Reaktionen in der Stadt gegenüber den vielen Zeitgenossen, die ihrem Zweifel an der offiziellen Todesursache Ausdruck geben: «Die Bestürzung über die Todesnachricht war eine furchtbare, man glaubte nirgends mehr an die Geistesstörung des Königs, man sprach von List, Gewalt und Mord.»
Schon vorher, an Karfreitag 1886, hat er sein erstes erhaltenes Drama, die «Große tragikomische...
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