Schweitzer Fachinformationen
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Der Verleger Martin Feuchtwanger eröffnete eine Suppenküche in Tel Aviv. Der Bauhäusler Max Bronstein nannte sich zum Zeichen des Neuanfangs Mordechai Ardon und etablierte den berühmten Vorkurs an der Jerusalemer Kunstschule Bezalel. Die Autorin Gabriele Tergit untersuchte ihr neues soziales Umfeld mit messerscharfem Berliner Sezierbesteck. Erich Mendelsohn, Stararchitekt der Spreemetropole, plädierte in Palästina für einen Ost-West-Dialog und mietete sich in einer alten arabischen Windmühle ein. Der Schriftsteller Arnold Zweig fühlte sich im Gelobten Land wie ein großer Fisch in flachem Wasser. Die Künstlerin Lea Grundig überlebte als illegale Immigrantin den Untergang des versenkten Flüchtlingsschiffs »Patria« und verbrachte danach ein Jahr in einem Internierungscamp bei Haifa.
Auch wenn es allgemeine Parameter für die deutsch-jüdische Emigration gibt - Einwanderungszahlen, Wirtschaftsstatistiken, politische Rahmenbedingungen -, setzt sich das Exil aus Einzelbiografien zusammen. Es ist weder angemessen noch sinnvoll, die aus Nazi-Deutschland Geflohenen als eine homogene Gruppe zu betrachten. Eine Annäherung an die Thematik kann nur über die Einbeziehung von persönlichen Schicksalen geschehen. Palästina/Israel, als das Land der Väter begriffen, kam zweifellos eine Sonderstellung unter den möglichen Zufluchtsorten zu. Und doch bedeutete es für die Mehrheit der zwischen 1933 und 1941 aus Deutschland einwandernden 60 000 Juden eine »Heimkehr ins Unbekannte«. Auf die mannigfaltigen Notstände und Unwägbarkeiten reagierte jeder anders.
In Palästina/Israel wurden diese Immigranten mit leicht spöttischem Unterton »Jeckes« genannt. Das stand für übertriebene Gründlichkeit, preußische Korrektheit, ausgeprägte Pünktlichkeit und eine gewisse zur Schau getragene Borniertheit gegenüber lokalen Gepflogenheiten. Die deutschen Juden galten als Paradebeispiele assimilierten Judentums, die sich in ihrem Geburtsland Deutschland »zu Hause« gefühlt und sich oft »deutscher als die Deutschen« verhalten hatten. Ihre Eingliederung in das neue Umfeld wurde als schwierig angesehen. Für manche unter ihnen blieb das orientalische Land in der Tat ein lebenslanges Exil, einige wenige kehrten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder nach Deutschland zurück. Für viele Immigranten wurde Israel dennoch zur (zweiten) Heimat. Ihr Beitrag zur israelischen Kultur und Wissenschaft sollte sich als ebenso unverkennbar wie bedeutsam erweisen.
Das vorliegende Buch konzentriert sich auf ein spezifisches Berufs- und Gesellschaftssegment der deutsch-jüdischen Einwanderung nach Palästina: auf die Künstler, Architekten und Schriftsteller. In ihrem kreativen Handeln nahmen sie - aktiv oder kontemplativ - Bezug auf ihre Umgebung. Wie unter einem Brennglas offenbaren sich hier besonders eindringlich unterschiedliche, mitunter auch ambivalente Positionen zwischen Heimat und Exil, zwischen Resonanz und Distanz. Allein die nähere Betrachtung von Schriftstellern und Architekten verdeutlicht zwei sehr gegensätzliche Erfahrungen, die im Judentum eine lange Tradition haben und sich symbolhaft in Buch (Bibel) und Haus (Tempel) manifestieren. Die Realität in Palästina sollte sich für die Schriftsteller, die in ihrer Erstsprache Deutsch beheimatet waren, als desolat erweisen. Mit Hebräisch als Imperativ sahen sie sich ins Abseits gedrängt, ohne Stimme an einem fremden Ort. Architekten dagegen, deren Auftrag von Berufs wegen in der Schaffung neuer Lebenswelten liegt, wurden getragen vom Schwung des Aufbaus und dem steigenden Bedarf an mehr Wohnraum als Folge der Einwanderungswelle aus Deutschland und Mitteleuropa. Die nach Palästina immigrierten Künstler als dritte Gruppe profitierten von der Neueröffnung der Jerusalemer Kunstakademie im Jahr 1935 und der Etablierung erster Museen, allen voran das 1932 gegründete Tel Aviver Kunstmuseum, das die Einrichtung zahlreicher Galerien nach sich zog. Viele Künstler fanden darüber hinaus ein Zubrot in der Gebrauchsgrafik, die sich aufgrund neu entstehender Industrie- und Handelsunternehmen entwickelte. Ähnlich stellte sich die Situation für Fotografen und Filmemacher dar, denen sich ein Tätigkeitsbereich in der Dokumentation des Aufbaus sowie in der zionistischen Propagandaarbeit bot.
Generalisierend lässt sich sagen, dass die Schriftsteller und alle Sparten, die ihre Existenz auf Sprache aufbauten, in Palästina mit inkomparablen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Vaterland und Muttersprache klafften ohne Aussicht auf Versöhnung auseinander. Das bedeutete nicht etwa, dass die Literaten nach ihrer Flucht aus Deutschland untätig blieben. Im Gegenteil, einige hervorragende Werke - denkt man nur an Arnold Zweigs Erziehung vor Verdun und Das Beil von Wandsbek oder Else Lasker-Schülers Gedichtband Mein Blaues Klavier und ihr Schauspiel IchundIch - entstanden gerade in der sprachlichen Isolation. Das Schreiben bedeutete für sie Medium des Überlebens und der Selbstbehauptung. Letztlich rettete die verbannte Literatur die deutsche Sprachkultur vor dem Versinken im nationalsozialistischen Morast. Das Weh der Schriftsteller, ihre Abgeschnittenheit und damit oft einhergehend ihre finanzielle Notlage, von der sie in zahllosen Briefen, Tagebucheinträgen und autobiografischen Beiträgen Zeugnis ablegten, ist der Fundus der Geschichtsforscher, der Einblick in den Seelenhaushalt der Emigration gewährt. Die Nachlässe der Autoren, die heute in verschiedenen israelischen und deutschen Archiven aufbewahrt werden, sind wahre Augenöffner. Hier findet sich in Breite und Tiefe ausgedrückt, was bei den Künstlern und Architekten - von einigen Ausnahmen wie Lea Grundig und Erich Mendelsohn abgesehen - meist unausgesprochen, respektive ungeschrieben blieb und nur schwer aus ihrem jeweiligen Werk erschlossen werden kann.
Das Archivwesen, das die Erkenntnis der Bedeutung amtlicher wie persönlicher Dokumente für zukünftige Generationen voraussetzt, ist in Palästina/Israel maßgeblich von deutschen Juden aufgebaut worden. Die erste Adresse für jeden Forscher, der sich mit der Geschichte des Zionismus und der Genese des jüdischen Staates in all seinen Facetten beschäftigt, ist zweifellos das Zionistische Zentralarchiv in Jerusalem. Es ist sozusagen das Gedächtnis Israels und beherbergt neben wichtigen politisch relevanten Beständen, zu denen zahllose Unterlagen zur Einwanderung zählen, inzwischen auch 1500 private Nachlässe. Seine Anfänge führen nach Berlin ins Jahr 1919 und zu einem Mann namens Georg Herlitz. Er ordnete die Bestände des zunächst in der Sächsischen Straße 8, später in der Meineckestraße 10 ansässigen Hausarchivs der Zionistischen Organisation, das den gesamten Schriftbestand des Zionistischen Zentralbüros und weiterer jüdischer Vereinigungen, eine Fotothek, eine Zeitschriftensammlung sowie eine Bibliothek umfasste. Der aus Oppeln gebürtige Herlitz hatte eine fundierte akademische Ausbildung in Geschichte, Philosophie und semitischen Sprachen an den Universitäten in Halle und Berlin genossen. Parallel hatte er Vorlesungen und Seminare an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums besucht, wodurch er sich für die ihm anvertraute Aufgabe im Besonderen profilierte. Sehr früh erkannte Herlitz die Gefahr der politischen Lage in Deutschland und lagerte bereits Ende 1932 eine Auswahl bedeutsamer Unterlagen im Partnerbüro des Zionistischen Zentralbüros in London aus, um sie vor potenzieller Zerstörung zu schützen. Für die Verbringung des großen Rests einige Monate später nach Palästina, so kolportiert Thomas Sparr in seinem kurzweilig geschriebenen Buch Grunewald im Orient, folgte Herlitz dem Ratschlag seiner Frau. Sie vermutete - zu Recht, wie sich herausstellen sollte -, dass die Preußen auch nach der Machtübernahme Hitlers noch die korrekten Beamten sein würden, die sie seit eh und je waren, und dass es deshalb nicht nötig sei, die Archivbestände aus Deutschland herauszuschmuggeln. Der ganz normale Transportweg für Stückgut, so ihre Einschätzung, sei vorzuziehen und wesentlich sicherer. Und in der Tat: Der involvierte deutsche Polizeihauptmann verbürgte sich persönlich für die ordnungsgemäße Verschickung der archivarischen Dokumente. In der Folge erschien vom 15. September 1933 an pünktlich jeden Morgen vor dem Haus in der Meineckestraße ein Lastwagen, der jeweils zehn bepackte gegen zehn leere Transportkisten austauschte. Im Lauf von drei Wochen wurden auf diese Weise 154 Kisten abtransportiert, bis die Räumlichkeiten des Archivs der Zionistischen Organisation komplett leergeräumt waren. In Jerusalem konnte bereits im Herbst 1934 mit der Berliner Dokumentensammlung gearbeitet werden. Sie bildete den Grundstock der Central Zionist Archives, denen Georg Herlitz bis 1955 als ihr Direktor vorstand und den Stempel preussischer Ordnung aufdrückte.
Während die Nachlässe von Künstlern und Architekten - sofern sie nicht wieder aus Israel auswanderten - in der Regel im Land blieben und entweder im Zionistischen Zentralarchiv...
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