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Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie kamen. Ich hatte meine Übelkeit inzwischen wieder einigermaßen unter Kontrolle. Schwester Berthildis trat ins Zimmer. Sie war blaß und ernst wie wahrscheinlich alle, die derzeit im Haus waren.
"Die Herrschaften von der Kripo möchten Sie sprechen, Herr Jakobs."
"Die Herrschaften" waren vor allem eine Frau. Eine Frau um die Fünfzig mit einem forschen Gesichtsausdruck. Sie trug eine helmartige Kurzhaarfrisur und auffallend blaue Ohrringe.
"Marlene Oberste", sagte die Dame, als sie auf mein Bett zukam. "Hauptkommissarin und Leiterin der Mordkommission im Fall Peuler. Das ist mein Kollege Kriminalkommissar Jan Vedder."
"Herr Jakobs, Sie waren einer der ersten, die die Leiche entdeckt haben", die Hauptkommissarin nahm auf dem Besucherstuhl Platz. "Können Sie uns kurz erklären, warum Sie überhaupt hier sind."
Die Frage hatte etwas Provokatives. Mußte ich mich für meinen Krankenhausaufenthalt rechtfertigen? Ich versuchte, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, und erzählte von meinen Bauchschmerzen und meiner gestrigen Aufnahme im Krankenhaus.
"Ich sollte heute operiert werden", erklärte ich.
"Und wie kamen Sie in das Büro des Chefarztes?" Jetzt mischte sich auch el assistento ein.
"Ich war gerade auf dem Weg zur Toilette", erläuterte ich, "als ich auf dem Flur einen fürchterlichen Schrei hörte." Ich erzählte und erzählte, wußte aber genau, daß meine Ausführungen nicht hilfreich waren. Schließlich hatte ich niemanden wegrennen sehen. Ich hatte keine Schritte gehört. Ich hatte einzig und allein das wahrgenommen, was auch Dr. Peulers Sekretärin und Schwester Berthildis gesehen hatten: einen toten Menschen, der in seiner eigenen Blutlache lag.
"Dr. Peuler ist unmittelbar zuvor ermordet worden", erklärte Jan Vedder. "Es ist erstaunlich, daß keiner von Ihnen den Mörder gesehen hat."
Mir selbst ging etwas anderes durch den Kopf. "Was war das für ein Kreuz?" Ich merkte selbst, daß meine Stimme ziemlich wacklig war.
Marlene Oberste sah mich durchdringend an. "Das möchte ich von Ihnen wissen. Was war das für ein Kreuz?"
"Es sah aus, als habe jemand dem Mann in den Rücken geritzt. Mit einem Messer. Mit einem extrem scharfen Messer. Da waren zwei Schnitte. Das Ganze sah aus wie ein Kreuz - ein Kreuz aus zwei gleich langen Strichen."
"Ich weiß, was Sie meinen."
"Was hat das für einen Sinn? Warum hat der Mörder da rumgeschnitten?"
"Wenn wir das wüßten, wären wir um einiges schlauer." Marlene Oberste sah nicht so aus, als ob sie sich mit mir darüber unterhalten wollte.
"Wie ist er denn umgebracht worden, dieser Dr. Peuler? Ich meine, woran ist er gestorben? Doch nicht an dem Schnitt!"
"Ein Schlag auf den Hinterkopf", Jan Vedder war offensichtlich ein wenig auskunftsfreudiger. Um seine Aussage zu unterstreichen, formte er eine Faust und machte eine Bewegung zum Hinterkopf hin.
"Aber doch nicht mit der Faust", sagte ich aufgeregt. "Er kann doch nicht mit der Faust -"
"Neben dem Opfer lag eine Skulptur auf dem Fußboden", erklärte Jan Vedder, "na ja, Skulptur ist nicht das richtige Wort. Eher so ein Stein, etwas kleiner als ein Kegel und ziemlich schwer." Die Hauptkommissarin verschränkte gut sichtbar ihre Arme vor der Brust. "Aus Marmor ist das Teil", fuhr Vedder unbeirrt fort, "mit einer glatten Oberfläche und einem pyramidenförmigen Kopf. Keine Ahnung, wie so etwas heißt. Es soll ein Mitbringsel von einer Toskanareise sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Peuler damit der Schädel zertrümmert worden."
Instinktiv faßte ich mir an den Kopf.
"Und das Kreuz?" fragte ich weiter. "Womit ist das Kreuz geritzt worden? Es muß etwas unglaublich Scharfes gewesen sein. Vielleicht ein Skalpell?"
"Ermittlungen und Schlußfolgerungen überlassen Sie bitte der Polizei!" Jetzt mischte sich die Chefin wieder ein. "Stellen Sie sich vor, wir haben unseren eigenen Kopf zum Denken." Die Kommissarin erhob sich. Nette Person, angenehmer Tonfall. Trotzdem mußte ich ja noch etwas loswerden.
"Ach, ich hätte da noch was."
Marlene Oberste sah mich abschätzig an.
"Ich weiß nicht, ob es mit dem Mord in Zusammenhang steht." Mir schoß in den Kopf, daß mit diesen Worten sicherlich eine Menge Zeugenaussagen begannen. Dann berichtete ich in groben Zügen von meinem Gespräch mit Benno. Die Details wollte ich lieber ihm überlassen.
"Benno Allhoff? Und er ist Zivildienstleistender hier?" Die Hauptkommissarin schaute plötzlich ausgesprochen interessiert. Wahrscheinlich witterte sie endlich eine Spur. "Wir werden ihn uns gleich vornehmen."
"Er ist sehr aufgeregt wegen dieser Sache", versuchte ich zu erklären. "Vielleicht sollte ich mitkommen und -"
"Das wird nicht nötig sein", bestimmte Marlene Oberste kurz und knapp. "Als Zivildienstleistender ist er ein erwachsener Mann. Kein Bedarf an Unterstützung."
Ich war sprachlos.
"Mein Kollege wird jetzt Ihre Personalien aufnehmen."
Ich nickte wie ein kleiner Junge. "Sind Sie noch länger hier im Krankenhaus?" Frau Oberstes Frage war eigentlich keine richtige Frage. "Ich nehme es an, wenn Sie noch nicht operiert worden sind."
"Keine Ahnung", brummte ich. Dann verließ Marlene Oberste das Zimmer. Als ich mit Jan Vedder zurückblieb, war ich mir einen Moment lang nicht sicher, warum ich das Krankenhaus am liebsten sofort verlassen hätte. Weil ein Mörder in weißem Kittel auf der Station sein Unwesen trieb oder weil ich auf ein weiteres Gespräch mit Marlene Oberste keinen allzu großen Wert legte.
6
Den Entschluß, Benno zu suchen, faßte ich ein paar Minuten, nachdem Kommissar Vedder verschwunden war. Als ich aufstand, blickte ich kritisch an mir hinunter. Dieser Schlafanzug war nicht gerade ein Kracher - ein verwaschenes Blau und ziemlich eng anliegend. Meine Mutter hatte ihn vor vielen Jahren angeschafft. Ich selbst hatte die Kollektion nie erweitert, weil ich nachts lieber T-Shirt und Unterhose trug. Gestern allerdings hatte Alexa ziemlich geflucht. Was sollte sie zusammenpacken? Noch nicht einmal einen Bademantel besaß ich, daher hatte Alexa in aller Eile einen in der Nachbarschaft geliehen - bei einer älteren Dame, die mir andauernd die Kleidung ihres verstorbenen Ehemannes anbot. Bislang hatte ich immer dankend abgelehnt. Ich hatte schon gewußt, warum. Dieses Morgenmantelexemplar erinnerte gut und gerne an die frühen Zeiten des Alfred Tetzlaff: ein gelungenes Streifenmuster verschiedener Brauntöne. Gut, bei Darmproblemen der härteren Sorte war er sicher ganz praktisch. Aber für mich? Ich hatte keine Alternative. Als ich das durchgescheuerte Frottee-Teil überzog, tröstete mich der Gedanke, daß so mancher Klassiker irgendwann wieder modern geworden war.
Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Flur und warf einen Blick nach draußen. Von rechts, wo der Gang schon bald abbog, konnte man Stimmen hören. Ich zögerte einen Moment. Wo würde sich diese Oberste jetzt aufhalten? Am Tatort oder bei einer weiteren Vernehmung? Nun ja, zu Peulers Zimmer drängte es mich nicht gerade. Ich würde mich erstmal im Schwesternzimmer erkundigen. Dort saß eine stämmig gebaute Krankenschwester mit einem Anstecker, der irgendwie selbstgetöpfert aussah. Schwester Beate stand in bunten Lettern darauf.
"Kann ich etwas für Sie tun?"
"Ich suche Benno", erklärte ich.
"Stefan?" Beate rief in den hinteren Teil des Zimmers hinein, wo sich offenbar noch jemand aufhielt. Einen Moment später kam jemand nach vorne, ein Krankenpfleger mit lockigem, dunkelblondem Pferdeschwanz. "Weißt du, wo Benno ist?"
Der Zopf-Pfleger zuckte mit den Achseln. "Der müßte auf der Fünf sein, wenn er Dienst hat."
"Heute haben alle Dienst." Schwester Beate war offensichtlich ein kerniger Typ. "Hier ist die Hölle los", kommentierte sie in meine Richtung. "Die Polizei nimmt alles auseinander. Die Patienten sind in heller Aufregung, und keiner weiß, was er tun soll."
"Vielleicht können Sie mir sagen, wo die Polizei sich aufhält", versuchte ich es jetzt, "ich meine vor allem diese Kommissarin Oberste."
"Ach die", Stefan wußte sofort Bescheid. "Die hat sich im Stillraum eingenistet. Sie hat ein geräumiges, abgeschlossenes Zimmer gesucht. Da hat ihr der Oberarzt das Stillzimmer zugewiesen. Es liegt im ersten Stock, auf derselben Höhe wie Peulers Büro. Unter dem Tatort also." Stefans Stimme wurde merklich ruhiger.
"Das Stillzimmer. Wie komme ich da am schnellsten hin?"
"Hier den Gang zurück", mischte sich Schwester Beate ein. "Und dann zwei Stockwerke tiefer. Ich glaube, Nummer 106, oder?"
Die Frage war an ihren Kollegen gerichtet, aber der zuckte nur die Schultern.
"Sie können aber auch hinten die Treppe nehmen", erklärte Beate dann. "Drüben wuselt nämlich noch die Spurensicherung herum. Da dürfen Sie sicher nicht vorbei."
"Ich find' das schon", erklärte ich schnell und machte...
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