Schweitzer Fachinformationen
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Das mit dem fröhlichen Vogelschießen sollte nichts werden. Zwar gab es Befürworter, die das Schützenfest durchführen wollten wie geplant, allen voran natürlich Alfons Reckert, der alles für einen bedauernswerten Unfall hielt, sowie einer, der Jürgen genannt wurde. Doch den Ausschlag gegen eine Fortsetzung der Feierlichkeiten gab ein Mann, der gar nicht direkt zum Schützenvorstand gehörte. Er platzte mitten in die Diskussion, die im Partyraum gerade in vollem Gange war, und zog mit einem Schlag die gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Max, der eigentlich gar nichts bei der Besprechung zu suchen hatte, stand im offenen Türrahmen und schmunzelte in sich hinein. Ich selbst stand draußen etwas abseits und unterhielt mich mit Christoph Steinschulte. "Johannes Osterfeld!" flüsterte Max mir zu, als müsse er mich unbedingt über die aktuellen Ereignisse im Partyraum informieren. "Deeer Fabrikant am Ort!" Max dehnte das e so lang, daß ich Osterfelds Monatseinkommen auf über hunderttausend schätzte. Ich trat ein paar Schritte näher, um einen Blick in den Raum werfen zu können. Ostermann war ein Mann Mitte Vierzig, mit braunem, modisch geschnittenem Haar, das allerdings nicht über sein eher kerniges Aussehen hinwegtäuschen konnte. Sein rundes Gesicht und seine schützenfestrosigen Wangen verliehen ihm das Aussehen eines großen Bauernjungen.
"Sagt mal, diskutiert ihr allen Ernstes hier rum, ob morgen das Vogelschießen stattfinden soll?" Osterfeld blickte sich empört um. Die Schützen in ihren Uniformen standen da wie Schuljungen, die bei einem Lausbubenstreich ertappt worden waren. Keiner sagte ein Wort. "Wilfried König ist vor einigen Stunden zu Tode gekommen. Wilfried, der für eure Bruderschaft auf den Knien herumgerutscht ist. Wilfried, dessen Onkel hier in eurem Kreis steht und dem ihr keine Stunde der Trauer laßt." Die Blicke richteten sich auf einen Mann, der seinen Federbüschelhut in der Hand hielt. Er war ziemlich bleich und hatte glasige Augen. Die Todesnachricht hatte ihm schwer zugesetzt.
"Gerhard Streiter!" zischte Max mir ins Ohr. "Wilfrieds Onkel und Oberst hier im Verein!"
Johannes Osterfeld fuhr in seiner Rede fort. "Und ihr wagt es ernsthaft, morgen an ein Vogelschießen zu denken?" Weiterhin betretene Stille. Dann ergriff Alfons Reckert das Wort:
"Herr Osterfeld, wo denken Sie hin? Im Grunde sind wir uns gerade einig geworden: Wir werden den morgigen Festtag ausfallen lassen. Am besten werde ich jetzt gleich die Schützenbruderschaft informieren." Reckert hatte es eilig, nach draußen zu kommen. Er hastete an uns vorbei und verschwand sogleich in der Menge. Max stürzte plötzlich hinterher. "Ist der denn bescheuert?" zischte er. "Die Moni weiß noch gar nicht Bescheid, und er will hier durchs Mikrofon Wilfrieds Tod bekanntgeben?" Max lief auf Steinschulte zu, der sich jetzt mit den übrigen Polizeibeamten besprach. Er redete hastig auf ihn ein, dann liefen die beiden los, in die Menge hinein. Ich selbst machte mich auf die Suche nach Alexa. Nach zwei Metern begegnete ich zunächst meiner Hofstaatdame. Sie stand Arm in Arm mit ihrem Kleiderschrank zusammen. Als sie mich sah, machte sie ein verlegenes Gesicht. Ich knipste ihr ein Auge und lief vorbei. Einem Instinkt folgend trieb es mich in den Eßraum. Tatsächlich saß Alexa allein an einem Tisch, vor sich einen leeren Teller. Wenigstens hatte es ihr nicht den Appetit verschlagen.
"Schnitzel?" fragte ich und setzte mich ihr gegenüber.
"Nee! Currywurst mit Pommes! Oder sagen wir besser zwei."
"Zwei Pommes?" fragte ich, um sie zu ärgern.
"Nein, zweihunderttausend Kalorien!" sagte sie patzig.
Ich streckte den Arm nach ihr aus.
"Ich bin total kaputt!" sagte Alexa müde. Sie griff nach meiner Hand. "Können wir endlich nach Hause?"
"Ich glaub schon! Zu den Ermittlungen können wir eh nichts mehr beitragen."
"Und was machen wir zu Hause?" Alexa gab sich die Antwort selbst. "Zuerst nehme ich ein Bad. Dann trinke ich ein Glas Wein. Und dann versuche ich mich abzulenken."
"Hast du schon eine Idee, womit?" fragte ich in meinem charmantesten Tonfall.
"Aber natürlich!" Alexa war ein einziger Augenaufschlag. "Ich werd mir den Rollemeyer antun. Der Klassiker unter den Nachschlagwerken, wenn es um Rinderpraxis geht. Dabei schlafe ich jedesmal sofort ein." Mein Lächeln gefror mir zwischen den Zähnen.
"Moni! Moni!" Es war eine Frauenstimme, die da rief. Am Nachbartisch drehte sich eine junge Frau um. Sie war auf eine ganz einfache Art hübsch. Kurze braune Haare, eine zierliche Figur, ein angenehmes Gesicht.
"Ja?"
"Dein Jägerschnitzel ist fertig!" Die Bedienung aus der Küche schwenkte einen Teller.
"Komme schon!"
Als Moni sich mit ihrem Essen am Nachbartisch niederließ, starrten wir sie an. Genau in dem Moment, als ich den Stuhl zurückgeschoben hatte, um Max und Steinschulte zu suchen, wurde die Musik leiser.
"Sind Sie Moni König?" fragte ich unvermittelt.
Moni blickte überrascht auf. "Allerdings. Kennen wir uns?"
"Nein, nein, es ist nur -" Ich hörte eine Stimme, die durchgab, daß der Zweite Vorsitzende der Schützenbruderschaft jetzt eine wichtige Durchsage machen wolle.
"Es gibt jemanden, der sie unbedingt sprechen muß!" brachte ich hektisch heraus.
Alexa blickte mich verzweifelt an. "Es ist etwas Furchtbares passiert!" wandte sie sich dann an Moni.
"Was denn?" Moni blickte ängstlich.
"Eigentlich dürfen wir gar nicht -" warf ich ein, doch Alexa saß schon bei Moni am Tisch.
Alfons Reckerts Stimme war zu hören. Die Leute an den Nachbartischen waren ganz still geworden, um besser zuhören zu können.
"Ihr Mann Wilfried", sagte Alexa leise. "Er ist tot." Moni starrte uns an. Erst Alexa, dann mich. Sie hatte einen so unbeweglichen Gesichtsausdruck, wie ich ihn noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte.
"Er ist - was?" Moni sprach so leise, daß sie kaum zu verstehen war. Im Hintergrund war weiter Alfons Reckerts Stimme zu hören. "..aufgrund des tragischen Todes unseres Schützenbruders Wilfried König möchten wir innehalten, um für ein paar Augenblicke seiner zu gedenken -"
"Der Wilfried ist - ist tot? Aber warum denn?"
"Er ist gestürzt und ganz unglücklich mit dem Kopf auf einen Stein geschlagen", erklärte ich vorsichtig.
"Auf einen Stein? Auf was für einen Stein?"
"Moni?" Max und Kommissar Steinschulte standen plötzlich vor dem Tisch. Moni König starrte sie mit einem leeren Blick an. Es war totenstill. Auch aus der Schützenhalle drang kein einziger Laut. Hunderte von Menschen standen unter Schock.
"Stimmt das?" fragte Moni fast tonlos. "Ist der Wilfried wirklich tot?"
Fast unmerklich nickte Max mit dem Kopf.
Es machte platsch, als Moni König mit dem Gesicht in ihr Jägerschnitzel fiel.
5
Das Rinderbuch hatte Alexa nicht mehr gebraucht. Ein Entspannungsbad mit Citronellöl, von dem sie pro Monat ungefähr eine ganze Flasche benötigte, hatte ausgereicht, um sie nach ungefähr fünf Sekunden im Bett zum Einschlafen zu bringen. Ich selbst tat mich da schwerer. Außergewöhnliche Ereignisse machten mich derart aufgekratzt, daß an Einschlafen gar nicht zu denken war. Max ging es genauso, und so saßen wir in meinem Wohnzimmer bei einem Glas Wein und versuchten, etwas Abstand zu gewinnen.
"Moni war völlig fertig", murmelte Max.
"Mhm!"
"Die beiden waren vier Jahre verheiratet." Max war für seine Verhältnisse richtig redselig. "Sie haben sich bestimmt Kinder gewünscht."
"Mag sein!" antwortete ich trocken. "Aber sicher nicht voneinander."
Max fuhr aus seiner Melancholie heraus. "Wie meinst du das denn?" Seine Stimme war reine Empörung.
"So, wie ich es sage", erklärte ich. "Die beiden standen unmittelbar vor der Trennung."
"Du spinnst!" fauchte Max. "Ich bin in Stichlingsen geboren. Meinst du, ich wüßte nichts davon, wenn -"
"Du bist in Stichlingsen geboren. Nur leider wohnst du inzwischen nicht mehr da. Im Gegensatz zu Doris Ratzbach, zu der ich, wie du weißt, ausgezeichnete Kontakte unterhalte."
"Jetzt sag schon! Hast du von ihr etwas gehört?"
Oh ja, das hatte ich. Auf dem Weg vom Eßraum nach draußen war ich ihr ein zweites Mal über den Weg gelaufen.
"Ist das wirklich wahr?" hatte sie mich aufgeregt gefragt. "Ist der König wirklich tot?"
"Ganz sicher!" hatte ich geantwortet. "Der König ist tot."
Und dann hatte Doris losgelegt. Über den König und seine letzte Kegeltour. Und diese Perle, die der König sich da aufgerissen hatte. Die der Moni von unten nicht das Wasser hatte reichen können. Aber daß er wie weggewesen war von dieser Frau. Zumindest die ersten drei Monate. Erst als Moni ihn vor die Tür hatte setzen wollen, da war er zur Besinnung gekommen. Da hatte er geschnallt, daß die Perle aus Kuhschiß-Hagen, diesem kleinen Kaff bei Sundern, wohl...
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