Schweitzer Fachinformationen
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Die Schmallenberger Weststraße verströmte winterliche Heimeligkeit. Die schneebedeckten Bäume, im Hintergrund der Kirchturm und dazu das einladende Licht aus den Gaststätten rundherum. Dagegen wirkte das stattliche Bürgerhaus der Klutes ein wenig gespenstisch. Jemand hatte ins Fenster neben der Eingangstür eine Kerze gestellt, als sollte die Jakob helfen, den Heimweg zu finden. Max blieb einen Moment auf dem Bürgersteig stehen und betrachtete das Haus. Schließlich ging er die Eingangstreppe zur schmucken Haustür hinauf. Ich folgte ihm langsam.
"Schönes Haus", murmelte ich, während Max den Klingelknopf drückte.
"Teures Haus", fügte mein Kumpel hinzu. Ich stutzte. Dachte er allen Ernstes an eine Entführung?
Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und Doro stand im Rahmen. Sie wirkte angespannt - noch angespannter als sonst. "Ich habe euch kommen sehen", sagte sie matt. "Ich habe oben am Fenster gesessen."
Doro führte uns in einen geräumigen Flur und nahm uns die Jacken ab. Als Max die Schuhe ausziehen wollte, winkte sie ab. "Lass mal!"
Die Familie Klute war edel und biomäßig-gemütlich eingerichtet. An allen Ecken und Enden legte man Wert auf Behaglichkeit und Stil.
Martin, der nur gelegentlich als Notrufknopf im Einsatz war, hauptberuflich aber als Schreiner arbeitete, hatte mal erzählt, dass er bei den Klutes ordentlich Hand angelegt hatte. Sie hatten das Haus vor einem Jahr gründlich renoviert, und Martin hatte quasi die gesamte Inneneinrichtung gemacht. Ausschließlich heimische Hölzer waren verarbeitet worden und für alles hatte Martin eine individuelle Lösung getischlert.
"Möchtet ihr einen Kaffee?"
Jetzt war es Max, der abwinkte. "Danke, wir sind schon von Karla abgefüllt worden."
Wir ließen uns an einem Esstisch aus rot-braunem Holz nieder. Hier wurde mir der Unterschied zwischen den Klutes und meiner Familie deutlich bewusst. Nicht nur, dass hier alles viel teurer aussah. Bei uns waren die Kinder jünger, der Tisch war entsprechend vermackt. Die Klutes hatten das hinter sich und sich deshalb hochwertige Möbel herstellen lassen, die niemand vermackte.
"Schönes Holz!" Ich strich über die wunderbare Platte.
"Eine alte Kirsche aus unserem Garten", erklärte Doro.
Nun, heimischer ging es wohl nicht.
"Jeder sagt mir, dass es verrückt ist, sich Sorgen zu machen", kam Doro jetzt zum Thema und rieb sich dabei ihr Gesicht. "Dass Jakob einfach mal ausbrechen wollte. Aber ich glaube das nicht."
"Weil er nicht der Typ ist?" Max lehnte sich zurück.
"Genau."
"Hast du mal ein Foto von ihm? Ich würde mir gern ein Bild von ihm machen."
Doro stand auf und ging zu einer maßgeschneiderten Regalwand hinüber. Einen Moment später stand sie mit einem gerahmten Foto am Tisch.
"Das ist er." Vorsichtig stellte sie es vor uns auf den Tisch, so dass wir beide draufschauen konnten. Ein hübscher Junge, der Dynamik ausstrahlte. Dunkle Haare, braune Augen, ein offenes Gesicht. Meine Tochter Marie hätte sich sofort in ihn verliebt, auch wenn er viel älter als sie war.
"Einen netten Sohn habt ihr da." Es schien mir, als betonte Max bewusst die Gegenwartsform. 'Er ist irgendwo', sollte das heißen, 'natürlich ist er irgendwo, wir wissen nur noch nicht, wo.'
"Fangen wir doch mal vorne an", mein Kumpel rückte jetzt auf dem Stuhl nach vorn und bündelte seine Aufmerksamkeit. "Wann habt ihr Jakob zum letzten Mal gesehen?"
"Gestern Nachmittag, gegen halb drei. Er wollte los, ein paar Erledigungen machen."
Max stutzte. "Moment. Wir reden von Silvester. Die Geschäfte waren geschlossen."
"Richtig, es ging auch nicht um Einkaufen. Jakob wollte ein paar Dinge erledigen. Genauer hat er das nicht erklärt. Überhaupt hat er nur so vor sich hin gemurmelt", Doro zögerte, dann gab sie sich einen Ruck. "Es ist so: Als Jakob sich aufmachen wollte, habe ich ihn angeraunzt, dass es hier zu Hause auch genug zu erledigen gäbe, zum Beispiel mal sein Zimmer aufräumen. Das ist nämlich völlig verschlampt. Aber für so etwas hat Jakob nie Zeit. Stattdessen muss er Musik machen, die Welt retten oder sonst was erledigen. Mir ist der Kragen geplatzt und das habe ich ihm gesagt."
"Ihr habt gestritten?"
"Nein. Ja. Ganz normal, wie das schon mal ist, wenn man erwachsene Kinder im Haus wohnen hat. Nichts Ernstes. Man muss doch so etwas mal sagen dürfen."
Max runzelte die Stirn. "Meinst du, dass Jakob deswegen verschwunden ist? Um euch zu zeigen, dass er sich so etwas nicht mehr sagen lassen muss?"
"Nein, das glaube ich nicht", Doros Stimme war fest. "Jakob spielt normalerweise nicht die beleidigte Leberwurst. Ich glaube, dass ihm etwas passiert ist." Doros Stimme kippte, sie kämpfte jetzt mit den Tränen.
Max ging professionell darüber hinweg. "Habt ihr mittlerweile eine Ahnung, was er erledigen wollte?"
"Er war bei Lukas Glawinski", beeilte Doro sich zu sagen. "Das ist jemand aus seiner Stufe. Jakob hat ihm Noten gebracht, für ihren Auftritt mit der Stufenband. Die wollen fürs Abi die Filmmelodie von Harry Potter einstudieren."
"Lukas Glawinski - wie seid ihr auf ihn gekommen?"
"Wir haben sämtliche Klassenkameraden durchtelefoniert. Lukas war der einzige Treffer. Allerdings hat Jakob sich dort nicht lange aufgehalten. Kurz nach drei ist er dort aufgebrochen, sagt Lukas."
"Gibst du mir seine Nummer?"
Doro schaute überrascht auf. "Warum?"
"Wenn ich mich darum kümmern soll, muss ich auch selbst mit ihm sprechen."
Doro zögerte kurz. "Ja klar", sagte sie dann. Sie ging zu einem Sideboard hinüber, wo ein Telefon stand, daneben lagen zwei Telefonbücher, Notizbücher und lose Zettel.
Doro kramte ein wenig in den Papieren, dann zog sie einen Zettel und ein DIN-A4-Blatt hervor und brachte beides mit an den Tisch. "Das hier ist eine Liste mit den Kleidungsstücken, die Jakob trug, als er hier wegfuhr." Sie schob das Blatt zu Max hinüber. Ich konnte nicht lesen, was darauf stand, staunte aber, dass es getippt war. "Wir haben es für die Polizei aufgeschrieben", sagte sie zur Erklärung, "und es gleich mehrfach ausgedruckt, falls wir es noch einmal brauchen."
Das war natürlich ziemlich durchdacht.
"Und hier Nummer und Adresse von Lukas Glawinski", ergänzte sie in einem Tonfall, mit dem sie ansonsten sicher professionell den Alltag im Hause Klute regelte. "Albert hofft außerdem, dass er von Jörg noch etwas erfährt. Er ist extra hingefahren."
"Zu Jörg?", Max sah überrascht hoch. "Jörg Wilke?"
"Jakob hat bei ihm gejobbt. In seiner Werbeagentur. Lukas hat uns berichtet, dass Jakob auch dort noch etwas zu erledigen hatte. Bislang haben wir Jörg allerdings telefonisch nicht erreicht."
"Verstehe", Max drehte den Zettel in seiner Hand. "War Jakob gestern mit dem Auto unterwegs?"
"Nein, mit dem Fahrrad. Mit dem Mountainbike vielmehr", Doro lächelte zaghaft. "Jakob macht praktisch alles mit dem Fahrrad. Aus Umweltschutzgründen. Er ist ein Idealist."
"Moment, bei dem Schnee?"
"Gestern Nachmittag hat es ja gerade erst wieder zu schneien begonnen. Für Jakob kein Problem. Er fährt bei jedem Wetter mit dem Mountainbike. Wenn nötig, mit Spikes."
Ein Klopfen unterbrach unser Gespräch. Doro reagierte kaum, aber Max und ich blickten zur Tür.
"Meine Schwiegermutter", kündigte Doro an, und dann schwang die Tür auch schon auf.
"Ich wollte nur mal fragen", ein weißer Rundschnitt schob sich herein, "ob es etwas Neues gibt." Doros Schwiegermutter wirkte recht agil, obwohl sie an die achtzig sein musste. Allerdings wirkte sie gerade sehr verunsichert.
"Guten Tag", sagte sie in unsere Richtung. "Weiß man schon mehr?"
Doro seufzte. Es war unklar, ob über ihre Schwiegermutter oder über die Situation. "Nein, Adele, leider nichts Neues. Ich sage sofort Bescheid, wenn ich etwas höre."
"Natürlich, Entschuldigung!" Einen Moment später war sie wieder draußen, nur um dann noch einmal zurückzukehren. "Jakob", sagte sie und hatte plötzlich Tränen in den Augen, "Jakob ist etwas Besonderes, wissen Sie?"
"Ja, Mutter." Doros Tonfall war genervt. Ihre Schwiegermutter reagierte und zog sich endgültig zurück.
"Sie wohnt hier im Haus?", erkundigte ich mich, als die Tür ins Schloss gefallen war.
"Im Anbau", erklärte Doro. "Normalerweise kommt sie nur von außen zu uns herein, heute ist eine Ausnahmesituation, heute nimmt sie den direkten Zugang."
"Verstehe!" Ich versuchte aufmunternd zu lächeln.
"Was ist mit dem Rest der Familie?", fiel es jetzt Max ein. "Die zwei Großen, habt ihr von denen etwas gehört?"
"Natürlich haben wir zu beiden Kontakt aufgenommen. Aber leider ohne Erfolg."
Max lehnte sich zurück. Ich war nicht...
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