Schweitzer Fachinformationen
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»Franz war ein warmherziger, bescheidener und stets hilfsbereiter Mann, der uns allen gezeigt hat, dass man durch harte, kontinuierliche Arbeit reich werden kann, dass reich zu sein keine Schande und dass Eigentum anzuhäufen nobel ist. Die vielen treuen Freundschaften - wir kennen uns noch aus der Zeit, als du ein junger Senator der Südtiroler Volkspartei warst, Franz, und ich dem Drängen vieler Verzweifelter nachgab, um mich der Verantwortung zu stellen und zur Rettung des Landes in die Politik zu gehen .« Der Premierminister hielt einen Augenblick inne und betupfte mit einem weißen Taschentuch die Augenwinkel, dann räusperte er sich und ließ den Blick über die Menge gleiten, die sich im ausladenden Kirchenschiff drängte. In dem frühchristlichen Fußbodenmosaik stritten ein Hahn und eine Schildkröte um einen Schatz, das Symbol des Lebens im Kampf mit dem der Unterwelt, der Häresie, die das Licht der Wahrheit scheut.
»An was ist er eigentlich gestorben?«, fragte der gelangweilt dreinblickende Herr mittleren Alters in einer mittleren Stuhlreihe, dessen Haar längst einen neuen Schnitt und neue Färbung benötigt hätte.
»Gewürztraminer!«
Ein spitzes Lachen zerriss die andächtige Stille und wurde als Echo mehrfach zurückgeworfen.
Mit hochrotem Kopf richtete der Sitznachbar rasch die himmelblaue Krawatte, die aus dem Jackett geschlüpft war, das über seinem Bauch spannte.
Für einen Sekundenbruchteil schien die Zeit in der mittelalterlichen Basilika von Aquileia zu verharren, bis sich schlagartig Hunderte von trauernden Menschen umdrehten, um den Schnösel auszumachen, der sich diese respektlose Grobheit erlaubt hatte. Auch die beiden Fabrikanten aus dem Friaul wandten sich sofort um. Keiner der beiden verzog eine Miene. Mittelständische Unternehmer in der Stuhlproduktion bei Manzano, die vorwiegend vom Export lebten und deren Geschäfte noch immer unter dem eklatanten Nachfrageeinbruch der vergangenen Jahre litten. Um Politik hatten sich die Industriellen höchstens dann gekümmert, wenn es darum ging, eigene Interessen durchzusetzen. Den Verblichenen kannten sie nur aus den Medien und von einem Abend, an dem er beim örtlichen Rotary-Club einmal als Gast geladen war und einen Vortrag über sein beispielhaftes Leben hielt. Doch wie der Großteil der Anwesenden fühlten sie sich zur Präsenz verpflichtet: Nur wer sich drückte, fiel auf. Die Fernsehkameras schwenkten über die Köpfe.
»Niemand, und ich wiederhole es, niemand wage es, die Ehre dieses Mannes zu verletzen, den wir zu Grabe tragen, und der sich um das Land verdient gemacht hat wie wenige andere!« Die Stimme des Premierministers knatterte durch die Lautsprecher wie die Salve aus einer automatischen Waffe. »Eine solche Respektlosigkeit dulden wir nicht. Verlassen Sie auf der Stelle diesen Ort der Andacht.«
Niemand rührte sich. Der Fabrikant konnte auf die Verschwiegenheit seines Sitznachbarn zählen - wie einst in der Schulbank versuchten sie krampfhaft, ihr Lachen zu unterdrücken, sie bissen sich auf die Lippen, hatten Tränen in den Augen und blickten angestrengt ins Leere. Als sich nach einer halben Minute niemand erhob, fuhr der Regierungschef mit bebender Stimme fort. Sein Auftritt hatte einiges von der perfekten Inszenierung eingebüßt.
»Die vielen treuen Freunde, die dir heute gedenken« - wieder räusperte er sich - »und sich in Treue und Dankbarkeit noch einmal um dich versammelt haben, beweisen, welch ein besonderer Mensch du warst. Unsere Wertschätzung und Freundschaft sind dir ewig sicher. Wir werden dich niemals vergessen.« Nun schneuzte sich der Regierungschef auch noch. »Cavaliere Franz Xaver Spechtenhauser, wir gedenken deiner in stiller Andacht.« Den sperrigen Nachnamen hatte er betont langsam und fast perfekt ausgesprochen.
Die Anwesenden erhoben sich gesenkten Hauptes.
»Ciao, Franz! Ruhe in Frieden.« Die Worte des Regierungschefs durchbrachen wie heiseres Bellen die Stille. »Ti voglio bene!«
Die monumentale Orgel stimmte die Fuge aus dem Mozart-Requiem an. Der Erzbischof und Metropolit von Gorizia trat an den Altar und hielt die Messe. Doch schon nach seinen ersten Worten erhob sich der Premier von seinem Platz in der ersten Reihe. Acht breitschultrige Männer, die in den Seitenschiffen hinter den mächtigen steinernen Säulen versteckt das Geschehen kontrolliert hatten, formierten sogleich einen menschlichen Sperrgürtel um ihn und bahnten den Weg zur gepanzerten Limousine, die ihn zum Dorfsportplatz brachte. Vor drei Wochen erst war auch der Papst nach seinem Besuch des einstigen Bollwerks gegen die Barbaren aus dem Norden, von denen auch seine Heiligkeit abstammte, von dort abgeflogen. Der dumpfe Lärm anschwellender Helikopterrotoren durchbrach den Klang der Orgel in der Basilika von Aquileia und entfernte sich.
»Streut meine Asche ins Meer, wenn es so weit ist«, knurrte Proteo Laurenti und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Es war kurz vor elf Uhr, das Thermometer zeigte für die Jahreszeit außergewöhnliche einunddreißig Grad.
»Mir ist nicht nach Witzen zumute.« Neben ihm stand Xenia Ylenia Zannier und beobachtete missgelaunt die Edellimousinen mit Kennzeichen von Norditalien bis hin zur Hauptstadt.
Die dicken Wagen aus vorwiegend deutscher Produktion entfernten sich, sobald ihre Fahrgäste ausgestiegen waren. Einige Fahrzeuge kamen aus Bayern, Kärnten, Slowenien und dem kroatischen Teil Istriens.
Die Leiterin des Kommissariats im Badeort Grado war müde und nervös. Nur ein paar Stunden hatte sie in der Nacht noch geschlafen, als sie nach einer langen Tour mit dem Boot durch die Lagune ruhiger geworden war. Und bevor sie ihren Dienst am frühen Morgen antrat, hatte sie den Inhaber eines Telefonladens aus dem Schlaf geklingelt, um ein neues Gerät aus den preiswerten Sonderangeboten zu kaufen. Ihr Blick schweifte unstet von den Schaulustigen, die sich hinter der Absperrung drängten, über die grauen Häupter der unzähligen Herren, die sich meist in Begleitung energischer älterer Damen oder nur verhalten aufgedonnerter, noch unverwelkter Schönheiten entfernten. Die Polizistin trug im Gegensatz zu ihrem Kollegen aus Triest Uniform. Bei der Einsatzbesprechung hatte sie von Polizeipräsident und Präfekt die Anweisung erhalten, für die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen um die Trauerfeier herum zu sorgen. Der Distrikt jenseits der Straße gehörte nicht in ihre Zuständigkeit. Beamte, die dem Innenministerium direkt unterstellt waren, hatten den gepflasterten Vorplatz und den Sperrgürtel unter ihrer Kontrolle. Und auf dem Campanile, von dem der Ausblick unbegrenzt übers flache Land und die Lagune schweifte, waren mit bloßem Auge die Umrisse der Scharfschützen samt ihrer Präzisionsgewehre zu erkennen.
»Nimm's gelassen, Xenia.« Laurenti lächelte. »Dies ist kein Ort für ein Attentat. An die Spitzenpolitiker kommt eh keiner ran, sonst säßen nicht so viele Greise am Ruder. Und alle anderen könnte man anderswo leichter umlegen. Es ist Teil des Spiels: Die Herrschaften fühlen sich umso wichtiger, je mehr Brimborium um sie veranstaltet wird.«
Er war in Begleitung von Pina Cardareto, einer ehrgeizigen Inspektorin aus seinem Kommissariat, von Triest herübergefahren, um sich die Trauergäste anzusehen, die Franz Xaver Spechtenhauser das letzte Geleit gaben. Der Mann, dessen Nachname ihm fast einen Kieferbruch bescherte, wenn er ihn aussprechen musste, war bedauerlicherweise in seinem Zuständigkeitsbereich ums Leben gekommen - und den Auswertungen der Spezialisten zufolge war es kein Unfall gewesen.
Während der Commissario sich mit der Kollegin unterhielt, die ihn um eine Handspanne überragte, streifte seine mit Bluejeans und dottergelbem T-Shirt gekleidete Mitarbeiterin über den Platz.
»Die Alternativen aus dem Black Block wollen Unruhe stiften, heißt es. Eine Meldung, die wir heute früh erhalten haben.« Xenia zeigte auf ein mit großen farbigen Lettern beschriftetes Leintuch, das aus dem Fenster eines der Häuser in der Zufahrtsstraße hing. »NO C/TAV« lautete das Motto und war gegen den Regierungschef und zugleich auch die dringend geforderte Hochgeschwindigkeitstrasse der Eisenbahn gerichtet, über die seit Jahren nur diskutiert wurde. »Die Leute sind sauer«, murmelte Xenia, nahm die Schirmmütze ab und fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Es wäre verständlich, wenn sie hier Randale machten. Der ganze Club fährt in dicken Dienstwagen vor, nur weil einer von ihnen mit seinem Privatflugzeug abgestürzt ist. Mit den Mitteln, die dieser überdimensionierte Sicherheitsaufwand kostet, könnte man drei Schulen renovieren.« Xenia wurde vom kurzen Aufheulen einer Sirene übertönt, als der gepanzerte Audi vorfuhr, dem der Premier entstieg, der sein strahlend weißes Gebiss bleckte und dann von tiefer Trauer ergriffen mit gesenktem Haupt über den Platz schritt.
»Wo wird Spechtenhauser eigentlich beigesetzt?«, fragte Laurenti.
»Die Töchter haben sich Gott sei Dank für eine Urnenbestattung in seinem Geburtsort in Südtirol entschieden - nur ein Grab neben Ötzi«, sagte Xenia mit bitterem Lächeln. »Stell dir vor, wir müssten für die Wagenkolonne auch noch die Strecke zum Friedhof...
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