Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Landgraf Moritz wünschte seine Musik nach dem aktuellen Geschmack einzurichten. So war es sicherlich eine Auszeichnung, doch auch nicht uneigennützig, wenn er einem jungen Mann anbot, nach Italien zu gehen, um dort die neue Musik zu erkunden. Nicht nur Unterricht in der modernen Art des Komponierens zu nehmen war damit gemeint; Schütz sollte auch neue Musikalien erstehen und möglichst die hierfür notwendigen Instrumente gleich dazu.
Als Ziel der Reise wählte man Venedig, wo ein hochberümbter, aber doch zimlich alter Musicus und Componist noch am leben were[39]. Der Ruf des damals zweiundfünfzigjährigen Giovanni Gabrieli zog nicht nur Kasseler Musiker nach Venedig - wenige Jahre vor Schütz hatte sich Christoph Cornet als Stipendiat von Landgraf Moritz auf den Weg nach Italien begeben -, sondern auch aus dem nördlichen Mitteleuropa waren etliche Komponisten[40] in die Schule des italienischen Komponisten gekommen; und das, was sie alle hier zu erlernen hofften, belegt eines jeden Gesellenstück, ihr Opus 1: ein Madrigalbuch.
Dabei zählt Giovanni Gabrieli noch nicht einmal zu den Hauptvertretern der Madrigalkomposition. Als Nachfolger Claudio Merulos und Organist des venezianischen Markusdomes schrieb er eher großbesetzte Kirchenmusik, «Sacrae Symphoniae» für 16, 19, ja 22 Stimmen, die, in mehrere Vokal- und Instrumentalchöre gegliedert und auf verschiedene Emporen im Raum verteilt, eine neue musikalische Konzeption aufweisen: Der Klang im Raum wird komponiert, um den Hörer zu überwältigen. Hierzu mögen die baulichen Verhältnisse der Markuskirche inspirierend gewesen sein, hatte doch eben für diese räumlichen Gegebenheiten Adrian Willaert 1550 seine «Salmi spezzati» geschrieben, Psalmkompositionen, bei denen er den Chor in zwei Gruppen «teilte» und diese getrennt voneinander postierte. Die traditionelle Weise alternierenden Singens, insbesondere der Psalmverse, fand hier ihren eindrucksvollen Höhepunkt. In Schütz' Psalmen Davids wird diese Kompositionsweise ihre Fortsetzung finden, und noch in den doppelchörigen Motetten von Johann Sebastian Bach und Johannes Brahms klingt etwas davon nach.
Ferner rechnet man Gabrieli das Verdienst zu, die Instrumente bewusst disponiert zu haben. Herrschte vordem eine gewisse Beliebigkeit, wie Vokal- und Instrumentalstimmen zu besetzen seien, so schreibt Gabrieli nun spezifisch für einzelne Instrumente, vor allem, um die Aussage eines Textes eindringlicher zu gestalten. Claudio Monteverdi, seinerseits besonders in der Opernkomposition um neue Ausdrucksmöglichkeiten bemüht, wird diese Tendenz durch eine Erweiterung der Spielarten der Instrumente, so der Stricharten der Violinen[41], fortführen, Schütz eher die Gestaltung der Instrumentalstimmen der sprachnahen Behandlung der Singstimmen angleichen. Instrumentale Partien werden musikalische Klangrede.
Warum in dieser Situation, zudem in der Schule eines Kirchenmusikers, als «Gesellenstück» ausgerechnet ein Madrigalbuch vorgelegt wird, erscheint auf den ersten Blick sonderbar. Hätte man nicht einige auf traditionelle Art und Weise verfertigte Motetten als Nachweis erwartet, dass der Kandidat die technischen Regeln des strengen Satzes beherrscht? Wäre es für einen angehenden Hofkapellmeister nicht sinnvoller gewesen, mit einer Komposition der «neuen» Gattung, der Oper, mindestens aber mit einer Arbeit «modernen» Stils Ehre einzulegen und vielleicht gar die musikalische Welt aufhorchen zu lassen?
Ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Madrigals aber zeigt, warum diese Gattung als geradezu ideal für den Unterricht erschien. Einerseits wurde ein strenger, nach kontrapunktischen Regeln überprüfbarer Satz gelehrt; andererseits forcierte die nun aktuelle Idee eines Vorrangs des Textes über die Musik Ausnahmen vom kompositionstechnischen Regelwerk. Dazu forderten die Texte der Madrigale, gegen Ende des 14. Jahrhunderts vor allem von Petrarca zur literarischen Gattung entwickelt, heraus. Häufig an ein Naturbild anschließend, vor allem aber Freude und Leid der Liebe schildernd, boten sich ausgedehnten tonmalerischen Episoden sowie der Darstellung innerster Gefühlsregungen reiche Entfaltungsmöglichkeiten. Hier konnten die Regeln der kontrapunktischen Schreibweise nur eine geringe Bandbreite von Ausdrucksgesten bereitstellen, und quasi im Gegenzug wurde es fast zur Manier - der Stilbegriff des Manierismus entstand gerade in diesem Kontext -, neue und immer extremere Zusammensetzungen zu erfinden, die lediglich durch den Text, die Aufforderung, ihn möglichst intensiv zu illustrieren, legitimiert wurden. Die Madrigalkomposition wurde zu einem Experimentierfeld neuer kompositorischer Möglichkeiten; sie geriet zum Gegenstand der Auseinandersetzung mit der konventionellen Musiktheorie.
Claudio Monteverdi, mit Gesualdo da Venosa, Luca Marenzio und Luzzasco Luzzaschi der bedeutendste der späten Madrigalisten, beschreibt diesen Konflikt 1605 in der Vorrede zu seinem 5. Madrigalbuch und stellt der traditionellen Satztechnik, der «prima pratica», deren Gesetze Gioseffo Zarlino (Istitutioni harmoniche, 1558) und Giovanni Maria Artusi (L'Arte del contrapunto, 1586-89) formuliert hatten, seine Denk- und Kompositionsweise gegenüber:
«Gelehrte Leser, wundert Euch nicht, daß ich diese Madrigale in Druck gebe, ohne vorher auf die Einwände zu antworten, die Artusi gegen einige winzige Passagen machte, denn im Dienst des Herzogs von Mantua bin ich nicht Herr über meine Zeit, wie ich sie bisweilen bräuchte. Nichtsdestoweniger habe ich diese Antwort geschrieben, um klarzustellen, daß ich meine Sachen nicht aufs Geratewohl mache, und sobald ich diese Antwort überarbeitet habe, wird sie mit dem Titel in Druck erscheinen, über den sich womöglich einige wundern werden, wenn sie glauben, daß es keine andere Kompositionsweise gibt als die von Zarlino gelehrte. Aber sie sollen versichert sein, daß es zu den Konsonanzen und Dissonanzen auch andere Überlegungen gibt als jene festgelegten, die, mit Ruhe betrachtet, die moderne Kompositionsweise verteidigen; und dieses habe ich Euch mitteilen wollen, zum einen, damit dieser Begriff nicht irgendwann von anderen benutzt wird, zum anderen, damit auch einfallsreiche Leute sich über andere , den musikalischen Satz betreffend, Gedanken machen und glauben können, daß der moderne Komponist durchaus auf dem Boden der Wahrheit arbeitet.»[42]
Das hieraus resultierende Dilemma, nicht mehr letztlich transzendental legitimierte Regeln zur Grundlage der Komposition zu machen, sondern die Ausdrucksmöglichkeiten des Textes und damit schließlich die Subjektivität des Komponisten zur Bewertungsgrundlage eines Stückes zu machen, verwickelte vor allem die deutschen Musiktheoretiker in schwerwiegende Probleme. Es stellte sich die Frage, was noch durch Regeln überhaupt beschränkt werden konnte. Jede Wendung, so entlegen sie sein mochte, konnte - durch ihren Textbezug - musikalisch sinnvoll und zugleich der Kritik entzogen werden.
In solcher Spannung zwischen Regelpoetik und Subjektivität des Künstlers wurde das Madrigal zum hervorragend geeigneten Probestück, einerseits das kompositorische Handwerk zu beherrschen, aber daneben die es fundierenden Regeln so souverän zu handhaben, dass in deren riskantester Auslegung ein individueller Zug erkennbar wurde. Zugleich war das «Opus 1» eines Komponisten nicht nur der Nachweis seiner kompositorischen Befähigung, sondern enthielt oft auch programmatische Züge dessen, was der Komponist als seinen Beitrag zur musikalischen Entwicklung ansah. Auch bei Bach, Haydn und Beethoven bezeichnet das Opus 1 keineswegs das jeweils erste Werk. Erst nach einer Vielzahl verschiedener Kompositionen, deren Rang kaum zu bestreiten ist, begannen sie eine offizielle Zählung mit einem ihrer Meinung nach gewichtigen Werk.[43]
Nach zweijährigem Unterricht bei Gabrieli erschien 1611 Il primo libro de Madrigali di Henrico Sagittario, Allemanno im Druck, eine Sammlung von achtzehn fünfstimmigen und einem doppelchörigen (achtstimmigen) Madrigal, denen in der Mehrzahl Texte von Giovan Battista Guarini und Gianbattisto Marino zugrunde liegen. Neben diesem ersten gedruckten Werk sind auch aus Schütz' venezianischer Zeit keine weiteren Kompositionen überliefert, und man kann nur mutmaßen, ob und was etwa verlorengegangen oder gar von ihm selbst vernichtet worden sein könnte. So unvermittelt, anscheinend ohne vorbereitende Studien hier ein erstes Werk vorgelegt wird, so wenig ist es doch voraussetzungslos; vielmehr steht es in enger Verbindung zum zeitgenössischen Kontext. Nicht selten bleibt es allerdings hinter den harmonisch sehr viel gewagteren Madrigalen eines Gesualdo oder Monteverdi zurück. Deren Kühnheit, eine Dehnung des Satzgefüges durch Dissonanzen bis zum äußersten, realisiert Schütz erst ein gutes Jahrzehnt später, 1625, in einigen seiner Cantiones sacrae.
Schütz' Madrigale weisen kaum mehr als die für Gattung und Zeit typischen Merkmale auf. Das, was man das Metier nennen könnte, beherrscht er zweifellos. Madrigalismen, musikalische Wendungen, die einzelne Worte illustrieren, finden sich an üblichen Stellen. Schnelle Bewegungen zu den Verben «ridere» (lachen), «fuggire» (fliehen; auch, imitatorisch geführt, die Assoziation des Wortes mit der Satztechnik der Fuge ausnutzend), kurzphrasige Motive zum Wort «sospir» (Hauch), Koloraturen über «gioia» (Freude) und...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.