Schweitzer Fachinformationen
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Das Satellitenbild zeigt ein Wolkenband von den Britischen Inseln über Westfrankreich nach Ostspanien. Es gehört zu den atlantischen Tiefausläufern, die rasch nach Norddeutschland ziehen und nicht weiter vorankommen. Auf ihrer Rückseite fließt erwärmte Meeresluft in das südliche und mittlere Deutschland ein, während im Norden und Osten südwärts vorankommende Kaltluft das Wetter bestimmt. [.] Schwacher bis mäßiger Wind, im Norden um Ost, sonst um Südwest.
Tagesschau, 27.12.1978
*
Für Hans und Rena begann wieder der Alltag. Tags zuvor hatten sich Thomas und Sibylle verabschiedet und sich auf den Weg an die dänische Nordseeküste gemacht, wo sie sich über Silvester ein Ferienhäuschen gemietet hatten.
»Mal wieder ausspannen und ein bisschen lesen«, hatte Thomas kommentiert, während Sibylle ihn genervt ansah.
»Und vielleicht mal wieder ein bisschen reden«, fügte sie süffisant hinzu.
Rena und Hans hatten die Spannungen zwischen den beiden während der Weihnachtstage wohl wahrgenommen, aber nichts dazu gesagt. Rena hatte bei einem Spaziergang am Strand ihre Schwester darauf angesprochen, diese war aber ausgewichen, hatte ihren Schritt beschleunigt und Rena einfach hinter sich gelassen.
»Hoffentlich finden die zwei jetzt ein bisschen zu sich selbst«, meinte Rena nun am Frühstückstisch, während Hans interessiert in die Zeitung guckte.
»Nach wie vor kein Schnee in Sicht, zumindest nicht in den nächsten Tagen«, sagte er. »Das wird Tobi ja gar nicht passen. Er will doch endlich mal seinen Schlitten ausprobieren.« Er nahm einen Schluck Kaffee.
»Hast du überhaupt gehört, was ich gesagt habe?«, fragte Rena nach.
»Ja, ja. Deine Schwester und ihr Mann .« Hans blätterte eine Seite um, ohne den Blick zu heben. »Das kennen wir doch schon. Sie werden sich schon wieder einkriegen. Vielleicht klappt es ja bald mit einem Kind.«
»Hm.« Rena war ein bisschen sauer, dass Hans auf ihre Überlegungen nicht näher einging als mit dieser Plattitüde, aber am Morgen war ihm seine Zeitung heilig. »Brauchst du mich heute?«
»Wäre nicht schlecht. Maike hat ja die Woche Urlaub.« Hans schaute hoch. »Sie muss bei ihren Eltern im Krog helfen, die haben den Laden voll mit dem Polterabend morgen. Über zweihundert Gäste, meinte sie.«
»Ich weiß«, erwiderte Rena, »ich freu mich schon, da kommen sicher viele alte Bekannte.«
»Und viele Kollegen«, ergänzte Hans.
Die Hochzeit des Bürgermeisters der Gemeinde Bröderup und Söreby mit einer Ärztin aus Flensburg war das Ereignis des zu Ende gehenden Jahres. Zum Polterabend an diesem Donnerstag im Nachbardorf Bröderup ging quasi jeder hin, der auch nur ansatzweise mit dem Bürgermeister zu tun hatte, also eigentlich alle. Hans freute sich, einige Kollegen aus den Nachbarpraxen und aus seiner Flensburger Zeit, als er dort selbst im Krankenhaus gearbeitet hatte, zu treffen; auch wenn er mit angezogener Handbremse würde feiern müssen, schließlich hatte er am nächsten Tag wie gewohnt seine Praxis geöffnet.
Jetzt legte er die Zeitung zur Seite und trank den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse. »Auf geht's ins Gefecht. Heute ist sicher viel los.«
Hans sollte sich nicht täuschen. Der erste Praxistag nach einem langen Wochenende oder nach Feiertagen war immer sehr geschäftig. Seine Patienten hatten Verspannungen vom vielen Sitzen, Kopf- und Magenschmerzen vom ausufernden Essen und Trinken oder die unglaublichsten Verletzungen, die sie sich irgendwo zugezogen hatten. Von den vielen psychischen und auch physischen Belastungen nach all den Streitereien ganz zu schweigen.
Das Wartezimmer war schon gut gefüllt, als Hans in die Praxis kam. Er sah auf die Uhr. Zehn nach acht. Um fünf vor acht Uhr hatte Michaela den Schlüssel geholt, um aufzuschließen. Die Leute mussten draußen bereits Schlange gestanden haben, wenn sie schon an Annemarie in der Anmeldung vorbei waren.
»Hatten Sie schöne Weihnachten?«, fragte Hans Michaela, während er seinen Kittel überzog.
»Ach ja, ganz gut. Nur mein Schwiegervater hat schlechte Laune verbreitet.«
»Wie geht es ihm?«
»Sehen gut aus, die Wunden«, antwortete Michaela, »Sie werden sie ja gleich noch zu Gesicht bekommen. Ein Wunder, dass ich zwischendurch überhaupt mal an den Verband dran durfte. Er ist der Erste auf der langen Liste, wartet schon im Verbandsraum.«
»Na, dann wollen wir mal.«
Im Verbandsraum gab Hans Otto Truelsen, der schon auf der Liege lag, die Hand. »Dann mal runter mit der Hose«, forderte er seinen Patienten auf. »Wie geht es Ihnen?«
»Gut, aber das Rumsitzen, Herr Doktor, ich weiß nicht. Da werd' ich noch verrückt. Ich bin froh, wenn ich wieder los kann.«
»Zwickt es noch?«
»Ach was«, wehrte Otto ab.
Hans schaute die Wunden genau an. »Ein paar Tage sollten Sie sich noch schonen, aber Sie sind auf dem Wege der Besserung. Ihre Schwiegertochter macht Ihnen einen neuen Verband, sie kann das ganz hervorragend.«
Tatsächlich sah man Otto Truelsen kurz lächeln. »Na, wenn Sie meinen. Vielen Dank, Herr Doktor.«
Hans ging ins hintere Sprechzimmer. Dort wartete schon Frau Erichsen, die über die Feiertage trotz aller Vorsätze ihren Blutzucker nicht in den Griff bekommen hatte.
»Im neuen Jahr aber ganz bestimmt, Herr Doktor«, versprach sie.
Hans erklärte ihr eindringlich, was alles passieren könnte, wenn sie sich nicht beim Essen mehr zusammenriss, verordnete mehr Insulin und ging zum nächsten Patienten.
Es ging Schlag auf Schlag. Gegen Mittag, als nur noch drei Patienten im Wartezimmer saßen, schaute Hans zum ersten Mal in dem Sprechzimmer, das zur Straße lag, aus dem Fenster. Soeben fuhr Willi Moretzka auf seinem Fahrrad vorbei, sein Hund Raudi lief wie immer brav hinter ihm her. Der Mann kam bestimmt vom Spar-Meier mit seiner Morgenration, dachte Hans. Im selben Moment sah er Rena, wie sie die Praxis verließ, um sich um das Mittagessen zu kümmern.
Diese hob draußen die Hand. »Moin, Herr Moretzka.«
Willi Moretzka nahm die rechte Hand vom Lenker und grüßte zurück. Unmittelbar darauf verlor er das Gleichgewicht und geriet ins Schlingern.
»Aufpassen!«, rief Rena.
Willi fiel um, und das Fahrrad gab einen scheppernden Laut von sich. Raudi bellte. Hans ließ den Stift fallen und lief hinaus.
Draußen zog Rena das Fahrrad weg und beugte sich über Herrn Moretzka.
»Haben Sie sich weh getan?«, fragte sie besorgt, während sie instinktiv vor der Alkoholfahne zurückwich.
Willi Moretzka stöhnte. Raudi blieb an seiner Seite und winselte. Hans kam hinzu.
»Oje, Herr Moretzka, jetzt haben Sie sich am Kopf verletzt.« Hans hielt die Luft an, als ihn der Atem des Mannes traf. »Kommen Sie mal mit rein, das müssen wir versorgen.«
Gemeinsam mit Rena zog er ihn hoch. Willi Moretzka schwankte, Raudi lief aufgeregt vor ihm herum. Auch in die Praxis wollte der Hund mitkommen.
»Du bleibst hier«, sagte Rena streng, und tatsächlich setzte Raudi sich artig vor der Tür hin.
Rena und Hans brachten Willi Moretzka ins Verbandszimmer und setzten ihn auf einen Stuhl. Rena half ihm aus dem Mantel und staunte, wie schwer dieser war. Sie ertastete vier kleine Flaschen, die den Sturz allesamt überstanden hatten. Hans reinigte die Wunde auf der linken Stirnseite.
»Nähen müssen wir Gott sei Dank nicht«, erklärte er, während er ein großes Pflaster hervorholte und die Wunde damit abdeckte. »Schauen Sie mich mal an.« Mit seiner kleinen Lampe überprüfte er die Augenreflexe. Sie waren so weit in Ordnung, aber es war nicht zu übersehen, wie betrunken Willi Moretzka bereits war.
Hans warf einen genaueren Blick auf den Mann, der so abgeschieden in der alten Landarbeiterkate am Ende des Dorfes lebte. Erst wenige Male war Moretzka bei ihm in der Praxis gewesen, und mittlerweile war nicht zu übersehen, wie sehr der Alkohol ihm zusetzte. Er war abgemagert, hatte aber gleichzeitig einen dicken Bauch. Hans konnte sich auch ohne Blutbild vorstellen, wie seine Leberwerte aussahen. Und sicher aß Moretzka weder genug noch gesund.
»Warten Sie einen Moment«, sagte Hans und drückte Moretzka zurück in den Stuhl, aus dem dieser sich gerade schwerfällig erheben wollte. Hans lief in den Pausenraum und griff nach der größten der nach wie vor unzähligen Geschenktüten mit Keksen, die dankbare Patienten zur Weihnachtszeit ihrem Hausarzt schenkten.
»Hier«, Hans hielt Moretzka die Tüte hin, »nehmen Sie das mit und lassen Sie es sich schmecken. Und fahren Sie vorsichtig. Am besten laufen Sie.«
»Danke.« Willi Moretzka nahm die Tüte und wankte aus der Praxis. Hans sah ihm nach und hatte kein gutes Gefühl.
Nach der Sprechstunde machte es sich Hans auf dem Sofa mit Blick auf den Weihnachtsbaum gemütlich. Er hatte jetzt anderthalb Stunden Zeit, um zu lesen, zu schlafen oder aus dem Fenster zu schauen. Es war etwas, das er, der in der Stadt großgeworden war, hier auf dem Land im Norden sehr schätzen gelernt hatte. Bis drei Uhr war Mittagspause. Da ruhte man sich aus und tat sonst nichts. Man telefonierte auch nicht. Keinem seiner Kinder würde es einfallen, bei ihren Freunden in dieser Zeit anzurufen oder umgekehrt. Der einzige Grund, warum das Telefon klingeln sollte, war ein Notfall. Heute blieb es ruhig. Hans schloss die Augen und nickte sofort ein.
Rena brachte schließlich eine Kanne Tee und Weihnachtsplätzchen und...
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