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Ein bisschen Gras, ein genialer Coup und das Wunder von Bayern - Jakob Heins absurd komischer Roman über eins der größten deutschen Geheimnisse: Wie nur brachten die Ostler einst den Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß dazu, mit einem Milliardenkredit ihr bankrottes Land zu retten? Eine herrlich abgedrehte Geschichte mit einem der entspanntesten Helden der Literatur.
Nicht im Traum wäre sein Chef darauf gekommen, dass ausgerechnet Grischa, dieser schüchterne Assistent der Plankommission, zu Subversion neigt und einen - zugegeben - ziemlich genialen Plan ausheckt, wie ihr maroder Laden an eine neue, überraschend gut sprudelnde Finanzquelle gelangt. Wobei 'Laden' in diesem Fall für ein ganzes Land steht.
Vielleicht lag es daran, dass Grischa einen etwas eigenwilligen Filmgeschmack hat, in dem sich amerikanische Drogenmafia-Thriller mit sozialistischen Heldenepen kreuzen?
Jedenfalls: Grischas Chef kommt aus dem Staunen nicht raus, und mit ihm staunen alle möglichen greisen Minister im Zentralkomitee. Am meisten staunt allerdings kurz darauf der Polizeichef von Westberlin, als sich am Grenzübergang Invalidenstraße tumultartige Szenen abspielen, und zwar auf der falschen (!) Seite. Hunderte junge Leute wollen nach drüben, in den Osten, als wäre Magie im Spiel. Als die Regierung in Bonn Wind davon bekommt, wird die Lage brenzlig.
Doch da macht der Osten dem Westen ein Angebot, das er nicht ablehnen kann!
Hühner-Gust'l
Eine Stelle in der Hauptstadt zu ergattern, war allgemein als Hauptgewinn anerkannt. Nicht einmal jeder Berliner bekam nach Studium oder Ausbildung eine Stelle in seiner Heimatstadt, viele mussten in die Provinz ziehen. Menschen gingen allerlei Kompromisse ein, nahmen Arbeitsplätze, für die sie überqualifiziert waren, oder heirateten flüchtige Bekannte, nur um in der Hauptstadt sein oder bleiben zu können.
Für die Menschen in Gera, Rügen und Schwerin war Berlin fast schon ein Mythos. Hier gab es alles, was es sonst nicht zu kaufen gab, hier gab es Punker, Popper und Skinheads, hier konnte man Musikkassetten, Jeans und Lederjacken kaufen, wenn man nur die richtigen Leute kannte. Überhaupt war alles in Berlin unendlich cool und aufregend, die erste Stadt des Westens, die noch im Osten lag. Die Straßen der Hauptstadt galten als heißes Pflaster, es konnte einem passieren, dass man hier Stars begegnete oder Menschen aus der ganzen Welt, Afrika, Westdeutschland oder sogar Amerika!
Durch die Nähe zu Westberlin konnte man im Radio ungefähr zehn Westsender problemlos hören, wofür man in Gera eine Riesenantenne gebraucht hätte, und zudem lief auf den Sendern noch gute Musik und man empfing nicht die Übertragung von Gottesdiensten auf Bayern 1 oder Nachrichten in Fremdsprachen. In Berlin bekam man sogar in den Fernseher vier Westsender, wenn man das Fernsehen der Amerikaner mitzählte.
Irgendwie konnte man sich in Berlin bereits als ein Teil der großen Welt fühlen und nicht nur als Bürger der kleinen DDR. Alles war also theoretisch ganz großartig, Grischas Problem war bloß, wie er praktisch Einlass in dieses Paradies finden konnte. In seiner Wohnung bei Kartoffelsuppe und Flaschenbier würde er wohl kaum die internationale Avantgarde treffen. Auch die Leuschner hatte offiziell in Berlin gelegen, aber in seiner Studienzeit hatte er im Wohnheim gewohnt, sie waren eigentlich nie aus Karlshorst rausgekommen, er hatte mit den Kommilitonen viel im Studentenwohnheim gesoffen und an den Wochenenden musste er sowieso immer nach Gera fahren. Jetzt dagegen wollte er sich was Eigenes aufbauen in seiner neuen Heimatstadt, ein Erwachsener werden, ohne dass er wusste, wie das funktionieren sollte.
Grischa beschloss, erst mal ins Kino zu gehen. Das hatte ihm schon früher immer geholfen, warum sollte das nicht auch in der Hauptstadt klappen? Wenn man Leute treffen will, mit denen man gemeinsam Dinge unternehmen möchte, die einem Spaß machen, warum sollte man sie nicht dort suchen, wo es einem am besten gefiel? In Gera war er am liebsten ins Metropol gegangen, das größte und schönste Kino der Stadt, in der Leipziger Straße. Eigentlich hieß es Kino der Geraer Schaffenden vom FDGB, aber alle nannten es bei seinem angestammten Namen. Durch seine Eltern kam er manchmal in die Vorführungen im Pressekino, dort liefen auch Filme, die später nicht gezeigt wurden. Kino und Film waren seine Welt! Egal, ob er schlechte Laune hatte oder ein Mädchen beeindrucken wollte, im Kino ging es Grischa immer gut. Abgesehen davon, hatten ihm seine Filmkenntnisse in der Wehrdienstzeit den Job des Regimentsfotografen eingebracht, der ideale Job zum sogenannten Abtarnen. Während die anderen sinnlose Übungen im Schlamm machten, sollte er sie dabei fotografieren.
In Berlin war das Kino International von seiner Wohnung aus gut zu erreichen, hatte eine schöne Leinwand und ein recht gutes Programm. Er kannte es schon aus der Hochschulzeit, da hatte er manchmal seinen Mitbewohner Klaus Janz aus Eberswalde (Spitzname Janz Ruhig) zu der Fahrt ins Stadtzentrum überreden können. Die anderen waren der Meinung, dass im Karlshorster Vorwärts auch gute Filme liefen und man anschließend durch den kürzeren Heimweg noch mehr trinken konnte. Anders als Grischa war seinen Mitstudenten die Schönheit des International einerlei.
Grischa stellte schon nach ein paar Wochen fest, dass er freitags, wenn er zum Starttermin der neuen Filme ins International ging, dort die immer selben Leute sah, ein paar von ihnen ungefähr in seinem Alter. Natürlich versuchte er herauszufinden, was diese Leute nach den Filmen noch machten. Tschekistische Beobachtung, wie Vati ihm geraten hatte, obwohl der nie besonders begeistert von seinem Kinohobby gewesen war. Grischa ließ sich Zeit an der Garderobe, lief extra langsam zur U-Bahn-Station. Den Rufen von Fahrrad zu Fahrrad konnte er entnehmen, dass man meistens noch ins Hühner-Gustel oder so ähnlich fuhr.
Im Telefonbuch fand er die Kneipe in der Grünberger Straße und beeilte sich am darauf folgenden Freitag nach der Vorstellung schnurstracks dorthin zu fahren. Er wollte vor allen anderen dort sein. Eine Verfolgung funktioniert am effektivsten, wenn der Verfolger vor dem Gejagten am Zielort ankommt, wie in Der eiskalte Engel mit Alain Delon.
Grischas Plan funktionierte, als er in der Grünberger Straße ankam, war zumindest noch kein anderer der Kinofreunde dort eingetroffen. Eine Kneipe wie das Hühner-Gust'l hatte Grischa nie zuvor gesehen, auch nicht gehört, dass es so einen Laden gab. Es roch nach Bratenfett und Zigaretten, im Schaufenster drehten sich neben dem Tresen die Broiler, auf der Speisekarte stand auch Eisbein, an den Wänden standen Bierkrüge aus den vergangenen hundert Jahren. Über dem Tresen verkündete ein Schild: »Was die Sachertorte ist in Wien, ist Hühner-Gust'l in Berlin«. Grischa bestellte sich erst mal ein großes Bier und setzte sich an den Tresen. Das war der beste Ort für Menschen, die allein tranken, und er hatte den ganzen Laden im Blick.
Und er hatte Glück. Ungefähr zehn Minuten nachdem er angekommen war, traf ein kleiner Trupp von Filmfreunden ein, deren Gesichter er aus dem International kannte. Eine Frau lief direkt an ihm vorbei auf die Toilette und schaute Grischa misstrauisch an.
»Sag mal, Entschuldigung, dass ich dich einfach so anspreche, aber warst du nicht gerade in der Verlobten?«, fragte sie auf dem Rückweg.
»Ja«, sagte Grischa.
»Und was machst du jetzt hier?«
»Bier trinken.«
»Auch hier im Gust'l? Was für ein Zufall.« Alle waren misstrauisch in der DDR. Schließlich war bekannt, dass die Stasi ihre Augen und Ohren überall hatte, und Grischa, der ja nicht nur wie ein Jungaktivist aussah, sondern sogar einer war, passte perfekt ins Schema. Also griff er zur Verteidigungstaktik der schonungslosen Wahrheit.
»Also ein Zufall ist das nicht, wenn ich ganz ehrlich bin«, sagte er. Schon in der Hochschule hatte er sich das Thüringisch seiner Kindheit weitgehend abtrainiert, es kam eben nicht gut an im Rest der Republik, besonders in Berlin. Ein bisschen zu weich waren seine harten Konsonanten aber trotzdem, seine aufmerksame Zuhörerin hob jetzt schon eine Braue. »Ich bin noch nicht so lang in Berlin, ziemlicher Kinofan und suche Gleichgesinnte.«
Jetzt war es raus. Er war gespannt, wie sie reagierte. »Na denn such mal schön weiter«, sagte die Frau so, dass Grischa nicht wusste, ob es freundlich oder unfreundlich gemeint war. Immerhin kam sie ein paar Minuten später wieder.
»Ziemlicher Kinofan?«
»Ja?«
»Willst du zu uns rüberkommen? Wir unterhalten uns sowieso nur über Filme.«
»Gern.«
Sie nahm ihn mit zu dem Tisch. »Das hier ist der ziemliche Kinofan, den ich gerade getroffen habe. Der ist mir über den Weg gelaufen, weil er Anschluss sucht. Kommt auch gerade aus der Verlobten.«
»Grischa«, stellte sich Grischa verlegen nickend der Runde vor.
»Grischa«, sagte ein Mann mit kariertem Hemd und einer Brille, mit der er wohl hoffte, als jüngerer Bruder von Peter Bogdanovich erkannt zu werden. »Nach dem Genossen Schukow?« Der Sieger der Schlachten von Stalingrad und Berlin hatte als letzter Stalinist gegolten und war sicher alles andere als ein Menschenfreund gewesen.
»Nein«, sagte Grischa. »Nach dem Roman von Arnold Zweig.«
»Ah klar«, sagte Peter Bogdanovich. »Davon gibt es sogar eine Verfilmung von Helmut Schiemann. Auch schon tot. Obwohl damals alles mitgespielt hat, was Rang und Namen hatte, war der Film erstaunlich langweilig.«
»Es gibt sogar zwei Verfilmungen«, ergänzte Grischa. »Die erste war 1930 ein amerikanischer Kinofilm mit Chester Morris als Grischa. Ist untergegangen wie Senkblei und gilt heute als verschollen.«
Die Runde hob anerkennend die Augenbrauen über Grischas profunde Filmkenntnisse. Peter Bogdanovich rückte ein Stück zur Seite, damit er sich zu ihm setzen konnte. Damit war die Tür geöffnet.
Zu Grischas Entzücken waren Sinn und Zweck der Gruppe tatsächlich, pausen- und ausnahmslos über Filme zu sprechen, über Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren und ihre Biografien zu diskutieren, möglichst überraschende Querverbindungen zwischen den unterschiedlichsten Filmen zu finden, in aktuellen Filmen Zitate aus der Filmgeschichte zu entdecken oder doch zumindest zu behaupten. Katrin, die natürlich nur Catherine genannt wurde, die Frau, die ihn vorhin angesprochen hatte, konnte sehr gut Französisch, sodass die Gruppe unter ihrer Leitung regelmäßig am zweiten Mittwoch des Monats in die Staatsbibliothek ging, wo in einem reservierten Raum die aktuelle Ausgabe der Cahiers du cinéma studiert wurde, der nach einhelliger Meinung der Filmnarren weltweit wichtigsten, im Prinzip einzigen relevanten Kinozeitschrift überhaupt. Und die Dienstage waren Filmclub-Abende, da trafen sie sich in einem Nebenraum des International, um dort gemeinsam...
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