Schweitzer Fachinformationen
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Das Diensthandy riss mich aus einem Traum. Ich war vor einem bewaffneten Schurken geflüchtet und hing zappelnd an einer Fensterbrüstung - wie ein Stummfilmstar. In dem Moment, in dem mich meine Kraft verließ und ich loslassen musste, retteten mich die Akkorde von »Lady in Black«, die Erich mir als Klingelton aufgespielt hatte.
Dem Absturz knapp entronnen, wälzte ich mich im Halbschlaf zum Nachttisch und nahm das Gespräch an. »Siebert.«
Die Einsatzzentrale meldete sich am anderen Ende.
»Ein Toter in Stoppenberg. In einem Büro. Die Kollegen sind bereits unterwegs .«
Die geschäftige Stimme gab mir die Adresse durch.
Lotte knipste ihre Nachttischlampe an.
»Wie spät ist es?«
»Kurz vor fünf. Schlaf weiter.«
»Du hast gut reden. Was ist denn los?«
»Was meinst du denn, was los ist, wenn um diese Zeit das Diensthandy rappelt?«
»Wieder ein Toter?«
»Wie meistens, Schatz.«
»Du hast einen scheiß Job, weißt du das?«
»Einer muss ihn tun. Schlaf jetzt weiter.«
Lotte schaltete ihre Nachttischlampe wieder aus. Im Dunkeln schnappte ich mir das Handy, schälte mich aus der Bettdecke und tappte, mich mit einer Hand an der Wand vortastend, möglichst geräuschlos in den Flur. Erst dort bemerke ich, dass ich etwas Wesentliches übersehen hatte. Meine Klamotten hingen am Schlafzimmerschrank, Unterwäsche und Socken lagen darin. Mist. Kommando zurück.
Ich bin nicht unbedingt sattelfest, was die Einsortierung meiner Wäsche angeht. Sie im Dunkeln aus dem Schrank zu fischen, wäre zum Scheitern verurteilt. Da machte ich lieber gleich Licht.
Lotte stöhnte auf und zog sich die Bettdecke über den Kopf.
»Wenn du die Elefantenherde im Zoo abgeliefert hast, sag Bescheid.«
Mit leicht schlechtem Gewissen, nahm ich mir das, was ich brauchte, und verließ schnellstmöglich unser eheliches Schlafzimmer. Als ich die Tür hinter mir schließen wollte, hörte ich ein hysterisches: »Licht aus!« Ein verflixt mieser Start in den Morgen!
Ein wenig trug Lotte selbst die Schuld. Warum bestand sie hartnäckig darauf, dass die Jalousien immer komplett heruntergelassen waren? Durch kleine Schlitze wäre um diese Stunde im Juli genug Helligkeit eingedrungen, um mich zu orientieren. So wie im Wohnzimmer, wo ich ohne irgendwelche Morgentoilette in meine Beutestücke schlüpfte, bevor ich Erich alarmierte.
»Terschüren.«
Oh, Mann. Den hatte ich auch aus den Träumen geholt.
»Morgen Erich. Wir müssen nach Stoppenberg. Ein Toter.«
»Scheiß Bullenjob. Komme.«
Ich gönnte mir wenigstens einen Kaffee. Für etwas zu beißen war es mir definitiv zu früh.
Eine halbe Stunde später stand Erich mit seinem Wagen vor dem Haus. Ich hatte das Fahren vor Jahren drangegeben. Erklären kann ich das nicht. Jedenfalls war es mir recht, dass der geduldige Erich den Part des Chauffeurs übernahm. Für mich war es praktisch so und mein jüngerer Kollege war einverstanden mit dieser Aufgabenteilung.
Wir fuhren zu der Adresse, die mir von der Zentrale durchgegeben worden war. Gesprochen wurde nicht viel. Ein Mord und wir fuhren zum Tatort. Alles wie üblich.
Um diese Zeit herrschte noch wenig Verkehr und so erreichten wir bald den Parkplatz vor dem nichtssagenden, überschaubaren Bürokomplex. Er bestand aus zwei Baukörpern. Zur Straße hin lag ein schmales, zehngeschossiges Hochhaus mit einer dunklen Fassade. An eine seiner Ecken war rechtwinkelig nach hinten raus ein viergeschossiger Anbau angeklebt. Seine Wände trugen einen nach dem Prinzip der Maximierung von Langweiligkeit ausgewählten, beigefarbigen Anstrich zur Schau. Beide Gebäude verband auf allen Etagen des niedrigeren Hauses ein vollverglaster Übergang.
Drei Autos parkten auf der geräumigen Fläche vor dem Anbau: Ein ausgesprochen prollig aufgemotzter Mercedes Brabus, ein klappriger Twingo und ein Polizeifahrzeug. Erich stellte seinen BMW neben dem Einsatzwagen ab. Ein blutroter Sonnenball kletterte in diesem Moment seitlich des Gebäudes über den Horizont, durchdrang die das Gelände begrenzende Birkenreihe und tauchte den Asphalt des Parkplatzes in warmes Morgenlicht. Eigentlich eine viel zu anheimelnde Stimmung, um einer Leiche gegenüberzutreten.
Die beiden Kollegen aus dem Einsatzwagen drückten sich am Eingang des Anbaus herum.
Der unangenehmen Pflicht gehorchend, stiegen wir aus und liefen zu ihnen hinüber. Ein paar Waschbetonstufen führten vom Parkplatzniveau zum Portal hinunter. Da mir die Uniformierten nicht bekannt vorkamen, wies ich mich ihnen gegenüber aus.
»Wir kommen nicht rein«, informierte mich der Ältere.
»Was heißt das?«
»Jemand hat uns von drinnen angebimmelt. Das hat die Anruferin jedenfalls behauptet; dass sie in diesem Gebäude ist. Hat einen Toten in den Räumlichkeiten der Firma, die ihren Sitz hier hat, gemeldet. kerdet-IT heißt der Laden. Jetzt macht keiner auf. Die Tür ist elektronisch gesichert. Da brauchen wir Hilfe.«
»kerdet-IT? Nie gehört.«
»Sehen Sie: dort oben!«
Ich folgte dem Blick des Mannes. Richtig: Knapp unterhalb des flachen Dachs war ein entsprechender Schriftzug aus Leuchtbuchstaben angebracht.
Ich deutete auf die in der Glasfront mittig eingebaute Tür. »Die ist elektronisch gesichert?«
»Nein. Die ist offen und führt in eine Art Vorraum. Schauen Sie, dort drinnen, die Drehtür. Da kommen wir nicht rein. Nebendran steht ein Kartenleser auf einer Säule.«
»Was meinen Sie: Ist die Frau, die uns alarmiert hat, wirklich da drin?«
»So hat es uns die Zentrale mitgeteilt.«
»Ihr habt bestimmt ein Megafon im Auto«, meldete sich Erich zu Wort. In technischen Dingen ist er mir im Denken immer eine Nasenlänge voraus. Aber meistens nur in technischen Dingen.
»Klar.« Der jüngere Polizist setzte sich in Bewegung.
»Wie lange steht ihr hier schon?«, fragte ich den Verbliebenen.
»Maximal eine halbe Stunde. Wir haben es auf der gegenüberliegenden Seite probiert. Da gibt es einen weiteren Zugang. Das scheint eine Art Notausgang zu sein. Ist verrammelt. Im Hochhaus vorne sitzt eine andere Firma. Dort ist keiner. Also sind wir hierher zurück.«
»Wissen Sie mehr darüber, was uns hier erwartet?«
»Nur, dass es diesen Anruf bei der Zentrale gab. Eine Frauenstimme, schwer verständlicher Akzent. Die hat was von Tod und Mord gefaselt und die Adresse durchgegeben.«
»Anzunehmen, dass die drinnen ist. Da oben scheint mir Licht zu brennen.«
»Wenn sie nach dem Anruf nicht verduftet ist .«
Der Schutzbeamte kehrte mit dem Megafon in der Hand zurück. Seltsam unaufgeregt dafür, dass es um einen Mord gehen sollte. Die Burschen hier schienen starken Tobak gewohnt zu sein.
Ich nahm dem Mann das Gerät aus der Hand, trat ein paar Schritte zurück und richtete den Trichter auf das einzige Fenster, das von innen erleuchtet war.
»Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei. Öffnen Sie uns bitte die Tür.«
Wir warteten eine Minute. Nichts geschah.
Neuer Versuch: »Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei. Kommen Sie bitte zum Eingang und lassen Sie uns hinein. Wir sind sonst gezwungen, die Tür gewaltsam zu öffnen.«
Aufmerksam beobachtete ich das verdächtige Fenster. War da gerade ein Schatten quer durch die Lichtquelle gehuscht?
Irgendetwas tat sich da.
Die nächste halbe Minute lief zäh wie Honig aufs Morgenmüsli. Dann tauchte schemenhaft eine kleine Person im Inneren des Gebäudes auf. Millimeterweise - in Zeitlupe - wurde die Drehtür in Gang gesetzt. Eine zierliche Asiatin, bekleidet mit dem grünen Kittel einer Gebäudereinigungsfirma, erschien im Vorraum. Unsicher griff sie an die Drückerplatte der Außentür.
Der ältere der beiden Polizisten nahm der Frau die Arbeit ab. Er zerrte die Tür mit Schwung auf. Beinahe wäre die Asiatin ausgestreckt vor uns hingefallen, denn sie ließ den Griff auf ihrer Seite zu zögerlich los. Sie fing sich im letzten Moment und stand verunsichert vor uns. Ihre Miene trug den schreckhaften Ausdruck eines aufgescheuchten Rehs.
»Guten Morgen. Siebert mein Name. Kripo Essen. Hier, mein Ausweis. Haben Sie uns verständigt?«
Die Frau nahm mir den Ausweis ab und musterte ihn von allen Seiten, während sie ihn mit beiden Händen umkrampfte. Ich war mir nicht sicher, ob sie etwas damit anfangen konnte. Es schien mir eher, als suche sie einen x-beliebigen Gegenstand, an dem sie sich festhalten konnte. Verstört gab sie mir den Ausweis zurück.
»Gehen hinein«, war das Einzige, was die Asiatin hervorbrachte. Dabei wedelte sie mir mit einer checkkartengroßen Plastikkarte zu, auf der ihr verblasstes Konterfei prangte.
Ich begriff.
»Waren Sie alleine im Haus?«
Die Frau nickte.
»Komm mit«, beorderte ich Erich an meine Seite.
Meinem jungen Kollegen war anzusehen, dass Leichen überhaupt nicht sein Ding sind. Wenn er es irgendwie schafft, mogelt er sich regelmäßig um die Inaugenscheinnahme unserer Kundschaft herum.
Ich munterte ihn auf: »Los, Erich, Haltung!«
Anschließend wandte ich mich der Asiatin zu. »Kommen Sie. Zeigen Sie uns, was da los ist. Wo müssen wir hin?«
Die Reinigungskraft bedeutete uns, in den Vorraum hineinzugehen. Sie folgte uns und blieb vor dem Kartenleser neben der Drehtür stehen.
Mir fiel sofort die Kamera unter der Decke auf, die diesen Bereich überwachte. Unsere Begleiterin hielt ihren Plastikausweis vor ein...
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