Schweitzer Fachinformationen
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Eckhard Schulz, mein Freund von der Schutzpolizei, den alle Ecki nennen, und ich sitzen in unserer Lieblingskneipe. Wir starren seit einer Weile stumm von unseren Barhockern aus ins verwaiste Innere des hufeisenförmigen Tresens aus dunklem Holz.
Aus reiner Sentimentalität war ich auf den Mord in Haarzopf zu sprechen gekommen. Er hatte mich seinerzeit emotional ziemlich aufgemischt. Mit Opfern von Gewalttaten war ich während meiner Berufsjahre als Hauptkommissar in der Mordkommission ständig in Berührung gekommen. Im Haarzopf-Fall hatte die emotionale Komponente eine besondere Dimension angenommen. Die Grenzen zwischen Täter und Opfer, zwischen Schuld und Unschuld, zwischen Glaube und Trost waren in diesem Fall ziemlich verschwommen.
In meinem Kopf sehe ich die arme Frau auf der Bank sitzen, völlig erstarrt, nicht ansprechbar. Verheult, als ob sie keine Tränen mehr besäße. Ich kann mich kaum erinnern, in meiner aktiven Dienstzeit jemals eine solche Verlorenheit gesehen zu haben.
Ich finde zur Sprache zurück. »In dem Zustand, in dem wir die Frau später fanden, hat es mich total gewundert, dass sie uns angerufen hat.«
Ecki räuspert sich. »Unser Beruf ist manchmal ganz schön scheiße, was, Sigi?«
»Ist er. Aber irgendeiner muss ihn schließlich machen.«
»Laufend hast du es mit Leuten zu tun, denen etwas Schlimmes zugestoßen ist, die bestohlen oder verletzt wurden. Ab und zu darfst du mal einen retten oder von einer Dummheit abhalten - das tut dann richtig gut. Nicht zu vergessen die Gefahren, denen unsereins ausgeliefert ist. Davon macht sich da draußen kaum jemand einen Begriff. Nimm nur dein Bein .«
Ja, mein Bein.
Im vorletzten Jahr hatte ich auf eigene Faust in einem ungelösten Fall ermittelt und war auf die Schnapsidee verfallen, meine Verdächtigen bis nach Namibia zu verfolgen. Es war mir tatsächlich gelungen, die beiden zu stellen, war dabei aber lebensgefährlich angeschossen worden. Die Wunde im Bauchraum ist mittlerweile verheilt. Mein Knie, das die erste Kugel abbekommen hatte, will einfach nicht. Wegen meiner Behinderung wurde ich letzten Sommer in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Im Oktober bekam ich schließlich ein künstliches Gelenk. Heute, fünf Monate später, bin ich immer noch nicht richtig auf dem Damm. Für meine Eigenmächtigkeit habe ich bitter bezahlt.
Wegen Krankenhausaufenthalt und Reha war ich wochenlang nicht zu Hause gewesen. Seit einer gefühlten Ewigkeit sitze ich endlich mal wieder mit Ecki in der Kneipe. Mein Freund ist bei den Uniformierten. Er hat den Dienst satt, nur muss er noch ein paar Jahre. Meine eigene Ausstiegsstrategie sollte er sich nicht zum Vorbild nehmen.
»An meinem kaputten Knie trage ich eine Portion Mitschuld. Gestümpert habe ich.«
»Trotzdem .«
Guido, der Wirt, kehrt aus den Tiefen seiner Gaststätte zurück und sieht zu uns herüber. »Noch'n Pilschen, die Herren?«
Ecki und ich nicken ihm synchron zu. Guido nimmt zwei Gläser vom Abtropfbrett und hält sie mit geübtem Schwung nacheinander unter den Zapfhahn. Unser Gastgeber stellt die perfekt gezapften Pilstulpen vor uns hin. »Wohl bekomm's.«
Ecki hebt sein Glas auf Augenhöhe und schaut mich über den Rand hinweg an. Stumm spiegele ich seine Geste und wir trinken einen großen Schluck.
»Ich weiß noch, wie wir hier gesessen haben, auf ebendiesem Fleck, und du mir die Ermittlungen geschildert hast. Schlimme Geschichte.«
»Ja. Tieftraurig. Das fing schon an, als wir auf den Friedhof kamen und dieses Häufchen Elend auf der Parkbank vorfanden. Den Tatort hatten die Kollegen da bereits abgesperrt.«
*
Lotte und ich saßen am Frühstückstisch, als das Diensthandy mit diesen bescheuerten Martinshörnern auf sich aufmerksam machte. Na klar, am Feiertag. Den Klingelton hatte Erich aufgespielt, mein junger Kollege, den ich um die Inbetriebnahme des Teils gebeten hatte. Mir war es bisher nicht gelungen, die entsprechende Einstellung zu finden und einen gefälligeren Ton einzustellen. Scheiß Technik.
Unsere Tochter Lucy lag noch im Bett. Mit Eintritt in die Oberstufe hatte sie diese Unart an schulfreien Tagen angenommen. Mir passte das gar nicht. Aber richte einer was gegen ein eingespieltes Mutter-Tochter-Gespann aus. »Lass das Kind doch.« »Warst du nie jung?« »Lucy muss ihren eigenen Weg finden.« Da bist du ständig der Buhmann und auf diese Rolle im Familientrio habe ich überhaupt keinen Bock.
Das Diensthandy befand sich in der Jackentasche im Flur. Genervt stand ich vom Tisch auf und bequemte mich dorthin. Ich drückte die grüne Taste. Die Martinshörner gaben endlich Ruhe. »Siebert.«
Lotte kam wissbegierig dazu.
Die Zentrale war am anderen Ende. Zum Zeichen, dass ich meinen Auftrag verstand, wiederholte ich die Schlüsselwörter. »Eine Leiche. Auf dem Friedhof.«
»Ist das was Besonderes? Wo sonst sollten Leichen liegen, wenn nicht auf dem Friedhof?«, quasselte mir Lotte dazwischen.
Ich registrierte die Abgebrühtheit, mit der meine Frau dem Tod im Berufsleben ihres Mannes begegnete. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sie selbst merkte, wie unangebracht ihr Kommentar war.
»In Haarzopf. Evangelischer Gemeindefriedhof. Aha. Wir kommen.« Rote Taste. »Ich muss los, Schatz.«
»War nicht anders zu erwarten. Schließlich haben wir bloß einen Feiertag.«
Ich verzog das Gesicht. War es meine Schuld, dass in meinem Job jederzeit ein Einsatz drohte und ich Bereitschaft hatte?
Erich würde das als Nächster spüren. Meine Geduld wurde arg geprüft, ehe er endlich an den Apparat kam. »Ja?«
Seiner Stimme nach zu urteilen war er gerade erst ins Bett gekrochen. Ich wusste, dass er seit einem Monat auf Schürzenjagd war. Seine Lebensabschnittsfee hatte ihm den Laufpass gegeben. Erichs Pech mit dem anderen Geschlecht war im Präsidium bereits Legende. Er stürzte immer mit Vollgas in eine neue Beziehung hinein, vermochte jedoch nicht, eine Frau längere Zeit zu halten. Sein bisheriger Rekord lag gemäß Selbstauskunft bei anderthalb Jahren. Murrend sagte er zu, mich in einer halben Stunde einzusammeln.
Fünfunddreißig Minuten und zwei Scheiben Stuten mit Marmelade später stand mein junger Kollege bei uns vor der Haustür und hupte. Ich stand auf, drückte Lotte einen flüchtigen Kuss auf die Wange, der etwas klebte, denn ich hatte noch Marmelade auf den Lippen, streifte im Flur meine Jacke über und öffnete die Wohnungstür.
»Kommst du pünktlich zum Mittag?«, rief mir Lotte nach.
Ich winkte ab, obwohl mich meine Angetraute vom Essplatz aus nicht sehen konnte. Diese Frage nach so langer Ehe und Jahren im Beruf war schlicht überflüssig.
Unten empfing mich ein Erich, dessen Gesicht wegen handbreiter Ränder unter den Augen markant verändert wirkte.
»Tach, Erich. Hast du getrunken?«
»Bisschen nur. Hab doch heute Bereitschaft.«
»Du kennst den Weg zum evangelischen Friedhof in Haarzopf?«
»Klar, Chef. Anschnallen.«
Ich war formal nicht Erichs Chef. Trotzdem hatte er sich diese Anrede angewöhnt, die mir ein wenig schmeichelte. Nun ja, eigentlich verhielt es sich zwischen uns beiden schon so, dass ich die Anordnungen traf und er mehr die ausführende Rolle einnahm. Er schien ganz zufrieden mit dieser Aufgabenteilung zu sein.
Erich war Anfang dreißig. Seit beinahe vier Jahren arbeiteten wir jetzt zusammen. Groß war er und seinen Körper beplankten stahlharte Muskeln. Seine Haltung war normalerweise straff, aber heute hing er hinter dem Steuer seines BMW wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Seinen ohnehin nicht nennenswert intelligenten Gesichtsausdruck unter dem Stoppelschnitt durfte man mit Wohlwollen als apathisch beschreiben.
Kaum zehn Minuten später stellte Erich sein Auto mitten auf der Zufahrt zum Friedhof ab, direkt zwischen Pfarrhaus und Kirche. Die wenigen Parkplätze auf der linken Seite wurden von zivilen Fahrzeugen und zwei Einsatzwagen belegt. Strammen Schrittes erreichten wir das Friedhofsgelände und sahen gleich beim Passieren des schmiedeeisernen Tores das polizeiliche Absperrband in der erstaunlich warmen Herbstluft flattern. Vier Uniformierte standen mit dem Rücken zu uns an der eingekreisten Stelle.
»Hallo Kollegen«, grüßte ich, als wir bei ihnen ankamen. »Was gibt es?«
»Eine Leiche. Männlich. Da.« Der Kollege, der diese Auskunft gegeben hatte, wies mit ausgestrecktem Arm auf die Stelle.
»Sigi, ich heute nicht.« Mir war Erichs Manko, dass er sich schwer tat mit Leichen, bekannt. Wieder einmal fragte ich mich, was ihn ausgerechnet zur Mordkommission getrieben hatte.
Ich holte tief Luft, kletterte über das Absperrband und sah mir den Toten an. Er lag auf dem Rücken, ausgestreckt auf einer geräumten Grabstelle, die mit dem Herbstlaub der großen Linden nebenan bedeckt war. Seine Augen waren geschlossen, seine Hände gefaltet. Fast sah er aus, als ob er schliefe, wenn sein Mantel und seine Hose nicht derart durchfeuchtet gewesen wären. So klitschnass legte sich niemand schlafen.
»Komm her, Erich. Ist harmlos.« Vielleicht gewöhnte sich der Bursche angesichts derart unspektakulärer Leichen an den Anblick. Meistens war es härter.
Erich reagierte nicht.
»Der sieht verdammt übernächtigt aus. Sollen wir den mal pusten lassen?«, fragte mich einer der uniformierten Kollegen gespielt fürsorglich, um Erich ein wenig zu necken. Von dessen Seite kassierte er dafür einen mordlüsternen Blick.
Das hätte mir gerade gefehlt, Erich ohne Lappen. Wer würde mich dann kutschieren? Ich selbst...
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