Schweitzer Fachinformationen
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Ich sag nichts, nein.
Da habt ihr es mit dem Rechten zu tun. Da hättet ihr früher kommen sollen. Als es an der Zeit war, hat keiner was gewollt. Alleweil hat man uns verseckelt bis zum seligen Ende. Aber ihr glaubt doch nicht, dass ich wirklich was damit zu tun hab? Dass wir da mit drinstecken in dem Dreck? Dass womöglich einer geschossen hat? Pfeifendeckel. Bei uns schießt lang keiner mehr. Ja, natürlich haben wir Waffen. Immer Revolver gehabt. Pistolen. Gewehre. Willst du sie sehen? Wir können allesamt runter in den Keller. Dort unten sind sie. Markenfabrikate! Mauser! FEG! Heckler & Koch! Alte Wertarbeit. Teils noch von meinem Vater. Kriegst du heut nirgends mehr. Kommt alles aus China. Alles nachgemacht. Außen hui, aber innen null Präzision. Damit kannst du nicht mal einen Hund abknallen. Marthel! Bring mir mal meinen Stecken. Die Herrschaften treibts aus der Küche. Was glotzt ihr so wie angenagelt? Man ist nicht mehr 50. Pfoten weg. Gut, dann bleib ich sitzen. Aber dann sitzt du auch. Das macht mich nervös, dein Gehampel. Du bist doch noch gar kein richtiger Kerle, Mensch. Ein Seichbüble. Nicht mal im Schwabenalter. Und so was schon Kriminalhauptkommissar. Was? Ja. Kriminalhauptkommissar Timo Fehrle. Hab ich mir gemerkt, wie du da reingekommen bist. Und aus dem Nachbarort. Vom Sulgen! Es ist nie nichts Gutes, was vom Sulgen rüberkommt. Aber jetzt hockst du in Stuttgart bei den Großkopfeten und fährst einen Audi. Stimmts? Hab ich recht? Zum Daimler langts nicht oder nur als Dienstwagen. So einer wie du ist verheiratet. Ring am Finger. Zwei Kinderfotos in der Brieftasch. Ein Bub und ein Mädle. Immer in der Ordnung alles. Bloß, wenn du dirs recht überlegst, so wie du rumläufst, bist du einer vom anderen Ufer. Schicke Klamotten und Hennendreck in den Haaren. Die vom Fehrleshof ticken eh nicht richtig mit ihren Viechern. Und du bist doch einer von denen Fehrles dort droben von der Heuwies. Da kannst du mir nichts vormachen, das seh ich gleich. Die sind nicht recht bei Verstand.
Eine Smith & Wesson 4 Millimeter, ja so. So was haben wir hier nicht. Das wüsst ich. Das ist doch ein Murks. Ja, kann man denn damit einem überhaupt einen sauberen Genickschuss verpassen?
»Herr Roth«, sagte Fehrle, ein junger Spund mit weichem Maul und harten Augen, großgewachsen, dunkel und schön wie ein Weib. Ein richtiger Sulgemer halt. Der Urgroßvater war ein Original gewesen, er war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Die Fehrle-Sippe war von jeher aktiv in der Narrenzunft. Nach dem Franz war lang vor dem Krieg die erste Larve vom Sulgemer Krattemacher geschnitzt worden, die man wieder einstampfen musste, weil der Fehrle Franz so jähzornig war, dass kein Hansel sie aufsetzen wollte.
»Die Tatwaffe ist registriert auf Ihren Namen. Es wär hilfreich, wenn Sie den Mund aufmachen.« Auch der Fehrle Timo klang, als stünde er vor einer Explosion. Obwohl er nur schwarze Jeans, ein ungebügeltes weißes Hemd und eine schwarze Lederjacke anhatte und kein bemaltes Fasnetshäs.
»Er kann nicht«, erwiderte seine Frau, die lautlos in die Küche gehuscht war.
»Grüß Gott, Marthel«, sagte Timo. »So sieht man sich wieder.«
Marthel nickte. Sie hatte das niedliche, weiche Profil einer greisen Filmschönheit. Ihre Stirn war fleckig und welk, aber faltenfrei, und die Stupsnase ohne Makel. Sie schürzte die vollen Lippen, die sie mit einem rosaroten Glanzstift sorgfältig nachgezogen hatte. Zu engen weißen Jeans trug sie ein gebügeltes pinkfarbenes Sweatshirt. »Vorgestern hat er einen Schlaganfall gehabt. Es war schon sein zweiter. Seit dem Schlägle jetzt sagt der rote Karle keinen Mucks mehr. Und vermutlich weiß ers auch nicht mehr so. Es bringt also nix, ihn aufzuregen.« Marthels Augen gingen hin und her zwischen Fehrle, der dumm dastand, und seiner Kollegin.
»Kriminaloberrätin Anita Wolkenstein.« Anita gab der alten Frau die Hand. »Als Leiterin des Dezernats Tötungsdelikte / Tötungsermittlungen im Polizeipräsidium Stuttgart bin ich federführend bei den Ermittlungen der SoKo.« Sie war mit Mitte 40 deutlich älter als ihr Kollege. Der strenge braune Pferdeschwanz wirkte unvorteilhaft. Ihr spitzes, ungeschminktes Vogelgesicht passte nicht zu dem teuren hellblauen Hosenanzug und dem nicht gerade dezenten Designermantel.
»Marthel«, flötete Marthel. »Sag du nur >Du< zu mir. Bist ja noch jung. Und das Timole, das kennen wir, seit es ein kleines Buele war, nicht wahr, Karle?«
Der rote Karle saß sehr aufrecht an der Schmalseite des Tisches. Er war groß und grobknochig und trug ein geripptes ärmelloses Unterhemd und eine dunkelblaue Jogginghose mit Hosenträgern. Auf dem Hinterkopf saß schief eine speckige karierte Kappe. Das Gesicht war vom Alter gezeichnet. Von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln verliefen tiefe Falten. Der breite Mund verzog sich zu einem bitteren Grinsen. Karle glotzte alle der Reihe nach an. Er hockte steif auf der Eckbank und stierte von einem zum andern. Seine dunkelbraunen Augen glänzten wässrig. Anita versuchte vergeblich, seinen Blick aufzufangen. Plötzlich fing er an zu singen. Er sang volltönend im Bass:
»Krattemacher kommt im Frack,
hot koan Pfennig Geld im Sack.
Hot koan oanzge Gulda,
dr Buckel voller Schulda.
Hot a grätigs Weib
und mit em Nochber Streit,
und mit em Schultis au,
so ists in Sulgenau.
Haut ihn, haut ihn,
haut ihn uff de Deez!
Haut ihn uff de Kratte nuff,
haut ihn uff de Schädel druff!
haut ihn uff de Deez!«
Dann lachte er. Er lachte laut und polternd und hieb mit der Faust auf den Tisch.
Der Sulgemer Narrenmarsch. Das Krattemacher Original. Fehrle schwoll der Kamm. Er wurde puterrot im Gesicht und plusterte sich wie ein Auerhahn.
»Singen kann er«, sagte Marthel. »Auch wenn er sonst radikal sprachlos ist. Vor lauter.«
»Vor lauter?«, fragte Fehrle spitz. »Vor lauter was?«
»Was will er uns damit sagen?« Anita schwitzte. Die niedrige, enge Küche war überheizt. Die Luft war nass und stickig. Auf dem Herd kochten Kartoffeln. Anita wischte sich über die Stirn. Sie sah auf die Uhr und knüpfte ihren Cordmantel auf.
»Das weiß ich auch nicht, aber es hat scheints mit dem Krieg zu tun.« Marthel lupfte den Deckel und guckte in den Topf. Vom Dampf beschlug das Fenster. »Das Lied hat der Heimen Bruno geschrieben, als er von der Front kam und aus der Gefangenschaft. Der Karle war mit ihm im Jungkolping, die haben einen Haufen Blödsinn zusammen angestellt, anno 40 wurde der Kolping zum Volksfeind erklärt, und dann war er halt Kanonenfutter, der Bruno. Strafbataillon und ab als Pionier an vorderster Front bis in den Kaukasus. Zweimal wurde der Bruno verschüttet, er lag voller Granatsplitter wie eine gespickte Sau ein paar Meter tief im Dreck, verblutete bald und kriegte keine Luft mehr. Er hat überlebt, weil er ein Ziel hatte: Er wollte dem Karle, dem Kommunist, mal ordentlich die Fresse polieren. Der Bruno war nämlich stockkatholisch.«
»Es ist langsam an der Zeit.« Fehrle sah wütend zur Küchenuhr, die über Karles Kopf tickte. Karle stierte stur vor sich hin.
»Was glotsch?«, fragte Marthel. »Ist dir meine Sprache nicht fein genug, du blödes Mensch? Das war damals auch nicht vornehm, verstehst du? Es macht einen ein Lebtag lang mundtot. Glaub bloß nicht, ich sei pietätlos.«
»Erzählen Sie weiter«, bat Anita und besann sich. »Schwätz du nur, Marthel.«
»Das mit dem Narrenmarsch war nämlich so. Wo der Krieg aus war, hat der Bruno massenhaft Leichen ausgegraben und auf Soldatenfriedhöfen bestattet. Er war selber eine halbe Leich. Und als er heimkam, hat er seinen Augen nicht getraut: das ganze Nazi-Geziefer schon wieder in Amt und Würden, die Büttel und der Lehrer, alle wieder am Platz. Da hat ihn eine saumäßige Wut gepackt, weil er geglaubt hatte, die Bande sieht er nie wieder. Die Seichdackel seien sämtlich im Arrest. Pfeifendeckel! Alles ging mehr oder weniger so weiter wie vorher, und das hat den Bruno schier um den Verstand gebracht.« Marthel schnaufte. »Ja, und bei den Narren war einer, das war ein Zigeuner. Mein Schulkamerad, der Heinz. Die hätten ihn ja am liebsten den Kamin hochgejagt, sterilisiert hat man ihn, und nun war nicht viel mit Wiedergutmachung. Der Heinz ist 1962 gestorben, im gleichen Jahr wie sein Vater, wenn ichs noch recht weiß, mit gerade mal 37. Er hat ein schwaches Herz gehabt, hat man gesagt, wenn das mal wahr ist.«
»Ah ja«, sagte Anita.
»Da gab es immer noch ein paar braune Seckel. Das hat den Karle maßlos aufgeregt und wurmt ihn bis heut. Er war von jeher dagegen, der hat die Nazis gehasst, gegen sie agitiert und ihnen geschadet, wo er nur konnte. >Haut ihn uff de Deez!< Wenn er das jetzt ums Verrecken singen muss, dann dreht sichs wohl irgendwie ums Dritte Reich. Es ist ein antifaschistisches Lied, das hat man vergessen; aber frag nur deinen Vater, Timole, der weiß das noch.«
»Ja so«, sagte Fehrle.
Jetzt, wo der Pflichtteil offenbar erledigt war, kam Marthel erst richtig in Fahrt. Sie redete nur selten viel, aber wenn sie einmal angefangen hatte, konnte man sie kaum noch bremsen. Mit Begeisterung wechselte sie das Thema. »Ich seh es noch deutlich vor mir. Die Mutter vom Timo, die wo Berta hieß, so hieß sie doch, oder, die hat immer die Milch bei unseren Nachbarn abgeliefert, oben bei der Milchsammelstelle. Die Bauern vom Fehrleshof sind nicht auf den Sulgen gegangen, die sind herüber nach Mariabronn. Das hat...
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