Der Weg mit dem Herrn
(Mt 14,22-33)
"Und sogleich nötigte er die Jünger, in das Schiff zu steigen und ihm an das jenseitige Ufer vorauszufahren, bis er die Volksmengen entlassen habe. Und als er die Volksmengen entlassen hatte, stieg er auf den Berg besonders, um zu beten. Als es aber Abend geworden, war er daselbst allein. Das Schiff aber war schon mitten auf dem See und litt Not von den Wellen, denn der Wind war ihnen entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam er zu ihnen, wandelnd auf dem See. Und als die Jünger ihn auf dem See wandeln sahen, wurden sie bestürzt und sprachen: Es ist ein Gespenst! Und sie schrieen vor Furcht. Alsbald aber redete Jesus zu ihnen und sprach: Seid gutes Mutes, ich bin's; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, wenn du es bist, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf den Wassern. Er aber sprach: Komm! Und Petrus stieg aus dem Schiff und wandelte auf den Wassern, um zu Jesus zu kommen. Als er aber den starken Wind sah, fürchtete er sich; und als er anfing zu sinken, schrie er und sprach: Herr, rette mich! Alsbald aber streckte Jesus die Hand aus, ergriff ihn und spricht zu ihm: Kleingläubiger, warum zweifeltest du? Und als sie in das Schiff gestiegen waren, legte sich der Wind. Die aber in dem Schiff waren, kamen und warfen sich vor ihm nieder und sprachen: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!" (Mt 14,22-33).
Vor einiger Zeit hörte ich in den USA etwas sehr Schönes von einem Bruder - er ist schon längere Zeit beim Herrn -, der kurz nach dem 1. Weltkrieg dort eingewandert war. Im Jahr 1929 fand in den USA eine sehr schwere Wirtschaftskrise statt, die dort noch weitaus heftiger war als hier in Deutschland. Die Söhne dieses Bruders erzählten mir, dass sie in dieser Zeit oft große geschäftliche Schwierigkeiten hatten und keinen Ausweg sahen. Doch ihr Vater sagte niemals: Ob der Herr uns wohl helfen wird? Nein, er sagte: Ich bin gespannt, in welcher Weise der Herr uns jetzt helfen wird. Er zweifelte nie daran, dass der Herr helfen würde, und der Herr hat seinen Glauben belohnt. Er hat immer geholfen, und das jedesmal in einer anderen Weise. In einem Lied heißt es: "Du kennst jede Not. Wo der Menschen Hilf' zu Ende, bleiben mächtig deine Hände." Das bedeutet aber nicht, dass der Herr immer nach unseren Vorstellungen handelt. Er weiß allezeit den besten Weg.
In Matthäus 12 können wir nachlesen, wie die Pharisäer, die religiösen Führer des Volkes Israel, sagten, dass der Herr die Dämonen durch Beelzebub, den Obersten der Dämonen, austreibe. Damit lehnten sie Ihn vollständig ab. In Kapitel 13 spricht der Herr davon, wie sich das Reich der Himmel verändern würde, weil sie Ihn, den König dieses Reiches, verwarfen. Kapitel 14 beginnt mit der Beschreibung der Ermordung Johannes' des Täufers durch Herodes. Im Anschluss daran heißt es: "Und als Jesus es hörte, entwich er von dannen in einem Schiff an einen öden Ort besonders" (14,13). Die Ermordung des Johannes war der sichere Beweis, dass auch der Herr diese völlige Ablehnung erfahren würde. Wenn der Vorläufer des Herrn Jesus ermordet wurde, stand fest, dass dem Herrn dasselbe Los zuteil werden würde.
Dennoch bleibt der Herr in Seiner Liebe zu den Menschen derselbe, auch wenn Er den Hass und die Feindschaft der Welt erfährt. Nach Seinem vollbrachten Werk und Seiner Auferstehung hören wir Ihn sagen: "Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden" (Mt 28,18). Die Menschen allerdings glaubten nicht, dass Ihm alle Gewalt gegeben war. In den Versen ab Kapitel 14,14 gibt Er den Menschen einen Beweis Seiner Macht: Er speist eine große Menschenmenge mit fünf Broten und zwei Fischen: "Die aber aßen waren bei fünftausend Männer, ohne Frauen und Kindlein" (14,21). Möglicherweise waren es insgesamt 10.000 Menschen, die von den Broten und Fischen aßen. Hier sehen wir auf eindrückliche Weise, dass dort, wo der Menschen Hilfe zu Ende ist, Seine Hände mächtig bleiben.
Es ist gut, dass wir uns dieser Tatsache in unseren Herzen gründlich bewusst sind und dass wir glauben, dass Er es ist, der alle Macht hat. Alle Dinge sind in Seinen Händen. Und dieser Glaube ist notwendig, wenn wir wirklich den Weg mit dem Herrn gehen wollen. Wie kann ich mich, ja, mein ganzes Leben, dem Herrn übergeben, wenn ich nicht glaube, dass Er wirklich alles in Seiner Hand hat? Wissen wir nicht aus Erfahrung, dass es nicht einfach ist, uns völlig in die Hände des Herrn zu übergeben? Dann machen wir nicht mehr unsere eigenen Pläne, sondern lassen Ihn für uns die Pläne machen und uns von Ihm führen. So heißt es in dem bekannten Lied: "So nimm denn meine Hände und führe mich." Lassen wir uns von Ihm auf dem Weg führen, der nach Seinen Gedanken ist? Lassen wir uns führen - nicht nur, um Schutz vor Gefahren zu erleben? Dazu müssen wir, wie gesagt, in unseren Herzen überzeugt sein, dass Er alles besser weiß als wir und alle Macht in Seinen Händen ist. Der Weg, den der Herr uns führt, sieht allerdings oft völlig anders aus, als wir uns das vorstellen. Das können wir aus dem verlesenen Abschnitt lernen.
"Und sogleich nötigte er die Jünger, in das Schiff zu steigen und ihm an das jenseitige Ufer vorauszufahren, bis er die Volksmengen entlassen habe" (V. 22). Er nötigte die Jünger, das Schiff zu besteigen. Offensichtlich entsprach das nicht ihren Vorstellungen. Der weitere Verlauf der Ereignisse scheint ihnen recht zu geben. Unter den Jüngern waren erfahrene Fischer, die den manchmal sehr gefährlichen See gut kannten. Ob sie sahen, dass in dieser Nacht ein Sturm losbrechen würde? Der Herr nötigt sie, das Schiff zu besteigen, auch wenn sie es nicht wollen. Ist das nicht gegen allen gesunden Menschenverstand? Warum durften sie nicht warten, bis Er selbst kam und mit ihnen fuhr? Warum durften sie nicht bis zum nächsten Morgen warten, wenn der Sturm vorbei war? Warum müssen sie gerade jetzt, an diesem Abend, ja, in dieser Nacht den See überqueren? Sie kannten den Herrn noch nicht gut und vertrauten Ihm daher nicht wirklich. Und wir sind nicht besser als die Jünger, auch wir vertrauen Ihm so wenig.
Nachdem sie nun abgefahren waren, geschah etwas, wovon sie wohl keine Kenntnis hatten: "Und als er die Volksmengen entlassen hatte, stieg er auf den Berg besonders, um zu beten. Als es aber Abend geworden, war er daselbst allein" (V. 23). Sie konnten den Herrn nicht mehr sehen. Er war oben auf dem Berg, um für sie zu beten. Wusste Er nicht, dass es einen Sturm geben würde? Wusste Er nicht, dass das Boot ungeeignet war für solch einen Sturm? Er wusste es sehr wohl. Er wollte den Jüngern auf diese Weise zeigen, wer Er war und dass Seine Macht für jede Lage ausreicht. Das Schiff ist ein menschliches Hilfsmittel, mit dem man sich auf dem Wasser fortbewegen kann. Kein Mensch kann von sich aus über das Wasser gehen. In der prophetischen Bedeutung dieses Ereignisses dürfen wir einen Hinweis auf den gläubigen Überrest Israels sehen, der nach der Entrückung der Versammlung Gottes die große Drangsal erleben wird. Schließlich wird er das andere Ufer des 1000-jährigen Friedensreiches jenseits des Sees erreichen.
Zugleich sind die Jünger ein Bild von uns als Gläubigen während der Gnadenzeit, die der Herr in eine Welt gesandt hat, die Ihn verworfen hat. In dieser Welt ist auch uns alles entgegen. Die Hilfsmittel, die uns zur Verfügung stehen, reichen nicht aus, um sicher das andere Ufer unserer Reise zu erreichen. Auch wir müssen lernen, das einzusehen.
Hier finden wir den Weg, auf dem der Herr uns lehrt, dass alle unsere eigenen Anstrengungen unzureichend sind. Wir lernen, dass wir allein von Ihm abhängig sind. Und wenn wir das gelernt haben, dürfen wir sehen, wie es schließlich doch weitergeht. Wir brauchen Erfahrungen darüber, wer der Herr ist und wie groß Seine Macht und Seine Liebe sind. Es ist schon oft gesagt worden, dass nur derjenige errettet werden kann, der zuvor verloren ist. So kann auch nur derjenige aus einer schweren Lage herausgerettet werden, der zuvor in großer Bedrängnis ist. Nur in solch einer Errettung lernt man wirklich den Retter in Seiner Macht kennen.
"Das Schiff aber war schon mitten auf dem See und litt Not von den Wellen, denn der Wind war ihnen entgegen" (V. 24). Zwölf kräftige Männer kommen mitten auf dem See nicht weiter, obwohl sie ihr Leben lang mit dem Wasser vertraut waren. Es lag nicht daran, dass sie das Schiff nicht steuern konnten. Sie wussten zu rudern. Doch der Wind war ihnen entgegen. Das Schiff litt Not von den Wellen. Sind wir nicht auch schon einmal an einen Punkt gekommen, wo alle Hilfsmittel unzureichend waren? Es gibt Augenblicke im Leben, wo man nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll. Dann wird uns bewusst, wie sehr wir von Gott abhängig sind. Ein menschliches Sprichwort sagt: Not lehrt beten. Wie wenig sind wir anfänglich geneigt zu beten. Zuerst meinen wir, ohne den Herrn auskommen zu können.
Ich las einmal eine kleine Geschichte von einem Hirten in der Schweiz. Als er sich mit seiner Herde oben in den Bergen befand, kam plötzlich ein schweres Unwetter auf. Und er rief: O Herr, hilf mir, denn ich kann das Vieh nicht nach unten treiben! Als er dann aber doch ein gutes Stück nach unten gekommen war und sich in einem Wald befand, meinte er, es wieder selbst schaffen zu können und sagte: Herr, jetzt komme ich wieder zurecht. Kennen wir das auch aus eigener Erfahrung?
Eine andere kleine Geschichte von einem Bauern in Holland: Eines Tages kam sein Sohn nach Hause und erzählte seinem Vater, wie der Herrn ihm geholfen hatte. Er sagte zu Ihm: Vater, der Herr hat mir wunderbar geholfen; ich war mit dem Pferd auf der Straße, als andere Pferde ausschlugen; und doch ist kein Unglück geschehen. Daraufhin sagte der...