Schweitzer Fachinformationen
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Ich bin wild aufgewachsen und ich will wild bleiben. Es ist drei Uhr nachts und mein kaputtgefeierter Körper sitzt zu Tode in seiner Opferrolle versunken in einem Taxi. Der Fahrer erzählt von seinem Sohn, der sich nach zehn Jahren von seiner Frau getrennt hat und von seiner eigenen Frau, die fremdgeht, und von Gott, zu dem er angeblich eine ziemlich gute Verbindung hat. Deswegen verzeiht er Schwulen auch, dass sie schwul sind, weil die können da ja eigentlich nichts für. Ich habe Fieber, Koordinationsschwierigkeiten, ein Promille im überhitzten Blut und mich zum wiederholten Mal auf eine Verabredung an einem Ort der absoluten, opportunistischen Hemmungslosigkeit eingelassen. Es geht um meine Achtungswürdigkeit, um Stahl und Beton, um eine riesige Fensterfront, die mit beweglichen Rollläden verschlossen werden kann, um meine Angst vor dem Tod, es geht um die Explosion der Wahrnehmung und vielleicht auch ein bisschen um eine organisierte Form von Schallereignissen.
Meine Wildheit ist eine charakteristische Eigenart. Ich kann entweder tun, was ich will und meine Eigenschaften befriedigen oder es einfach lassen.
Es ist gefährlich, das zu tun, was ich will, weil mich das wirklich verletzbar macht. Es zu lassen ist vollkommen unmöglich. Deshalb lüge ich dich an. Ich sage:
Es geht hier gerade in allererster Linie um das Prinzip.
Ich bin sechzehn Jahre alt und momentan zu nichts anderem mehr in der Lage, als mich trotz kolossaler Erschöpfung in Zusammenhängen etablieren zu wollen, die nichts mit der Gesellschaft zu tun haben, in der ich zur Schule gehe und depressiv bin. Ich bin in Berlin.
Es geht um meine Wahnvorstellungen.
Unfassbar, wie ich mich hier schon wieder auf cognacfarbenen 9-cm-Absätzen dem ganzen Scheiß aussetze, Industriegebiet natürlich, von weitem sieht man ein ehemaliges Heizkraftwerk, in dem es sich in spätestens einer halben Stunde diesem Zwang zur Selbstvergessenheit auszusetzen gilt. Ich bewältige einen von Neonröhren umzäunten Weg, der als der geilste der Welt gilt und mich aus einem mir unerfindlichen Grund nie interessiert hat. Ich finde meine dissoziative Identitätsstörung interessanter als alles, was diese Stadt mir ununterbrochen ins Gesicht kotzt. Vor einem Securitychef, der Syd heißt und drei Meter groß ist, tue ich so, als würde ich auf der Gästeliste eines Barkeepers stehen, der tagsüber mit zeitgenössischen Kohlezeichnungen die verwirrenden Ansichten unserer urbanen Welt darzustellen versucht. Damit umgehe ich eine kilometerlange Schlange von overstylten Dreiundzwanzigjährigen aus geregelten familiären Zusammenhängen, in deren Augen ich kein Mensch bin, sondern ausschließlich underdressed und wankelmütig. Orale Inkontinenz. Mir wird Scheiße in die Fresse gefeuert. Ich bin eine motherfucking unmoralisch handelnde Fotze und soll auf mein Leben klarkommen, Alter.
Die Frage des Abends: »Ey, was geht 'n hier?« Die Antwort des Abends: »Ey, hier geht doch nichts.«
Das Resultat des Abends: »Geil, keine Schlange, Taxi steht dahinten, überall Definitionen der Weltgesundheitsorganisation, so.«
Vom DJ-Pult aus gesehen links befinden sich hinter einer großen Glaswand ein langer Bartresen und diverse Sitzmöglichkeiten; rechts davon liegt hinter der Tanzfläche einer der unübersehbaren Darkrooms. So weit das Auge reicht versuchen sich diese pseudovergewaltigten Mittzwanziger die Seele aus dem Leib zu dancen. Ich sitze zu irgendeiner absurden Musikrichtung unbeeindruckt auf einem Lederpolster und bekomme bereits nach zehnminütiger, unspektakulärer Ausgelassenheitsscheiße die wichtigste Frage des Abends gestellt. Achtzehn Meter Deckenhöhe, zweitausendfünfhundert Menschen und die HIV-positive Ophelia, mit der ich im Eingangsbereich verabredet bin. Sie sieht gleichermaßen umwerfend und magersüchtig aus, trägt eine halboffene Bomberjacke ohne was drunter zu schwarzen Leggins und Satinsandalen von Lanvin, mit verspiegelten Absätzen, und ich rede echt nur Scheiße zur Begrüßung.
»Hauptsache, irgendeine schlichte Silhouette wird mal wieder in ein unverzichtbares Musthave verwandelt, nicht wahr, Schatz? Traditionelle klassische Eleganz.«
»Ich würde jederzeit für dich in irgendeine Bresche springen, Mifti.«
»Und der geraffte Fall eines Seidenvorhangs verbirgt den größten Teil deines Körpers.«
»Ich wäre so gerne lustig heute.«
»Aber es ist einfach zu heiß hier drin.«
Sie fragt dann also irgendwann mit so einer Geste Richtung Damentoilette:
»Siehst du den Typen da vorne?«
Es ist der Typ, dessen Anwesenheit mich davon abgehalten hat, souverän an ihm vorbei zum Zigarettenautomaten zu rennen. Da werden mal zur Abwechslung keine sexuellen Gelüste wachgerufen, sondern nur ein paar emotionale Zuneigungsattacken, weil er so süß ist, weil er so bauchfrei ist und total gewaschen wirkt im Gegensatz zu all den aus der Form geratenen Chauvinistenhippies hier. Ich labere sowieso nur noch uninspirierte Scheiße.
Ophelia sagt: »Der hat Ecstasy.«
Ich gehe ungeachtet der Tatsache, dass sie auf eine schlagfertige Antwort wartet, in seine Richtung.
»Kannst du uns eventuell zwei Teile klarmachen?«
»Ähm .«
»Seit wann sind wir gute Freunde?«
»Ähm?«
»Achte mal bitte ganz kurz auf die Absätze von den Flechtoptikschuhen, die meine Freundin da anhat. Krass verspiegelt sind die.«
»Und modeinteressiert bist du also auch?«
»Seh ich so aus?«
»Allein dieser Mantel, das ist wirklich - mit dem Gürtel dazu nämlich. Gehört das zusammen?«
»Nein.«
»Das hast du also zusammengebastelt.«
»Ja, also, nein. Ich mag das ja auch bei Männern, wenn die so Anzüge anhaben und so was. Ausrangierte englische Minister zum Beispiel, ich finde das irgendwie geil.«
Der Typ guckt sich meinen kaputten Polyesterrock an und erwartet zwei Fünfer von mir. Ich hole Geld aus meinem Schuh und wirke währenddessen gleichermaßen geistesgestört wie aufgeregt. Er gibt mir die Pillen unauffälliger als unbedingt nötig und mustert mich wie den dünnhäutigsten Menschen der Welt.
Ich frage: »Hast du Lust auf Oralsex?«
Er antwortet: »Wie alt bist du? Dreiundsechzig?«
Damit werde ich zurück in diese nicht enden wollende Zeit der Traurigkeit entlassen.
Ophelia ist äußerst attraktiv und eine phlegmatische Actionheldin. Wenn ich Ophelia suche, finde ich sie grundsätzlich gemeinsam mit einer Rasierklinge vor einem Ganzkörperspiegel, und da sitzt sie dann vollkommen fertig. Sobald sie länger als sechs Stunden keine Drogen konsumiert und deswegen einen hysterischen Anfall hat, der sie töten will, versucht sie sich dort ihrer Gesichtsmuskulatur zu entledigen. Wir haben uns kennengelernt, weil sie trotz Höchststeuersatz aus so einem halbherzigen Bedürfnis nach Wirklichkeitsnähe heraus manchmal in Schulkantinen jobbt.
»Ich hätte hier gerne diese Rahmpolenta mit Spinat und kann ich statt Kartoffeln die Nudeln aus dem anderen Topf dazu haben, bitte?«
Sie: »Aus was für einem Topf?«
Ich: »Aus dem zweiten oder dritten von links da gegenüber.«
»Es hätte auch gereicht, wenn du einfach draufgezeigt hättest.«
»Und Nachtisch?«
»Du hattest schon einen Nachtisch.«
»Ich hatte definitiv noch keinen Nachtisch, ich bin hier eben gerade erst reingekommen, weil ich vorhin noch Gesellschaftswissenschaften im dritten Stock hatte.«
»Trotz deiner motherfucking Gesellschaftswissenschaften hast du dir hier gerade schon einen Nachtisch genommen, Baby!«
»Nein!«
»Ich kann hier nicht einfach so rumrennen und jedem Teenager vierzig Scheißvanillepuddings ins Gesicht schleudern, für die niemand bezahlt hat. Wie soll ich dich jetzt nennen? Impotenter Wichser?«
»Was reden Sie da?«
»Halt deine Fresse, du scharfsinniges Dreckskind.«
»Steh auf Fotze und verbeug dich.«
»Wie bitte?«
»STEH AUF FOTZE UND VERBEUG DICH!«
Ophelia hat mich mit einer großen Kelle Buchweizenauflauf beworfen. Ich habe sie mit dem Vanillepudding meiner Klassenkameradin Olivia Stüter beworfen, sie hat eine für zweihundert Siebt- bis Zehntklässler gedachte Portion Blattspinat über meinem Kopf ausgeleert, und dieser ganze Exzess plätscherte so vor sich hin mit einem konsequent gehaltenen Augenkontakt. Wir beschwörten da einen Kanal zwischen uns herauf, durch den es möglich war, uns gegenseitig anzustarren, als würden wir uns lieben.
Sie teilte mir mit, dass sie der perfekte Spiegel meiner wahren Gelüste sei. Und ich habe das einfach so hingenommen, ihre Telefonnummer gewählt, ihr zugehört, als sie sagte, dass ich dringend einige Kleidungsstücke, die sie nicht mochte, wegwerfen müsse, und geantwortet, dass sie eine Tote sei.
»Du kannst damit rechnen, in dieser Welt seelisch und körperlich verletzt zu werden.«
Das klingt zwar alles ziemlich unglaubwürdig, aber so war das halt damals.
Ich muss dir meinen Traum erzählen. Er wird dir gefallen. Wir wollten uns treffen, und ich sollte dich in deiner Wohnung besuchen. Ein riesiger Altbau. Verspiegeltes Treppenhaus. Zwanzig Türen pro Stockwerk. Ich habe sogar eine Zeichnung davon gemacht, schade, dass ich sie nicht einscannen kann. Ich ging die Treppe hoch. Ein paar Hunde zerrten an den Überresten eines Esels. Es war relativ dunkel, weil es nur ein einziges kleines Fenster im kompletten Flur gab. In einer Ecke...
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